Fragt sich nur, ob der Mond, wenn die Umstände sich wieder einmal ändern, und er den Rausch ausgeschlafen hat, nicht diesen alten Knopf von seinem Alltagswams, oder was es sein mag, wieder zurückfordert, um ihn sich von der Jungfrau am Himmel wieder an seine Stelle, wo er hingehört, nähen zu lassen.

Die Sache läßt sich bedenken, sagte der Ritter Beaufort: indessen hat das was für sich, was jener Mann von der Krankheit der Planeten vermutet und fürchtet. Ein Neffe von mir hatte noch vor zwei Jahren zwei schöne und große Landgüter; er zeigte sich darum auch hier und in Brüssel, als ein Klient des Grafen Etampes, in großem Glanz; und seht, diese Teile der Erde sind ihm so rein weggeschwunden, daß er jetzt Schulden halber im Gefängnis sitzt.

Seht Ihr wohl? antwortete der Maler; diese Schwindsucht ist also augenscheinlich und wird auch von andern Leuten bemerkt. Auf der andern Seite aber ist es, als wenn oft eine Wassersucht, ein Anschwellen und Aufquellen die arme Erde befällt und ängstigt. Die Familie Croy war immer schon mächtig und groß, aber wie sind ihre Ländereien seit Menschengedenken aufgequollen! Dasselbe kann der Graf Etampes, der nahe Verwandte unsers Herzoges, an seinen Grundstücken beobachten. Aber noch sonderbarer ist es mit jenem jungen Köstein, den wir alle als einen Lumpen, Taugenichts und Habenichts gekannt haben; der junge blondlockige Bengel kam in die Dienste unsers Herzogs, erst Aufwärter, dann Page, dann Liebling; und wie er nur erst ein ganz kleines Gärtchen, mit einem bescheidenen Häuschen, von seinem zu gnädigen Herrn erhalten hatte, – o Wunder! – so war dieses Fleckchen unserer burgundischen Erde gerade ein so fruchtbares, schwangeres, quellendes und treibendes, daß es in wenigen Jahren alle benachbarten Äcker, Gärten, Felder und Wälder ganz mit magnetischer Kraft an sich gezogen hat, so daß es fast lächerlich wird, wenn man die erste Grundlage, die kleine Mutter aller dieser großen, ausgereckten Kinder, mit den Riesenarmen und -beinen, betrachtet. Nun will man, und selbst unser Erbherr, der Carl von Charolais, dies Wunder auf die Schwäche unsers alten Herzoges schieben, und es ist offenbar eine Schwäche unsers Erdballs, und der gute Philipp muß, selbst gegen seinen Willen, dieser Nachgiebigkeit des Bodens nachgeben, weil er mit aller seiner Macht dies Zusammenschießen der Landgüter doch nicht verhindern könnte.

Alter Freund, warnte der Ritter, sprecht Euch nicht in Euern eignen Schaden hinein; alle, die Ihr da nennt, sind mächtig, und könnten Euch, wenn sie es vernehmen sollten, verletzen.

Nein, werter Freund, antwortete Catharina, statt des Malers; unser guter Fürst ist zu milde, um Tadel, auch wenn er ernst gemeint ist, so zu ahnden, wie wir es nur in Geschichten älterer Zeiten von Tyrannen lesen; um so weniger zürnt er, der selber gerne scherzt, über Scherz, und seine Günstlinge, und selbst sein Sohn, dürften es nicht wagen, über dergleichen zu klagen, oder es mit Strafen verfolgen zu wollen. Das sind die freundlichen, ruhigen Tage, die wir dem Frieden und der hohen Gesinnung des Fürsten zu danken haben. Ist es nicht ebenso mit der Geistlichkeit und ihren frühern Anmaßungen? Sie sind beschränkt, und selbst die Inquisition, die über die Gewissen und die Ketzerei wachen soll, ist kaum zu spüren, und darf nur die gröbsten Vergehen, Abfall von der Kirche, Gottesleugnung und dergleichen vor ihren Gerichtshof ziehen.

