Und weil Gott sah, daß in jenen besondern Künsten, nämlich der Maler-, Bildhauer- und Baukunst, als in Dingen von so vieler Emsigkeit und Übung, die Eingebornen des toskanischen Gebietes seit jeher unter allen sich vornehmlich hervorgetan haben und meisterlich geworden sind (denn sie sind zu Anstrengung und eifrigster Geistesarbeit jeder Art, vor allen andern Nationen Italiens vorzüglich geneigt) – so wollte er ihm Florenz als die würdigste Stadt von allen zur Heimat anweisen, damit die verdiente Krone aller Tugenden ihm von einem Mitbürger aufs Haupt gesetzt werden könnte.« – Mit solcher Verehrung redet der alte Vasari von dem großen Michelangelo, und drängt am Ende seine allgemeine Bewunderung, auf eine schöne und menschliche Weise, in ein herzliches patriotisches Gefühl zusammen und freut sich inniglich, daß dieser Mann, den er wie einen Herkules unter den Helden der Kunst verehrt, mit ihm denselben kleinen Raum der Erde zur Heimat gehabt hat. Er beschreibt das Leben des Buonarroti am allerausführlichsten, und tut oft recht gutmütig-stolz darauf, daß er seiner vertrautesten Freundschaft genossen.
Doch wir wollen uns nicht an dem bloßen Anstaunen dieses großen Mannes begnügen, sondern vielmehr in seinen inneren Geist hineingehen, uns in den eigentümlichen Charakter seiner Werke hineinschmiegen. Es ist nicht genug, ein Kunstwerk zu loben: »es ist schön und vortrefflich«, denn diese allgemeinen Redensarten gelten auch von den verschiedenartigsten Werken; – wir müssen uns jedem großen Künstler hingeben, mit seinen Organen die Dinge der Natur anschauen und ergreifen und in seiner Seele sprechen können: »Das Werk ist in seiner Art richtig und wahr.«
Die Malerei ist eine Poesie mit Bildern der Menschen. So wie nun die Poeten ihre Gegenstände mit ganz verschiedenen Empfindungen beseelen, je nachdem ihnen vom Schöpfer ein verschiedener Geist eingehaucht ist; so auch in der Malerei. Einige Dichter beleben ihr ganzes Werk innerlich mit einer stillen und geheimen poetischen Seele; bei andern aber bricht die überfließende, üppige dichterische Kraft in jedem Momente der Darstellung hervor.
Dies ist dieselbe Verschiedenheit, welche ich zwischen dem göttlichen Raffael und dem großen Buonarroti finde: jenen möchte ich den Maler des Neuen, diesen des Alten Testaments nennen; denn auf jenem – ich wage den kühnen Gedanken auszusprechen – ruhet der stille göttliche Geist Christi, – auf diesem, der Geist der inspirierten Propheten, des Moses und der übrigen Dichter des Morgenlandes. Hier ist nichts zu loben und zu tadeln, sondern ein jeglicher ist was er ist.
