Und so bin ich seitdem allgemach und sicher zu meiner frühern Lebensweise zurückgekehrt, in Scham und Vergessenheit sind jene unseligen Verirrungen begraben, mit jedem Tage ward ich sicherer, fester und im Herzen glückseliger. Werdet Ihr mich verstehen, wenn ich Euch sage, daß ich es nicht fasse, wie jene wilde, verzweifelnde Reue, Buße und Trostlosigkeit, Selbstqual und Selbstverachtung uns dem Ewigen näher bringen soll? Im Anschauen des Schönen und Edlen, im Glauben an meine Liebe, im Genuß von Kunst und Poesie, im Umgang mit Freunden und edlen Menschen habe ich die Verklärung meiner Seele gesucht und gefunden. Die Süßigkeiten des Glaubens und der Religion sind mir näher gekommen, und eindringlicher geworden, und alles Unedle ist mir fremd, nicht unverständlich, da ich es erlebte, aber weit entrückt. So bleibt Ihr nun auch ferner mein Freund, Teuerster, und mißversteht mich niemals.
Friedrich war in tiefes Nachsinnen verloren, er fuhr aus diesem auf, als wenn er seine Gedanken wie mit Gewalt von sich verscheuchen wollte, betrachtete seine Freundin dann, und eine Träne der Rührung floß aus seinem Auge. In dieser Stunde, sagte sie, da Ihr so bewegt seid, hört noch einige Worte von mir geduldig an, geduldig und ohne Zorn.
Friedrich setzte sich wieder, Catharina nahm seine Hand und sagte mit den lieblichsten Tönen: Euer Vater war bei mir, er ist ein guter, lieber Mann, der zärtlich um Euer Wohl besorgt ist. Die Hoffnung Eurer Familie beruht auf Euch. Sammelt Euer Gemüt, edler Freund, faßt den Entschluß, der Euch, von so wackern Eltern stammend, geziemt. Jetzt müßt Ihr unbezweifelt einsehn, daß keine Verbindung unter uns möglich ist, da selbst die Gesetze der Kirche wie des Staates, wenn auch sonst keine Hindernisse wären, sie unmöglich machen. Das liebliche Mädchen, Sophie, welches Ihr neulich hier saht, die, von edlen Eltern stammend, Euch Reichtum, Schönheit und alles Wünschenswerte bringt –, macht diese glücklich; denn man sieht, daß sie Euch verehrt. Je früher Ihr diesen Entschluß fassen könnt, um so früher erfreut Ihr Euren Vater, dessen Alter schon so vorgerückt ist, daß er Euch vielleicht bald kann entrissen werden. Dann sind wir alle froh und zufrieden, und jenes Glück, das wir uns wünschen, ist uns freundlich gesichert.
Friedrich sprang auf, faßte Catharinens Hand, sah ihr scharf ins Auge, und sagte dann: Also daher Eure Weisheit? Ihr verschmäht es nicht, Euch zur Unterhändlerin mißbrauchen zu lassen, um die Absichten eines alten Mannes durchzusetzen, der nur auf Geld und Besitz sieht, und diesen eigensinnigen Wünschen das Wohl seines einzigen Sohnes opfern will? Und doch wollt Ihr meine Freundin sein? Nein, elend, verachtet, verstoßen lieber als eine solche Verbindung! Muß ich denn gerade in eine Ehe treten, wenn Ihr meinen Wunsch so bestimmt und mit aller Kälte zurückweiset? Und Ihr fühlt nicht, daß nur die Einsamkeit noch mein Glück sein kann, die Flucht vor solcher vernünftig berechneten Ehe? Ihr habt ja den Fluch dieser tyrannischen Verkuppelung an Euch selbst erfahren, und solltet mindestens diejenigen nicht in das Joch zwingen wollen, die Ihr Eure Freunde nennt.
So ist dies denn, sagte Catharina trauernd, die Frucht meines Vertrauens? Ihr wollt mich lieben, und könnt mich so ganz mißverstehen? Ihr sagt, daß Ihr mich achtet, und traut mir doch eine geringe Gesinnung zu?
Ich weiß nicht mehr, was ich bin, was ich denke! rief der heftige Jüngling; Ihr seid es selbst, die mich irre macht in allen meinen Erkenntnissen; kann ich denn noch sagen, was ich wünsche? Ob ich liebe? Inwiefern ich Euch verstehe? Ihr wollt es ja selbst, daß eine unermeßliche Kluft zwischen unsern Herzen sein soll. Warum zürnt Ihr mir nun, wenn ich den Riß noch größer mache? Eure Erzählung, Euer Gefühl kann es mir nicht deutlich machen, wie ich Euch entsagen müsse; ist denn nun nicht besser, wir nehmen an, dies unergründliche Mißverstehen beruhe schon auf innerm Hader, auf einer unsichtbaren Feindschaft, die ausbrechen muß? Ja, könnte man die Liebe auflösen, sei es auch durch lange Geduld, wie einen künstlich verschlungenen Knoten; der aber liebt nicht, der sagen kann: Ich will von der Zeit und Zukunft meine Genesung erwarten, denn im gegenwärtigen Augenblick ist und strebt die ganze Kraft der Liebe und weiß von keinem Morgen und Übermorgen! Gut denn; wir gehen nun auf verschiedenen Bahnen, und ich weiß in Zukunft, daß, wenn Ihr mich freundlich anblickt, Ihr nur darauf sinnt, mir wieder eine andre Ehehälfte annehmlich zu machen. Das sagt wenigstens meinem Vater, daß Ihr redlich seinen Auftrag ausgerichtet, aber keinen Dank dafür geerntet habt.
