Reiten wir?“
„Nein; es geht nur bis zum ‚Gutter‘. Ihr anderen aber rührt die Hände und deckt die ‚Caches‘ (Versteck für Häute) mit Rasen zu. Man kann nicht wissen, wie es geht, und wenn die Braunen je zwischen unsre Felsen kommen, sollen sie wenigstens nichts von dem finden, was sie brauchen können. Harris, du gehst hinaus zu Will Parker, und du, Bill Bulcher, magst auf Ordnung sehen, während wir fort sind!“
„Vater, laß mich bei dir sein“, bat Ellen.
„Kannst mir zu nichts dienen, Kind. Ruhe dich aus, wirst schon noch zur rechten Stelle kommen.“
Sie wiederholte ihre Bitte, aber Old Firehand hielt an seiner Bestimmung fest, und so schritten wir bald wieder zu dreien durch das Bett des Bachs hinaus.
Dick Stone war nicht weniger ein Original wie Sam Hawkens. Unendlich lang und entsetzlich dürr und ausgetrocknet hing seine knochige Gestalt weit vornüber, so daß es schien, als gebe es für seine Augen keine andere Perspektive als diejenige auf die beiden Füße, welche an ein Paar Beine gewachsen waren, deren Ausdehnung einem angst und bange machen konnte. Über die festen, kernigen Jagdschuhe hatte er ein Paar lederne Gamaschen geschnallt, welche noch ein gutes Stück des Oberschenkels bedeckten; der Leib stak in einem enganliegenden Kamisol, das mittels eines breiten Gürtels, in und an welchem neben Messer und Revolver die verschiedensten kleinen Notwendigkeiten staken und hingen, zusammengehalten wurde; um die breiten eckigen Schultern zog sich eine wollene Decke, deren Fäden die ausgedehnteste Erlaubnis hatten, nach allen Himmelsgegenden auseinander zu laufen, und der kurzgeschorene Kopf stak in einem Ding, dessen Definition geradezu eine Sache der reinsten Unmöglichkeit war.
Draußen angekommen, schritten wir nach einigen kurzen Weisungen an der Wache vorüber, dem Ort zu, an welchem sich Sam Hawkens versteckt gehabt hatte. Die von dort nach der Schlucht führende Richtung war jedenfalls die für uns vorteilhafteste; denn wir hatten von beiden Seiten Deckung und waren sicher, denjenigen von den Indianern zu begegnen, welche annehmbarerweise ihr Versteck verlassen hatten, um nach dem Verbleib der uns Begegneten zu sehen.
Winnetou hatte kurz nach unserem frühzeitigen Aufbruch am Morgen das Lager auch verlassen und war noch nicht zurückgekehrt. Er wäre uns auf dem jetzigen Gang der willkommenste Begleiter gewesen, und ich konnte, da ich ihn wirklich liebgewonnen hatte, mich einer leisen Sorge um ihn nicht erwehren. Es war ja ein Zusammentreffen mit dem Feind so leicht möglich, und in diesem Fall war er trotz seiner Tapferkeit verloren.
Eben dachte ich an diesen Umstand, als sich plötzlich neben uns die Büsche teilten und der Apache vor uns stand. Unsre Hände, welche beim ersten raschelnden Laut der Zweige nach den Waffen gegriffen hatten, fuhren von denselben zurück, als wir ihn erkannten.
„Winnetou wird gehen mit den weißen Männern, um zu sehen Parranoh und die Ogellallahs.“
Erstaunt blickten wir ihn an. Er wußte also schon von der Anwesenheit der Indianer.
„Hat mein roter Bruder die Krieger des grausamsten Stamms der Sioux gesehen?“
„Winnetou muß wachen über seinen jungen Bruder und über die Tochter Ribannas. Er ist hinter ihnen gegangen und hat gesehen ihre Messer fahren in das Herz der roten Krieger. Parranoh hat sich genommen den Schädel eines Mannes vom Volk der Osagen; sein Haar ist eine Lüge und seine Gedanken sind voller Falschheit. Winnetou wird ihn töten.“
„Nein, der Häuptling der Apachen wird ihn nicht berühren, sondern ihn mir lassen!“ entgegnete Old Firehand.
„Winnetou hat ihn schon einmal geschenkt seinem weißen Freunde!“
„Er wird mir nicht wieder entgehen, denn meine Hand –“
Nur das letzte Wort hörte ich noch; denn in dem Augenblicke, in welchem es gesprochen wurde, sah ich zwei glühende Augen hinter dem Strauch, welcher die Biegung der Fußspuren verbarg, hervorleuchten und hatte mit einem raschen Sprung den Mann gepackt, dem sie angehörten.
Es war der, von welchem gesprochen wurde, Parranoh, und kaum stand ich vor ihm und warf ihm die Finger um die Kehle, so raschelte es zu beiden Seiten, und eine Anzahl Indianer sprangen hervor, ihrem Häuptling zu Hilfe.
