Mit dem ersten Beamten von Morganton, der weniger jung, weniger kräftig, dabei größer und beleibter war, und der auch nicht so sicher auftrat, lag die Sache freilich anders. Augenscheinlich hatte er sich bisher nach Kräften bemüht, nicht zurückzubleiben. Zuweilen schnaufte er wie ein Seehund, und ich veranlaßte ihn manchmal gegen seinen Willen, erst einmal wieder ordentlich Atem zu schöpfen.

Kurz, wir sahen mehr und mehr ein, daß die Besteigung des Great-Eyry eine längere Zeit beanspruchen werde, als wir vorausgesetzt hatten. Wir glaubten anfänglich, den oberen Felsenkranz gegen elf Uhr zu erreichen, und jetzt waren wir in der Mittagstunde voraussichtlich noch um mehrere hundert Fuß davon entfernt.

Gegen zehn Uhr gab der eine Führer, nach wiederholten Versuchen, einen gangbaren Aufstieg zu entdecken und nach mancherlei Umwegen, die uns dann und wann wieder rückwärts führten, das Zeichen zum Anhalten. Wir hatten den oberen Rand der bewaldeten Strecke erreicht. Hier standen die Bäume vereinzelter und gestatteten einen Ausblick nach dem eigentlichen Felsblocke des Great-Eyry.

»He, he! stieß Herr Smith hervor, während er sich an eine große Fächerpalme lehnte, ein bißchen Ruhe und Rast und eine kleine Mahlzeit zur Stärkung würden mir jetzt nicht unangenehm sein.

– So ein Raststündchen? fragte ich.

– Ja; nachdem Beine und Lunge ihre Schuldigkeit getan haben, möge auch der Magen einmal arbeiten!«

Dagegen erhob niemand Einspruch: wir mußten daran denken, die verlorenen Kräfte wieder zu ersetzen. Einigermaßen beunruhigte uns freilich der Anblick der Berglehne bis zum Fuße des eigentlichen Great-Eyry. Über uns erhob sich drohend eine der völlig kahlen Partien, die man im Lande »Blads« zu nennen pflegt. Zwischen ihrem zerrissenen Gestein war kein Weg zu erkennen. Das machte auch unseren Führern Sorge, wie ich aus den Worten schloß, die Harry Horn an seinen Kameraden richtete.

»Das wird nicht gerade leicht werden! sagte er.

– Vielleicht überhaupt unmöglich,« antwortete James Bruck.

Diese Äußerungen machten mir einen wirklichen Verdruß. Kam ich zurück, ohne den Great-Eyry erstiegen zu haben, so bedeutete das den gänzlichen Mißerfolg meiner Mission, ganz abgesehen davon, daß dann auch meine Neugier unbefriedigt blieb, und wenn ich mich dann bei Herrn Ward wieder meldete, spielte ich gewiß eine recht traurige Rolle. – Jetzt wurden also die Taschen und die Rucksäcke geöffnet; wir stärkten uns mit kaltem Fleisch nebst Brot, sprachen der Flasche aber nur wenig zu. Nach dem frugalen Mahle, das kaum eine halbe Stunde gedauert hatte, war Herr Smith der erste, der sich erhob und zum Weitergehen anschickte.

James Bruck nahm dabei wieder die Spitze ein, und wir hatten ihm nur zu folgen und darauf zu achten, daß wir nicht zurückblieben.

Nur langsam ging es vorwärts. Unsere Führer verhehlten gar nicht ihre Verlegenheit, und wiederholt mußte Harry Horn noch eine Strecke vorausgehen, um auszukundschaften, welche Richtung wir einzuschlagen hätten.

Dabei blieb er wohl zwanzig Minuten lang aus. Endlich zurückgekehrt, wies er nach Nordosten hin und marschierte dann unverdrossen weiter. In der bezeichneten Richtung erhob sich der Black-Dome etwa in der Entfernung von drei bis vier Meilen. Wie bekannt, wäre es nutzlos gewesen, diesen zu ersteigen, da man von seinem Gipfel selbst mit einem starken Fernrohr nichts vom Innern des Great-Eyry sehen konnte.

