Werdet später erst sehen, was es heißt, daß ich ihn Euch wieder zustelle. Für jetzt aber will ich Euch den Apachen schicken; seine Wache ist um. Legt Euch aufs Ohr, damit Ihr früh am Tage munter seid. Wir werden morgen einmal unsre Gäule drannehmen und zwei Tagereisen erzwingen müssen.“
„Zwei? Wollten wir morgen nicht bloß bis zum Green park?“
„Habe mich anders besonnen; good night!“
„Good guard; vergeßt nicht, mich zu wecken, wenn ich Euch abzulösen habe!“
„Schlaft nur zu! Kann's auch mal für Euch tun, die Augen offen halten; habt für mich genug getan.“
Mir war ganz wunderbar zumute. Ich wußte nicht, was ich von der Unterredung denken sollte, und als ich nun so allein dalag, gingen mir tausenderlei Vermutungen durch den Kopf, von denen ich nicht eine einzige stichhaltig fand. Lange noch, nachdem Winnetou zurückgekehrt war und sich zum Schlafen in seine Decke gewickelt hatte, warf ich mich ruhelos von einer Seite auf die andere. Die Erzählung hatte mich aufgeregt; jener fürchterliche Abend ging mit allen seinen Einzelheiten immer von neuem an meiner Seele vorüber, zwischen seinen grausigen Gestaltungen tauchte immer und immer wieder Old Firehand empor, und noch im letzten Ringen zwischen Wachen und Träumen klangen mir die Worte ins Ohr: „Schlaft nur zu; habt genug für mich getan!“ –
Als ich am anderen Morgen erwachte, fand ich mich allein am Feuer; doch konnten die beiden anderen nicht weit entfernt sein; denn der kleine, blecherne Kessel hing mit dem kochenden Wasser über der Flamme, und neben dem Stück Bärenzunge, welches gestern abend übrig geblieben war, lag der offene Mehlbeutel.
Ich wickelte mich aus meiner Umhüllung und schritt, um mich zu waschen, nach dem Wasser.
Dort standen, im eifrigen Gespräch begriffen, die Gefährten, und ihre Bewegungen, als sie mich erblickten, sagten mir, daß ich der Gegenstand ihrer Unterhaltung gewesen sei.
Kurze Zeit später waren wir zum Aufbruch bereit und schlugen eine Richtung ein, welche uns in einer Entfernung von vielleicht zwanzig Meilen vom Missouri parallel mit diesem Fluß auf das Tal des Mankizila zuführte.
Der Tag war kühl. Wir waren gut beritten, und da wir unsere Tiere während der letzten Tour geschont und immer gut gepflegt hatten, so legten wir nach und nach ein tüchtiges Stück grünes Land hinter uns.
Eigentümlich war die Veränderung, welche ich heute in dem Verhalten meiner Gefährten zu mir bemerkte. Bisher hatten sich beide zu mir gestellt wie alte, erfahrene Gönner zu einem wenn auch gelehrigen, aber doch noch unkundigen Schützling; jetzt aber lag eine deutlich erkennbare Rücksicht, ich möchte sagen Achtung, in ihrem ganzen Benehmen, und es war mir ganz so, als ob in dem Blick, den der eine oder der andere zuweilen über mich gleiten ließ, etwas von einer zurückgehaltenen Zärtlichkeit Ähnliches liege. –
Es war überhaupt augenfällig, welch beinahe liebevolle Aufmerksamkeit und Ergebenheit die zwei Leute gegeneinander zeigten. Zwei Brüder, die sich durch die Bande des Blutes mit jeder Faser des Innern aneinander gefesselt fühlen, hätten nicht besorgter füreinander sein können, und es dünkte mir, als begegne sich diese beiderseitige Fürsorge jetzt in meiner Person.
