Es soll nichts Vernünftiges, Nutzbares oder Erbauliches, sondern eben nur Gesang werden, der ebensohoch über das nüchterne Reden steht, wie der heitere Rausch über die Sättigung des Durstes. Und wer unter den Sterblichen hat denn den unnützen, widersinnigen, ganz vernunftwidrigen Kuß erfunden? Da treten die Lippen nun vollends aus Reih und Glied, und das Auge glänzt vor Freude, daß ein Druck mehr ist als Vernunft, Licht, Gesang, Poesie und Philosophie; daß nur durch das Maul das Maulen auf die süßeste Art in sprachlose Freude übergehen kann. Ja, Menschenkinder, es ist euch viel gegönnt, daß das Lippenwesen so fein über den Zähnen aufgeliebelt ist. Und dann noch das Lächeln als Zugabe. – Seht! seht nur Frau Catharinen an, und die jungen Mädchenkinder dort! Möchte man nicht die ganze Seele zwischen die Mündchen und die Lippenröte legen, daß sie dort in Liebe gewiegt würde, und als der holdseligste Gedanke aufblähen könnte?
Er stand auf und küßte nach der Reihe Catharinen, die Mädchen und die alten Frauen. Friedrich sah seinem Beginnen so eifrig zu, als wenn er den Wunsch und die Absicht habe, seine Freiheit nachzuahmen; doch ein strenger Blick Catharinens nahm ihm den Mut.
Die Gesellschaft wendete sich wieder zum Gesange und zur Musik. – Nicht wahr, sagte Labitte nach einiger Zeit: ihr seht doch auch alle die kleinen Geister von allen Farben, rot, weiß, gelb, blau und scheckig, die in der Luft auf den Tönen, wie auf ausgespannten Seilen, tanzen und springen? Und da oben sitzen andre mit ehrbaren Gesichtern und in weiten Gewändern, und nicken gar ernsthaft und schlagen den Takt, um das tolle Unwesen in Ordnung zu halten. So ist es immer. Der Unsinn hat nichts zu bedeuten, und ist weder toll noch erfreulich, wenn nicht Sinn und Vernunft die Aufsicht über ihn führen, und seine Rasereien bedeutsam machen. So herrscht auch in diesem Wirrwarr der Takt, die Töne schwingen in Melodie um: und kein Schmied, kein Schiffbaumeister kann seine Arbeit fördern, wenn nicht ebenso Takt und Puls das Werk bewachen. Nur der sogenannte Teufel kennt weder Maß, Takt, noch Melodie; er hat das Maul bloß zum Sprechen, darum ist er so unglücklich, und kann, wie er sich auch anstellt, so wenig ausrichten.
Ihr sprecht so vertraut von ihm, sagte Friedrich, als wenn Ihr ihn persönlich kenntet.
Kenne ich den miserablen Knirps denn nicht etwa persönlich? rief der Alte im halben Rausche; so viel, wie man ein solches klägliches Unwesen, das keine Person hat, kann persönlich kennen lernen. Da draußen im Walde hält der Armselige manchmal seinen Sabbat, und da bin ich neulich hinausgelaufen, um ihm meine Aufwartung zu machen und ihm meine ganze Verachtung und Geringschätzung zu zeigen. Er saß auf drei uralten Kröten, das sollte seinen Thron vorstellen, auf dem Kopf hockte als Krone eine Fledermaus, sein Mantel bestand aus Spinnenweben, und eine Schere eines großen Hummers sollte das Szepter bedeuten. Blähte sich das dumme Vieh nicht, als wenn er Monarch des Erdbodens wäre! Frösche, Unken, Molche, Spinnen, manches Geziefer kniete und kroch vor seinem Throne. Auf Besenstielen, in Backtrögen ritten und fuhren ein Dutzend alte, runzlichte Weiber, um ihn zu verehren, herbei, die Luft verfinsterte sich, indem sie kamen. Die Abgeschmackten konnten die Herrlichkeit der Natur und Schöpfung nicht mehr sehen und fühlen; sie hatten die heilige Anbetung, das süße Grauen vor dem Vater und Schöpfer der Welt auf immer verloren, sie empfanden nichts beim Kirchengesang, beim Ton der Nachtigall, bei Gedicht und Musik, und waren nur für das Abgeschmackte, Aberwitzige begeistert, weil der Mensch irgend etwas verehren muß; ihre Tollheit trug sie durch die Lüfte, um hier anzubeten, und dem Kläglichen einen Harem durch ihre Buhlschaft zu bilden. Der Kerl wurde dann auf seinen Kröten auch immer aufgeblasener, und lächelte die Unholdinnen, in seiner Manier, recht freundlich an. Kleine buckliche Pygmäen von bösen Geistern schwirrten und tanzten in der Luft, ein Igel spielte auf der Trommel, eine Heuschrecke auf dem Hackebrett, aber alles ohne Takt. Der Mond sah kläglich und mit schiefem, verhöhnendem Gesicht auf das Gesindel, und ich stand in der Ferne unter einem Baum, um die ganze Hofhaltung aufzuzeichnen.
