Später aber habe ich meine ‚Jungens‘ mit hergenommen, wo wir nun unsere Häute sammeln und dem Schrecken des Winters trotzen können.“

Noch während der letzten Worte tönte ein gellender Pfiff weit über den grünenden Plan, und kaum war er erklungen, so öffneten sich an verschiedenen Stellen ringsum die Büsche, und es kamen eine Anzahl Gestalten zum Vorschein, denen man das Bürgerrecht des Westens auf mehrere tausend Schritte anzusehen vermochte.

Wir trabten der Mitte des Platzes zu und waren bald von den Leuten umringt, welche ihre Freude über die Ankunft Old Firehands in den kernigsten Ausdrücken kundgaben.

Mitten in dem Lärm, der allerdings nur in dieser vollständigen Abgeschlossenheit erlaubt sein konnte, sah ich Winnetou beschäftigt, sein Pferd, von welchem er gestiegen war, abzusatteln. Als dies geschehen war, gab er dem Tier mit einem leichten Schlag die Weisung, sich um das Abendbrot zu kümmern, nahm Sattel, Zaum und Decke auf die Schulter und schritt davon, ohne die Umstehenden eines Blicks zu würdigen.

Ich folgte, da unser Anführer zu sehr in Anspruch genommen war, um sich jetzt viel mit uns beschäftigen zu können, seinem Beispiel, machte den braven Swallow vollständig frei und unternahm, die neugierigen Frager kurz abfertigend, eine Rekognition des Platzes.

Wie eine riesenhafte Seifenblase waren die Gesteinsmassen bei der Bildung des Gebirges von den plutonischen Gewalten emporgetrieben worden und hatten bei ihrem Zerplatzen eine hohle, nach oben offene und von außen unzugängliche Halbkugel gebildet, welche dem eingesunkenen Krater eines ungeheuren Vulkans glich. Luft und Licht, Wind und Wetter waren dann beschäftigt gewesen, den harten Boden zu zersetzen und der Vegetation zugänglich zu machen, und die angesammelten Wassermengen hatten sich nach und nach durch die eine Seite der Felswand gebohrt und den Bach gebildet, welcher heut' unser Führer gewesen war.

Ich wählte zu meinem Gang den äußersten Saum des Tals und schritt zwischen dem Gebüsch und der meist senkrecht aufsteigenden, oft sogar überhängenden Felswand entlang. In derselben bemerkte ich zahlreiche mit Tierfellen verschlossene Öffnungen, welche jedenfalls zu Wohnungen oder Lagerräumen führten, deren die Jägerkolonie ja notwendig bedurfte.

Jedenfalls bestand dieselbe aus mehreren Personen, als sich uns bei dem Empfang gezeigt hatten, wenigstens konnte ich das aus der Anzahl der Squaws schließen, welche ich während meines Gangs erblickte; aber die meisten waren jedenfalls auf Jagdzügen abwesend und kehrten erst bei Beginn des Winters, dessen Nahen allerdings in nicht mehr langer Zeit zu erwarten war, zurück.

Während ich so dahin schlenderte, bemerkte ich auf einer, der wie es schien, unbesteigbaren Klippe eine kleine, aus knorrigen Ästen aufgeführte Hütte. Von ihr aus mußte das ganze Tal mit allen seinen Einzelheiten vollständig zu überschauen sein, und ich beschloß hinaufzusteigen. Bald fand ich, wenn auch keinen Pfad, so doch die Spuren von Fußtritten, die sich da hinaufgearbeitet hatten, und folgte ihnen empor.

Nur noch eine kurze Strecke hatte ich zurückzulegen, da sah ich aus der schmalen und niederen Tür einen Mann schlüpfen, welcher wohl kaum durch mein Kommen gestört worden sein konnte; denn er bemerkte mich gar nicht und trat, den Rücken mir zugewendet, an den Rand des Felsens und warf, das Auge mit der erhobenen Hand beschattend, einen Blick hinunter in die Tiefe.

Er trug ein buntes, starkstoffiges Jagdhemd, an der äußeren Naht von der Hüfte bis zum Knöchel mit Fransen verzierte Leggins (Lederbeinkleider), und die kleinen Mokassins waren reich mit Glasperlen und Stachelschweinsborsten besetzt. Um den Kopf war turbanartig ein rotes Tuch geschlungen, und eine ebenso gefärbte Schärpe vertrat die Stelle des gewöhnlicheren Gürtels.

