So erwachte mein Herz in Eurer Nähe zum erstenmal, und was ich mir sagte, wie ich gegen dieses Gefühl kämpfte, das zur brennenden Leidenschaft wurde, so war alles vergeblich; ja, jeder Einwurf, jedes Hindernis entzündete und verstrickte mich nur mehr. Es ist keine Täuschung, keine Aufwallung unreifer Jugend, nein, feste Überzeugung, daß ihr, nur Ihr das Glück meines Lebens machen könnt. Wenn Ihr, Geliebte, nicht alle Liebe leugnet, so müssen Euch meine Worte, meine Bitten endlich gewinnen.

Catharine betrachtete ihn lange mit den großen braunen Augen, und sagte dann mit dem Ausdruck des Schmerzes: Mein geliebter Freund, es tut mir weh, daß Ihr noch immer beharrt. Glaubt mir, ich kenne Euch besser, als Ihr Euch selbst; die Welt, wie das Leben, sind mir vertrauter, da Ihr noch eben im Frühlinge des Jahres steht, und ich mich dem Herbst und Winter schon nähere. Ihr wißt es ja, mein Freund, daß ich mehr als zehen Jahre Euch voraus bin, Ihr seid kaum fünfundzwanzig und ich bin sechsunddreißig. Schon seit zwölf Jahren bin ich Witwe, nachdem ich in einem bittern Ehestande die schrecklichsten Erfahrungen und Schmerzen gewonnen habe. Jetzt, das weiß ich, dünkt es Euch, als wenn in meinem Besitz Euer Leben erst anheben würde. Diese Täuschung des Gefühls und der Phantasie ist in der Natur so fest begründet, daß Euch jeder als ein Lästerer erscheint, der Euch das Gegenteil dartun will. Aber mir werdet Ihr das Wort vergönnen, das ich in Eurer und meiner eignen Sache sprechen darf. Durch den Besitz, durch einen kurzen Rausch des Genusses würde Eure Sehnsucht befriedigt, das Unbedingte und Unbeschränkte Eurer Leidenschaft gemäßigt und beschlossen, und das verirrte Gefühl aus der poetischen Täuschung zur Wahrheit und Natur zurückkehren. Nicht daß Eure Neigung erlösche, daß Ihr Euren Entschluß bereuetet, daß Eure Liebe sich in Haß und Widerwillen verkehren könnte! Ihr seid zu edel, Ihr würdet mir Euer Unglück, Eure Enttäuschung verschweigen, durch Zärtlichkeit, Aufopferung und Wohlwollen mich und Euch hintergehen wollen. Aber unglücklich würdet Ihr sein, und fühlen und sehen, wie Ihr Eure Jugend an eine Einbildung, einen leidenschaftlichen Eigensinn verloren hättet. Die Natur verlangt es, daß in der innigsten Verbindung, auch wenn beide Liebende im Jugendrausche träumen, eine quälende und beseligende Unruhe und Sehnsucht erlischt. Ich aber würde Eurer erwachten Phantasie sehr bald als eine ältere Schwester, vielleicht nach einem Jahre als eine mütterliche Freundin gegenüberstehen. Die Reize, die ich noch etwa aus meinem Schicksale und meiner längst entwichenen Jugend davongetragen habe, müssen binnen kurzem schwinden; soll ich erwarten, daß auch mein Alter reize, Schwächen, Blässe, Runzeln? Eine Krankheit kann in wenigen Wochen diesen Nachsommer der Wangen und Augen zerstören, – und für diesen kurzen Besitz einer Schönheit, die in Eurer Umarmung in Asche und Staub zerfällt, wollt Ihr den Hohn Eurer Landsleute, den Zorn Eures Vaters, die Verachtung der Jungfrauen auf Euch laden? Wie manches schöne Auge zielt nach Euch, wie manches junge Herz wünscht im stillen, Euch zu gewinnen. Ernüchtert wäret Ihr nun an mich, vielleicht auf lange, gekettet. Nicht lösen läßt sich das Band, wie es leicht sich anlegen läßt. Nun hätte ich erst das höchste Elend meines kummervollen Lebens gewonnen. Ich müßte Euch im stillen Gram, in Reue schwinden sehen; ich müßte mir den bittern Vorwurf machen, daß ich Euch nicht rein, nicht wahrhaft genug geliebt habe, indem ich so schwach habe sein können, Eurem Ungestüm nachzugeben. Und wenn ich es nun erlebte, wie es doch ohne Zweifel geschähe, daß Euer Sinn sich einer edlen Jungfrau näherte, die Euer Gemüt zu würdigen wüßte, so stände ich als die Furie, als ein Gespenst zwischen Eurem Glück, und ich müßte mich verachten und meinen Tod so sehnlich herbeiwünschen, daß Nadel, Messer und Schere in meinen Händen zu Strafe und Rache gegen mich werden könnten.