Der alte Beaufort warf der Redenden einen ernsten Blick zu, er schwieg eine Weile nachdenkend und sagte dann: Ihr mögt recht haben, im wesentlichen, und wir sollen unser Glück mit Dank erkennen. Doch ist mir eigentlich nur wohl, wenn ich mich aller dieser Gedanken entschlage. Vieles vergessen, noch mehr nicht sehen, über das, was man sieht, nicht zu viel denken, unterkriechen, wenn Sturm und Platzregen kommen, lieber kleines Unrecht dulden, als sich im Bewußtsein der gerechten Sache zu männlich widersetzen – das ist, was ich immer befolgt, und wobei ich und mir ähnliche Männer uns wohl befunden haben. Sprechen wir lieber noch von jenem Mondstein.

Recht! sagte Labitte, die Politik und das Räsonieren über Staat und Fürst ist immer verdrießlich; wir wollen philosophieren – und so denke ich denn von jenem Stein eigentlich ganz anders als der gelehrte Küster. Nicht wahr, ihr alle kennt das Sprichwort, womit alle Menschen so oft die zu weit getriebene Ängstlichkeit abweisen: wenn der Himmel einfällt! – Mancher sagt: dann werden die Lerchen wohlfeil; andere: dann brauchen wir keine Schlafmützen mehr – und dergleichen unnütze Redensarten: – diese Begebenheit zeigt uns aber, daß wohl einmal unter gewissen Umständen der Himmel einfallen könne, und dieser große, ungeratene und unbrauchbare Stein ist eben ein Stück aus dem Himmel, und ein scharfes Auge würde droben auch wohl das Loch entdecken können, wo er eigentlich hingehört.

Nun, das wäre mehr als ein Wunder! rief Friedrich!

