Ob er mir Rettung schafft?

Und ich vernahm: »Es fehlt die Lebenskraft!«...

 

Mein feines Ohr hat flüstern ihn gehört:

»Hier ist ein edles Organon zerstört«...

 

Indem verstohlen er herübersah,

Raunt' schnell er: »Facies hippocratica!«...

 

Was spricht der Geck das liebe Deutsch nicht rein

Und mischt so garst'ge fremde Brocken ein!

 

Er trat heran, er bot die Rechte mir,

Er sprach mit Pomp: »Ich grüße Deutschlands Zier!«

 

Er nannte mich der Freiheit Turm und Hort,

Von meiner Krankheit redet' er kein Wort.

 

Mir deucht', daß sich ein Seufzer ihm entwand,

Als seinen Finger ich am Puls empfand.

 

Drauf hat er meine Verse mir gerühmt,

Der Narr. Er hieß sie »stolz« und »reich beblümt«.

 

»Die Ufnau«, sprach er, »wird durch Euch bekannt

Und noch von Kind und Kindeskind genannt.

 

Nicht einsam lebt Ihr auf dem Eiland hier,

Bevölkert mit Gedanken habt es Ihr!«

 

Ich dachte: Wie zu dir dein Name paßt!

Bombastus nennst du dich – und sprichst Bombast!

 

Ihm gab ich das Geleit bis an den Kahn,

Dann stieg den Hügel langsam ich hinan.

 

Es war ein goldner Morgen im August,

Das zweite Gras gedieh mit Kraß und Lust!

 

Die ganze dichte blühnde Wiese klang

Und wogt' und schwirrt' und flattert', zirpt' und sang.

 

Ich schritt in Halm und Blumen, überflammt

Von süßem Sonnenlicht – zum Tod verdammt!

 

Da warf ich in die duft'ge Wiese mich,

Verbarg das Haupt und weinte bitterlich

 

Und lange lag ich still im grünen Tal,

Mein eigen Bildnis oder Grabesmal.

LIII

 

Die Beichte

Hier schreit ich über meinem Grabe nun –

Hei Hutten, willst du deine Beichte tun?

 

's ist Christenbrauch. Ich schlage mir die Brust.

Wer ist ein Mensch und ist nicht schuldbewußt?

 

Mich reut mein allzu spät erkanntes Amt!

Mich reut, daß mir zu schwach das Herz geflammt!

 

Mich reut, daß ich in meine Fehden trat –

Mit schärfren Streichen nicht und kühnrer Tat!

 

Mich reut die Stunde, die nicht Harnisch trug!

Mich reut der Tag, der keine Wunde schlug!

 

Mich reut – ich streu mir Aschen auf das Haupt –

Daß nicht ich fester noch an Sieg geglaubt!

 

Mich reut, daß ich nur einmal bin gebannt!

Mich reut, daß oft ich Menschenfurcht gekannt!

 

Mich reut – ich beicht es mit zerknirschtem Sinn –

Daß nicht ich Hutten stets gewesen bin!

LIV

 

Göttermord

Heut aber tat ich, was die Frommen freut:

Entgöttert meine Schriften hab ich heut

 

Wo »Zeus« und »Herakles« zu lesen stand,

Schrieb »Jesus Christus« ich mit fester Hand.

 

Statt »Nektarkrügen« und statt »Bacchanal«

Setzt stracks ich »Abrams Schoß« und »Himmelssaal«.

 

Kein einz'ger Griechenschwur und Römerfluch

Prangt mehr in meinem Dialogenbuch.

 

Ich löge, sagt ich, wenn mir Bann und Acht

Des Heidenhimmels großen Kummer macht.

 

Das Wiesenbächlein flutet leicht und hell,

Was braucht's, daß eine Nymphe bad im Quell?

 

Brennt Herz und Stirn dem Zecher minder heiß,

Der nichts vom Kranz des Dionysos weiß?

 

Schiert's, ob man einen Sohn des Mars ihn tauft,

Den deutschen Knecht, der todeslustig rauft?

 

Was heißt: »Ich weihe dich der Furienschar?«

»Der Teufel hole dich!« ist kurz und klar.

 

Heut komm ich heim aus einer tapfern Schlacht:

Ich habe Götz und Götzin umgebracht!

