Die eine dieser wundervollen Sprachen redet nur Gott; die andere reden nur wenige Auserwählte unter den Menschen, die er zu seinen Lieblingen gesalbt hat. Ich meine: die Natur und die Kunst. – Seit meiner frühen Jugend her, da ich den Gott der Menschen zuerst aus den uralten heiligen Büchern unserer Religion kennenlernte, war mir die Natur immer das gründlichste und deutlichste Erklärungsbuch über sein Wesen und seine Eigenschaften. Das Säuseln in den Wipfeln des Waldes, und das Rollen des Donners, haben mir geheimnisvolle Dinge von ihm erzählet, die ich in Worten nicht aufsetzen kann. Ein schönes Tal, von abenteuerlichen Felsengestalten umschlossen, oder ein glatter Fluß, worin gebeugte Bäume sich spiegeln, oder eine heitere grüne Wiese von dem blauen Himmel beschienen, – ach diese Dinge haben in meinem inneren Gemüte mehr wunderbare Regungen zuwege gebracht, haben meinen Geist von der Allmacht und Allgüte Gottes inniger erfüllt, und meine ganze Seele weit mehr gereinigt und erhoben, als es je die Sprache der Worte vermag. Sie ist, dünkt mich, ein allzu irdisches und grobes Werkzeug, um das Unkörperliche, wie das Körperliche, damit zu handhaben.

Ich finde hier einen großen Anlaß, die Macht und Güte des Schöpfers zu preisen. Er hat um uns Menschen eine unendliche Menge von Dingen umhergestellt, wovon jedes ein anderes Wesen hat, und wovon wir keines verstehen und begreifen. Wir wissen nicht, was ein Baum ist; nicht, was eine Wiese, nicht, was ein Felsen ist; wir können nicht in unsrer Sprache mit ihnen reden; wir verstehen nur uns untereinander. Und dennoch hat der Schöpfer in das Menschenherz eine solche wunderbare Sympathie zu diesen Dingen gelegt, daß sie demselben, auf unbekannten Wegen, Gefühle oder Gesinnungen, oder wie man es nennen mag, zuführen, welche wir nie durch die abgemessensten Worte erlangen.

Die Weltweisen sind, aus einem an sich löblichen Eifer für die Wahrheit, irregegangen; sie haben die Geheimnisse des Himmels aufdecken und unter die irdischen Dinge in irdische Beleuchtung stellen wollen, und die dunkeln Gefühle von denselben, mit kühner Verfechtung ihres Rechtes, aus ihrer Brust verstoßen. – Vermag der schwache Mensch die Geheimnisse des Himmels aufzuhellen? Glaubt er verwegen ans Licht ziehen zu können, was Gott mit seiner Hand bedeckt? Darf er wohl die dunkeln Gefühle, welche wie verhüllte Engel zu uns herniedersteigen, hochmütig von sich weisen? – Ich ehre sie in tiefer Demut; denn es ist große Gnade von Gott, daß er uns diese echten Zeugen der Wahrheit herabsendet. Ich falte die Hände und bete an. –

Die Kunst ist eine Sprache ganz anderer Art als die Natur; aber auch ihr ist, durch ähnliche dunkle und geheime Wege, eine wunderbare Kraft auf das Herz des Menschen eigen. Sie redet durch Bilder der Menschen und bedienet sich also einer Hieroglyphenschrift, deren Zeichen wir dem Äußern nach kennen und verstehen. Aber sie schmelzt das Geistige und Unsinnliche, auf eine so rührende und bewundernswürdige Weise, in die sichtbaren Gestalten hinein, daß wiederum unser ganzes Wesen und alles, was an uns ist, von Grund auf bewegt und erschüttert wird.

Manche Gemälde aus der Leidensgeschichte Christi, oder von unsrer heiligen Jungfrau, oder aus der Geschichte der Heiligen, haben, ich darf es wohl sagen, mein Gemüt mehr gesäubert und meinem inneren Sinne tugendseligere Gesinnungen eingeflößet als Systeme der Moral und geistliche Betrachtungen. Ich denke unter andern noch mit Inbrunst an ein über alles herrlich gemaltes Bild unsers heiligen Sebastian, wie er nackt an einen Baum gebunden steht, ein Engel ihm die Pfeile aus der Brust zieht und ein anderer Engel vom Himmel einen Blumenkranz für sein Haupt bringt. Diesem Gemälde verdanke ich sehr eindringliche und haftende christliche Gesinnungen, und ich kann mir jetzt kaum dasselbe lebhaft vorstellen, ohne daß mir die Tränen in die Augen kommen.

Die Lehren der Weisen setzen nur unser Gehirn, nur die eine Hälfte unseres Selbst, in Bewegung; aber die zwei wunderbaren Sprachen, deren Kraft ich hier verkündige, rühren unsere Sinne sowohl als unsern Geist; oder vielmehr scheinen dabei (wie ich es nicht anders ausdrücken kann) alle Teile unsers (uns unbegreiflichen) Wesens zu einem einzigen, neuen Organ zusammenzuschmelzen, welches die himmlischen Wunder, auf diesem zwiefachen Wege, faßt und begreift.