Als wir um die Mittagszeit haltmachten und Old Firehand sich entfernte, um die Umgebung des Lagerplatzes zu rekognoszieren, streckte sich, während ich den Proviant hervorholte, Winnetou an meiner Seite nieder und meinte:
„Mein Bruder ist kühn wie die große Katze des Waldes und stumm wie der Mund des Felsens.“
Ich schwieg zu dieser sonderbaren Einleitung.
„Er hat die Blume der Savanne aus dem Feuer gerissen und nicht davon gesprochen zu Winnetou, seinem Freund.“
„Die Zunge des Mannes“, antwortete ich, „ist wie das Messer in der Scheide. Es ist scharf und spitz und taugt nicht zum Spiel.“
„Mein Bruder ist weise und hat recht; aber Winnetou ist betrübt, wenn das Herz seines jungen Freundes sich ihm verschließt wie der Stein, in dessen Schoß die Körner des Goldes verborgen liegen.“
„Ist das Herz Winnetous geöffnet gewesen dem Ohr seines Freundes?“
„Hat er ihm nicht gesagt alle Geheimnisse der Prärie? Hat er ihm nicht gezeigt und gelehrt die Spur zu sehen, den Lasso zu werfen, den Skalp zu lösen und alles zu tun, was ein großer Krieger kennen muß?“
„Winnetou hat es getan; aber hat er auch gesprochen von Old Firehand, der seine Seele besitzt, und von dem Weib, dessen Andenken nicht gestorben ist in seinem Herzen?“
„Winnetou hat sie geliebt, und die Liebe wohnt nicht in seinem Mund.“
„Nun weiß wohl auch der Apache, warum sein Bruder nicht gesprochen hat von der Jungfrau, welche er genannt hat die Blume der Savanne!“
„Hat er ihr geschenkt seine Liebe?“
„Winnetou sagt es.“
„Sie sind würdig, miteinander zu wohnen im Wigwam, und der Apache wird ihnen geben eine große Medizin, welche glücklich macht und ein Schutz ist gegen jede Gefahr und die Angriffe des bösen Geistes.“
„Hat mein Bruder die Blume gesehen?“
„Er hat sie getragen auf seinen Armen, er hat ihr gezeigt die Blumen des Feldes, die Bäume des Waldes, die Fische des Wassers und die Sterne des Himmels; er hat sie gelehrt, den Pfeil vom Bogen zu schießen und das wilde Roß zu besteigen; er hat ihr geschenkt die Sprachen der roten Männer und ihr zuletzt gegeben das Feuergewehr, dessen Kugel getötet hat Ribanna, die Tochter der Assineboins.“
Erstaunt blickte ich ihn an. Es dämmerte eine Ahnung in mir auf, der ich kaum Worte zu geben wagte, und doch hätte ich es vielleicht getan, wenn nicht gerade jetzt Old Firehand zurückgekehrt wäre und unsere Aufmerksamkeit auf das Mahl gerichtet hätte. Aber während desselben mußte ich immerfort an die Worte Winnetous denken, aus denen in Verbindung mit dem, was Ellen mir gesagt hatte, fast hervorging, daß Old Firehand ihr Vater sei. Das Benehmen desselben bei meiner Erzählung am gestrigen Abend stimmte allerdings mit dieser Vermutung überein; aber er hatte von diesem Vater als von einem dritten gesprochen und nichts gesagt, was meine Vermutung zu einer festen Überzeugung machen konnte.
Nach einigen Stunden der Ruhe brachen wir wieder auf. Als ob unsere Tiere wüßten, daß ein Ort mehrtägiger Erholung vor ihnen liege, trabten sie munter dahin, und wir hatten eine ziemliche Strecke zurückgelegt, als mit der hereinbrechenden Dämmerung der Höhenzug, hinter welchem das Tal des Mankizila liegt, uns so nahe getreten war, daß das Terrain sich zu erheben begann und wir uns durch eine Schlucht bewegten, welche, wie es schien, uns senkrecht auf den Lauf des Flusses führen mußte.
„Halt!“ tönte es da plötzlich aus den zur Seite stehenden Cattonsträuchern hervor, und zu gleicher Zeit ward zwischen den Zweigen der Lauf einer auf uns gerichteten Büchse sichtbar.