Friedrich stand auf und schritt durch den Saal. Sie sah es wohl, wie er ihr die Tränen verbergen wollte, die sich aus seinen heißen Augen drängten. Endlich, nachdem er lange, um sich zu kühlen, in den Garten geblickt hatte, kam er zurück und sagte: Mögt Ihr recht haben, mag die Vernunft so sprechen: aber ist es gut, ist es, möchte ich sagen, fromm, so verständig zu wägen, und Herz und Leben so in die Dienstbarkeit der anscheinenden Notwendigkeit herabzuzwingen? Nicht alles, was unvermeidlich ist, kann und soll darum vermieden werden. Das ist kein Schicksal, daß wir uns der Natur und ihren Gesetzen fügen; sondern daß wir, unsrer Kraft vertrauend, auch in den Kampf gehn, um stärker als diese Gesetze zu sein, uns höher zu stellen, als diese Natur: nun beginnt das wahre Schicksal im Ringen, und wie wir standhalten oder erliegen, kann erst der Inhalt und die Aufgabe unsers Lebens werden. Und was weiß denn die Liebe von Zeit, Tagen und Jahren? Der Held stürzt in den Feind, und der Augenblick des Sieges, indem der Feind mit allen Panieren flieht, genügt ihm übervoll, und er sieht lächelnd das Blut aus seinen Todeswunden strömen. In wie manchem Gedicht bewundern und beneiden wir den Liebenden, der endlich den Lohn seiner Schmerzen erhält, und beseligt in der Geliebten Armen ruht; dieser Moment ist sein Leben, seine Vergangenheit und Zukunft, wir preisen ihn, wenn der Tod auch schon hinter dem Lager lauert, und beweinen in unsern Tränen nicht ihn, sondern das Rätsel des Daseins selbst, daß eben das Höchste, das Einzige, Innigste, Göttlichste und Edelste, das unnennbare Glück, die Liebe freilich nur in unsrer Einbildung ruht, daß alles dies kein Unterpfand in der Wirklichkeit aufzeigen kann, und daß das Unsterbliche nur am Staube gebunden erscheinen kann. Damit, wenn Ihr diesen Glauben nicht verleugnen könnt, sind auch alle Eure Zweifel und Einwendungen abgewiesen.

Für Euch wohl, erwiderte sie schmerzlich lächelnd, aber nicht für mich; immer bleibt die Frage übrig, daß, da sich einer von uns aufopfern soll, welcher es von beiden sei; Ihr leugnet, daß Ihr es seid, so muß ich also die Geopferte sein, und wie das Eure Liebe verlangen kann, begreife ich nicht.

Nein, rief Friedrich aus, Ihr sollt ebenso glücklich sein, als ich mich fühlen werde! Das könnt Ihr, wie ich aus diesen Reden schließen muß, auf keine Weise, und ich bin also elend.

Ich bin unglücklich, erwiderte sie, wenn ich Eure Freundschaft verliere.

O, Catharina, rief Friedrich jetzt in der höchsten Leidenschaft: Freundschaft! Was ist sie, was soll dies unverstandne Wort? Wissen die Menschen schon nicht, was sie mit dem Ausdruck »Liebe« meinen, so denken sie bei dem Laute »Freundschaft« noch weniger. So tief kann ich mein Gefühl für Euch nicht hinunterstimmen, so kalt, gewogen, gleichgültig kann ich in Eurer Nähe nicht sein; ich bin es nicht, wenn ich nur an Euch denke, wenn Euer Bild in mir aufsteigt. Ist das Leben denn einmal wahnsinnig, warum wollen wir uns dem Taumel nicht hingeben? Ist es der Tod, der in allem Leben wirkt, ist es die Verzweiflung, die schon in der Freude schlummert, – fügen wir uns denn und sein wir Sterbliche, da uns das Ewige, Bleibende nicht gegönnt ist. Im Moment, im Rausch, im Wollen erhaschen wir es, und können dem Vergangenen doch nachrufen: Du warst es! du sollst es gewesen sein!

Laßt uns abbrechen, sagte Catharina, wohl gibt es Freundschaft, die auch glücklich macht. Indem ich Euren Geist und Wert begreife und Ihr meinen Charakter versteht, uns Lieder und Gesänge näher treten, die Behaglichkeit des Daseins, die edle Rührung, und wir uns einer am andern erfreuen, und so alle Güter durch unser Verständnis heller glänzen.