Der Aufstieg ging nur beschwerlich und langsam von statten, vorzüglich über die glatten Abhänge hin, auf denen einzelne Gesträuche standen oder dürftige Grasbüschel den Boden stellenweise bedeckten. Wir waren kaum zweihundert Fuß höher hinausgekommen, da blieb James Bruck plötzlich vor einer Art tiefer Furche stehen, die sich an dieser Stelle durch den Erdboden hinzog. Da und dort zeigten sich herausgerissene und abgebrochene Wurzeln, zertrümmerte Zweige und zu Pulver zermalmte Steinbrocken, so, als ob eine Lawine vom Bergabhange hinuntergerollt wäre.

»Hier wird der große Felsblock vorübergedonnert sein, der sich seinerzeit vom Great-Eyry abgelöst hat, bemerkte James Bruck.

– Kein Zweifel, antwortete Elias Smith, und dann meine ich, ist es das Beste, wir folgen dem Wege, den er sich bei dem Hinabrollen gebrochen hat.«

Das geschah denn auch und erwies sich als richtig. Der Fuß fand hier einen sicheren Stützpunkt in den Vertiefungen, die der Felsblock auf seinem Wege hinterlassen hatte. Der Aufstieg erfolgte nun unter besseren Verhältnissen und fast in gerader Linie, so daß wir um halb zwölf den oberen Rand des Blad erreicht hatten. Nur hundert Schritt vor uns, doch reichlich hundert Fuß hoch, starrten hier die Felsmauern empor, die den Great-Eyry vollständig einrahmen.

Von dieser Seite gesehen, bot die Einfassung des Berges einen höchst phantastischen Anblick, mit kegelförmigen Spitzen, dünnen Nadeln und unter anderem einem Felsen, der das Bild eines riesigen, im Auffliegen begriffenen Adlers vortäuschte. Von Osten her schien die Bergwand völlig unersteigbar zu sein.

»Wir wollen kurze Zeit rasten, schlug Herr Smith jetzt vor, und dann zusehen, ob es möglich ist, den Great-Eyry zu umkreisen.

– Jedenfalls, bemerkte Harry Horn, hat sich vor einiger Zeit jener Felsblock an dieser Seite abgelöst, und dennoch sieht man keine Bresche in dem Felskranze.«

Horn hatte sicherlich recht: der Felssturz mußte von dieser Seite des Blad aus erfolgt sein.

Nach einer Rast von zehn Minuten erhoben sich die beiden Führer und auf ziemlich schlüpfrigem und steilem Wege erreichten wir bald den Rand des Plateaus. Jetzt konnten wir am Fuße der Felsmasse herumgehen, die sich bei einer Höhe von fünfzig Fuß wie die Wand eines Korbes ausbauchte, so daß es, selbst wenn wir Stufen hätten benützen können, doch unmöglich gewesen wäre, die obere Kante der Umfassung zu erklimmen.

 

Der Great-Eyry nahm eine mehr und mehr phantastische Gestalt an. (S. 42.)

Der Great-Eyry nahm eine mehr und mehr phantastische Gestalt an. (S. 42.)

 

In meiner Vorstellung nahm der Great-Eyry eine mehr und mehr phantastische Gestalt an, und wenn er von Drachen, bösen Geistern und Chimären bewohnt gewesen wäre, die hier zu seiner Bewachung hausten, so hätte mich das auch nicht weiter verwundert.

Inzwischen wanderten wir längs dieser Umwallung hin, die in Anbetracht ihres regelmäßigen Aufbaues einem Werke von Menschenhand ähnelte. Doch nirgends zeigte sich eine Unterbrechung des Wallkranzes, nirgends ein Spalt in dem Gestein, durch den man hätte zu schlüpfen versuchen können. Überall starrte der Kamm empor… überall unersteigbar.

Nachdem wir dem Rande des Plateaus eine Stunde lang gefolgt waren, befanden wir uns wieder an der Ausgangsstelle, wo wir an dem Blad zuletzt Halt gemacht hatten.

Ich konnte meinen Ärger über ein solches Mißgeschick nicht unterdrücken, und Herr Smith schien darüber nicht weniger verdrießlich zu sein.

»Alle Teufel! rief er, wir sollen also nicht erfahren, was sich im Innern dieses vermaledeiten Great-Eyry verbirgt… ob er einen Krater bildet…

– Ob er ein Vulkan ist oder nicht, fiel ich ein.