Hutten, zähme dich!)
Pilger, ich hol Euch einen Becher Wein?
Ihr weigert Euch? So schenkt Euch Wasser ein.
(Er murmelt, exorziert den lautern Quell
In Ketzerland... Unheimlicher Gesell!
Rasch dunkelt's. Lodre, Lämpchen... Ein Gesicht,
Das meinem tiefsten Wesen widerspricht!
Weltfremde Augen voller Traum und Wahn –
Und doch der Mund Entschluß... die Stirne Plan!)
– Hidalgo, Ihr beginget wilde Tat
Und suchet jetzt an heil'gen Orten Rat?
Ihr büßt? (Er kreuzt die Hände auf der Brust
Und schweigt. Auch mir erstirbt der Rede Lust.
's ist besser so, uns dürfte Streit entstehn,
Am klügsten ist es, wenn wir schlafen gehn.)
Seht, Pilger, wie der nächt'ge Himmel loht!
Heut abend fändet schwerlich Ihr ein Boot.
Nehmt hier vorlieb, ist auch der Raum beschränkt!
Wir suchen jetzt die Ruhe, wenn Ihr denkt.
Ihr wollet lagern auf dem nackten Stein?
Das duld ich nicht. Ihr werdet müde sein.
Da meine Decke! Hier den Mantel auch!
Ihr bettet Euch nach schlichtem Feldgebrauch!
Gut Nacht! Ihr seid ein Spanier? »Ritter, ja.«
Und nennet Euch? »Iñigo Loyola.«4
XL
Das Gebet
Ein grauser Wetterschlag! Der Donner kracht.
Was sah ich dort in blitzerhellter Nacht?
Und wieder jetzt! Ein Rücken – schauerlich,
Der Spanier geißelt mit dem Gürtel sich!
An seinen hagern Schultern rieselt Blut!
Zu beten hebt er an in Andachtsglut.
Gezwungen lauschend hör ich jedes Wort
Auf jenen qualberauschten Lippen dort:
»Maria, makellos empfangne Magd,
Zu Deinen Knien hab ich der Welt entsagt.
Dem ird'schen Rittertum ersterb ich hier
Und zeichne mich zum ew'gen Knechte Dir.
Wo darf ich bluten? Gib das Feldgeschrei!
Du deutest schmerzlich auf die Ketzerei –
Sie haben Dir die Krone von dem Haupt
Und aus der Hand die Lilie Dir geraubt.
Du weinest? Deine Tränen brennen mich –
Ich führe Deine Sache. Tröste Dich!
Ein Wink von Dir – so stürz ich in die Schlacht.
Nicht kennst Du selbst die Größe Deiner Macht!
Im Bibelbuche spricht der eigne Sohn
Zu Dir, Du Hohe, nicht in würd'gem Ton.
Die heil'gen Schriften sind der Ketzer Hort –
Du lächelst und besiegst das Bibelwort.
Der ein'ge Richter Christus schreckt die Zeit,
Gern folgt sie eines Weibes Lieblichkeit.
Wenn sich der Sohn zu Martin Luther kehrt,
Dich krönen wir, die nicht der Wonne wehrt!
Du bebst in aller Abendglocken Erz,
Du füllst die Seele, Du beglückst das Herz.
Wir decken Dich mit duft'gen Rosen zu,
Gen Himmel schwebest ungekreuzigt Du!
Die Du dem gläub'gen Spanier oft erschienst,
Ihm glüht der Busen noch von Deinem Dienst.
Dir, Fürstin, werb ich eine Kompanie
Und führe gegen Deine Feinde sie.
Ein unbarmherzig Heer, das nie erschlafft,
Versamml ich unter meiner Hauptmannschaft.
Die Ketzer tötend, doch den Sündern mild,
Bekehren wir die Welt zu Deinem Bild.
Wo wir zerstörte Tempel wieder weihn,
Besteige, Göttin, den Altar allein!
Und wer zum Erdenweibe Dich entweiht,
Gerichtet sei er und vermaledeit!...
Tauch unter, Schwan, und aus der Welle Schoß
Erstehe doppele blank und makellos!...
Du lächelst Deinem Knecht belohnend zu,
In goldne Himmelsglorie schwindest Du...«
XLI
Fiebernacht
Der Morgen graut – des Pilgers Stätte leer?
Beim Hahnenruf verschwand gespenstisch er!
