Man verletze nur nicht den Schein, man fordre das öffentliche Urteil nur nicht heraus, und man herrscht noch sicherer als jener finstere Ernst, der mit seinen Schrecknissen doch manchmal nicht auslangt. Das ist die Kunst des Lebens, alles miteinander auszugleichen, und diese große Kunst ist es, die ich an Euch immer habe bewundern müssen. Denn ebenso, ja schlimmer noch, wird Euer Geschlecht, die Frau sowie das Mädchen, von Vorurteilen und Aberglauben umgarnt und umstellt. Argwohn, Eifersucht, Lästerung stehen Wache, und senden die Bosheit, wie eine verzehrende Flamme, durch die Welt, um Spott und Schmach, Verfolgung, Schande, ja Einkerkerung und Tod, auf jene herabzuziehen, die die Satzung verletzten und dem Triebe des Herzens oder der Natur folgten, oder die selbst ganz unschuldig sich nur der Heiterkeit, dem Scherz und Lachen auf Stunden hingaben. Wie ist die Welt durch jenen finstern Ernst entstellt, der in allen Wandlungen als Gesetz, Moral, Sitte und Religion auftreten will. Wie hat er die natürlichsten Verhältnisse zerrissen, alle Freuden vernichtet, das Schöne entwürdiget und die Natur selbst in ein Gespenst verwandelt. Das sind in solcher Irrsaal die wahren Menschen, die sich auch beim Pöbel nichts vergeben, und dennoch sich und ihrer wahren, ungefälschten Bestimmung leben; die nicht von blinder Leidenschaft hingerissen, Unglück in Familien verbreiten, gute, wahre Ehen verderben, deren es freilich nicht so gar viele gibt, und dadurch, indem sie Elend veranlassen, jenen finstern Gesetzgebern, den wahnsinnigen Asketen und Einsiedlern, wieder in die Hände arbeiten, die uns immerdar predigen, die Freiheit sei das Böse an sich selbst, und der Mensch sei nur um so besser, frommer und tugendhafter, je mehr er eiserne und unzerbrechliche Schranken um sich ziehe. Ihr seid ein Muster Eures Geschlechtes, und beweiset uns, daß auch Weiber Philosophen sein können. Ihr benutzt Eure Stellung um Euch selbst und das Leben auf die feinste und freieste Art zu entwickeln und zu genießen. Jung und alt umgibt Euch, Dichter und Künstler, Mädchen und Frauen entziehen sich Eurem Umgange nicht, der vornehme Ritter, der stille Bürger, der Geistliche achtet Euch, und immer habt Ihr einen Günstling, einen jungen und ältern Mann, der diese Auszeichnung verdient. Ihr verachtet die Lästerung und wißt sie zu zähmen, sie wird niemals Frechheit und Anklage. Sei Liebe eine himmlische Entzückung, sei die wahre Ehe eine heilige Einrichtung, immer werden sich edle Menschen finden, die von einer einzigen, ewigen Liebe, die von einer Verbindung, die Gesetz und Kirche weiht, nicht befriedigt werden können. Ihr gehört zu diesen Frauen, und Ihr seid mir darum nur noch liebenswürdiger. Und in diesem Sinne wage ich nicht zu viel, da ich weiß, daß Ihr mir nicht unhold seid, Euch meine Liebe und Leidenschaft für Euch zu bekennen. Glaubt nicht, daß mein Gefühl, oder mein Glück, wenn Ihr mir holdselig entgegenkommt, mich roh und unfreundlich machen wird. Wie könnte ich verlangen, daß Ihr für mich allein Augen und Sinn haben solltet? daß Euch nicht andere, Jüngere und Schönere auch gefielen? Noch weniger fällt mir ein, Euer Verhältnis mit Friedrich, das Euch zu beglücken scheint, aufzulösen. Aber auch mir könnt ihr Freundlichkeit, Gunst und Liebe zuwenden, und mein stilles, unbekanntes Glück soll Euch nichts rauben, und keinen Seufzer um ein verlornes kosten. Aber noch inniger werden wir uns dann verstehn, und durch mein Verhältnis zur Kirche und zur Welt ist Eure Stellung noch sicherer und fester. Gehört Friedrich zu jenen Schwachen, die nur an eine ausschließende Liebe glauben können, die den verehrten Gegenstand wie einen Besitz, wie ein Eigentum behandeln wollen, so sind wir klug und erfahren genug, ihm unsre Verbindung verhüllen zu können.