So wie die inspirierten orientalischen Dichter, von der inwohnenden, mit Gewalt sich regenden himmlischen Kraft, zu außerordentlichen Phantasien getrieben wurden, und aus innerlichem Drange die Worte und Ausdrücke der irdischen Sprache durch lauter feurige Bilder gleichsam in die Höhe zwangen; so ergriff auch die Seele des Michelangelo immer mit Macht das Außerordentliche und Ungeheure und drückte in seinen Figuren eine angespannte, übermenschliche Kraft aus. Er versuchte sich gern an erhabenen, furchtbaren Gegenständen; er wagte in seinen Bildern die kühnsten und wildesten Stellungen und Gebärden; er drängte Muskeln auf Muskeln, und wollte in jede Nerve seiner Figuren die hohe poetische Kraft stempeln, wovon er erfüllt war. Er ergründete das innerliche Triebwerk der Menschenmaschine bis in die verborgensten Wirkungen; er spürte die härtesten Schwierigkeiten in der Mechanik des menschlichen Körpers auf, um sie zu bekämpfen, und um die üppige Fülle seiner Geisteskraft auch in den körperlichen Teilen der Kunst auszulassen und zu befriedigen: – gerade so wie Dichter, in denen ein nicht zu löschendes lyrisches Feuer brennt, sich an großen und ungeheuren Ideen nicht genügen, sondern vornehmlich auch in dem sichtbaren, sinnlichen Werkzeuge ihrer Kunst, in Ausdruck und Worten, ihre kühne und wilde Stärke abzudrücken streben. Die Wirkung ist, an beiden Orten, groß und herrlich: der innere Geist des Ganzen leuchtet dann auch aus jedem der einzelnen äußeren Teile hervor. –
Also erscheint mir der vielbeurteilte Buonarroti, und wer ihn in dieser Gestalt, unter den alten Malern ins Auge faßt, der mag wohl mit Erstaunen und Bewunderung fragen: Wer malte vor ihm wie er? Woher nahm er die ganz neue Größe, von welcher vorher kein Auge jemals wußte? Und wer hat ihn auf die vorher unbekannten Wege gebracht?
Es ist in der Welt der Künstler gar kein höherer, der Anbetung würdigerer Gegenstand als: – ein ursprünglich Original! – Mit emsigem Fleiße, treuer Nachahmung, klugem Urteil zu arbeiten – ist menschlich; – aber das ganze Wesen der Kunst mit einem ganz neuen Auge zu durchblicken, es gleichsam mit einer ganz neuen Handhabe zu erfassen – ist göttlich.
Indessen ist es das Schicksal der Originale, eine elende Schar von Nachbetern hervorzubringen, und Michelangelo weissagte dies von sich selber, wie es nachmals zutraf. Ein Original schwingt sich mit einem kühnen Sprunge auf einmal bis an die Grenze des Kunstgebiets, steht kühn und fest da, und zeigt das Außerordentliche und Wundervolle. Es gibt aber für den blöden Geist des Menschen fast nichts Außerordentliches und Wundervolles, an dessen Grenze nicht ganz nahe Torheit und Abgeschmacktheit läge. Die jämmerlichen Nachbeter, denen die eigene Kraft zum festen Stande mangelt, irren blind umher, und was sie nachbilden, ist, wenn es mehr als schwaches Schattenbild sein soll, verzerrte Übertreibung.
Die Zeit des Michelangelo, die Anfangsepoche der italienischen Malerei, ist überhaupt allein das Zeitalter der Maleroriginale. Wer malte vor Correggio wie Correggio? vor Raffael wie Raffael? – Allein es ist, als wenn die allzu freigebige Natur in dieser Zeit sich an Kunstgenie arm geschenkt hätte; denn die besten späteren Meister, bis auf die neuesten Zeiten, haben fast alle kein anders Ziel gehabt, als irgendeinen der ersten Ur- und Normalkünstler, oder auch gar mehrere zusammen, nachzuahmen, und sind auch nicht leicht auf andre Weise großgeworden, als indem sie vortrefflich nachgeahmt haben. Selbst der hohe und wohlverdiente Ruhm, welchen die Reformatorschule der Caracci sich erworben hat, ist auf kein anderes Verdienst gegründet, als daß sie die in Verfall geratene Nachahmung jener alten Ahnherren, durch würdige Beispiele wieder in die Höhe brachte. Und wen ahmten jene Ahnherren selber nach? Sie schöpften die ganze neue Herrlichkeit aus sich selber.
Brief eines jungen deutschen Malers in Rom an seinen Freund in Nürnberg
Teurer Bruder und Genosse!
Lange ist es schon, ich weiß es wohl, daß ich Dir nicht geschrieben habe, sooft ich auch mit inniger Liebe an Dich dachte; denn es gibt Stunden im Leben, in denen den beflügelten Gedanken alles Äußere zu langsam vonstatten geht, wo die Seele sich selbst mit Vorstellungen abarbeitet, und eben deswegen äußerlich nichts geschieht. Eine solche Epoche habe ich jetzt erlebt, und nun, da ich innerlich wieder etwas zur Ruhe gekommen bin, nehme ich auch sogleich die Feder, um Dir, geliebter Sebastian, meinem wertesten Jugendfreunde, zu berichten, wie es mir ergangen und was sich mit mir zugetragen hat.