Als ich den Fuß auf die kleine Plattform setzte, vernahm er das Geräusch meiner Schritte und wandte sich schnell um. War es Wahrheit oder Täuschung? Vor mir stand das Bild meiner Träume, der stetige Gegenstand meines Sinnens und Denkens, das Ziel aller meiner Wünsche und Hoffnungen, und in hellem, rückhaltlosem Jubel rief ich aus:

„Ellen! Ist's möglich?“ und trat mit rascher Bewegung auf sie zu.

Aber ernst und kalt blickte ihr Auge, stolz und unbeweglich stand ihre der Männerkleidung jedenfalls nicht ungewohnte Gestalt, und kein Zug ihres jetzt tiefgebräunten Angesichts verriet auch nur die leiseste freundliche Regung über mein Kommen.

„Wenn es nicht möglich wäre, würdet Ihr mich nicht hier treffen, Sir. Aber die Berechtigung zur Frage ist wohl mehr an mir als an Euch. Welche Ursache gab Euch die Erlaubnis, Euren Weg in unser Lager zu nehmen?“

Wie ein Strom eiskalten Wassers auf einen erhitzten Körper, so wirkten diese Worte auf mein Entzücken, das wunderbare Mädchen wiederzusehen, und kälter und gemessener als sie erwiderte ich nur das eine Wort:

„Pshaw!“ (Pah) und glitt, ihr den Rücken wendend, vorsichtigen Fußes wieder hinab.

Ich hatte in der Überraschung die reinsten und heiligsten Gefühle meines Herzens bloßgegeben und eine Demütigung erlitten, die mich tiefer traf, als es der Pfeil eines Indianers tun konnte, und die Bitterkeit, welche ich jetzt empfand, war eine ganz andere als diejenige, welche ich gefühlt hatte, als sie mich an jenem Abend so energisch von sich wies.

Es war also doch so, wie ich vermutet hatte, daß sie die Tochter Old Firehands sei, und nun war mir auch das andere so ziemlich klar. Nie hatte ich es für möglich gehalten, daß ein Weib, ein so zartes und schönes Wesen wie sie, die den Genüssen und Ansprüchen des zivilisierten Lebens ganz gewiß nicht fremd geblieben war, dieses Leben mit den Gefahren und Entbehrungen der Wildnis vertauschen könne. Daß es doch so geschehen war, mußte ganz besondere Gründe haben, und es schien mir nicht schwer, aus den einzelnen Mitteilungen, die mir gemacht worden waren, das Ganze zusammenzusetzen.

Schwieriger aber konnte ich die so deutlich gezeigte Abneigung begreifen, welche sie mir, ganz entgegengesetzt den ersten Augenblicken unserer Bekanntschaft, später an den Tag gelegt hatte. Die Behauptung Old Firehands, daß sie mich für feig gehalten habe, stimmte allerdings vollständig mit ihrer eigenen damaligen Äußerung überein; aber es war mir absolut unmöglich, zu sagen, worin diese Feigheit denn eigentlich bestanden habe. Ein besserer Menschenkenner, als ich damals war, würde die Motive ihres Verhaltens ohne Zweifel an einem ganz anderen Ort gesucht haben; doch ich war mit den Unwägbarkeiten eines Frauenherzens zu wenig bekannt, als daß ich das Richtige hätte treffen können. –

Es war Abend geworden. In der Mitte des weiten Talkessels brannte ein hoch emporzüngelndes Feuer, um welches sämtliche anwesende Bewohner des Lagers sich versammelt hatten. Ellen, welche, wie ich bald bemerkte, den Männern in jeder Beziehung gleichberechtigt war, hatte mitten unter den Jägern Platz genommen; doch dünkte es mich, daß sie von der Erzählung all der Abenteuer, welche in rascher Folge vorgetragen wurden, wenig berührt werde. Träumerisch suchten ihre Augen das Weite, und wenn sie zurückkehrten, so ruhte ihr Blick mit einem eigentümlichen Ausdruck auf meinem Angesicht, so daß auch mein Auge immer wieder zu ihr hinübergezogen wurde.