„Wie heißt das Wort?“
„Tapfer!“
„Und?“
„Verschwiegen“, gab Old Firehand die Parole, indem er mit scharfem Blick das Gesträuch zu durchdringen suchte. Bei dem letzten Wort teilte sich dasselbe und ließ einen Mann hindurch, bei dessen Anblick ich mich eines leisen Lächelns nicht erwehren konnte.
Unter der wehmütig herabhängenden Krempe eines Filzhutes, dessen Alter, Farbe und Gestalt selbst dem schärfsten Denker einiges Kopfzerbrechen verursacht haben würde, blickte zwischen einem Wald von verworrenen, schwarzgrauen Barthaaren eine Nase hervor, welche fast von erschreckenden Dimensionen war und jeder beliebigen Sonnenuhr als Schattenwerfer hätte dienen können. Infolge des gewaltigen Bartwuchses waren außer diesem so verschwenderisch ausgestatteten Riechorgan von den übrigen Gesichtsteilen nur die zwei kleinen, klugen Augen zu bemerken, welche mit einer außerordentlichen Beweglichkeit begabt zu sein schienen und mit einem Ausdruck von schalkhafter List von einem zum anderen von uns dreien sprangen.
Diese Oberpartie ruhte auf einem Körper, welcher uns bis auf das Knie herab vollständig unsichtbar blieb und in einem alten, bockledernen Jagdrock stak, welcher augenscheinlich für eine bedeutend stärkere Person angefertigt worden war und dem kleinen Mann vor uns das Aussehen eines Kindes gab, welches sich zum Vergnügen einmal in den Schlafrock des Großvaters gesteckt hat. Aus dieser mehr als zulänglichen Umhüllung guckten zwei dürre, sichelkrumme Beine hervor, welche in ausgefransten Leggins staken, die so hochbetagt waren, daß sie das Männchen schon vor einem Jahrzehnt ausgewachsen haben mußte, und dabei einen umfassenden Blick auf ein Paar Indianerstiefel gestatteten, in welchen zur Not der Besitzer in voller Person hätte Platz finden können.
In der Hand trug der Mann eine alte Rifle, die ich nur mit der äußersten Vorsicht angefaßt hätte, und als er sich so mit einer gewissen Würde auf uns zu bewegte, konnte ich mir keine größere Karikatur eines Präriejägers denken, als ihn. –
„Sam Hawkens!“ rief Old Firehand. „Sind deine Äuglein blöde geworden, so daß du mir die Parole abverlangst?“
„Meine es nicht, Sir! Halte aber dafür, daß ein Mann auf Posten auch zuweilen zeigen muß, daß er die Losung nicht vergessen hat. Willkommen im Bayou, Mesch'schurs! Wird Freude geben, große Freude.“
„Wer von den Männern ist vorhanden?“ fragte unser Anführer, indem er ihm vom Pferd herab die Hand schüttelte.
„Alle, außer Bill Bulcher, Dick Stone und Harris, meine ich, die fort sind, um ‚Fleisch zu machen‘. Die kleine Lady ist auch gekommen, und wenn ich recht gesehen habe, ein wenig groß geworden.“
„Weiß es, weiß es, daß sie da ist. Wie ist's sonst gegangen? Gab's Rothäute?“
„Danke, danke, Sir, könnte mich nicht besinnen, welche gesehen zu haben, obgleich“ – setzte er auf sein Schießinstrument deutend, hinzu – „Liddy Hochzeitsgedanken hat.“
„Und die Fallen?“
„Haben gute Ernte gehabt, sehr gute, wenn ich mich nicht irre. Könnt's selbst sehen, Sir; werdet wenig Wasser im Tor finden, meine ich.“
Er drehte sich um und schritt, während wir weiterritten, seinem Versteck wieder zu.
