Dann haben wir bei beiden die Anwendung dieser Schemata, beziehungsweise logischen Kategorien auf die Natur: Naturphilosophie, und endlich deren Anwendung auf das Reich des Menschen, was Hegel die Philosophie des Geistes nennt. Die »innerlich logische Ordnung« der Dühringschen Abfolge führt uns also »völlig ungezwungen« auf Hegels »Enzyklopädie« zurück, aus der sie mit einer Treue entnommen ist, die den Ewigen Juden der Hegelschen Schule, den Professor Michelet in Berlin, zu Tränen rühren wird.
Das kommt davon, wenn man »das Bewußtsein«, »das Denken« ganz naturalistisch als etwas Gegebnes, von vornherein dem Sein, der Natur Entgegengesetztes, so hinnimmt. Dann muß man es auch höchst merkwürdig finden, daß Bewußtsein und Natur, Denken und Sein, Denkgesetze und Naturgesetze so sehr zusammenstimmen. Fragt man aber weiter, was denn Denken und Bewußtsein sind und woher sie stammen, so findet man, daß es Produkte des menschlichen Hirns und daß der Mensch selbst ein Naturprodukt, das sich in und mit seiner Umgebung entwickelt hat; wobei es sich dann von selbst versteht, daß die Erzeugnisse des menschlichen Hirns, die in letzter Instanz ja auch Naturprodukte sind, dem übrigen Naturzusammenhang nicht widersprechen, sondern entsprechen.
Aber Herr Dühring darf sich diese einfache Behandlung der Sache nicht[33] erlauben. Er denkt nicht nur im Namen der Menschheit – was doch schon eine ganz hübsche Sache wäre –, sondern im Namen der bewußten und denkenden Wesen aller Weltkörper:
In der Tat, es wäre »eine Herabwürdigung der Grundgestalten des Bewußtseins und Wissens, wenn man ihre souveräne Geltung und ihren unbedingten Anspruch auf Wahrheit durch das Epitheton menschlich ausschließen oder auch nur verdächtigen wollte«.
Damit also nicht der Verdacht aufkomme, als sei auf irgendeinem andern Weltkörper zwei mal zwei gleich fünf, darf Herr Dühring das Denken nicht als menschliches bezeichnen, muß es damit abtrennen von der einzigen wirklichen Grundlage, auf der es für uns vorkommt, nämlich vom Menschen und der Natur, und plumpst damit rettungslos in eine Ideologie, die ihn als Epigonen des »Epigonen« Hegel auftreten macht. Übrigens werden wir Herrn Dühring noch öfters auf andern Weltkörpern begrüßen.
Es versteht sich von selbst, daß man auf so ideologischer Grundlage keine materialistische Lehre gründen kann. Wir werden später sehn, daß Herr Dühring genötigt ist, der Natur mehr als einmal bewußte Handlungsweise unterzuschieben, also das, was man auf deutsch Gott nennt.
Indes hatte unser Wirklichkeitsphilosoph auch noch andre Beweggründe, die Grundlage aller Wirklichkeit aus der wirklichen Welt in die Gedankenwelt zu übertragen. Die Wissenschaft von diesem allgemeinen Weltschematismus, von diesen formellen Grundsätzen des Seins, ist ja grade die Grundlage von Herrn Dührings Philosophie. Wenn wir den Welt schematismus nicht aus dem Kopf, sondern bloß vermittelst des Kopfs aus der wirklichen Welt, die Grundsätze des Seins aus dem, was ist, ableiten, so brauchen wir dazu keine Philosophie, sondern positive Kenntnisse von der Welt und was in ihr vorgeht; und was dabei herauskommt, ist ebenfalls keine Philosophie, sondern positive Wissenschaft. Damit wäre aber Herrn Dührings ganzer Band nichts als verlerne Liebesmüh.
