Viele Personen aber scheinen von derselben, wie von einem bösen, quälenden Geiste, so geplagt, daß sie dadurch zu verachten und zu verhöhnen angereizt werden, ehe sie ruhig betrachten können – und am allerwenigsten über die Schranken der Gegenwart sich in die Vorzeit hinüberzusetzen vermögen. Gern will ich euch zugeben, ihr eifrigen Neulinge, daß ein junger Schüler jetzt klüger und gelehrter von Farben, Licht und Zusammenfügung der Figuren reden mag, als der alte Dürer es verstand; spricht aber sein eigener Geist aus dem Knaben, oder nicht vielmehr die Kunstweisheit und Erfahrung der vergangenen Zeiten? Die eigentliche, innere Seele der Kunst fassen nur einzelne auserwählte Geister auf einmal, mag auch schon die Führung des Pinsels noch sehr mangelhaft sein; alle die Außenwerke der Kunst hingegen werden nach und nach, durch Erfindung, Übung und Nachdenken zur Vollkommenheit gebracht. Es ist aber eine schnöde und betrauernswerte Eitelkeit, die das Verdienst der Zeiten ihrem eigenen schwachen Haupte zur Krone aufsetzt und ihre Nichtigkeit unter erborgtem Glanze verstecken will. Hinweg, ihr weisen Knaben, von dem alten Künstler von Nürnberg! – und daß keiner verspottend ihn zu richten sich vermesse, der noch kindisch darüber naserümpfen kann, daß er nicht Tizian und Correggio zu Lehrmeistern hatte, oder, daß man zu seiner Zeit so seltsam altfränkische Kleidung trug!
Denn auch um deswillen wollen die heutigen Lehrer ihn, sowie manchen andern guten Maler seines Jahrhunderts, nicht schön und edel nennen, weil sie die Geschichte aller Völker und wohl selbst die geistlichen Historien unserer Religion in die Tracht ihrer Zeiten kleiden. Allein ich denke dabei, wie doch ein jeder Künstler, der die Wesen vergangener Jahrhunderte durch seine Brust gehen läßt, sie mit dem Geist und Atem seines Alters beleben muß; und wie es doch billig und natürlich ist, daß die Schöpfungskraft des Menschen alles Fremde und Entfernte, und also auch selbst die himmlischen Wesen, sich liebend nahebringt und in die wohlbekannten und geliebten Formen seiner Welt und seines Gesichtskreises hüllt.
Als Albrecht den Pinsel führte, da war der Deutsche auf dem Völkerschauplatz unsers Weltteils noch ein eigentümlicher und ausgezeichneter Charakter von festem Bestand; und seinen Bildern ist nicht nur in Gesichtsbildung und im ganzen Äußeren, sondern auch im inneren Geiste, dieses ernsthafte, gerade und kräftige Wesen des deutschen Charakters treu und deutlich eingeprägt. In unsern Zeiten ist dieser festbestimmte deutsche Charakter, und ebenso die deutsche Kunst, verlorengegangen. Der junge Deutsche lernt die Sprachen aller Völker Europas und soll prüfend und richtend aus dem Geiste aller Nationen Nahrung ziehen; – und der Schüler der Kunst wird belehrt, wie er den Ausdruck Raffaels, und die Farben der venezianischen Schule, und die Wahrheit der Niederländer, und das Zauberlicht des Correggio, alles zusammen nachahmen, und auf diesem Wege zur alles übertreffenden Vollkommenheit gelangen solle. – O traurige Afterweisheit! O blinder Glaube des Zeitalters, daß man jede Art der Schönheit, und jedes Vorzügliche aller großen Künstler der Erde, zusammensetzen, und durch das Betrachten aller, und das Erbetteln von ihren mannigfachen großen Gaben, ihrer aller Geist in sich vereinigen, und sie alle besiegen könne! – Die Periode der eigenen Kraft ist vorüber, man will durch ärmliches Nachahmen und klügelndes Zusammensetzen das versagende Talent erzwingen, und kalte, geleckte, charakterlose Werke sind die Frucht. – Die deutsche Kunst war ein frommer Jüngling in den Ringmauern einer kleinen Stadt unter Blutsfreunden häuslich erzogen; – nun sie älter ist, ist sie zum allgemeinen Weltmanne geworden, der mit den kleinstädtischen Sitten zugleich sein Gefühl und sein eigentümliches Gepräge von der Seele weggewischt hat.