Auch ich hörte nur mit halben Ohr auf die Worte der Erzählenden. Ich konnte die Empfindung nicht los werden, als sei ich der Held eines jener phantastischen Märchen, welche ihre Gestalten der Einbildungskraft des Dichters entnehmen und grad desto interessanter sind, je unmöglicher die Ereignisse genannt werden müssen, welche sie erzählen. Wie eine der verzauberten Prinzessinnen, welche, verfolgt von dem Fluch einer bösen Fee, herabsteigen mußten von blinkender Höhe, um in unscheinbarer Gestalt des Erretters zu warten, lag sie vor mir, und ich fühlte in diesem Augenblick, daß ich für sie zu jeder Anstrengung, zu allem, allem fähig sei, was ein Mann nur zu tun vermag für das Weib, dem jeder Pulsschlag seines Herzens gewidmet ist.

Aber was half mir diese Liebe einem Wesen gegenüber, welches eine so in die Augen fallende Abneigung für mich an den Tag legte? Ich stand auf und schritt in das Dunkel hinaus, über welches sich der klare, sternenvolle Himmel ausbreitete.

Ein leises, freudiges Wiehern am Saum des Gebüschs, welches den Bach berandete, rief mich zu Swallow, welcher mich erkannt hatte und nun den Kopf zärtlich an meiner Schulter rieb. Er war mir doppelt lieb geworden, seit er sie durch Glut und Feuer getragen, und liebkosend drückte ich meine Wange an seinen schlanken, weichen Hals.

Ein kurzes Schnaufen seiner Nüstern, welches mir als Warnungszeichen bekannt war, ließ mich zur Seite blicken. Eine männliche Gestalt kam auf uns zugeschritten, und ich sah den Zipfel des um den Kopf geschlungenen Tuches sich bewegen. Es war Ellen.

„Verzeiht, wenn ich störe“, klang ihre tiefe, jetzt etwas unsichere Stimme. „Ich dachte an Euren Swallow, welchem ich das Leben zu danken habe, und wollte das brave Tier gerne begrüßen.“

„Hier steht es, Miß. Ich werde die Herzlichkeit dieser Begrüßung nicht durch meine Gegenwart beeinträchtigen. Good night!“

Ich wandte mich zum Gehen, hatte aber kaum ein Dutzend Schritte getan, als ich ihren halblauten Ruf vernahm.

„Sir!“

Ich blieb stehen. Zögernden Fußes kam sie mir nach, und das eigentümliche Vibrieren ihrer Stimme verriet die Verlegenheit, welche sie nicht so schnell überwinden konnte.

„Ich habe Euch beleidigt!“

„Beleidigt?“ erwiderte ich kühl und ruhig; „Ihr irrt, Miß. Der Mann kann einer Dame gegenüber wohl Nachsicht, nie aber das Gefühl des Beleidigtseins empfinden.“

Es dauerte eine Minute, ehe sie eine Antwort auf diese vielleicht unerwarteten Worte fand.

„Dann verzeiht meinen Irrtum.“

„Gern; ich bin an ihn gewöhnt.“

„Eure Nachsicht werde ich wohl nicht wieder in Anspruch nehmen.“

„Sie steht Euch trotzdem zu jeder Zeit zur Verfügung.“

Schon wollte ich mich wieder abwenden, als sie mir mit einem schnellen Schritt nahe trat und die Hand auf den Arm legte.

„Lassen wir Persönlichkeiten jetzt unberührt. Ihr habt mit der größten Gefahr für Euer eigenes Leben mir dasjenige meines Vaters an einem Abende zweimal erhalten; ich muß Euch danken, und wenn Ihr noch so böse und abstoßende Worte sprecht.“

Warm und weich legten sich ihre Finger um meine Hand, und der Hauch ihres Atems berührte mein Gesicht. Ihre großen, offenen Augen blickten voll und forschend in die meinigen; je länger dieser magische Blick auf mir ruhte, desto näher zog er mich zu ihr, und ich mußte mich bezwingen, um nicht meine Arme um sie zu legen und denselben Fehler zu begehen, der sie in New Venango von mir gescheucht hatte.

„Jeder ‚Westmann‘ ist zu dem bereit, was ich getan habe, und es geschehen noch ganz andere Dinge als das, was Ihr da erwähnt. Was der eine für den anderen tut, ist ihm von noch anderen vielleicht schon zehnfach geschehen und kaum der Rede wert.