In solchen Gedanken schwärmte er unaufhörlich fort: – bis man endlich eines Morgens, ganz unerwartet, ihn unten an der Treppe in seinem Hause tot liegen fand. –
Dies sind die sonderbaren Züge von dem Geiste dieses Malers, welche ich dem Giorgio Vasari treulich nacherzählt habe. Was ihn als Maler betrifft, so berichtet uns derselbe Autor von ihm, daß er am liebsten wilde Bacchanale und Orgia, fürchterliche Ungeheuer oder sonst irgend schreckhafte Vorstellungen gemalt habe; rühmt ihn indes wegen des höchst mühseligen und eigensinnigen Fleißes in seinen Bildern. Wie denn derselbe Vasari, in dem Leben eines andern ebenfalls schwermütigen Malers3, die Bemerkung macht, daß dergleichen tiefsinnige und melancholische Geister sich oftmals durch eine besondere, eiserne Geduld und Emsigkeit im Arbeiten auszuzeichnen pflegten.
Dem sei nun wie ihm wolle, so kann ich nicht glauben, daß dieser Piero di Cosimo ein wahrhaft-echter Künstlergeist gewesen sei. Ich finde zwar eine gewisse Übereinstimmung zwischen ihm und dem großen Leonardo da Vinci (welchen jener auch in der Malerei sich zum Muster nahm); denn beide wurden von einem immer lebendigen, vielsinnigen Geiste umhergetrieben – jener aber in finstere Wolkenregionen der Luft, – dieser unter das ganze wirkliche Natur und unter das ganze Gewimmel der Erde.
Der Künstlergeist soll, wie ich meine, nur ein brauchbares Werkzeug sein, die ganze Natur in sich zu empfangen, und, mit dem Geiste des Menschen beseelt, in schöner Verwandlung wiederzugebären. Ist er aber aus innerem Instinkte, und aus überflüssiger, wilder und üppiger Kraft, ewig für sich in unruhiger Arbeit, so ist er nicht immer ein geschicktes Werkzeug, – vielmehr möchte man dann ihn selber eine Art von Kunstwerk der Schöpfung nennen.
In dem tobenden und schäumenden Meere spiegelt sich der Himmel nicht; – der klare Fluß ist es, worin Bäume und Felsen und die ziehenden Wolken und alle Gestirne des Firmamentes sich wohlgefällig beschauen. –
Wie und auf welche Weise man die Werke der großen Künstler der Erde eigentlich betrachten und zum Wohle seiner Seele gebrauchen müsse
Immerfort höre ich die kindische und leichtsinnige Welt klagen, daß Gott nur so wenige recht große Künstler auf die Erde gesetzt habe; ungeduldig starrt der gemeine Geist in die Zukunft, ob der Vater der Menschen nicht bald einmal ein neues Geschlecht von hervorglänzenden Meistern werde auferstehen lassen. Ich sage euch aber, es hat die Erde der vortrefflichen Meister nicht zu wenige getragen; ja es sind ihrer einige so beschaffen, daß ein sterbliches Wesen sein ganzes Leben hindurch an einem einzelnen zu schauen und zu begreifen hat; aber wahrlich! viel, viel zu wenige sind derer, welche die Werke dieser (aus edlerem Tone geformten) Wesen innig zu verstehen und (was dasselbe ist) inniglich zu verehren imstande sind.
Bildersäle werden betrachtet als Jahrmärkte, wo man neue Waren im Vorübergehen beurteilt, lobt und verachtet; und es sollten Tempel sein, wo man in stiller und schweigender Demut, und in herzerhebender Einsamkeit, die großen Künstler, als die höchsten unter den Irdischen, bewundern, und mit der langen, unverwandten Betrachtung ihrer Werke, in dem Sonnenglanze der entzückendsten Gedanken und Empfindungen sich erwärmen möchte.
Ich vergleiche den Genuß der edleren Kunstwerke dem Gebet. Der ist dem Himmel nicht wohlgefällig, welcher zu ihm redet, um nur der täglichen Pflicht entledigt zu werden, Worte ohne Gedanken herzählt, und seine Frömmigkeit prahlend nach den Kugeln seines Rosenkranzes abmißt. Der aber ist ein Liebling des Himmels, welcher mit demütiger Sehnsucht auf die auserwählten Stunden harrt, da der milde himmlische Strahl freiwillig zu ihm herabfährt, die Hülle irdischer Unbedeutenheit, mit welcher gemeiniglich der sterbliche Geist überzogen ist, spaltet, und sein edleres Innere auflöst und auseinanderlegt; dann knieet er nieder, wendet die offene Brust in stiller Entzückung gegen den Himmelsglanz, und sättiget sie mit dem ätherischen Licht; dann steht er auf, froher und wehmütiger, volleren und leichteren Herzens, und legt seine Hand an ein großes gutes Werk. – Das ist die wahre Meinung, die ich vom Gebet hege.