Ich möchte um alles nicht, daß der zauberhafte Correggio, oder der prächtige Paolo Veronese, oder der gewaltige Buonarroti ebenso gemalt hätten als Raffael. Und eben auch stimme ich keineswegs in die Redensarten derer mit ein, welche sprechen: »Hätte Albrecht Dürer nur in Rom eine Zeitlang gehauset, und die echte Schönheit und das Idealische vom Raffael abgelernt, so wäre er ein großer Maler geworden; man muß ihn bedauern, und sich nur wundern, wie er es in seiner Lage noch so weit gebracht hat.« Ich finde hier nichts zu bedauern, sondern freue mich, daß das Schicksal dem deutschen Boden an diesem Manne einen echtvaterländischen Maler gegönnt hat. Er würde nicht er selber geblieben sein; sein Blut war kein italienisches Blut. Er war für das Idealische und die erhabene Hoheit eines Raffaels nicht geboren; er hatte daran seine Lust, uns die Menschen zu zeigen, wie sie um ihn herum wirklich waren, und es ist ihm gar trefflich gelungen.
Dennoch aber fiel es mir, als ich in meinen jüngern Jahren die ersten Gemälde vom Raffael sowohl als von dir, mein geliebter Dürer, in einer herrlichen Bildergalerie sah, wunderbar in den Sinn, wie unter allen andern Malern, die ich kannte, diese beiden eine ganz besonders nahe Verwandtschaft zu meinem Herzen hätten. Bei beiden gefiel es mir so sehr, daß sie so einfach und grade, ohne die zierlichen Umschweife anderer Maler, uns die Menschheit in voller Seele so klar und deutlich vor Augen stellen. Allein ich getraute mich damals nicht, meine Meinung jemandem zu entdecken, weil ich glaubte, daß jeder mich verlachen würde, und wohl wußte, daß die mehresten in dem alten deutschen Maler nichts als etwas sehr Steifes und Trockenes erkennen. Ich war indes an dem Tage, da ich jene Bildergalerie gesehen hatte, so voll von diesem neuen Gedanken, daß ich damit einschlief, und mir in der Nacht ein entzückendes Traumgesicht vorkam, welches mich noch fester in meinem Glauben bestärkte. Es dünkte mich nämlich, als wenn ich, nach Mitternacht, von dem Gemach des Schlosses, worin ich schlief, durch die dunklen Säle des Gebäudes, ganz allein mit einer Fackel nach der Bildergalerie zuginge. Als ich an die Tür kam, hörte ich drinnen ein leises Gemurmel; – ich öffnete sie, – und plötzlich fuhr ich zurück, denn der ganze große Saal war von einem seltsamen Lichte erleuchtet, und vor mehreren Gemälden standen ihre ehrwürdigen Meister in leibhafter Gestalt da, und in ihrer alten Tracht, wie ich sie in Bildnissen gesehen hatte. Einer von ihnen, den ich nicht kannte, sagte mir, daß sie manche Nacht vom Himmel herunterstiegen, und hier und dort auf Erden in Bildersälen bei der nächtlichen Stille umherwankten, und die noch immer geliebten Werke ihrer Hand betrachteten. Viele italienische Maler erkannt ich; von Niederländern sah ich sehr wenige. Ehrfurchtsvoll ging ich zwischen ihnen durch; – und siehe! da standen, abgesondert von allen, Raffael und Albrecht Dürer Hand in Hand leibhaftig vor meinen Augen und sahen in freundlicher Ruhe schweigend ihre beisammenhängenden Gemälde an. Den göttlichen Raffael anzureden hatte ich nicht den Mut; eine heimliche ehrerbietige Furcht verschloß mir die Lippen. Aber meinen Albrecht wollte ich soeben begrüßen, und meine Liebe vor ihm ausschütten; – allein in dem Augenblick verwirrte sich mit einem Getöse alles vor meinen Augen, und ich erwachte mit heftiger Bewegung.
