Seine Männer werden ihm nachkommen, und meine weißen Brüder müssen Winnetou schnell folgen in ihre Wigwams.“

„Hat recht, der Mann“, bekräftigte Dick Stone. „Das muß so sein, und wir werden sehen müssen, daß wir zu den Unsrigen kommen.“

„Gut“, erwiderte Old Firehand, von dessen Arm das Blut in hellen Strömen floß, „auf alle Fälle aber müssen wir die Spuren des Kampfes möglichst beseitigen. Gehe doch ein wenig vorwärts, Dick, damit wir nicht etwa überrascht werden.“

„Soll geschehen, Sir, aber nehmt mir doch zuvor einmal das Messer hier aus dem Fleisch. Ich kann nicht gut zu dem Ding kommen. Und erlaubt, daß ich zuvor meinen drei Vettern da nach dem Kopf sehe, es scheint ihnen in den Haaren zu liegen.“

Nachdem er ihnen die Skalps genommen, trat er zu mir.

Einer von den dreien hatte ihm das Messer in die Seite gestoßen, und durch das Ringen war es immer weiter hinein gedrungen. Glücklicherweise stak es an keiner gefährlichen Stelle und hinterließ bei seiner Entfernung eine für Stones Eisennatur nur leichte Wunde.

In kurzer Zeit war das Notwendige getan, und Dick Stone wurde herbeigeholt.

„Wie bringen wir unseren Gefangenen fort?“ fragte Old Firehand.

„Er wird getragen werden müssen“, antwortete ich. „Wird aber seine Schwierigkeiten haben, wenn er vollständig zur Besinnung kommt.“

„Tragen?“ fragte Stone. „Ist mir seit etlichen Jahren nicht so wohl geworden, und möchte diesem alten Knaben dieses Herzeleid auch nicht antun.“

Mit einigen Schnitten trennte er eine Anzahl der nebenanstehenden Stämmchen von der Wurzel, nahm die Decke Parranohs wieder vor, schnitt sie in Streifen und meinte, uns vergnügt zunickend:

„Bauen da eine Schleife, einen Schlitten, ein Rutschholz oder so etwas zusammen, binden das Mannskind darauf fest und trollen uns damit von dannen. Das muß so sein!“

Der Vorschlag ward angenommen und ausgeführt, und bald setzten wir uns in Bewegung, die allerdings eine so deutliche Spur zurückließ, daß der hinterher gehende Winnetou alle Mühe hatte, sie nur einigermaßen zu verwischen. –

Es war früh am anderen Tag. Noch hatten die Strahlen der Sonne nicht die Spitzen der umliegenden Berge berührt, und tiefe Ruhe herrschte im Lager. Ich aber war längst schon wach und auf den Felsen gestiegen, wo ich Ellen wiedergefunden hatte.

Unten im Tal wälzten sich dichte Nebelballen um die Büsche, oben aber war die Luft rein und klar und wehte mir mit ermunternder Kühle um die Schläfe. Drüben hüpfte ein Kernbeißer unter Brombeerranken auf und ab und lockte mit schwellender, pfirsichblütenroter Kehle sein unfolgsames Weibchen; etwas tiefer saß ein blaugrauer Katzenvogel und unterbrach seinen Gesang zuweilen durch einen possierlichen, miauenden Schrei, und von von unten herauf ertönte die wundervolle Stimme des Entenvogels, der am Schluß jeder Strophe seine musikalische Bravour mit einem lauten Entengeschnatter applaudierte. Meine Gedanken waren weniger bei diesem Frühkonzert, als vielmehr bei den Erlebnissen des vorhergehenden Tages.

Nach dem Berichte eines unserer heimkehrenden Jäger, welcher, still durch die Waldungen schleichend, die Ogellallahs auch bemerkt hatte, waren diese in noch größerer Anzahl vorhanden, als wir angenommen hatten, denn er war unten in der Ebene an einem zweiten Lagerplatz vorübergekommen, an welchem sich auch die Pferde befunden hatten.

Es war also mit Bestimmtheit anzunehmen, daß ihr Kriegszug nicht gegen einzelne Personen, sondern gegen unsere ganze Niederlassung gerichtet war, und aus diesem Grund und der bedeutenden Anzahl der Feinde wegen durften wir unsere Lage keineswegs zu den beneidenswerten rechnen.

Die Vorbereitungen, welche getroffen werden mußten, einem Überfall zu begegnen, hatten den gestrigen Nachmittag und Abend in der Weise ausgefüllt, daß wir keine Zeit gefunden hatten, über das Schicksal unseres Gefangenen eine Bestimmung zu treffen. Er lag wohlgebunden und gut bewacht in einer der Felsenkammern, und noch vorhin erst, gleich nach meinem Erwachen, hatte ich mich von der Zuverlässigkeit seiner Fesseln überzeugt.

Die nächsten Tage, vielleicht schon die heutigen Stunden mußten uns wichtige Entscheidung bringen, und es war wirklich ein außergewöhnlicher Ernst, mit welchem ich an meine gegenwärtige Lage dachte, als ich durch nahende Schritte aus dem Sinnen wachgerufen wurde.

