Ach freilich! sind wir meistenteils nur glücklich, wenn wir in Zerstreuungen, in Nebensachen uns selbst vergessen.
Meine Eltern, die in der Nähe unsrer Stadt Besitzungen hatten, waren reich. Ich ward als das einzige Kind mit aller Liebe und Sorgfalt erzogen. Man kam allen meinen Wünschen zuvor, und meine Mutter, die schwach war und fast verliebt in ihr verzärteltes Kind, verdarb mich und bestärkte mich in meinem kindischen Eigensinn. Mein Vater zeigte mir seine Liebe durch Geschenke; er liebte den Prunk, war aber ein ernster, ja finstrer Mann, den keiner niemals lachen oder lächeln sah. Als ich nun zur Besinnung kam, erfuhr ich und bemerkte es selbst, wie er gänzlich ein Werkzeug der Priester sei, die sich aller seiner Kräfte bemächtigt hatten und ihn unbedingt regierten. Er war in seiner Jugend Soldat gewesen, und erzählte selbst zuweilen von jener Zeit mit Grauen, und klagte sich auf dunkle Weise vieler Vergehungen an. Es schien mir, als ich erst fähig war, nachzudenken und über dergleichen Dinge ein Urteil zu fassen, daß er in seiner wilden Jugendzeit die Freiheit gemißbraucht hatte, die der Krieg und der Beruf des Soldaten bei so vielen zur Zügellosigkeit steigern.
So hatte er sich nun vorgesetzt, seine früheren Sünden durch Buße und strengen Wandel abzubüßen. In dieser Sinnesart bestärkte ihn vorzüglich sein abergläubiger Beichtvater, der jedes Geschöpf nur wie einen abgefallenen bösen Geist betrachtete, und in jeder unschuldigen Freude eine Gotteslästerung sah. Meine Mutter, deren weltliche Gesinnung diesem Wesen widersprach, fühlte sich in diesem finstern Treiben oft sehr unglücklich, besonders da mein Vater immer verschlossener und trübsinniger wurde; sie äußerte wohl, indem sie sah, daß jedes Jahr ihr mehr und mehr alle jene Feste, Reisen, Gesellschaften und weltliche Freuden raubte, auf welche sie mit Sicherheit gerechnet hatte, daß sie niemals die Verbindung mit meinem Vater eingegangen wäre, wenn er früher schon so streng und unfreundlich gewesen wäre.
So ward meine Jugend, die heiter zu beginnen schien, bald verfinstert, und noch mehr, als mein Vater verlangte, daß ich an seinen Andachtsübungen teilnehmen sollte. Christentum und Religion, wie ich sie nun kennen lernte, was diese Priester so nannten, war abschreckend und furchtbar. Der Gott, den sie erkennen konnten, war nur ein grausamer Tyrann, der an Qualen, die er verhängte, an sinnreichen Strafen, die er auf Kind und Kindeskind sendete, seine Freude hatte; das Leben war ein Gefängnis, der Mensch nur geschaffen, um zu büßen. Die Opferung des Sohnes heischte zur Vergeltung Blut; Haß, Verfolgung, Bitterkeit und Verzweifeln war es, woran sich diese Christen als solche erkannten.
Mein jugendlicher Sinn wendete sich mit Abscheu von diesen Vorstellungen. Es geschieht so oft, daß Kindern und jungen Gemütern auf diese Weise selbst das Edelste und Größte auf immer oder auf lange verleidet wird, und ich bemerkte nicht an mir allein, daß die Mädchen und Jünglinge, die man vorsätzlich zu Frommen und Rechtgläubigen ausbilden wollte, am leichtesten in Unglauben und Widerwillen gegen die Religion verfielen. So war es auch mit mir. Es hatten sich mehr Mädchen meines Alters zusammengefunden, und wir bildeten gleichsam eine stille Verschwörung gegen die Kirche und ihre Gesetze, wir brachen in unsern Versammlungen die Fasten, und ahmten die Lächerlichkeiten der Priester und unserer Beichtväter nach. Als die Sache verraten ward, entstand, wie leicht zu begreifen, ein ungeheures Geschrei. Wir waren alle verdammt, und es konnten kaum Bußen genug und hinreichende Grausamkeit ersonnen werden, um diesen entsetzlichen Abfall wieder einigermaßen zu vergüten. Ich wurde menschenscheu, gab mich selbst auf, und mein Leben war mir in der Jugend schon verbittert. Jetzt befreundete ich mich mit den Vorstellungen des Todes und der Verwesung, da ich hier keine Freude haben sollte und mir jenseit keine denken konnte, daher war mein Wunsch und meine ganze Sehnsucht nach der Vernichtung gerichtet. Ich glaubte weniger als jene, aber um nicht wieder den grausamen Mißhandlungen derer zu verfallen, die für meine Seele sorgten, lernte ich lügen und heucheln, und war in meiner Trostlosigkeit auf dem Wege, ganz schlecht zu werden. Meine Mutter bejammerte meinen Zustand, wußte aber keinen Rat, da man sie so eingeschüchtert hatte, daß sie kein Wort für mich zu sprechen wagte. Auch litt sie an einer Krankheit, die allgemach ihre Kräfte verzehrte, und an der sie wirklich nach einigen Monden starb. Ich hatte sie leiden sehen, und ihre Schmerzen hatten mir oft das Herz zerschnitten. Ich begriff es nicht, daß sie ungern starb, daß sie noch, selbst mit allen diesen Leiden, zu leben wünschte. Ich beneidete sie und wünschte mich an ihre Stelle; gern hätte ich meine Gesundheit und Jugend gegen die Vernichtung ausgetauscht, in welche sie jetzt, nach meiner Überzeugung, eingegangen war. In jener Stimmung, in welche ich damals geraten war, erschien mir nichts so fürchterlich, als zu leben, da zu sein. Die ganze Schöpfung schien mir die Wirkung eines furchtbaren Fluches, oder der Niederschlag ehemaliger, wahnsinniger Geister, die auch verschwunden waren in das Nichts, und nur das tolle Werk ihrer Raserei zurückgelassen hatten, das sich nun irr und zwecklos fortbewegte und ängstigte, und sich in Verzweiflung dem Tode entgegenquälte. Ich kann nicht Worte finden, meinen damaligen Zustand zu schildern, es ist mir auch nicht möglich, ihn mir deutlich zu vergegenwärtigen. Aber wahr ist, daß ich ganz und unerschütterlich überzeugt war, es sei kein Gott. Wie mir nun Kirche, Priester, Religionsübung erschien, wie mir die Lehren, die Wunder, die Messe und alles Christliche vorkamen und in das Ohr tönte, würde, wenn man es beschreiben wollte, das seltsamste Gemälde einer Verstimmung des Herzens und der Seele geben.
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