Vielleicht bot der Weg freilich unvorhergesehene Schwierigkeiten, wenn wir etwa auf Abgründe stießen oder auf gefährlichen und beschwerlichen Pfaden große Umwege machen mußten. Das war uns unbekannt und bildete sozusagen die Kehrseite unseres Unternehmens.

Die Führer hatten uns, wie erwähnt, darüber im voraus nicht aufklären können. Mich beunruhigte vor allem, daß man hierzulande den oberen Felsenkranz des Great-Eyry allgemein für unübersteiglich ansah. Bestimmt erwiesen war das freilich noch nicht, und wir konnten vorläufig annehmen, daß durch den kürzlich erfolgten Absturz eines Felsblockes eine Öffnung in dem Gesteinskranze entstanden sei.

»Wie dem auch sei, sagte zu mir Herr Smith, nachdem er die erste Pfeife von den zwanzigen, die er tagsüber rauchte, angezündet hatte, wir wollen frisch aufs Ziel losgeben. Was die Frage betrifft, ob die Besteigung mehr oder weniger Zeit beansprucht….

– Nun, fragte ich, ihn unterbrechend, wir sind doch nach wie vor entschlossen, was wir vorhaben, bis ans Ende durchzuführen?

– Das versteht sich, Herr Strock.

– Mein Chef hat mich beauftragt, diesem verteufelten Great-Eyry seine Geheimnisse auf jeden Fall zu entreißen.

– Und wir entreißen sie ihm, er mag wollen oder nicht, erwiderte Herr Smith, der den Himmel zum Zeugen seines Versprechens anrief. Er muß sie enthüllen, wären wir selbst genötigt, deshalb bis in die Eingeweide des Berges hinabzudringen.

– Da sich unser Ausflug aber über den heutigen Tag hinaus verlängern könnte, setzte ich hinzu, erscheint es wohl ratsam, uns mit Nahrungsmitteln zu versehen.

– Keine Sorge, Herr Strock! Die Führer haben Proviant für zwei Tage in ihren Rucksäcken, und wir selbst ziehen doch auch nicht mit leeren Taschen aus. Hab’ ich auch meinen braven Nisko in der Farm zurückgelassen, so hab’ ich doch die Flinte mitgenommen. In den Talschluchten der Ausläufer und in den bewaldeten Lagen des Berges kann es an Wild nicht fehlen. Dann wird ein Feuerchen gemacht, die Jagdbeute zuzubereiten, wenn wir da oben nicht schon ein loderndes Feuer vorfinden.

– Ein loderndes Feuer, Herr Smith?

– Ja, warum denn nicht, Herr Strock?… Denken Sie doch an die Flammen, die prächtigen Flammen, die unseren Bauern einen so tödlichen Schreck eingejagt haben. Weiß denn jemand, ob deren Herd schon völlig erkaltet ist oder ob unter der Asche das Feuer noch weiterglimmt? Besteht hier im Innern ein Krater, so haben wir’s auch mit einem Vulkan zu tun, und ein Vulkan ist niemals so gänzlich erloschen, daß man nicht irgendwo noch ein Fünkchen fände. Offen gestanden, das wäre mir ein jämmerlicher Vulkan, der nicht mehr genug Feuer bewahrte, ein Ei zu sieden und eine Kartoffel zu rösten. Doch… das wird sich ja bald zeigen!«

Ich gestehe offen ein, daß ich mir in dieser Beziehung noch gar keine Ansicht gebildet hatte. Mein Befehl lautete dahin, zu erkunden, was der Great-Eyry eigentlich sei… wenn das ohne augenscheinliche Gefahr möglich wäre. Nun, das sollte geschehen, und die Leute wüßten dann, woran sie wären. Im Grunde aber wünschte ich – ist das bei einem Manne, der vom Dämon der Neugierde besessen ist, nicht ganz natürlich? – ja würde es mich glücklich machen und mir durch den Widerhall, den meine Mission fände, zur größten Befriedigung dienen, daß und wenn dieser Great-Eyry der Mittel-und Ausgangspunkt von Erscheinungen wäre mir deren Ursache zu entdecken gelänge.

Unsere Besteigung sollte nun in folgender Weise vor sich gehen: Als Vortrab die beiden Führer, denen es oblag, gangbare Wege zu wählen; hinter beiden Elias Smith und ich, einer neben dem andern oder einer hinter dem andern hintrabend, je nachdem es die Breite der Pfade zuließ.