Was ich geschaut, ist's Wahrheit? War es Traum?
Schlief mit dem Teufel ich im gleichen Raum?
Es war ein Spuk! Es war ein Fieberwahn!
Die welsche Fratze hat mir's angetan!
Nein, Wahrheit war's! Kein Morgenwind verweht
Das andachtsvoll irrsinnige Gebet!...
Was quäl ich mich? Unfähig ist der Tat
Ein Frömmler! Doch ein Spanier? Ein Soldat?
Kein Mönchlein ist's, in Müßiggang erschlafft,
Er hat des Kriegers Zucht und Willenskraft.
Er ist ein Schwärmer! Voller Selbstbetrug!
Daneben ist er wie die Hölle klug!
Ein Weib vergöttern – Aberwitz und Schmach –
Von Even stammend, die den Apfel brach!
Dem Weibe schmeicheln ist der Schlange List!
Ich Hutten weiß, was an den Weibern ist!
Der Wahrheit Trotz und Zorn und Fehdelust
Hat keinen Raum in einer runden Brust.
Zutulich naht die üpp'ge welsche Kunst,
Andacht verkuppelnd mit der Sinne Brunst.
Die Kirche steigt phantastisch wieder auf
Und gürtet sich zu neuem Siegeslauf;
Mit feiger Fürstentyrannei gepaart,
Steht sie um ihre Götzen fest geschart;
Der Drache Rom, getroffen bis ins Mark,
Durch seine Wunde wird er wieder stark
Und von der Wahrheit Schwert des Kopfs beraubt,
Wächst er empor mit einem gift'gern Haupt.
O Menschheit, qualenvoller Sisyphus,
Der seinen Felsen ewig wälzen muß!
Ein flüchtig Vorgefecht hat mich genarrt,
Jetzt erst erblick ich meinen Widerpart.
Nun ich auf Erden meinen Tag vertan,
Fängt sich der grimmste Feind zu zeigen an.
Verruchter Mördername: »Loyola!«
Blut klebt an diesen roten Silben da.
Der Höllensendling wird die Welt durchziehn!
Was stieß ich nieder nicht im Beten ihn?
Pfui, Hutten, Meucheltat! Das Fieber plagt
Und rüttelt dich. Gottlob, der Morgen tagt...
Vielleicht war's eine Ausgeburt der Nacht?
Und doch! Hätt ich den Spanier umgebracht!
Menschen
XLII
Die Bilderstürmer
Ich sprach: So, Hutten, kann's nicht länger gehn,
Heut mußt du wieder einmal Menschen sehn!
Und sprang ins Boot und bahnte mir den Pfad
Mit Ruderschlag ans rechte Seegestad.
Ein stattlich Dorf erzielt ich mit dem Boot –
Da regte sich's, als wäre Feuersnot.
Wo sich der Dorfbach in den See ergoß,
Lärmt' eine Männerschar, ein Kindertroß.
Aus ihrem Kirchlein schleppten mit Geschrei
Die Bilder ihrer Heil'gen sie herbei
Und warfen in die Flut den ganzen Hort
Mit manchem schnöden Witz und frechen Wort.
Der Strudel führte weg den alten Graus
Und wusch der Märt'rer blut'ge Wunden aus.
Wachsherz, Votivgeschenk, Reliquienschrein
Flog alles lustig in den Bach hinein –
Da werd ich eines Steingebilds gewahr,
Mit schwiel'gen Händen hob's ein Männerpaar
Und ich erschrak. Es war ein zart Gebild:
Die Magd Maria lächelte so mild
Und sah das grobe Volk so rührend an,
Als spräche sie: Was hab ich euch getan!
Wie kam das Werk in dieses Kirchleins Raum?
In Nürnberg selber sah ich Beßres kaum.
Man fühlte, daß ein Meister spät und früh
Daran gewendet lauter Lieb und Müh.
Zerstören, was ein gläubig Herze schuf,
Gehorsam einem leisen Engelruf,
Vernichten eine fromme Schöpferlust,
Ein Frevel ist's! Ich fühlt's in tiefer Brust...
Gebiet ich Halt? Ich? Ulrich Hutten? Nein...
Ihr Männer, stürzt das Götzenbild hinein!
Ich trat hervor und rief's mit strengem Mund.
Sie warfen. Etwas Edles ging zugrund.
XLIII
Der Trunk
Blaufarbne Krüge brachten her sie dann,
Sie schenkten ein und das Gelag begann.