Ebenso nun, meine ich, müsse man mit den Meisterstücken der Kunst umgehen, um sie würdiglich zum Heil seiner Seele zu nutzen. Es ist frevelhaft zu nennen, wenn jemand in einer irdischen Stunde, von dem schallenden Gelächter seiner Freunde hinwegtaumelt, um in einer nahen Kirche, aus Gewohnheit, einige Minuten mit Gott zu reden. Ein ähnlicher Frevel ist es, in einer solchen Stunde die Schwelle des Hauses zu betreten, wo die bewundernswürdigsten Schöpfungen, die von Menschenhänden hervorgebracht werden konnten, als eine stille Kundschaft von der Würde dieses Geschlechtes, für die Ewigkeit aufbewahret werden. Harret, wie beim Gebet, auf die seligen Stunden, da die Gunst des Himmels euer Inneres mit höherer Offenbarung erleuchtet; nur dann wird eure Seele sich mit den Werken der Künstler zu einem Ganzen vereinigen. Ihre Zaubergestalten sind stumm und verschlossen, wenn ihr sie kalt anseht; euer Herz muß sie zuerst mächtiglich anreden, wenn sie sollen zu euch sprechen, und ihre ganze Gewalt an euch versuchen können. Kunstwerke passen in ihrer Art so wenig, als der Gedanke an Gott in den gemeinen Fortfluß des Lebens; sie gehen über das Ordentliche und Gewöhnliche hinaus, und wir müssen uns mit vollem Herzen zu ihnen erheben, um sie in unsern, von den Nebeln der Atmosphäre allzuoft getrübten Augen zu dem zu machen, was sie, ihrem hohen Wesen nach, sind.
Buchstaben lesen kann ein jeglicher lernen; von gelehrten Chroniken kann ein jeglicher sich die Historien vergangener Zeiten erzählen lassen und sie wieder erzählen; auch kann ein jeglicher das Lehrgebäude einer Wissenschaft studieren und Sätze und Wahrheiten fassen; – denn Buchstaben sind nur dazu da, daß das Auge ihre Form erkenne; und Lehrsätze und Begebenheiten sind nur so lange ein Gegenstand unsrer Beschäftigung, als das Auge des Geistes daran arbeitet, sie zu fassen und zu erkennen; sobald sie unser eigen sind, ist die Tätigkeit unsers Geistes zu Ende, und wir weiden uns dann nur, sooft es uns behagt, an einem trägen und unfruchtbaren Überblick unsrer Schätze. – Nicht also bei den Werken herrlicher Künstler. Sie sind nicht darum da, daß das Auge sie sehe, sondern darum, daß man mit entgegenkommendem Herzen in sie hineingehe, und in ihnen lebe und atme. Ein köstliches Gemälde ist nicht ein Paragraph eines Lehrbuchs, den ich, wenn ich mit kurzer Mühe die Bedeutung der Worte herausgenommen habe, als eine unnütze Hülse liegenlasse: vielmehr währt bei vortrefflichen Kunstwerken der Genuß immer, ohne Aufhören, fort. Wir glauben immer tiefer in sie einzudringen, und dennoch regen sie unsere Sinne immer von neuem auf, und wir sehen keine Grenze ab, da unsre Seele sie erschöpft hätte. Es flammt in ihnen ein ewig brennendes Lebensöl, welches nie vor unsern Augen verlischt.
Mit Ungeduld fliege ich über den ersten Anblick hinweg; denn die Überraschung des Neuen, welche manche nach immer abwechselnden Vergnügungen haschende Geister wohl zum Hauptverdienste der Kunst erklären wollen, hat mir von jeher ein notwendiges Übel des ersten Anschauens geschienen. Der echte Genuß erfordert eine stille und ruhige Fassung des Gemüts und äußert sich nicht durch Ausrufungen und Zusammenschlagen der Hände, sondern allein durch innere Bewegungen. Es ist mir ein heiliger Feiertag, an welchem ich mit Ernst und mit vorbereitetem Gemüt an die Betrachtung edler Kunstwerke gehe; ich kehre oft und unaufhörlich zu ihnen zurück, sie bleiben meinem Sinne fest eingeprägt, und ich trage sie, solange ich auf Erden wandle, in meiner Einbildungskraft, zum Trost und zur Erweckung meiner Seele, gleichsam als geistige Amulette mit mir herum und werde sie mit ins Grab nehmen.