Zuerst drangen jetzt Harry Horn und James Bruck in eine breite und nur sanft ansteigende Talschlucht ein. Diese wand sich längs steiler Abhänge hin, wo Büsche mit zapfenförmigen Beeren und schwärzlichen Blättern, große Farne und wilde Johannisbeersträucher so wirr durcheinandergemengt standen, daß es unmöglich gewesen wäre, sich einen Weg hindurchzubrechen.

Eine Unmenge Vögel belebten die Waldmassen, darunter, als die lautesten, Papageien, die unaufhörlich schwatzten und die Luft mit ihrem scharfen Schrei erfüllten. Kaum hörte man die Eichhörnchen durch die Gebüsche schlüpfen, obwohl ihrer Hunderte umhersprangen.

Der Lauf eines Bergbaches, dem die Schlucht als Bett diente, schlängelte sich launisch neben den Bergrücken der Kette hinaus. In der Regenzeit oder nach ergiebigem Gewitterregen mochte er wohl in rauschenden Fällen herabstürzen. Da er aber offenbar nur vom himmlischen Naß gespeist wurde, war hiervon jetzt nichts zu sehen, was darauf hinwies, daß er nicht aus einer Quelle auf der Höhe herstammen könnte.

Nach halbstündiger Wanderung wurde das Emporsteigen so beschwerlich, daß wir gezwungen waren, uns bald rechts, bald links hin zu wenden und zuweilen recht beträchtliche Umwege zu machen. Die Schlucht wurde allmählich fast ungangbar und der Fuß fand beinahe nirgends mehr einen zuverlässigen Stützpunkt. Wir mußten uns hier an Grasbüschel anklammern, dort auf den Knien fortkriechen, und unter solchen Verhältnissen konnten wir vor Sonnenuntergang jedenfalls nicht auf den Berg hinausgelangen.

»Na wahrhaftig, rief Herr Smith tief aufatmend, jetzt begreif’ ich, daß sich Touristen nur selten an den Great-Eyry herangewagt haben, so selten, daß mir davon eigentlich gar nichts zu Ohren gekommen ist.

– Ja freilich, antwortete ich, hier winkte auch großer Mühe nur geringer Lohn, und wenn wir nicht ganz besondere Gründe hätten, unseren Versuch auch zu Ende zu führen…

– Ja, das ist richtig, erklärte Harry Horn. Mein Kamerad und ich haben den Black-Dome schon auf verschiedenen Wegen bestiegen, solchen Schwierigkeiten sind wir dabei aber niemals begegnet.

– Schwierigkeiten, die hier noch zu unbesieglichen Hindernissen anwachsen könnten,« setzte James Bruck hinzu.

Jetzt drängte sich uns die Frage auf, nach welcher Seite wir einen schräg aufwärts führenden Weg suchen sollten. Zur Rechten und zur Linken erhoben sich Dickichte von Bäumen und Gesträuchen. Jedenfalls mußten wir uns dahin wenden, wo die Felswände weniger steil abfielen. Arbeiteten wir uns durch die Waldmasse bis zu deren Saume hindurch, so fanden meine Begleiter und ich vielleicht einen gangbareren Pfad. Blind darauf los durften wir indes nicht gehen. Es galt ja, daran zu denken, daß die östlichen Abhänge der Blauen Berge überhaupt kaum zu erklimmen sind, da sie in der ganzen Ausdehnung der Gebirgskette in fünfziggrädigem Winkel abfallen.

Das Beste blieb es unter allen Umständen, uns auf den besonderen Instinkt der beiden Führer und vorzüglich auf James Bruck zu verlassen. Ich glaube, der wackere Bursche hätte bezüglich der Gewandtheit einem Affen und bezüglich der schnellen Beweglichkeit einer Eidechse als Vorbild dienen können. Leider würden weder Elias Smith noch ich uns haben dahin wagen können, wohin der kühne junge Mann sich ohne Besorgnis wagte.

Was mich angeht, hoffte ich allerdings nicht zurückzubleiben, denn das Klettern war mir sozusagen angeboren und an Körperanstrengungen war ich gewöhnt. Wo James Bruck vorwärts kam, wollte ich auch vorwärts kommen, wenn es mich auch einige Schrammen und Risse kostete.