Soll ich Dir weitläuftig schreiben, wie das gelobte Land Italia beschaffen sei, und mich in unzusammenhängende Bewunderungen ergießen? Es finden da keine Worte ihren rechten Platz, denn wie mag ich, der Sprache so ganz unkundig, Dir den hellen Himmel, die weiten paradiesischen Aussichten, durch die die erquickende Luft spielend ziehet, würdig darstellen? Weiß ich doch kaum in meinem eigentümlichen Handwerke Farben und Striche aufzufinden, um das, was ich innerlich sehe und fasse, auf die Leinwand hinzuzeichnen.
So verschieden aber auch alles hier sein mag, was Himmel und Erde betrifft, so läßt es sich doch noch eher ahnden und glauben, als dasjenige, was ich Dir von der Kunst zu sagen habe. Ihr mögt da in Deutschland fleißig zusammen malen, lieber Sebastian, Du und unser überaus teurer Lehrer Albrecht Dürer; aber wenn ihr hieher plötzlich verschlagen würdet, so würdet ihr wahrlich wie zwei Gestorbene sein, die sich im Himmel noch nicht zurechtzufinden wissen. Da seh ich in Gedanken den künstlichen Meister Albrecht auf seinem Schemel sitzen, und mit einer kindischen, fast rührenden Emsigkeit an einem feinen Stückchen Holze schnitzeln, wie er die Erfindung und Ausführung wohl überlegt, und das angefangene Kunststück zu wiederholten Malen betrachtet; ich sehe seine weite ausgetäfelte Stube und die runden Scheiben, und Dich mit dem unermüdlichen getreuen Fleiße vor einer Kopei, und wie die jüngern Schüler ab- und zugehen, und der alte Meister Dürer manches kluge und manches lustige Wort fallen läßt; dann sehe ich unsre Hausfrau hereintreten, oder den wohlberedten Wilibald Pirckheimer, der die Gemälde und Zeichnungen betrachtet, und mit Albrecht einen lebhaften Disput anfängt; – und wenn ich mir dies alles eigentlich in meinen Gedanken vorstelle, so kann ich ordentlich nicht recht begreifen wie ich hieher gekommen bin, und wie hier alles so anders ist.
Erinnerst Du Dich noch der Zeit, als wir zuerst bei unserm Meister in die Lehre gegeben wurden, und wir es gar nicht begreifen konnten, daß aus den Farben, die wir rieben, ein Gesicht oder ein Baum hervorgehen sollte? Mit welchem Erstaunen betrachteten wir dann den Meister Albrecht, der immer alles so wohl anzuwenden wußte, und nie über die Ausführung seiner größten Sachen in Verlegenheit kam! Ich war oft wie im Traum, wenn ich aus der Malerstube ging, um ihm Wein oder Brot einzukaufen, und ich meinte sogar in manchen Stunden, wenn alle die übrigen unkünstlichen Menschen, Handwerker oder Bauern, an mir vorübergingen, er müsse wohl gar ein Zauberer sein, daß sich das Leblose so auf seinen Ruf zurechtfinde und gleichsam lebendig werde.