LV

 

Das fallende Laub

Heut klang ein Beil den ganzen Morgen laut

Und bis zum Abend fort. Der Schaffner baut.

 

Ein Vordach nur, doch mocht ich's gerne sehn,

Ist's doch ein Werden, ist's doch ein Entstehn!

 

Da war ein Zimmrer, der es wacker trieb

Und seinen Balken säuberlich behieb.

 

In guten Treuen mühte sich der Mann,

Daß ihm das Wasser von der Stirne rann.

 

Am Abend kam der Zimmermeister leis,

Mit langgelocktem Bart ein güt'ger Greis,

 

Und rührt' dem Knecht, der nimmer wollte ruhn,

Die Schulter mahnend: »Lieber, feire nun!«

 

Jetzt ward die Stätte leer; ich aber schlich

Hinaus und auf den Balken setzt ich mich.

 

Betrachtend das behaune Tannenstück,

Dacht ich ans eigne Tagewerk zurück...

 

Ich starrte nieder, der Gedanken Raub,

Da traf die Schulter mir ein fallend Laub.

 

Mich schauderte, da ich das Blatt gespürt,

Als hätte mich des Meisters Hand berührt

 

Und mich gemahnt: Genug! Die Sonn ist fern,

Geh ein, du Knecht, zur Ruhe deines Herrn!

LVI

 

Reife

Es wendet sich das Jahr, die Welle raucht,

Mein Eiland ist in Morgenduft getaucht.

 

Vor mir in herbstlicher Verschleierung

Bewegt sich einer Barke Ruderschwung.

 

Herüber glänzt durch schwankes Nebelspiel

Die hochgetürmte Burg von Rapperswyl.

 

Zu Häupten mir durch hellre Schleier bricht

Das süße Blau, das warme Sonnenlicht;

 

Und schwerer hangt die Traube schon am Schaft,

Sie schwillt und läutert ihren Purpursaft,

 

Sie fördert ihre Reife früh und spat –

Was meinst du, Hutten? Auch die deine naht!

 

 

Dämonen

 

LVII
Der wilde Hutten

Glückselig schreit ich hier im Abendglanz,

In klaren Lüften zittert Mückentanz.

 

Das Heute war so sonnig, wolkenrein,

Das Morgen wird noch wolkenloser sein.

 

Ein Zug von Tagen warm und wonniglich

Geleitet zu den Todesschatten mich.

 

So heiter glaubt ich nicht davonzuziehn,

Der wilde Hutten fährt in Frieden hin.

 

Nicht allzu köstlich, reiche Erde, hast

Du mich bewirtet, deinen armen Gast!

 

Nun nehm ich Urlaub und zur Scheidezeit

Erweisest du mir alle Lieblichkeit,

 

Nun geh ich und du sprichst mit leichtem Sinn:

Du wanderst, Hutten? Sieh, wie schön ich bin!

LVIII

 

Herzog Ulrich

Er war's! Mir pocht das Herz von Groll bewegt

Und jede Fiber zittert aufgeregt.

 

Er war's! Er stand auf meiner Friedensstatt,

Der mir den Vetter Hans erschlagen hat,

 

Der ihm, zu seinem Weib entbrannt in Lust,

Den Degen meuchlings rannte durch die Brust,

 

Der ihm, da bang er mit dem Tode rang,

Ein Henker! um den Hals den Gürtel schlang,

 

Den ich vertrieb von seiner Väter Herd,

Mit meines Gurts und meiner Rede Schwert,

 

Auf dessen Spur ich wies den Furienchor,

Auf dessen Scheitel ich die Acht beschwor...

 

Ich saß im Hauskleid still am Hügelrand,

Ein philosophisch Büchlein in der Hand,

 

Da hört ich einen Fremden halb bezecht

Den Schaffner loben, wie man lobt den Knecht.

 

Ich kannte dieser hohen Stimme Schrein!

Er lachte widrig – er gewahrte mein.

 

Der Trunkne trat mit vollem Humpen vor –

Mir sträubte sich vor Graus das Haar empor;

 

Mich starr betrachtend, zweifelnd, ungewiß:

»Trink«, schrie er, »siecher Bettler und vergiß!«

 

Ich bin der Hutten, rief ich, den du kennst!