– »Dem fremden Herrn ein Glas! Tut uns Bescheid,
Wenn Ihr nicht einer von den Stolzen seid!
Stoßt an, Herr Ritter!... Ihr verzieht den Mund?
Trinkt! Unser Wein ist süffig und gesund!
Potz Hagel! Ist Euch unser Wein zu schlecht?
Seid Ihr ein Päpstler oder Fürstenknecht?
Schmeckt's?« – Köstlich. – »Noch ein Glas, und eines noch!
Der deutsche Herr auf Ufnau lebe hoch!«
Ich trank und würgt – es war ein saurer Schluck –
Und schied mit einem biedern Händedruck.
Ich machte mich davon mit guter Art
Und lachte still ergötzt in meinen Bart:
Der ich dem Kaiser und dem Papst gedräut,
Dem Volke zu Gefallen log ich heut.
XLIV
Der Schaffner
Im Paradiese selber träfe man
Wohl einen an, den man nicht leiden kann.
So geht es mir auf diesem grünen Platz.
Der Schaffner ist ein Schelm und ist ein Fratz.
Ich möchte höchstens in der Lese sehn
Gekrümmt ihn unter einer Bütte gehn.
Ich Ketzer bin dem Klosterknecht verhaßt
Und seinen Geiz verdrießt der arme Gast.
Er schielt. Er blinzelt gegen's Sonnenlicht
Und meinen graden Blick verträgt er nicht.
Er wünscht mir: »Euch gedeih der Aufenthalt!«
Und betet: »Hole dich der Teufel bald!«
Ein Schurke, wer mir so ins Angesicht
Und hinter meinem Rücken anders spricht!
Nun hab ich ihn gelobt und damit gut!
Sein wackrer Junge hat gesunder Blut.
Hier wandeln die Geschlechter sich geschwind
Und anders als der Vater blickt das Kind.
Natur ist in den Hochgebirgen stark
Und ihre Lüfte stählen Herz und Mark:
Der Junge, der mit Hutten saß im Boot,
Wird brav und treu und bleibt's bis in den Tod!
XLV
Der kleine Ferge
Laß, Ruodi, deinen Nachen sachter gehn!
In klare Gründe laß mich niedersehn!
Hier im kristallnen Spiegel farbenmild
Erscheint ein Mann und eines Knaben Bild.
Du schaust empor in Ringellockenzier,
Vor zwanzig Sommern, Knabe, glich ich dir.
Und noch ein ander Bildnis schaut empor,
Das tief gefurchte kommt bekannt mir vor!
Nun, diese schwer beschriebne Stirn ist mein –
Fürwahr, ich möchte nicht ein andrer sein!
Die Fläche kräuselt sich im Abendwind,
Zergangen beide Bilder! Rudre, Kind!
XLVI
Schweizer und Landsknechte
Heut hat man mit Soldaten mir getischt.
Ein ungebunden Volk. Mich hat's erfrischt.
Päpstler und Ketzer saßen im Verein
Bei unsrer lieben Frauen Klosterwein.
Sie kamen eben braun und beuteschwer
Bergüber aus der welschen Sonne her.
Gleich frug ich einen, der ein Pflaster trug:
Bekenn, daß dich ein frommer Landsknecht schlug!
Unsinn, daß ihr euch täglich reizt und rauft,
Landsknecht und Schweizer, beide deutsch getauft!
– »Warum, Herr Ritter, ich vom Leder zog?
Weil Heini Wolleb mein Gefühl betrog.
Zum Imbiß saßen unser zwanzig da
In den ›Drei Königen‹ von Mantua.
Rings Pfuhl und Wall. Das Fieber hauchte schwül.
Am Seelisberge, dacht ich, weht es kühl.
Da brüllt's. Ein langgezogen ehrlich Muh.
Mich denkt's der braunen Lisli, unsrer Kuh.
Und wieder brüllt's. Nun kommt mir in den Sinn
Die andre Lisli auch, die Melkerin.
Zum dritten muht's. Aufblickt der Ürnersee,
Scharf blitzt am Himmel ein Gezack von Schnee.
Mir tropft das Aug. Da lacht der Jauch: ›Du Stier,
Ein Landsknecht brüllt. Kein Rindlein graset hier.‹
Ich fuhr empor: ›Bei meinem Eid und Schwur!