Wessen feinere Nerven einmal beweglich, und für den geheimen Reiz, der in der Kunst verborgen liegt, empfänglich sind, dessen Seele wird oft da, wo ein anderer gleichgültig vorübergeht, innig gerührt; er wird des Glückes teilhaftig, in seinem Leben häufigere Anlässe zu einer heilsamen Bewegung und Aufregung seines Inneren zu finden. Ich bin mir bewußt, daß öfters, wenn ich (mit anderen Gedanken beschäftigt) durch irgendein schönes und großes Säulenportal ging, die mächtigen, majestätischen Säulen, mit ihrer lieblichen Erhabenheit, unwillkürlich meine Blicke zu sich wendeten, und mein Inneres mit einer eigenen Empfindung erfüllten, daß ich mich innerlich vor ihnen beugte und mit aufgelöstem Herzen und mit reicherer Seele weiterging.
Das Hauptsächlichste ist, daß man nicht mit verwegenem Mut über den Geist erhabener Künstler sich hinwegzuschwingen und, auf sie herabsehend, sie zu richten sich vermesse: ein törichtes Unternehmen des eiteln Stolzes der Menschen: die Kunst ist über dem Menschen: wir können die herrlichen Werke ihrer Geweiheten nur bewundern und verehren und, zur Auflösung und Reinigung aller unsrer Gefühle, unser ganzes Gemüt vor ihnen auftun.
Die Größe des Michelangelo Buonarroti
Wohl ein jeglicher Mensch, der ein fühlendes und liebendes Herz in seiner Brust trägt, hat im Reiche der Kunst irgendeinen besondern Lieblingsgegenstand; und so habe auch ich den meinigen, zu welchem mein Geist sich oft unwillkürlich, wie die Sonnenblume zur Sonne, hinwendet. Denn öfters, wenn ich in meiner Einsamkeit betrachtend dasitze, so ist es, als stände hinter mir ein guter Engel, der mir unversehens die Säkula der alten Maler von Italien, wie ein großes, fruchtreiches episches Gedicht mit einer gedrängten Schar lebendiger Figuren, vor meinen Augen aufsteigen ließe. Immer von neuem zeigt sich mir diese herrliche Erscheinung, und immer von neuem wird mein Blut dabei auf das innigste erwärmt. Es ist doch eine köstliche Gabe, die der Himmel uns verliehen hat, zu lieben und zu verehren; dieses Gefühl schmelzt unser ganzes Wesen um und bringt das wahre Gold daraus zutage.
Mein Blick fällt diesmal auf den großen Michelangelo Buonarroti, einen Mann, über welchen schon so mancher seine unbehülfliche Verwunderung oder seinen vorwitzigen Hohn und Tadel vorgebracht hat. Ich kann aber nicht mit vollerem Herzen von ihm zu reden anheben, als es sein Freund und Landsmann Giorgio Vasari in dem Eingange zu seiner Lebensbeschreibung getan hat, welcher von Wort zu Wort also lautet:
»Während daß so viele sinnreiche und vortreffliche Köpfe, nach den Vorschriften des berühmten Giotto und seiner Nachfolger, der Welt Proben von dem Talente zu zeigen strebten, welches durch den wohltätigen Einfluß der Gestirne und durch die glückliche Komplexion ihrer Geisteskräfte in ihrem Innern erzeugt war, und sich alle beeiferten, durch die Vortrefflichkeit der Kunst die Herrlichkeit der Natur nachzuahmen, um soviel möglich den höchsten Gipfel der Wissenschaft, welchen man wohl ausschließlich ‹Erkenntnis› nennen mag, zu erreichen, obwohl all ihr Ringen vergeblich war; – unterdessen wandte der gütige Regierer aller Dinge sein Auge gnädiglich auf die Erde hin, und indem er nun wahrnahm all die eitle Anstrengung so unendlich vieler mühseliger Versuche, die unablässig-heiße Lernbegier ohne die geringsten Früchte, und die eingebildeten Meinungen der Menschen, so entfernt von der Wahrheit, als Finsternis vom Licht; – da beschloß er, um uns aus solchen Irrtümern zu reißen, einen Geist auf die Erde herabzuschicken, welcher durchaus, in jeglichem Teile aller Kunst, durch eigene Kraft sollte Meister werden. Er sollte der Welt ein Vorbild aufstellen, was Vollkommenheit sei in der Kunst des Zeichnens, der Umrisse und der Lichter und Schatten (welche den Bildern die Ründung geben), und wie man als Bildhauer mit Einsicht arbeiten müsse, und auf welche Weise man Gebäuden Festigkeit, Bequemlichkeit, schöne Verhältnisse, Annehmlichkeit und Reichtum an allerlei Zieraten der Baukunst zu geben habe. Überdas aber wollte der Himmel ihm die wahre Tugendweisheit zur Begleitung, und die süße Kunst der Musen zur Zierde geben, auf daß die Welt ihn vor allen bewundern und erwählen sollte zum Spiegel und Muster im Leben, in Werken, in Heiligkeit der Sitten, ja in allem irdischen Wandel, und er von uns viel mehr für ein himmlisches Wesen als für ein irdisches geachtet werden möchte.
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