Junger Mensch, sagte der blasse Alte, der Ihr Euch gar zu gern verwundert, – es gibt gar kein Wunder; alles, was geschieht, geschieht ganz natürlich, einfach, wenn auch nicht alltäglich, nach notwendigen Gesetzen, wenn auch unsern dummen oder verwöhnten Sinnen nicht immer begreiflich. Sollte die Luft nicht das älteste Element sein? In der Schrift scheint es wenigstens vor dem Licht das Majorat zu haben. Die Erde war im Anbeginn bloß hart, wüst, unbrauchbar, vielleicht wie jener Mondstein, nur im Großen; Licht war nicht, die Luft, die zarte, bewegliche, sich dehnende, ziehende, belebende und tiefatmende, hatte wohl auch damals, vor dem Anfange der Zeiten, den starren Klumpen, im Schreck über die werdende Schöpfung ausgestoßen. Die Wasser bewegten sich, die immer eins und dasselbe Gemüt mit der Luft sind, nur im andern Kleide. Mit dem neuen Spielgenossen, Licht, fing nun erst recht das sonderbare Hantieren an. Da wurde dem starren Erdklumpen so zugeredet, geliebkost, er ward gedrückt, gewiegt, geschüttelt, verkehrt und bekehrt, daß er es sich denn gefallen ließ, aus seinem starren Wesen nachgiebig und durch all das wunderliche Wesen gerührt, die Gartenerde in sich zu zerbröckeln, und so den Bäumen, Gräsern, Halmen und Blumen den mütterlichen Boden anzuweisen. Aber die alten Träume und Tücken kamen wieder; aus den Launen brachen von unten aus der Tiefe die Gebirge hervor, und strebten und wuchsen hinauf, um Wald und Wiese zu beschämen und zu verhöhnen; aber die Liebe kletterte nach, und hing ihre grünen Kränze fast bis in die gerunzelte, weiße, verdrießliche Stirn der Alpen hinein; zurückgeschreckt blieb das Grün in scheuer Entfernung, aber die heitere Luft gab den ernsten, blendenden Schnee, und die muntern, kindischen Quellen, die beredsamen Bäche, die mutigen Ströme tanzten doch oben um den Alten her, der keinen Spaß verstehen und von keiner Liebe was hören wollte. Wer steht uns denn dafür, daß nicht damals auch die Luft, in welcher sich alles gebärt, auch Steine, Berge, Gebirge niedergeworfen hat, um jenen harten Launen und scharfen Einfällen der Erde entgegenzukommen? Die Luft zieht das Wasser, das als Regen niederfällt; alles Wasser kann Dunst, Wolke, Luft werden; alle Nebel, Wolkenmassen, und auch die klarste, blaueste Luft, kann, angesteckt, angerührt, durch die Umstände persuadiert, zu Wasser werden. Warum denn nicht zu Stein? Nun, hinauf muß es rieseln, herunter muß es grieseln; fügen muß sich's, und dann ist es wenigstens ebenso natürlich und begreiflich, als daß die Pflanze in der Erde aus dem verfaulten Keime wächst. Ja, es kann geschehen, wenn sich der Himmel so verhärtet, daß einmal eine turmhohe Kruste herunterfällt, und Städte, Wälder, ja ganze Länder zudeckt. Weil die uralten Ungezogenheiten und groben Späße der Elemente und ihrer Geister aufgehört haben, weil das Volk wohlerzogen scheint, muß es darum immer so bleiben? Vielleicht schlummern sie, vielleicht sind sie bei der Mama in der Putzstube in feiner, artiger Gesellschaft, und schneuzen höchstens einmal mit einem kleinen Trompetenton die Nase. Aber sie können wohl wieder einmal ins Bengelhafte geraten, und nicht darauf achten, ob sie die neuen Manschetten und Halskrausen zerreißen. Die uralten Geister, die auf Pension sitzen, fabeln gewiß, unsre sanfte, geregelte Welt sei der Untergang der Welt, und die Erde nichts Besseres als ein Käse, den Millionen Würmer und Maden durchfressen und zermürbt haben. Geht für uns die Welt unter, so munkeln sie wohl, nun finge die wahre Schöpfung erst wieder an, und die alte Ordnung würde wiederhergestellt. Essen wir, trinken wir, solange etwas da ist und wir noch Zähne haben, von denen mir die meisten fehlen; respektieren wir die Luft, wie ich gesagt habe, und bedenken, daß, wenn es nach meinem Glauben Luftgebirge gibt, die Menschen nicht völlig zu verachten sind, die auf Luftschlösser rechnen und sie zu bauen suchen. – Alles jedoch sei mit Vergunst meines großen Meisters gesagt und seiner höhern Einsicht unterworfen. –

Friedrich lachte laut; doch dessen Vater blieb ernsthaft und sagte dann: Meister Labitte, alles, was man von Euch erzählt, sowie das, was ich jetzt von Euch gehört habe, ist höchst sonderbar. Es scheint, daß Ihr das meiste in der Welt aus einem andern Gesichtspunkt betrachtet, als die übrigen Menschen.

Geehrter Herr, erwiderte Labitte, indem sich sein bleiches Antlitz zu einem übertriebenen Lächeln verzog, das ist meine Art so; wie ich mich etwas krumm halten muß, von Alter und Schwäche, wie ich übertrieben mager bin, wie mein Bart nur dünn und mein weniges Haupthaar fast ganz ausgefallen ist, wie ich eine beinahe zu lange Nase habe, und meine Lippen beim Sprechen und Schweigen in ihrer Blässe immerdar zittern, so ist es auch mit meinem Geist, meiner Sprache und meiner Art mich auszudrücken, beschaffen. Glaubt mir nur, die menschlichen Gedanken sind wie das Wetter. Oft ist es recht blau und hell in mir, aber wenn ich eben an etwas anderes als an die Gedanken denke, so weiß ich es selber nicht, daß ich nachdenkliche Sachen und weise Sentenzen von mir gebe; erzählen mir nach einigen Tagen meine jungen Freunde davon, so erbaue ich mich selbst an meinen Aussprüchen und lerne viel aus ihnen.