Die kleine Szene hatte mir gezeigt, daß wir in der Nähe der ‚Festung‘ angekommen seien; denn Sam Hawkens stand jedenfalls als Sicherheitswache in kurzer Entfernung vom Zugange zu derselben, und mit Aufmerksamkeit musterte ich die Umgebung, um denselben zu entdecken.
Jetzt öffnete sich links eine enge Kluft, welche von so nahe aneinandertretendem und oben von Brombeerranken überdachtem Gestein gebildet wurde, daß man beide Seitenwände mit den ausgespreizten Händen erreichen konnte. Die ganze Breite des Bodens nahm ein Bach ein, dessen hartes, felsiges Bett nicht die geringste Spur eines Fußes wiedergeben konnte und sein klares, durchsichtiges Wasser in das Flüßchen leitete, an dessen Rand wir in das Tal emporgeritten waren. Old Firehand bog hier ein, und wir folgten, langsam gegen den Lauf des Wassers reitend. Jetzt verstand ich auch die Worte des Postens, daß wir wenig Wasser im Tor finden würden.
Kurze Zeit nur hatten wir die Richtung eingeschlagen, als die Felsen zusammenrückten und uns in so geschlossener Masse entgegentraten, daß der Weg hier zu Ende zu sein schien. Aber zu meinem Erstaunen ritt Old Firehand immerzu, und ich sah ihn mitten durch die Mauer verschwinden. Winnetou folgte, und als ich die rätselhafte Stelle erreichte, bemerkte ich nun allerdings, daß die dichten, von oben herabhängenden Efeuranken nicht eine Bekleidung des Steins, sondern einen Vorhang bildeten, hinter welchem die Öffnung tunnelartig fortlief und in dichte Finsternis führte.
Lange, lange Zeit und in verschiedenen Krümmungen folgte ich den beiden Voranreitenden durch das Dunkel, bis endlich wieder ein matter Tagesschein vor mir auftauchte, und wir in eine ähnliche Kluft kamen, wie diejenige, durch welche wir uns vorhin gewunden hatten.
Als dieselbe sich öffnete, blieb ich überrascht halten, und auch Winnetou ließ ein erstaunendes „Uff“ hören.
Wir befanden uns nämlich am Eingang eines mächtigen und weitausgedehnten Talkessels, welcher rings von ungangbaren Felswänden umschlossen war. Ein blätterreicher Saum von Büschen umrahmte die mit lockigem Gras bestandene, fast kreisrunde Fläche, auf welcher mehrere Trupps von Pferden und Maultieren weideten, zwischen denen sich zahlreiche Hunde herumtrieben, die teils jener wolfsähnlichen Rasse, welche den Indianern ihre Wach- und Lasttiere liefert, teils aber auch den kleinen, schnell fettwerdenden Bastardarten angehörten, deren Fleisch nächst dem des Panthers als der größte Leckerbissen gilt.
„Da habt ihr meine Burg“, wandte sich Old Firehand an uns, „in welcher es sich sicherer noch wohnen läßt als selbst in Abrahams Schoß.“
„Gibt es eine Öffnung dort in den Bergen?“ fragte ich.
„Nicht soviel, daß ein ‚Stunck‘ hindurchschlüpfen könnte, und von außen ist es fast unmöglich, die Höhen zu erklimmen. Es ist wohl schon manche Rothaut da draußen vorübergeschlichen, ohne zu ahnen, daß diese schroffen Felsenzacken nicht eine kompakte Masse bilden, sondern ein so allerliebstes Tal umschließen.“
„Aber wie habt Ihr diesen köstlichen Ort entdeckt?“
„Ich verfolgte einen Raccoon (Waschbär) in die Spalte, welche damals noch nicht vom Efeu verdeckt wurde, und habe natürlich sofort Besitz von dem Platze ergriffen.“
„Allein?“
„Erst, ja, und hundertmal bin ich dem Tod entronnen, weil ich vor den Verfolgungen der rothäutigen Halunken hier ein sicheres und untrügliches Versteck fand.
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