Die eine der Sprachen, welche der Höchste selber von Ewigkeit zu Ewigkeit fortredet, die ewig lebendige, unendliche Natur, ziehet uns durch die weiten Räume der Lüfte unmittelbar zu der Gottheit hinauf. Die Kunst aber, die durch sinnreiche Zusammensetzungen von gefärbter Erde und etwas Feuchtigkeit, die menschliche Gestalt in einem engen, begrenzten Raume, nach innerer Vollendung strebend, nachahmt (eine Art von Schöpfung, wie sie sterblichen Wesen hervorzubringen vergönnt ward) – sie schließt uns die Schätze in der menschlichen Brust auf, richtet unsern Blick in unser Inneres, und zeigt uns das Unsichtbare, ich meine alles was edel, groß und göttlich ist, in menschlicher Gestalt. –

Wenn ich aus dem gottgeweihten Tempel unsers Klosters von der Betrachtung Christi am Kreuz, ins Freie hinaustrete, und der Sonnenschein vom blauen Himmel mich warm und lebendig umfängt, und die schöne Landschaft mit Bergen, Gewässer und Bäumen mein Auge rührt; so sehe ich eine eigene Welt Gottes vor mir hervorgehen, und fühle auf eigene Weise große Dinge in meinem Inneren sich erheben. – Und wenn ich aus dem Freien wieder in den Tempel trete, und das Gemälde von Christo am Kreuze mit Ernst und Innigkeit betrachte; so sehe ich wiederum eine andre ganz eigene Welt Gottes vor mir hervorgehen und fühle auf andre, eigene Weise sich große Dinge in meinem Inneren erheben. –

Die Kunst stellet uns die höchste menschliche Vollendung dar. Die Natur, soviel davon ein sterbliches Auge sieht, gleichet abgebrochenen Orakelsprüchen aus dem Munde der Gottheit. Ist es aber erlaubt, also von dergleichen Dingen zu reden, so möchte man vielleicht sagen, daß Gott wohl die ganze Natur oder die ganze Welt auf ähnliche Art, wie wir ein Kunstwerk, ansehen möge.

 

Von den Seltsamkeiten des alten Malers Piero di Cosimo aus der Florentinischen Schule

 

Die Natur, die ewig emsige Arbeiterin, fertigt, mit immer geschäftigen Händen, Millionen Wesen alles Geschlechtes und wirft sie ins irdische Leben hinein. Mit leichtem, spielendem Scherze mischt sie, ohne hinzusehn, die Stoffe, wie sie sich nun schicken mögen, auf mannigfache Weise zusammen, und überläßt ein jedes Wesen, das ihrer Hand entfällt, seiner Lust und seiner Qual. Und ebenso wie sie manchmal in den Reichen des Leblosen mutwillig seltsame und monströse Gestalten unter die Menge wirft; so bringt sie auch unter den Menschen alle Jahrhunderte einige Seltenheiten hervor, welche sie zwischen Tausende gewöhnlicher Art versteckt. Aber diese seltsamen Geister vergehen gleich den allergemeinsten: die wißbegierige Nachwelt sammelt aus Schriften die einzeln gestammelten Laute zusammen, die sie uns schildern sollen; allein wir gewinnen kein faßliches Bild, und lernen sie niemals völlig verstehen. Konnten doch auch die, welche sie mit Augen sahen, sie nicht völlig begreifen, ja sie begriffen sich selber kaum. Wir können sie, wie im Grunde alles in der Welt, nur bloß mit leerer Verwunderung betrachten.–

Diese Gedanken sind bei mir rege geworden, indem ich in den Historien der alten Maler auf den wunderbaren Piero di Cosimo gestoßen bin. Die Natur hatte sein Inneres mit einer immer gärenden Phantasie erfüllt, und seinen Geist mit schweren und düstern Gewitterwolken bezogen, so daß sein Gemüt immer in unruhiger Arbeit war, und unter ausschweifenden Bildern umhertrieb, ohne jemals sich in einfacher und heiterer Schönheit zu spiegeln. Alles an ihm war außerordentlich und ungewöhnlich; die alten Schriftsteller wissen nicht kräftige Worte genug zusammenzuhäufen, um uns einen Begriff von dem Unmäßigen und Ungeheuren in seinem ganzen Wesen zu geben. Und doch finden wir bei ihnen nur wenige einzelne, zum Teil sogar unerheblich scheinende Züge aufgezeichnet, welche uns den Abgrund seiner Seele keineswegs gründlich kennen lehren, noch zu einem vollendeten, harmonischen Bilde zusammenfließen; aus welchen wir aber dennoch das Tieferliegende wohl ohngefähr ahnden können.

Piero di Cosimo trug schon in seiner Jugend einen lebendigen, immer beweglichen Geist, und eine überfüllte Einbildungskraft in sich herum, wodurch er sich früh vor seinen Mitschülern auszeichnete.