Er lallte: »Grabentstiegenes Gespenst!«

 

Ihn stieß ich weg, daß er den Wein vergoß,

Der purpurn über seine Hände floß.

 

Mit roten Händen, wie im Walde dort

Von meines Vetters Leiche, stürzt' er fort.

 

Verschollen bin ich auf der Erde schon!

Er wußte nicht, daß ich hieher geflohn.

 

Warum betrat er meine Friedensflur,

Der Bösewicht, dem ich Verderben schwur?

 

Der Schaffner wirbt! Schon lange weiß ich drum!

Es treibt sich öfter hier Gesindel um.

 

Zum Lachen ist's! An meinem Sterbehaus

Hangt Herzog Ulrichs Werbefähnlein aus!

 

Um Blut gefeilscht wird neben meiner Gruft

Und Schweizerlanzen führen heim den Schuft.

 

Es scheint, er ist in Zürich angesehn,

Man sieht ihn fleißig in die Predigt gehn.

 

Doch Ulrich Zwinglis lautres Auge kennt

Den Mann, in dessen Blick die Hölle brennt.

 

Er weiß, daß dieser wohlbeschaffne Christ

Ein Mörder und ein Ehebrecher ist.

 

Ich tat Bekenntnis meinem Glück zum Trutz,

Der schnöde Bube tut's aus Eigennutz!

 

Was mir aus tiefstem Herzen quoll empor,

Hält dieser Heuchler sich als Larve vor!

 

Mit Christi Jüngern sitzt im Tischverband

Wie Judas er, den Beutel in der Hand.

 

Der Schurke nahm den reinen Glauben an;

Potz Blut und Wunden, er hat wohlgetan!

 

Der Meuchler hat das reine Wort bekannt!

Darüber jubiliert das Schwabenland!

 

Der Gleisner Ulrich zahlt – es ist bequem –

Nicht für den Ulrich mehr von ehedem!

 

»Rom oder Luther«, spottet er beim Wein,

»Schuh oder Stiefel – Herzog will ich sein!«

 

Ich glaub's, daß er in Stuttgart Einzug hält –

Wer thront im Himmel? Wer regiert die Welt?

 

Wir stehn in gleichem Lebensalter schier,

Um zehen Jahre schien er jünger mir!

 

Er ist in voller Manneskraft erblüht,

Ich welke mit verbittertem Gemüt!

 

Ich büße leichte Jugendsünde schwer,

Den Fluch des Bösen überwindet er!

 

Er atmet unbeklommen, altert heil,

Und ich? Mir keucht die Brust – das Grab mein Teil!

 

Er wird von einem guten Sohn geehrt,

Wann längst mich ekles Erdgewürm verzehrt...

 

Dort gleitet durch die Flut des Mörders Boot –

Kein Wetter brütet, keine Wolke droht!

 

Gerechtigkeit, bist du nicht außer Amt,

Wirf einen Blitz, der tötend niederflammt!

 

Dort fährt ein Mörder! Hör, Gerechtigkeit,

Was dir der Hutten in die Ohren schreit!

 

Der Himmel lacht in unverwölktem Licht –

He, hast du Ferien, himmlisch Hofgericht?

 

Die Waage falsch! Gefälscht das Schuldenbuch!

Wie Wetterlaunen walten Heil und Fluch –

 

Halt! Frevle nicht! Die Lästrung sei verweht!

Beleid'ge, Hutten, nicht die Majestät!

LIX

 

Sturm und Schilf

Mit Gott zu hadern ist nicht wohlgetan,

Es lockt Gesellschaft von Dämonen an.

 

Durch meine Fensterluke späh ich vor,

Der Wurf der Welle sprüht zu mir empor.

 

Den schwarzen Riesenbaum am Inselhorn

Umlodert flammender Gewitterzorn.

 

Aufrauscht's im Schilf, wild fährt der Sturm einher,

An tiefsten Lebenswurzeln rüttelt er.

 

Der Teufel saust im Wind und pfeift und lacht

Und meinen Namen ruft er durch die Nacht.

 

»Hei Hutten, der, von Wellenschaum umspritzt,

Auf einer öden Klosterinsel sitzt!

 

Du gleichst dem Helden deines Scherzgedichts,

Du bist der Niemand und zerrinnst in Nichts!