Aber was würde ich erst gesagt oder gefühlt haben, hätte man mir damals die verklärten Angesichter Raffaels vor die kindischen Augen gehalten? Ach, lieber Sebastian, wenn ich sie verstanden hätte, so wäre ich gewiß in meine Kniee gesunken und hätte meine ganze junge Seele in Andacht, Tränen und Anbetung aufgelöst; denn bei unserm großen Dürer findet man doch noch das Irdische heraus, man begreift es doch, wie ein künstlicher und wohlgeübter Mann auf diese Gesichter und Erfindungen verfallen konnte; – wenn wir recht mit den Augen in das Gemälde einwurzeln, so können wir fast die gefärbten Figuren wieder vertreiben, und das leere, einfache Brett darunter entdecken: – aber bei diesem Meister, mein Teurer, ist alles so wunderbar eingerichtet, daß Du ganz vergissest, daß es Farben und eine Malerkunst gibt, und Dich nur innerlich vor den himmlischen, und doch so herzmenschlichen Gestalten mit der wärmsten Liebe demütigst, und ihnen Dein Herz und Deine Seele zueignest. – Glaube nicht, daß ich aus jugendlichem Eifer übertreibe; Du kannst es Dir nicht vorstellen und nicht fassen, wenn Du nicht selber kommst und siehst.
Überhaupt, lieber Sebastian, ist diese Erde durch die Kunst ein gar herrlicher und lieblicher Aufenthalt; ich habe es erst jetzt empfunden, wie ein unsichtbares Wesen in unserm Herzen wohnt, das allgewaltig von den großen Kunstwerken angezogen wird. – Und wenn ich Dir alles gestehen soll, mein teurer Jugendfreund (wie ich es denn muß, denn ich fühle mich mit Gewalt dazu hingezogen), so liebe ich jetzt ein Mädchen, die meinem Herzen über alles geht, und ich werde von ihr wiedergeliebt. Mein Sinn taumelt also in einem ewigen Frühlingsglanze umher, und ich möchte in manchen Stunden des Entzückens sagen, daß die Welt und die Sonne des Himmels ihren Glanz von mir erborgten, wenn es nicht zu frech wäre, seine Freude auf diese Art aussprechen zu wollen. Mit inniger Rührung habe ich seit lange ihre Züge in den besten Gemälden aufgesucht und sie immer bei meinen liebsten Meistern gefunden. Ich bin mit ihr verlobt, und in wenigen Tagen werden wir unsre Hochzeit feiern; Du siehst also, daß ich nicht Lust habe, nach unserm Deutschlande zurückzukehren, ich hoffe Dich aber bald hier in Rom zu umarmen.
Beschreiben kann ich Dir es nicht, wie Mariens Herz immer um das Wohl meiner Seele besorgt war, als sie hörte, daß auch ich der neuen Lehre zugetan sei. Sie bat mich oft inbrünstig, zum alten, wahren Glauben zurückzukehren, und ihre liebevollen Reden brachten oft meine ganze Phantasie und alles, was ich für meine Überzeugungen hielt, in Unordnung. – Von dem, was ich Dir nun schreiben werde, sage nichts unserm vielgeliebten Meister Dürer; denn ich weiß, daß es nur sein Herz kränken würde, und es könnte doch weder mir noch ihm weiter fruchten.
Ich ging neulich in die Rotonda, weil ein großes Fest war, und eine prächtige lateinische Musik sollte aufgeführt werden, oder eigentlich anfangs nur um meine Geliebte dort unter der betenden Menge wiederzusehen und mich an ihrer himmlischen Andacht zu bessern. Der herrliche Tempel, die wimmelnde Menge Volks, die nach und nach hereindrang, und mich immer enger umgab, die glänzenden Vorbereitungen, das alles stimmte mein Gemüt zu einer wunderbaren Aufmerksamkeit. Mir war sehr feierlich zumute, und wenn ich auch, wie es einem bei solchem Getümmel zu gehen pflegt, nichts deutlich und hell dachte, so wühlte es doch auf eine so seltsame Art in meinem Innern, als wenn auch in mir selber etwas Besonderes vorgehen sollte. Auf einmal ward alles stiller, und über uns hub die allmächtige Musik, in langsamen, vollen, gedehnten Zügen, an, als wenn ein unsichtbarer Wind über unsern Häuptern wehte: sie wälzte sich in immer größeren Wogen fort, wie ein Meer, und die Töne zogen meine Seele ganz aus ihrem Körper heraus. Mein Herz klopfte, und ich fühlte eine mächtige Sehnsucht nach etwas Großem und Erhabenen, was ich umfangen könnte.
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