So täuschend muht der Heini Wolleb nur!‹
Ins Freie rannt ich. Um die Ecke strich
Der Heini grinsend und verhöhnte mich.
›Steh, Heinz!‹ Er stand und ehrlich fochten wir,
Wie Zeugnis gibt das schwarze Pflaster hier.
In sumpf'gem Mantovanerboden ruht
Der Heini, der so trefflich hat gemuht.
Ehrbarer Ritter, reichet mir die Hand,
Und wäre sie geächtet und gebannt!
Hier haust Ihr ungekränkt im Firnelicht,
Nur muhet, Herr, auf Eurer Insel nicht!«5
XLVII
Vermächtnis
Der Florentiner brummte vor sich her:
»Der Fremde Treppen, ach wie steil, wie schwer!«
Hier sing ich außerm Reich und doch im Reich:
Der Schweizerrasen tritt sich leicht und weich!
Deutschland, vergiß nicht, wer dem Hutten bot
Den letzten Boden und das letzte Brot!
Zu arm bin ich zu einem Gastgeschenk,
So bleibe meiner Schuld du eingedenk!
XLVIII
Abendstimmung
Des Morgens lacht wie eine junge Frau,
Streng blickt am Abend meine Ufenau,
Durch Flutendunkel geisterhaft gestreckt,
Von nahen Bergesschatten zugedeckt.
Lang hat sich das Soldatenschiff ergetzt
An einem Echo. Beide schweigen jetzt
Verklungen ist der Vesperglocke Schall,
Ein dunkler Friede waltet überall.
Wär ich ein Jüngling voller Leidenschaft,
Beängstigt von der eignen Lebenskraft,
In Tränen löste sich, was bang und wild
Ein junges Herz bestürmt, vor diesem Bild.
Nun hab ich handelnd meine Glut gedämpft,
Den Vesperfrieden hab ich mir erkämpft
Und schreite, wann du, Sonne, dich entfernst,
Getrost durch diesen tiefen Abendernst.
In den gestrengen Zügen der Natur
Empfind ich die verwandte Seele nur.
XLIX
Nachtgespräch
Mit glühnden Spuren ist der Tag entflohn,
Am Himmel blitzen frühe Sterne schon.
Der Alte sitzt auf seiner Lieblingsbank:
Du träumest, Pfarrer? Rück ein wenig! Dank.
Was schaust verzückt du auf zum Himmelszelt?
Was siehst du droben? – »Ritter, Welt an Welt!
Erfahrt, daß unter uns, die wir bemüht
Um die Natur sind, ein Geheimnis glüht!
Mir hat's ein fahrnder Schüler anvertraut.
Neigt Euch zu mir! Man sagt's nicht gerne laut.
Ein Chorherr lebt in Thorn, der hat gewacht,
Bis er die Rätsel deutete der Nacht.
Herr Köpernik beweist mit bünd'gem Schluß,
Daß – staunet – unsre Erde wandern muß!
Wißt, um die Fürstin Sonne kreisen wir
Und glaubten dienend uns umkreist von ihr!
Ihr meint, wir sitzen ruhig hier? Erlaubt –
Wir schweben, wie von Adlerkraft geraubt!
Nicht wandern, Ritter, wir allein! Erhebt
Das Haupt! Der ganze Himmel zieht und lebt!
Ein Kreis von Pilgern ist's, der uns umringt,
Von denen jeder sanft den andern zwingt,
Und unser Sternlein ist in dieser Schar
Wohl einer der geringsten Pilger gar.
Wir nahmen Welt und Himmel uns zum Raub,
Wir wähnten uns das All und sind ein Staub.
Doch besser als ein König und allein
Ist Bürger eines großen Reichs zu sein.
Mit höhern Welten bringt uns unser Gang
In einen leuchtenden Zusammenhang!
Ein neues Leben wird uns aufgetan
Auf hellern Stufen nach durchlaufner Bahn.
Ich lieb Euch, Hutten, und ich möchte gern
Euch wiedersehn auf einem schönern Stern.
Je näher dem Gestirn, das ewig ruht,
Um desto reiner wird die Liebesglut.
Die Leiter ist's, die Jakob einst erblickt.
Ihr lächelt, Ritter? Red ich ungeschickt?
Ist's zu begehrlich, was mir ahnen will?
Ins Dunkle blicket Ihr und bleibet still...«
– Auf Ufnau, Pfarrer, ist der Abend kühl.