 

Der du gedurstet und gehungert hast,

Hinweg! Mach Raum für einen klügern Gast!

 

Dir schlag ich eine Grabesinschrift vor:

›Er focht für Wolken und er war ein Tor.‹

 

Fahr hin! Doch eh du stirbst, der Welt ein Spott,

Erleichtre dir das Herz und lästre Gott!«

 

Gebärde, Teufel, dich nicht allzu wild!

Entgegen halt ich dir des Glaubens Schild!

 

Den lichten Helm des Heils zerspellst du nicht

Mit deinen Feuerpfeilen, Bösewicht!

 

Ein Gutes gibt's! Du bist mir ärgerlich

Und eine Wahrheit! Teufel, hebe dich!

 

Gesättigt wird das menschliche Geschlecht

Mit Wahrheit werden und getränkt mit Recht!

 

Der Sturm verstummt. Der Hohn des Bösen schweigt...

Dort! Ein Gebilde, das dem Schilf entsteigt!

 

Es ringt die Hände, wie ein Geist in Pein!

Gebückt und jammernd, wie mein Mütterlein!

 

»Was wandeltest den Frieden du in Streit?

Warum zerstörtest du die alte Zeit?

 

Wo dich die Kirche liebevoll umfing

Mit ihrer sieben Gaben heil'gem Ring!

 

Wo dich die Kirche mütterlich begrub

Und triumphierend in den Himmel hub!

 

Der den erprobten Segenskreis zerriß,

Bist, Hutten, du des neuen Pfads gewiß?«

 

– Wer flüstert mir so traute Worte zu?

Verschlagner Dämon, wieder bist es du!

 

Ich glaube nicht an alter Zeiten Glück!

Ich breche durch und schaue nicht zurück!

 

Hinüber retten wir in neue Zeit

Und edle Form den Hort der Frömmigkeit...

 

Wir ziehn! Die Trommel schlägt! Die Fahne weht!

Nicht weiß ich, welchen Weg die Heerfahrt geht.

 

Genug, daß ihn der Herr des Krieges weiß –

Sein Plan und Losung! Unser Kampf und Schweiß!

 

Gesiegt! Doch schwer! Mir keucht die Brust so bang

Wie einem Menschen, der mit Riesen rang.

LX

 

Die Menschheit

Ich schaute – wundersamer Morgentraum –

In eines Kampfs gestaltenvollen Raum.

 

Ein mächtig Ringen war's der Geisterwelt,

Von wehnden Flammen wechselvoll erhellt.

 

In Welschland, wenn ich mich besinnen mag,

Sah schier ich so gemalt den Jüngsten Tag:

 

Wo, streng gerichtet, was von Even stammt,

Zur Hälfte steigt, zur Hälfte sinkt verdammt.

 

Doch nein! Die letzte Scheidung war es nicht.

Es war ein mut'ger Sturm empor ins Licht!

 

Sie rangen alle mit vereinter Kraft,

Beseelt von eines Kranzes Leidenschaft.

 

Wankt' einer wie gelähmt von Pfeilgeschoß –

Den riß empor ein stärkrer Kampfgenoß

 

Und mancher Kühne stieg in schwerem Flug,

Der einen Wunden auf der Schulter trug.

 

Da hab ich eines Führers Ruf gehört:

»Der Kerker«, schrie er, »Geister, ist zerstört!

 

Das Tor gebrochen! Offen ist die Bahn!

Befreit die Brüder! Auf! Empor! Hinan!«

 

Aus lichten Wolken scholl Posaunenton,

Doch war's ein Siegesjubel, nicht ein Drohn.

 

Da plötzlich stund ich im Gewölke vorn

Und stieß aus voller Brust ins Jägerhorn.

 

Aufschwebt' der sel'ge Zug in mächt'gem Drang,

Ich stieß ins Horn, daß mir das Herz zersprang.

 

 

Das Sterben

 

LXI
Feldmann

Land, Wasser, Himmel – rings dasselbe Grau!

Wer ahnte deine Anmut, Ufenau?

 

Im Schilfe schwadert eine Entenschar

Und kündet frühen Winter diesem Jahr.

 

Des Schaffners »Feldmann« stellt zur Jagd sich dort.

Noch eine Birsch, bei meinem Ritterwort!

 

Mir hangt ein ländlich Armbrust an der Wand ...