Während dieser langen Rede war die überraschte Frau ganz in sich und in die Worte des Dechanten versunken; sie war erschreckt und erschüttert, und gewann erst wieder die Gewalt über sich, als sie sich in den Armen des Dechanten sah, und einen brennenden Kuß seines Mundes auf ihren Lippen fühlte.

Sie stand auf, ganz mit Röte übergossen, sah sich um, und bemerkte, daß die Dienerinnen sich entfernt hatten. Sie ging durch den Saal, und drückte den Arm des Geistlichen von sich, der sie in vertraulicher Umschlingung begleiten wollte. Ich sehe Euch erschüttert, sagte er endlich, und das ist, was ich am wenigsten erwarten konnte.

Wie? rief Catharina, so wenig habt Ihr mich gekannt? O über die klägliche Bestimmung des Weibes! Sind wir nicht ganz wie alte Basen und Muhmen, ganz eingewickelt in Herkommen und in trübe Langeweile des Hauswesens, so meint jeder, wir sind auch als freie Beute jedem Gelüste preisgegeben. Daß der Pöbel von mir so denkt, habe ich verachten können; daß aber diejenigen, die sich meine Freunde nennen, mich nicht achten und verstehn, muß mich innigst kränken. Ja, tief schmerzen muß es mich, mich selbst, mein Geschlecht und die Natur muß ich verachten, daß ein Mann, der mir würdig dünkte, den ich mir befreundet wähnte, mir diese Worte sagen, diese Vorschläge einreden darf. Es ist denn doch ein Zeichen, daß in allen, allen Männern eine tiefe unvertilgbare Verachtung der Weiber und ihrer Bestimmung wohnt, die manche nur, wenn sie sich für verliebt ausgeben, leicht mit Phrasen und süßen, eigenliebigen Gefühlen verhüllen. Durch meine Jahre glaubte ich endlich vor aller dieser Mißhandlung, die die Männer immerdar an der Schönheit ausüben, die sie anzubeten wähnen, gesichert zu sein; ich folgte meinen unschuldigen Launen, ich ergötzte mich am Geiste und an der Reife der Männer; ich hatte mit meinem Leben und allen Hoffnungen abgeschlossen; mein Gefühl und mein Herz wahrte ich und trug meine Leiden nicht zur Schau, um die Heiterkeit der Gesellschaft nicht zu stören, und diese Opfer wie Mitteilungen ziehen es mir zu, daß ich verkannt und erniedrigt werde. Ihr sprecht von der Freiheit, als dem edelsten Besitz des Geistes, und nehmt doch schon ohne Frage an, das Weib könne nur ein Genuß, ein Zeitvertreib sein, geadelt genug, wenn sie Euren Sinnen Befriedigung gewährt. Daß sie auch in der Liebe selbst ein Opfer bringt, daß sie auch im süßesten Einverständnis fürchten muß, im Herzen, das ihr ganz ergeben, möchte jenes Gefühl der Verachtung erwachen, welches sie und ihr ganzes Geschlecht erniedrigt, daß sie also immerdar, auch angebetet, auch beglückt, immerdar an jenem Abgrund steht, der sie und die Liebe in jedem Augenblick verschlingen kann, das ist Euch in Eurer tyrannischen Männersicherheit noch niemals eingefallen. Ja, jener Fluch, den die erste Mutter des Menschengeschlechtes empfing, ist keine bloße Sage, die bittre Wahrheit, die täglich, stündlich jedem fühlenden Herzen in Erfüllung geht. Ich muß glauben, daß auch in der wahren, edlen Liebe des besten Mannes, in seiner Schwärmerei und Begeisterung, diese Verachtung unsers Geschlechtes, diese unbewußte Verhöhnung des Edelsten in uns, einen Teil seiner Schwärmerei ausmachen muß.

Wie Ihr es nun nehmt, deutet und nennt, rief der Dechant sehr bewegt: mit andern Worten, Ihr seid Weiber und wir sind Männer; um dieses klare Geheimnis, um dieses Rätsel, welches keiner Lösung bedarf, dreht sich alles. Das einfache, ungetrübte Naturgefühl weiß von diesem Schmerz und dieser Grübelei nicht, es nimmt selbst den Scherz und alle Empfindungen, die Ihr krampfhaft aufgeregt Verachtung nennt, leicht und heiter auf.