Ruhsame Nacht! Ich suche meinen Pfühl
Und laß Euch mit den Sternen jetzt allein,
Ich möchte morgen wieder wacker sein.
Erst dien ich aus auf Erden meine Zeit
Und bin ich dannzumal nicht dienstbefreit,
Verteilt man auf den Sternen neues Lehn –
Wohlan! ich denke meinen Mann zu stehn.
L
Mythos
»Herr Ritter, habt Ihr, sagt mir's im Vertraun,
Jüngst eines Mönchleins Ohren abgehaun?
Ist's wahr, wo blieb der feine Humanist
Bei der Zyklopentat? Wo blieb der Christ?
Ihr seid ein prächt'ger Hausgeselle zwar,
Doch habt Ihr ein gefährlich Augenpaar:
Im Zwiegespräche leuchtet's heiter mild,
Derweil Ihr sinnt und brütet, droht es wild.
Sagt, tapfrer Ritter, wispert mir ins Ohr,
Ob jenes arme Pfäfflein seins verlor?«
– Pfarrer, Kritik! Bin ich ein Polyphem?
Nie hab ein Glied gekappt ich irgendwem.
Erwirbt ein Erdensohn sich Lob und Preis,
Gleich bildet sich um ihn ein Sagenkreis.
Dem Pfaffen, merkt, hab ich das Haar gerupft,
Den fetten Ohrenlappen auch gezupft –
Das, Pfarrer, ist geschichtlich aufgehellt,
Das andre spielt in schwanker Fabelwelt.
LI
Der Pfarrer
Ein müdes Ruder rauscht. Der Pfarrer kehrt
Zurück, mit einem Pflanzenbund bewehrt.
Hier hoch am Etzel wächst ein kräftig Kraut,
Davon er mir ein heilsam Tränklein braut.
Noch weht die Abendluft nicht allzu frisch –
Im Freien rüst ich beiden uns den Tisch.
Hieher! Dir ist gedeckt! Nimm's nicht genau!
Noch fehlt die Wirtin auf der Ufenau.
Trotz deinem grauen Barte mußt du frein!
So reihst du dich der neuen Pfaffheit ein!
Ob diese neue Pfaffenart gedeiht
Und was sie taugt, ist ein Problem der Zeit...
– »Der neuen Pfaffheit wünsch ich alles Heil,
Mir selbst erkür ich doch ein ander Teil.
Mich treibt's aus meinem kirchlichen Beruf
Hinaus zu Dem, der mich ernährt und schuf,
Der heute noch gelind auf Erden geht,
Von seinem Blauen Mantel weit umweht.
Der Kirche schwere Fragen sind verwirrt,
Und ewiglich verdammt ist, wer sich irrt.
Die laß ich ohne Harm auf sich beruhn
Und halte mich zu meinen Pflanzen nun.
Die Körper heilen sei mein künftig Amt,
Zur Sühne, daß ich Seelen einst verdammt!
Ein großer Arzt, der hier im Land verkehrt,
Hat mich der Kräuter stille Kraft gelehrt.
Von Paracelso habt Ihr, Ritter, schon
Gehört, der Mutter Erde Lieblingssohn,
Dem sie geschäftig ihre Horte zeigt,
Dem plaudernd kein Geheimnis sie verschweigt?
Unfern von hier am Etzel hält er Haus.
Ich sandte neulich einen Boten aus
Und lud nach Ufenau den Wundermann
Und tröste mich, daß er Euch helfen kann.
Ihr zuckt die Achseln... Seine Kunst ist groß,
Und, Ritter, Ihr seid gar zu glaubenslos!«
Das Todesurteil
LII
Paracelsus
Gibt's auf der Welt ein Herz so männlich fest,
Das sich von Hoffnung nicht betören läßt?
Was mir der Freund von Paracelsus sprach,
Das flog mir wie ein lichter Falter nach,
Das senkte sich, mir selber unbewußt,
Ein treibend Keimlein in die sieche Brust.
Ich sehnte mich, bis der Gewünschte kam,
Wie Mägdlein blicken nach dem Bräutigam.
Heut war er da. Ich lag erbärmlich krank
Im Eichenschatten auf der Rasenbank.
Er tat, als würd er meiner nicht gewahr,
Doch streifte mich sein scharfes Augenpaar.
Er nahm den Pfarrer dort am Strand beiseit
Und sprach zu ihm geheim mit Heftigkeit.