Hier ist's! Der Spanner fehlt, ich spann von Hand ...

 

Gehorche, Ding! Schon manches Seil gestrafft

Hat diese Faust ... Verdammt! Mir fehlt die Kraft!

 

Wie? eine Träne?... Nieder, täppisch Tier!

Der wackre Köter leckt die Wange mir.

 

Gelt, wer die Armbrust nicht mehr spannen kann,

In deinen Augen ist's ein armer Mann!

 

Die wilde Jagd des Lebens geht zu End...

Komm! Sehn wir, ob im Herd ein Feuer brennt.

LXII

 

»Der arme Heinrich«

 

Heut saß ich armer Ulrich still daheim

Und las den »armen Heinrich«, Reim an Reim.

 

Des siechen Ritters Abenteuer las

Ich gerne, der durch Wunderwerk genas.

 

Ihr braven Heil'gen, könntet – frag ich nun –

Am Hutten ihr ein schließlich Wunder tun?

 

Am Hutten? Nein. Da fühlt er selber, wißt,

Wie das von euch zu viel gefordert ist.

LXIII

 

Anzeige

Mein Ende steht bevor! Mir hat geahnt.

Mich hat mein Franz der Sickingen gemahnt.

 

Ich saß im abendstillen Kämmerlein

Just zwischen Tageslicht und Ampelschein –

 

Stracks ging ein Reutersmann durch mein Gelaß.

Er trug ein rot Barett. So schien er blaß..

 

Ha, Sickingen, du bist's, mein Kampfgespan!

An meine Brust, du redlicher Kumpan!

 

Da log Frau Fama wieder einmal dreist!

Sie rief ins Land, daß du getötet seist.

 

Du lebst, mein Vielgetreuer! Du entrannst!

Ich gönne dir's, daß du noch fechten kannst...

 

Er schwieg. Ich sah des Auges mindre Glut,

Das sonst so trutzig drohte unterm Hut.

 

Doch schaut' er selig, da die Schattenwelt

Für einen Helden keine Schmach enthält.

 

An mir vorüber schritt er ohne Wort

Und wandte noch sich an der Schwelle dort.

 

Und winkte mir gelassen mit der Hand,

Als wollt er sagen: Komm nun! – und verschwand.

LXIV

 

Der letzte Brief

Mein lieber und gewogner Prugner, merk

Es dir und schick mir etwas Feuerwerk!

 

Die Lese naht. Da blitzt und pufft und knallt

Es rings um meinen Inselaufenthalt.

 

Raketen kreuzen sich. Der Böller kracht.

Lodernde Räder rollen in die Nacht.

 

Nicht was sich dreht und schwingt und spritzt und sprüht,

Schick: eine Leuchte mir, die stetig glüht!

 

Schick eine Kugel mir, die ruhig steigt

Und meiner Insel ganzen Umriß zeigt!

 

An meinem letzten Peste kost im Schein

Der Geisterfackel ich den neuen Wein.

LXV

 

Die Traube

Freund Holbein, fehlt im Totentanze dir

Der Dichter noch, so komm und mal mich hier,

 

In meinem Sessel schlummernd ausgestreckt,

Das Angesicht mit stillem Blaß bedeckt!

 

Daneben trete leis der Tod ins Haus

Doch laß mir lieber weg der Sense Graus!

 

Am Bogenfenster siehst die Traube du?

Die male goldig angehaucht hinzu!

 

Ein blitzend Winzermesser gibst du dann

In die verdorrte Hand dem Knochenmann!

 

Und der Verständ'ge merkt des Bildes Sinn,

Daß ich die Edeltraube selber bin,

 

Die heut gekeltert wird und morgen kreist

In Deutschlands Adern als ein Feuergeist.

LXVI

 

Das Kreuz

Heut ist der erste leidenvolle Tag,

Da ich mich nicht vom Lager heben mag!

 

Auf seiner Meeresinsel stöhnt' und fleht'

Und wimmerte der wunde Philoktet;

 

Mir geht das Jammern wider die Natur,

Weit eher noch entführe mir ein Schwur.

 

Doch beiß ich schweigend nur die Lippe mir;

Denn als ein Christ und Ritter lieg ich hier.

 

Fernab die Welt. Im Reiche meines Blicks

An nackter Wand allein das Kruzifix.