Ferner: wenn keine Philosophie als solche mehr nötig, dann auch kein System, selbst kein natürliches System der Philosophie mehr. Die Einsicht, daß die Gesamtheit der Naturvorgänge in einem systematischen Zusammenhang steht, treibt die Wissenschaft dahin, diesen systematischen Zusammenhang überall im einzelnen wie im ganzen nachzuweisen. Aber eine entsprechende, erschöpfende, wissenschaftliche Darstellung dieses Zusammenhangs, die Abfassung eines exakten Gedankenabbildes des Weltsystems, in dem wir leben, bleibt für uns sowohl wie für alle Zeiten eine Unmöglichkeit. Würde an irgendeinem Zeitpunkt der Menschheitsentwicklung ein solches endgültig abschließendes System der Weltzusammenhänge,[34] physischer wie geistiger und geschichtlicher, fertiggebracht, so wäre damit das Reich der menschlichen Erkenntnis abgeschlossen, und die zukünftige geschichtliche Fortentwicklung abgeschnitten von dem Augen blick an, wo die Gesellschaft im Einklang mit jenem System eingerichtet ist – was eine Absurdität, ein reiner Widersinn wäre. Die Menschen finden sich also vor den Widerspruch gestellt: einerseits das Weltsystem erschöpfend in seinem Gesamtzusammenhang zu erkennen, und andrerseits, sowohl ihrer eignen wie der Natur des Weltsystems nach, diese Aufgabe nie vollständig lösen zu können. Aber dieser Widerspruch liegt nicht nur in der Natur der beiden Faktoren: Welt und Menschen, sondern er ist auch der Haupthebel des gesamten intellektuellen Fortschritts und löst sich tagtäglich und fortwährend in der unendlichen progressiven Entwicklung der Menschheit, ganz wie z.B. mathematische Aufgaben in einer unendlichen Reihe oder einem Kettenbruch ihre Lösung finden. Tatsächlich ist und bleibt jedes Gedankenabbild des Weltsystems objektiv durch die geschichtliche Lage und subjektiv durch die Körper- und Geistesverfassung seines Urhebers beschränkt. Aber Herr Dühring erklärt von vornherein seine Denkweise für eine solche, die jede Anwandlung zu einer subjektivistisch beschränkten Weltvorstellung ausschließt. Wir sahn vorher, er war allgegenwärtig – auf allen möglichen Weltkörpern. Jetzt sehn wir auch, daß er allwissend ist. Er hat die letzten Aufgaben der Wissenschaft gelöst und so die Zukunft aller Wissenschaft mit Brettern zugenagelt.
Wie die Grundgestalten des Seins, meint Herr Dühring, auch die gesamte reine Mathematik apriorisch, d.h. ohne Benutzung der Erfahrungen, die uns die Außenwelt bietet, aus dem Kopf heraus fertigbringen zu können.
In der reinen Mathematik soll sich der Verstand befassen »mit seinen eignen freien Schöpfungen und Imaginationen«; die Begriffe von Zahl und Figur sind »ihr zureichendes und von ihr selbst erzeugbares Objekt«, und somit hat sie eine »von der besondern Erfahrung und dem realen Weltinhalt unabhängige Geltung«.
Daß die reine Mathematik eine von der besondern Erfahrung jedes einzelnen unabhängige Geltung hat, ist allerdings richtig und gilt von allen festgestellten Tatsachen aller Wissenschaften, ja von allen Tatsachen überhaupt. Die magnetischen Pole, die Zusammensetzung des Wassers aus Wasserstoff und Sauerstoff, die Tatsache, daß Hegel tot ist und Herr Dühring lebt, gelten unabhängig von meiner oder andrer einzelnen Leute Erfahrung, selbst unabhängig von der des Herrn Dühring, sobald er den Schlaf des Gerechten schläft. Keineswegs aber befaßt sich in der reinen[35] Mathematik der Verstand bloß mit seinen eignen Schöpfungen und Imaginationen. Die Begriffe von Zahl und Figur sind nirgends anders hergenommen, als aus der wirklichen Welt. Die zehn Finger, an denen die Menschen zählen, also die erste arithmetische Operation vollziehn gelernt haben, sind alles andre, nur nicht eine freie Schöpfung des Verstandes. Zum Zählen gehören nicht nur zählbare Gegenstände, sondern auch schon die Fähigkeit, bei Betrachtung dieser Gegenstände von allen ihren übrigen Eigenschaften abzusehn außer ihrer Zahl – und diese Fähigkeit ist das Ergebnis einer langen geschichtlichen, erfahrungsmäßigen Entwicklung. Wie der Begriff Zahl, so ist der Begriff Figur ausschließlich der Außenwelt entlehnt, nicht im Kopf aus dem reinen Denken entsprungen. Es mußte Dinge geben, die Gestalt hatten und deren Gestalten man verglich, ehe man auf den Begriff Figur kommen konnte. Die reine Mathematik hat zum Gegenstand die Raumformen und Quantitätsverhältnisse der wirklichen Welt, also einen sehr realen Stoff.
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