Er hat ein abenteuerlich Gesicht,
So denk ich mir den ernsten Forscher nicht.
Ich lauschte hin. Ob er mir Rettung schafft?
Und ich vernahm: »Es fehlt die Lebenskraft!«...
Mein feines Ohr hat flüstern ihn gehört:
»Hier ist ein edles Organon zerstört«...
Indem verstohlen er herübersah,
Raunt' schnell er: »Facies hippocratica!«...
Was spricht der Geck das liebe Deutsch nicht rein
Und mischt so garst'ge fremde Brocken ein!
Er trat heran, er bot die Rechte mir,
Er sprach mit Pomp: »Ich grüße Deutschlands Zier!«
Er nannte mich der Freiheit Turm und Hort,
Von meiner Krankheit redet' er kein Wort.
Mir deucht', daß sich ein Seufzer ihm entwand,
Als seinen Finger ich am Puls empfand.
Drauf hat er meine Verse mir gerühmt,
Der Narr. Er hieß sie »stolz« und »reich beblümt«.
»Die Ufnau«, sprach er, »wird durch Euch bekannt
Und noch von Kind und Kindeskind genannt.
Nicht einsam lebt Ihr auf dem Eiland hier,
Bevölkert mit Gedanken habt es Ihr!«
Ich dachte: Wie zu dir dein Name paßt!
Bombastus nennst du dich – und sprichst Bombast!
Ihm gab ich das Geleit bis an den Kahn,
Dann stieg den Hügel langsam ich hinan.
Es war ein goldner Morgen im August,
Das zweite Gras gedieh mit Kraß und Lust!
Die ganze dichte blühnde Wiese klang
Und wogt' und schwirrt' und flattert', zirpt' und sang.
Ich schritt in Halm und Blumen, überflammt
Von süßem Sonnenlicht – zum Tod verdammt!
Da warf ich in die duft'ge Wiese mich,
Verbarg das Haupt und weinte bitterlich
Und lange lag ich still im grünen Tal,
Mein eigen Bildnis oder Grabesmal.
LIII
Die Beichte
Hier schreit ich über meinem Grabe nun –
Hei Hutten, willst du deine Beichte tun?
's ist Christenbrauch. Ich schlage mir die Brust.
Wer ist ein Mensch und ist nicht schuldbewußt?
Mich reut mein allzu spät erkanntes Amt!
Mich reut, daß mir zu schwach das Herz geflammt!
Mich reut, daß ich in meine Fehden trat –
Mit schärfren Streichen nicht und kühnrer Tat!
Mich reut die Stunde, die nicht Harnisch trug!
Mich reut der Tag, der keine Wunde schlug!
Mich reut – ich streu mir Aschen auf das Haupt –
Daß nicht ich fester noch an Sieg geglaubt!
Mich reut, daß ich nur einmal bin gebannt!
Mich reut, daß oft ich Menschenfurcht gekannt!
Mich reut – ich beicht es mit zerknirschtem Sinn –
Daß nicht ich Hutten stets gewesen bin!
LIV
Göttermord
Heut aber tat ich, was die Frommen freut:
Entgöttert meine Schriften hab ich heut
Wo »Zeus« und »Herakles« zu lesen stand,
Schrieb »Jesus Christus« ich mit fester Hand.
Statt »Nektarkrügen« und statt »Bacchanal«
Setzt stracks ich »Abrams Schoß« und »Himmelssaal«.
Kein einz'ger Griechenschwur und Römerfluch
Prangt mehr in meinem Dialogenbuch.
Ich löge, sagt ich, wenn mir Bann und Acht
Des Heidenhimmels großen Kummer macht.
Das Wiesenbächlein flutet leicht und hell,
Was braucht's, daß eine Nymphe bad im Quell?
Brennt Herz und Stirn dem Zecher minder heiß,
Der nichts vom Kranz des Dionysos weiß?
Schiert's, ob man einen Sohn des Mars ihn tauft,
Den deutschen Knecht, der todeslustig rauft?
Was heißt: »Ich weihe dich der Furienschar?«
»Der Teufel hole dich!« ist kurz und klar.
Heut komm ich heim aus einer tapfern Schlacht:
Ich habe Götz und Götzin umgebracht!
LV
Das fallende Laub
Heut klang ein Beil den ganzen Morgen laut
Und bis zum Abend fort. Der Schaffner baut.