 

An hellen Tagen liebt in Hof und Saal

Ich nicht das Bild des Schmerzes und der Qual;

 

Doch Qual und Schmerz ist auch ein irdisch Teil,

Das wußte Christ und schuf am Kreuz das Heil.

 

Je länger ich's betrachte, wird die Last

Mir abgenommen um die Hälfte fast,

 

Denn statt des einen leiden unser zwei:

Mein dorngekrönter Bruder steht mir bei.

LXVII

 

Ein christliches Sprüchlein

In meinen Leidensnächten ohne Stern

Erlab ich mich an guter Sprüche Kern.

 

Sankt Paule, der du mir zu jeder Frist

Aus dem Apostelbund der liebste bist,

 

Eins deiner Sprüchlein so von ungefähr

In bittern Nöten bet ich vor mich her:

 

Es ängstet sich, es sehnt sich allezeit

Die Kreatur in ihrer Endlichkeit.

 

Oft wird der edle Leib, das schöne Sein

Zum dumpfen Kerker ohne Licht und Schein.

 

Dann ist es nicht ein hergebracht Gebet,

Es ist der Geist, der in uns seufzt und fleht,

 

Und wärst du, Gott und Herr, nicht ewiglich,

Ein solches Stoßgebet erschüfe dich.

LXVIII

 

Ein heidnisches Sprüchlein

Heut fiel mir wieder ein – ich weiß nicht wie –

Ein Spruch aus Sokrates' Apologie:

 

»Was wartet unser, wann des Erdeseins

Unruhig Licht erlischt – von zweien eins:

 

Für sel'gen Wandel ein bequemer Raum?

Ein ungekränkter Schlummer ohne Traum?«

 

Wir Christen haben ein gewisses Licht,

Doch auch ein Heidensprüchlein schadet nicht.

LXIX

 

Der Strom des Lebens

Mir war: ich fuhr in halber Finsternis

Auf einem Strom, der mich von dannen riß.

 

Unwiderstehlich, ohne Frist und Halt

Entführte mich die jähe Stromgewalt.

 

Vorüber glitten dunkel Stadt und Schloß.

Ein ferner Donner scholl. Der Nachen schoß.

 

Und ich erriet, daß ich den Rhein befuhr

Ein wenig über seinem Sturze nur.

LXX

 

Scheiden im Licht

Verschärfte Schmerzen foltern mein Gebein,

Doch, soll ich sterben, muß es Morgen sein!

 

Doch, soll ich aus der Welt von hinnen gehn,

So muß ich erst erhellte Pfade sehn!

 

In meine Todesschauer sei gemischt

Der Frühe Schauer, der das All erfrischt!

 

Verstöhnen laß mich hier im Dunkel nicht,

Befreie deinen Kämpfer, starkes Licht!

 

Auf deinen goldnen Schwingen trägst du Heil,

Erlege mich mit deinem ersten Pfeil!

 

 

LXXI
Abfahrt

Ich reise. Freund, ein Boot! Ich reise weit.

Mein letztes Wort... ein Wort der Dankbarkeit...

 

Auch dir, du Insel, meine grüne Haft!

Den Hutten treibt es auf die Wanderschaft.

 

Noch gibt's zu tun. Geschwind! Wo bleibt der Kahn?

Die Welle drängt! Ein Segel wallt heran!

 

Die Firne starren mir ins Angesicht...

Das bleiche Geisterland erschreckt mich nicht..

 

Ein langer hagrer Ferge rudert dort...

Hehe! Hierher! Es will ein Wandrer fort!

 

Was hältst du, Freund, mich an die Brust gepreßt?

Bin ich ein Sklave, der sich fesseln läßt?

 

Gib frei! Gib frei! Zurück! Ich spring ins Boot...

Fährmann, ich kenne dich! Du bist – der Tod.

 

Fußnoten

1 Der berühmte Kupferstich Albrecht Dürers.

 

2 Huttenlied.

 

3 Der Kirchenheilige der Ufenau.

 

4 Die Pilgerfahrt Loyolas nach Jerusalem fällt in diese Zeit.

 

5 Das Muhen, womit der Landsknecht den Schweizer verspottete, hat in jenen Tagen viel Blut gekostet.

 

 

.