Die Freunde hatten meine Bewegung gesehen und stürzten sich sofort auf meine Angreifer. Wie es kam, ich weiß es nicht, aber ich hatte den weißen Häuptling, welcher mir an Stärke und Geschicklichkeit doch weit überlegen war, unter mir. Meine Knie auf seiner Brust, die Finger der Linken um den Hals und die Rechte um seine Hand, welche das Messer gepackt hatte, fühlend, krümmte er sich unter mir wie ein Wurm und machte die wütendsten Anstrengungen, mich von sich zu stoßen. Ich hatte keine Zeit, auch nur einen einzigen Blick auf das um mich herum wogende Getümmel zu werfen, denn bei dem geringsten Versehen meinerseits war ich verloren, und nie im ganzen Leben habe ich es mehr gefühlt, daß sich die Kräfte des Menschen im Augenblick solcher Gefahr verdoppeln, ja verzehnfachen können.
Mit den Füßen wie ein angeketteter Stier um sich schlagend, versuchte er, in riesenkräftigen Rucken sich empor zu schnellen, der falsche, langbehaarte Schädel lag neben ihm; die Augen traten weit und mit Blut unterlaufen aus ihren Höhlen; vor dem Mund stand ihm der gärende Schaum der Wut, und die nackte, von dem Skalpmesser Winnetous balbierte Kopfblöße schwoll unter der Anstrengung aller Fasern und Nerven und dem wilden Schlag des zusammengedrückten Pulses mit einer erschreckenden Häßlichkeit auf. Mir war, als hätte ich ein rasendes Tier unter mir, und mit mir jetzt unbegreiflicher Gewalt krampfte ich meine Finger um seine Kehle, so daß er einige Male konvulsivisch zusammenzuckte, den Kopf hintenüber legte und, die Augen verdrehend, unter einem immer leiser werdenden Zittern die Glieder von sich streckte – er war besiegt.
Jetzt endlich blickte ich, mich erhebend, um mich, und es bot sich mir eine Szene, wie sie die Feder nie zu beschreiben vermag. Keiner der Kämpfenden hatte, aus Sorge, dem Feind Hilfe herbeizurufen, eine Schußwaffe gebraucht, sondern nur das Messer und der Tomahawk waren tätig gewesen. Keiner von ihnen stand aufrecht, sondern alle lagen am Boden und wälzten sich in ihrem oder des Gegners Blut.
Winnetou stand eben im Begriff, einem unter ihm Liegenden die Klinge in die Brust zu stoßen; er bedurfte meiner nicht. Old Firehand lag auf einem der Gegner und versuchte einen zweiten, welcher ihm den Arm zerfleischte, von sich abzuhalten. Ich eilte ihm zu Hilfe und schlug den Dränger mit seinem Beil, welches ihm entfallen war, nieder. Dann ging's zu Dick Stone, welcher zwischen zwei toten Rothäuten unter einem riesigen Mann lag, der sich alle Mühe gab, einen tödlichen Stich anzubringen. Es gelang ihm nicht; das Beil des Stammesgenossen machte seiner Bemühung ein Ende.
Stone erhob sich und brachte seine langen Gliedmaßen in Ordnung.
„By god, Sir, das war Hilfe zur rechten Zeit! Drei gegen einen ist doch, wenn man nicht schießen darf, ein wenig zu viel. Das muß so sein, habt Dank!“
Auch Old Firehand streckte mir die Hand entgegen und wollte eben sprechen, als sein Blick auf Parranoh fiel.
„Tim Finn – ist's möglich? Der Häuptling selber. Wer hat's mit ihm zu tun gehabt?“
„Mein junger, weißer Bruder hat ihn niedergeworfen“, antwortete Winnetou statt meiner, und bemerkend, daß der Tote nicht verletzt, sondern nur durch den Druck der Hand besiegt worden war, fügte er mit einem Ausdruck des Erstaunens, wie ich noch nie gehört hatte, hinzu: „Der große Geist hat ihm die Kraft des Büffels gegeben, der die Erde pflügt mit seinem Hörne.“
„Mann“, rief Old Firehand, „wie Euch, so hab' ich noch keinen getroffen, so weit ich auch herumgekommen bin, und Ihr wollt nach dem Westen gekommen sein, nur um Steine und Pflanzen kennenzulernen?“
Statt aller Antwort legte ich meine Hand auf seinen Arm. Die fast übermenschliche Anstrengung hatte meine Kräfte so überschritten, daß ich wie ein Frierender am ganzen Körper zitterte und kaum imstande war, die Hand an der Stelle festzuhalten.
„Fühlt Ihr jetzt, was für ein gewaltiger Held ich bin, Sir? Der Schwächste wehrt sich, wenn es sein Leben gilt, und hier handelte es sich nicht bloß um das meinige, denn wenn er obenauf gekommen wäre, so wär es vielleicht aus mit uns allen vieren. Die Partei des Überlebenden von uns beiden mußte siegen.“
„Aber wie ist es möglich, daß er mit den Seinen hier versteckt sein konnte, da Winnetou dort in der Nähe war?“
„Der weiße Häuptling ist nicht verborgen gewesen an der Seite des Apachen. Er hat bemerkt die Spuren seiner Feinde und ist ihnen nachgegangen auf ihrem Pfad.
1 comment