Ganz recht, sagte Friedrich, das ist das berüchtigte Gemälde, welches Ihr schon vor Jahren zustande gebracht habt, und das Euch von manchem Kunstfreunde viel bittern Tadel zuzog. Man meinte, der Gegenstand sei häßlich und aberwitzig zugleich, und man begriff nicht, wie derselbe Mann, der die Mutter des Herrn, die gebenedeite Jungfrau, in einem Liede so schön besungen hat, diese Widerwärtigkeit mit so vielem Fleiße und dem Aufwand so vieler Zeit hatte ausführen können.
Der Alte lachte selbstgefällig und sagte: Macht man einmal etwas zu seiner eignen Freude, so will es den Leuten, für die man sich oft geplagt hat, in der Regel nicht gefallen. Ich wollte dem dummen Teufel, oder dem Teufel der Dummheit, der mich oft stört, auch einmal eins versetzen.
Ihr wißt aber, fuhr Friedrich fort, daß der herrliche Maler, Johannes, selbst Euer Bild sehr scharf damals getadelt hat, und gesagt, so etwas dürfe gar nicht dargestellt werden.
Ich weiß es! rief Labitte aus; ist denn das nun etwas andres, als das ganz einfache Nein? Wahrlich, ich sage euch, es werden nicht viele Tage ins Land gehen, so werden wir einen Überfluß von diesen Bildern, von Hexen, Teufeln, Beschwörung und dergleichen haben, und meine Sache ist nur anstößig gewesen, weil sie die erste in dieser Art war. – Jeder Erfinder ist der Märtyrer seiner Originalität. Viel schlechtere Sachen werden nach meinem Tode Aufsehen und Verwunderung erregen, und, wenn es geschieht, so wird kein Mensch dann mehr von dem armen Peter Labitte nur reden.
Es war spät geworden, und die Gesellschaft erhob sich. Ist es Euch nicht bange gewesen, sagte die kleine Sophie, als Ihr, mein teurer Herr Labitte, mit dem Satan so ganz allein im Walde waret?
Nein, sagte der Maler, denn ich muß Euch sagen, wen man recht von Herzen verachtet, den fürchtet man nicht. Und doch tut man vielleicht nicht wohl, denn oft, sehr oft ist das, was uns verächtlich scheint, nur eine Maske des Fürchterlichen.
Alle begaben sich zur nahen Stadt, und nur Friedrich blieb zurück, obgleich es den Scheidenden auffiel, um mit der Dame Catharina ein sonderbares Gespräch zu führen. Sie sah es ungern, daß der Jüngling verweilte; indessen meinte sie, da er sich nicht raten ließ, ihm jetzt im Vertrauen alles sagen zu können, was sie für nötig hielt.
Wie also Friedrich vom Gartentore wieder umkehrte, war sie fast erzürnt, denn sie sah, daß die übrigen dieses Betragen des Jünglings auffallend fanden. Indessen, da es nicht zu ändern war, nahm sie sich vor, ganz aufrichtig mit ihm zu sprechen, denn sie kannte seinen Sinn und auch den Gegenstand des Gespräches, zu welchem er sich wieder wenden würde.
Sie setzten sich im Gartensaal, indem sich der Himmel schon rötete. Alles verkündet die Nähe des Abends, sagte Catharina, und Ihr wollt nicht zu Eurem Vater kehren, der Euch sehnlich erwartet, und der auf mich zürnen wird, weil er meint, ich halte Euch zurück.
O nein! rief Friedrich aus, durch meine Klagen, durch meinen Verdruß ist er genug davon unterrichtet, wie Ihr es nicht seid, die mich aufmuntert, länger zu verweilen.
Aber, mein lieber junger Freund, sagte die verständige Frau mit heiterer, einschmeichelnder Rede, warum strebt Ihr denn nun schon seit Monaten, diese Eure Freundschaft, die ich so hoch achte, die zu meinem Lebensglück gehört, mir zu entreißen? Warum wollt Ihr mich überreden, es könne ein anderes Verhältnis zwischen uns stattfinden, welches Ihr ein innigeres nennt?
Ja, rief Friedrich, ich muß noch einmal Euer Ohr mit allen jenen Wünschen, Forderungen und Fragen bestürmen, die Ihr so weit von Euch werft! Jetzt ist es ein Jahr, schöne Frau, daß ich Euch kenne. Ohne Vorurteil, ohne Leichtsinn bin ich in Euer Haus getreten; ich hörte nicht auf so manches Geschwätz, was der und jener, armselige Menschen, mir hatten mitteilen wollen. Ihr wißt, mein Sinn ist ernst, so töricht ich wohl manchmal im Haufen meiner Jugendgefährten erscheinen mag; meine Wünsche sind lauter, mein Leben war einfach und rein, so vielfach Basen und Splitterrichter meine jugendliche Heiterkeit und den erlaubten Leichtsinn haben verlästern wollen.
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