Ein Vordach nur, doch mocht ich's gerne sehn,
Ist's doch ein Werden, ist's doch ein Entstehn!
Da war ein Zimmrer, der es wacker trieb
Und seinen Balken säuberlich behieb.
In guten Treuen mühte sich der Mann,
Daß ihm das Wasser von der Stirne rann.
Am Abend kam der Zimmermeister leis,
Mit langgelocktem Bart ein güt'ger Greis,
Und rührt' dem Knecht, der nimmer wollte ruhn,
Die Schulter mahnend: »Lieber, feire nun!«
Jetzt ward die Stätte leer; ich aber schlich
Hinaus und auf den Balken setzt ich mich.
Betrachtend das behaune Tannenstück,
Dacht ich ans eigne Tagewerk zurück...
Ich starrte nieder, der Gedanken Raub,
Da traf die Schulter mir ein fallend Laub.
Mich schauderte, da ich das Blatt gespürt,
Als hätte mich des Meisters Hand berührt
Und mich gemahnt: Genug! Die Sonn ist fern,
Geh ein, du Knecht, zur Ruhe deines Herrn!
LVI
Reife
Es wendet sich das Jahr, die Welle raucht,
Mein Eiland ist in Morgenduft getaucht.
Vor mir in herbstlicher Verschleierung
Bewegt sich einer Barke Ruderschwung.
Herüber glänzt durch schwankes Nebelspiel
Die hochgetürmte Burg von Rapperswyl.
Zu Häupten mir durch hellre Schleier bricht
Das süße Blau, das warme Sonnenlicht;
Und schwerer hangt die Traube schon am Schaft,
Sie schwillt und läutert ihren Purpursaft,
Sie fördert ihre Reife früh und spat –
Was meinst du, Hutten? Auch die deine naht!
Dämonen
LVII
Der wilde Hutten
Glückselig schreit ich hier im Abendglanz,
In klaren Lüften zittert Mückentanz.
Das Heute war so sonnig, wolkenrein,
Das Morgen wird noch wolkenloser sein.
Ein Zug von Tagen warm und wonniglich
Geleitet zu den Todesschatten mich.
So heiter glaubt ich nicht davonzuziehn,
Der wilde Hutten fährt in Frieden hin.
Nicht allzu köstlich, reiche Erde, hast
Du mich bewirtet, deinen armen Gast!
Nun nehm ich Urlaub und zur Scheidezeit
Erweisest du mir alle Lieblichkeit,
Nun geh ich und du sprichst mit leichtem Sinn:
Du wanderst, Hutten? Sieh, wie schön ich bin!
LVIII
Herzog Ulrich
Er war's! Mir pocht das Herz von Groll bewegt
Und jede Fiber zittert aufgeregt.
Er war's! Er stand auf meiner Friedensstatt,
Der mir den Vetter Hans erschlagen hat,
Der ihm, zu seinem Weib entbrannt in Lust,
Den Degen meuchlings rannte durch die Brust,
Der ihm, da bang er mit dem Tode rang,
Ein Henker! um den Hals den Gürtel schlang,
Den ich vertrieb von seiner Väter Herd,
Mit meines Gurts und meiner Rede Schwert,
Auf dessen Spur ich wies den Furienchor,
Auf dessen Scheitel ich die Acht beschwor...
Ich saß im Hauskleid still am Hügelrand,
Ein philosophisch Büchlein in der Hand,
Da hört ich einen Fremden halb bezecht
Den Schaffner loben, wie man lobt den Knecht.
Ich kannte dieser hohen Stimme Schrein!
Er lachte widrig – er gewahrte mein.
Der Trunkne trat mit vollem Humpen vor –
Mir sträubte sich vor Graus das Haar empor;
Mich starr betrachtend, zweifelnd, ungewiß:
»Trink«, schrie er, »siecher Bettler und vergiß!«
Ich bin der Hutten, rief ich, den du kennst!
Er lallte: »Grabentstiegenes Gespenst!«
Ihn stieß ich weg, daß er den Wein vergoß,
Der purpurn über seine Hände floß.
Mit roten Händen, wie im Walde dort
Von meines Vetters Leiche, stürzt' er fort.
Verschollen bin ich auf der Erde schon!
Er wußte nicht, daß ich hieher geflohn.
Warum betrat er meine Friedensflur,
Der Bösewicht, dem ich Verderben schwur?
Der Schaffner wirbt! Schon lange weiß ich drum!