„Guten Morgen, Sir. Der Schlaf scheint Euch ebenso geflohen zu haben, wie mich.“

Ich dankte dem Gruß und erhob mich aus meiner sitzenden Lage.

„Wachsamkeit ist die notwendigste Tugend in diesem gefahrvollen Land, Miß.“

„Fürchtet Ihr Euch vor den Braunen?“ fragte diese lächelnd.

„Ich weiß, daß Ihr diese Frage nicht im Ernst aussprecht. Aber wir zählen im ganzen dreizehn Mann und haben einen zehnfach überlegenen Feind vor uns. Offen können wir uns desselben gar nicht erwehren, und unsere einzige Hoffnung besteht nur allein darin, von ihm nicht entdeckt zu werden.“

„Ihr seht die Sache doch wohl etwas zu schwarz. Dreizehn Männer von der Art und Weise unserer Leute vermögen schon ein Erkleckliches zu leisten, und selbst wenn die Rothäute unser Versteck aufspürten, würden sie sich nichts als blutige Köpfe holen.“

„Ich hege andere Meinung. Sie sind ergrimmt über unseren Überfall, noch mehr aber über den gestrigen Verlust ihrer Leute, und wissen jedenfalls ihren Häuptling in unseren Händen. Sie haben natürlich nach den Fehlenden gesucht, die Leichen gefunden und dabei Parranoh vermißt, und wenn eine so zahlreiche Horde um irgendeines Zweckes willen solche Strecken zurücklegt wie diese, so wird dieser Zweck auch mit der möglichsten Energie und Schlauheit zu erreichen gesucht.“

„Alles ganz recht, Sir, aber noch kein Grund zu schlimmen Befürchtungen. Ich kenne diese Leute besser als Ihr. Feig und verzagt von Natur, wissen sie nur hinterrücks zu handeln und den Wehrlosen anzugreifen. Wir haben ihre Jagdgründe durchstreift vom Mississippi bis zum Stillen Meer, von Mexiko bis hinauf zu den Seen, haben sie vor uns hergetrieben, uns mit ihnen herumgeschlagen, vor der Übermacht fliehen und uns verbergen müssen, aber immer, immer wieder die Faust am Messer gehabt und die Oberhand behalten.“

Ich sah sie an, antwortete aber nicht, und es mußte in meinem Blick etwas der Bewunderung Unähnliches gelegen haben, denn nach kurzer Pause fuhr sie fort:

„Sagt, was Ihr wollt, Sir, es gibt Gefühle im Menschenherzen, denen der tatkräftige Arm gehorchen muß, gleichviel, ob er ein männlicher oder weiblicher ist. Hätten wir gestern den Bee-fork erreicht, so wäre Euch ein Grab zu Gesicht gekommen, welches zwei Wesen birgt, die mir die liebsten und teuersten gewesen sind auf dem ganzen, weiten Erdenrund. Sie wurden hingeschlachtet von Männern, welche dunkles Haar und braune Haut besaßen, und seit jenen schrecklichen Tagen zuckt mir's in der Hand, wenn ich eine Skalplocke wehen sehe, und mancher Indianer ist blutend vom Pferd geglitten, wenn die Pistole blitzte, aus welcher das tötende Blei in das Herz meiner Mutter fuhr, und deren Sicherheit Ihr ja auch bei New Venango kennen gelernt habt.“

Sie zog die Waffe aus dem Gürtel und hielt sie mir vor die Augen.

„Ihr seid ein guter Schütze, Sir, aber aus diesem alten Rohr würdet Ihr auf fünfzehn Schritt nicht den Stamm eines Hickory treffen. Ihr mögt also denken, wie oft und viel ich mich geübt habe, um meines Ziels gewiß zu sein. Ich weiß mit allen Instrumenten umzugehen; aber wenn es sich um Indianerblut handelt, dann greife ich nur zu dieser da, denn ich habe geschworen, daß jedes Körnchen Pulver, welche jene mörderische Kugel trieb, mit dem Leben einer Rothaut bezahlt werden müsse, und ich glaube, ich stehe nicht sehr weit von der Erfüllung dieses Schwurs. Dasselbe Rohr, welches die Mutter niederstreckte, soll auch das Werkzeug meiner Rache sein!“

„Ihr bekamt die Pistole von Winnetou?“

„Hat er Euch davon erzählt?“

„Ja.“

„Alles?“

„Nichts, als was ich eben sagte.“

„Ja, sie ist von ihm. Doch, setzt Euch, Sir. Ich versprach Euch gestern eine Aufklärung, und Ihr sollt das Notwendigste erfahren, wenn die Sache auch nicht eine solche ist, über welche man viele Worte machen könnte.“

Sie nahm neben mir Platz, warf einen beobachtenden Blick über das unter uns liegende Tal und begann:

„Mein Vater war Oberförster da drüben im alten Land und lebte mit seinem Weib und einem Sohne in ungetrübtem Glück, bis die Zeit der politischen Gärung kam, welche so manchen braven Mann um seine Ziele betrogen hat und auch ihn in den Strudel trieb, welchem er sich schließlich nur durch die Flucht zu entziehen vermochte.