Dieses Traumgesicht hatte meinem Gemüt innige Freude gemacht, und diese ward noch vollkommener, als ich bald nachher in dem alten Vasari las, wie die beiden herrlichen Künstler auch bei ihren Lebzeiten wirklich, ohne sich zu kennen, durch ihre Werke, Freunde gewesen, und wie die redlichen und treuen Arbeiten des alten Deutschen vom Raffael mit Wohlgefallen angesehen wären, und er sie seiner Liebe nicht unwert geachtet hätte.
Das aber kann ich freilich nicht verschweigen, daß mir nachher bei den Werken der beiden Maler immer so wie in jenem Traum zumute war, daß ich nämlich bei denen des Albrecht Dürer wohl manchmal mich daran versuchte, ihr echtes Verdienst jemandem zu erklären, und über ihre Vortrefflichkeiten mich in Worte auszubreiten wagte; bei den Werken Raffaels aber immer von der himmlischen Schönheit so erfüllt und bedrängt ward, daß ich nicht wohl darüber reden noch jemandem deutlich auseinandersetzen konnte, woraus mir überall das Göttliche hervorleuchte.
Aber ich will jetzt meine Blicke von dir nicht abwenden, mein Albrecht. Vergleichung ist ein gefährlicher Feind des Genusses; auch die höchste Schönheit der Kunst übt nur dann, wie sie soll, ihre volle Gewalt an uns aus, wenn unser Auge nicht zugleich seitwärts auf andere Schönheit blickt. Der Himmel hat seine Gaben unter die großen Künstler der Erde so verteilet, daß wir durchaus genötiget werden, vor einem jeglichen stillezustehen und jeglichem seinen Anteil unsrer Verehrung zu opfern.
Nicht bloß unter italienischem Himmel, unter majestätischen Kuppeln und korinthischen Säulen; – auch unter Spitzgewölben, kraus verzierten Gebäuden und gotischen Türmen wächst wahre Kunst hervor.
Friede sei mit deinen Gebeinen, mein Albrecht Dürer! und möchtest du wissen, wie ich dich liebhabe, und hören, wie ich unter der heutigen, dir fremden Welt der Herold deines Namens bin. – Gesegnet sei mir deine goldene Zeit, Nürnberg! die einzige Zeit, da Deutschland eine eigene vaterländische Kunst zu haben sich rühmen konnte. – Aber die schönen Zeitalter ziehen über die Erde hinweg und verschwinden, wie glänzende Wolken über das Gewölbe des Himmels wegziehn. Sie sind vorüber, und ihrer wird nicht gedacht; nur wenige rufen sie aus innerer Liebe in ihr Gemüt zurück, aus bestäubten Büchern und bleibenden Werken der Kunst.
Von zwei wunderbaren Sprachen und deren geheimnisvoller Kraft
Die Sprache der Worte ist eine große Gabe des Himmels, und es war eine ewige Wohltat des Schöpfers, daß er die Zunge des ersten Menschen löste, damit er alle Dinge, die der Höchste um ihn her in die Welt gesetzt, und alle geistigen Bilder, die er in seine Seele gelegt hatte, nennen, und seinen Geist in dem mannigfaltigen Spiele mit diesem Reichtum von Namen üben konnte. Durch Worte herrschen wir über den ganzen Erdkreis; durch Worte erhandeln wir uns mit leichter Mühe alle Schätze der Erde. Nur das Unsichtbare, das über uns schwebt, ziehen Worte nicht in unser Gemüt herab.
Die irdischen Dinge haben wir in unsrer Hand, wenn wir ihre Namen aussprechen; – aber wenn wir die Allgüte Gottes oder die Tugend der Heiligen nennen hören, welches doch Gegenstände sind, die unser ganzes Wesen ergreifen sollten, so wird allein unser Ohr mit leeren Schallen gefüllt und unser Geist nicht, wie es sollte, erhoben.
Ich kenne aber zwei wunderbare Sprachen, durch welche der Schöpfer den Menschen vergönnt hat, die himmlischen Dinge in ganzer Macht, soviel es nämlich (um nicht verwegen zu sprechen) sterblichen Geschöpfen möglich ist, zu fassen und zu begreifen. Sie kommen durch ganz andere Wege zu unserm Inneren, als durch die Hülfe der Worte; sie bewegen auf einmal, auf eine wunderbare Weise, unser ganzes Wesen und drängen sich in jede Nerve und jeden Blutstropfen, der uns angehört.
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