Es treibt sich öfter hier Gesindel um.
Zum Lachen ist's! An meinem Sterbehaus
Hangt Herzog Ulrichs Werbefähnlein aus!
Um Blut gefeilscht wird neben meiner Gruft
Und Schweizerlanzen führen heim den Schuft.
Es scheint, er ist in Zürich angesehn,
Man sieht ihn fleißig in die Predigt gehn.
Doch Ulrich Zwinglis lautres Auge kennt
Den Mann, in dessen Blick die Hölle brennt.
Er weiß, daß dieser wohlbeschaffne Christ
Ein Mörder und ein Ehebrecher ist.
Ich tat Bekenntnis meinem Glück zum Trutz,
Der schnöde Bube tut's aus Eigennutz!
Was mir aus tiefstem Herzen quoll empor,
Hält dieser Heuchler sich als Larve vor!
Mit Christi Jüngern sitzt im Tischverband
Wie Judas er, den Beutel in der Hand.
Der Schurke nahm den reinen Glauben an;
Potz Blut und Wunden, er hat wohlgetan!
Der Meuchler hat das reine Wort bekannt!
Darüber jubiliert das Schwabenland!
Der Gleisner Ulrich zahlt – es ist bequem –
Nicht für den Ulrich mehr von ehedem!
»Rom oder Luther«, spottet er beim Wein,
»Schuh oder Stiefel – Herzog will ich sein!«
Ich glaub's, daß er in Stuttgart Einzug hält –
Wer thront im Himmel? Wer regiert die Welt?
Wir stehn in gleichem Lebensalter schier,
Um zehen Jahre schien er jünger mir!
Er ist in voller Manneskraft erblüht,
Ich welke mit verbittertem Gemüt!
Ich büße leichte Jugendsünde schwer,
Den Fluch des Bösen überwindet er!
Er atmet unbeklommen, altert heil,
Und ich? Mir keucht die Brust – das Grab mein Teil!
Er wird von einem guten Sohn geehrt,
Wann längst mich ekles Erdgewürm verzehrt...
Dort gleitet durch die Flut des Mörders Boot –
Kein Wetter brütet, keine Wolke droht!
Gerechtigkeit, bist du nicht außer Amt,
Wirf einen Blitz, der tötend niederflammt!
Dort fährt ein Mörder! Hör, Gerechtigkeit,
Was dir der Hutten in die Ohren schreit!
Der Himmel lacht in unverwölktem Licht –
He, hast du Ferien, himmlisch Hofgericht?
Die Waage falsch! Gefälscht das Schuldenbuch!
Wie Wetterlaunen walten Heil und Fluch –
Halt! Frevle nicht! Die Lästrung sei verweht!
Beleid'ge, Hutten, nicht die Majestät!
LIX
Sturm und Schilf
Mit Gott zu hadern ist nicht wohlgetan,
Es lockt Gesellschaft von Dämonen an.
Durch meine Fensterluke späh ich vor,
Der Wurf der Welle sprüht zu mir empor.
Den schwarzen Riesenbaum am Inselhorn
Umlodert flammender Gewitterzorn.
Aufrauscht's im Schilf, wild fährt der Sturm einher,
An tiefsten Lebenswurzeln rüttelt er.
Der Teufel saust im Wind und pfeift und lacht
Und meinen Namen ruft er durch die Nacht.
»Hei Hutten, der, von Wellenschaum umspritzt,
Auf einer öden Klosterinsel sitzt!
Du gleichst dem Helden deines Scherzgedichts,
Du bist der Niemand und zerrinnst in Nichts!
Der du gedurstet und gehungert hast,
Hinweg! Mach Raum für einen klügern Gast!
Dir schlag ich eine Grabesinschrift vor:
›Er focht für Wolken und er war ein Tor.‹
Fahr hin! Doch eh du stirbst, der Welt ein Spott,
Erleichtre dir das Herz und lästre Gott!«
Gebärde, Teufel, dich nicht allzu wild!
Entgegen halt ich dir des Glaubens Schild!
Den lichten Helm des Heils zerspellst du nicht
Mit deinen Feuerpfeilen, Bösewicht!
Ein Gutes gibt's! Du bist mir ärgerlich
Und eine Wahrheit! Teufel, hebe dich!
Gesättigt wird das menschliche Geschlecht
Mit Wahrheit werden und getränkt mit Recht!
Der Sturm verstummt.
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