Er stand auf und ging, ohne der Trauernden noch einen Blick zu gönnen. In der Gartentür stand er still, schaute um, und sah das sehnsüchtige Auge der Gekränkten. Vergebt mir, rief er, indem er zurückkehrte: der tiefe Schmerz hat auch sein Recht, und ich fühle wohl, aus rätselhaftem Gelüst kränkt man nur den recht schmerzlich und vorsätzlich, den man auf das innigste liebt. Diese Schmerzen, die ich so roh und wild Euch gebe, sind ja nur eine andre Art von Liebeserklärung, und ich muß mich bewachen und mir in die Zügel fallen, um mich nicht noch mehr zu erniedrigen. Schändlich könnte ich in diesen Augenblicken werden, und innerlich bin ich es schon, aber ich will Euch den Anblick ersparen. Vergebt mir denn, wie Ihr könnt. Aber Ihr könnt nicht, da das Wort einmal gesprochen ist. Wenn ich mich bis daher für gut hielt, so bin ich jetzt zu der Überzeugung gekommen, daß ich ganz schlecht bin und werden kann.
Er entfernte sich, und Catharina blieb in tiefer Trauer zurück. So müssen sich also, klagte sie, die Menschen, die sich verstehn und lieben, am schlimmsten verletzen? So führt gerade die Einigung der Seelen zur feindlichsten Entfernung? Ja, wenn sich nicht Leidenschaft in Freundschaft und Liebe mischte, so wären sie himmlische Güter. – Und was wäre Freundschaft und Liebe ohne Leidenschaft? Würde ich gekränkt sein, wenn nicht diese süße Leidenschaft, dies selige Einssein und innere Näherverwachsen der Empfindung und des Verständnisses mich an ihn mit ewigen Banden gekettet hätte? Und liebe ich ihn denn vielleicht? – Ja und nein. Nicht wie Robert, nicht als Gatten, – und doch kann ich ihn nicht entbehren, und doch hat er mein Herz zerrissen. – Ja wohl besteht unser Leben nur darin, daß wir immer und immer wieder alle Güter, allen Besitz aufopfern müssen. Unser Dasein ist wie der Sturm auf der See; mehr und mehr werfen wir über Bord, um uns selbst nur zu retten, und gehn doch wohl auch unter; oder, wenn wir endlich landen und uns geborgen nennen, so sind wir Bettler, und es verlohnt sich nicht, das nackte Leben fortzugehen.
Nacht und Schlaf unterbrachen endlich diese Klagen.
In einem Winkel der Vorstadt lebte in einer unbemerkten Hütte eine alte, sonderbare Frau, ganz von der Welt zurückgezogen, die bei den Nachbarn, vielen Priestern und denen, die nicht bloß weltlich gesinnt, und sich um die Einsamen bekümmerten, in dem Ruf der Heiligkeit stand. Sie war so arm, daß sie bettelte und nur von Almosen und Wohltaten lebte. Für sich selbst bedurfte sie fast nichts, sie lebte von Brot und Wasser, und versagte sich jede Erquickung, denn das Gebet und der fleißige Besuch der Kirche war ihre höchste Labsal. Aber verarmte, elternlose Kinder unterstützte sie, brachte sie in den Häusern armer, gutwilliger Handwerker unter, und sprach darum die Wohltätigkeit Gutgesinnter an, um die Pflegeeltern der Waisen zu unterstützen. Für diejenigen, die schwer krank lagen, die keine Hülfe hatten, bettelte sie unermüdet bei den Vornehmen, und zürnte nie, oder klagte, wenn sie auch wieder und immer wieder, oft mit harten Worten, abgewiesen wurde, nicht selten von den übermütigen Dienstboten oder von solchen Reichen, die noch niemals von ihr vernommen hatten, gemißhandelt wurde.
Sowie sie aus ihrer finstern Hütte auf die Straße trat, fiel sie allen am Licht des Tages als ein sonderbares Schauspiel auf. Sie war mit Lumpen bedeckt, in Holzschuhen ging ihr nackter Fuß, die greisen Haare strebten reich und lang aus einer schwarzen, kleinen Tuchmütze hervor, die sich eng dem Kopfe anschloß.
1 comment