Freilich mußte mich diese Selbstbeherrschung in den Verdacht eines Feiglings bringen; aber das Urteil dieser Leute konnte mir ja sehr gleichgültig sein.

Ein Wesen gab es allerdings, dessen Meinung mich nicht empfindungslos lassen konnte, und das war Ellen, wie sie von Forster genannt worden war. Sie hatte unserem kurzen Wortwechsel eine gespannte Aufmerksamkeit gewidmet und jedenfalls ganz bestimmt erwartet, daß ich losbrechen werde. Als das aber nicht geschah, sah ich einen Zug der Enttäuschung über ihr schönes Angesicht gehen, und es lag eine sichtbare Zustimmung in ihrem Blick, als Forster, verächtlich die Achsel zuckend, meinte:

„Ein Coyote (Schakal), mehr nicht. Laßt ihn stehen, Leute.“

Trotz dieser neuen und größeren Beleidigung hielt ich an mich, und nun war es wirklich die ausgesprochenste Verachtung, mit welcher sich das Mädchen zur Seite wandte und ihren Verwandten zum Aufbruch mahnte.

Mein Auge folgte ihr, bis die letzte Falte ihres Kleides verschwunden war, und dann überkam mich eine Bitterkeit, wie ich sie in meinem ganzen Leben noch nicht empfunden hatte. Ganz gewiß war nur ich allein schuld an der Unbill, die mir widerfahren; aber warum war ich doch nur so besonnen und überlegsam! Ein wenig Jähzorn, ein wenig Leichtsinn ist oft nicht so ganz am unrechten Platze.

So dachte ich in meinem Unmut und erhob mich endlich, um denselben im Handel vielleicht zu vergessen.

Als ich mich mit dem Nötigen versehen hatte und dem Wirt die geforderte Summe vorzählte, fragte er:

„Wollt Ihr für diese Nacht nicht dableiben? Man wird bei mir gut bedient.“

„Danke, schwärme nicht für Eure Bude.“

„Könntet aber doch dableiben, Mann, nicht bloß für heute, sondern für morgen und übermorgen und immer. Ich brauche einen Boardkeeper, der nicht gleich dreinspringt, wenn er einen Tritt bekommt oder zwei. In unserem Geschäft ist die Ambition oft ein recht überflüssiges und schädliches Ding. Wie gesagt, Ihr könntet hier bleiben, denn ich meine, Ihr seid der beste Mann dazu.“

Eigentlich hätte ich den scharfsinnigen Landlord (Gastwirt) recht deutlich belehren sollen, daß er sich sehr in mir geirrt habe; doch war die Offerte wirklich mehr lächerlich als ärgerlich, und so ließ ich ihn ruhig stehen und trat ins Freie, wo Swallow immer noch meiner wartete.

Der Abend hatte sich mittlerweile über das Tal gebreitet, und es war ziemlich dunkel geworden. Mir war die Lust vergangen, an meiner ursprünglichen Absicht, zu bleiben, festzuhalten; Pferd und Reiter hatten sich ausgeruht, und so konnte es heute noch ein Stück in die offene Prärie hineingehen, wo es sich jedenfalls angenehmer schlafen ließ als in dem nach Petroleum duftenden Tal. Zuvor aber trieb es mich die kurze Strecke abwärts, nach dem Wohngebäude zu, welches ich am Nachmittag von der Höhe aus gesehen.

Der Weg führte den Fluß entlang, und was ich vorher nicht bemerkt, das fiel mir jetzt, wo meine Aufmerksamkeit nicht von der schönen Begleiterin in Anspruch genommen wurde, sofort auf, nämlich daß in der Nähe des Wassers sich der Ölgeruch verstärkte und der Fluß also eine nicht unbedeutende Quantität des Brennstoffs mit sich führen müsse.

Der Gebäudekomplex lag vollständig schwarz vor mir, aber als ich eine leichte Krümmung des Weges hinter mir hatte und nun das Herrenhaus von vorn nehmen konnte, fiel heller Lichtglanz von der Veranda herüber, und ich sah, daß dort eine kleine Gesellschaft versammelt sei. Ich sprang vom Pferd, welches ich an eine Fenzstange band, und schlich mich leise über die dunklen Stellen des Vorplatzes bis an das niedere Mauerwerk, in welches die Träger der leichten Überdachung befestigt waren.

Noch nie in meinen Leben hatte ich den Lauscher gemacht; aber heute trieb mich ein unbestimmtes und bisher ungekanntes Etwas zum unerlaubten Beobachten, und mit Genugtuung bemerkte ich die Gesuchte, welche, von einem leichten Hauskleid umflossen, in einer der Hängematten lag. Eben war sie im Begriff, dem in ihrer Nähe sitzenden Forster eine Auseinandersetzung zu machen.

„Es ist ein unnützes und lästerliches Unternehmen, dear uncle, und du hast dir die Sache wohl nicht richtig berechnet.“

„Lerne uns doch das Kalkulieren nicht, Mädchen. Die Preise sind nur deshalb so gedrückt, weil die Quellen zu viel liefern. Wenn wir also, einer wie der andere, das Öl so einen Monat lang ablaufen lassen, so muß es dann wieder teurer werden, und wir machen Geschäfte, gute Geschäfte, sage ich dir. Und diesen Coup werden wir ausführen, es ist so beschlossen, und ein jeder wird sein Versprechen halten.“

„Mir scheint nur, ihr habt die Quellen drüben im alten Land und sonst wo noch dabei außer acht gelassen. Euer Verhalten wird die dortige Konkurrenz sofort zur äußersten Anstrengung anspornen, und ihr selbst gebt also den noch schlafenden Gegnern die Waffen in die Hand. Übrigens sind auch hier in den Staaten die aufgestapelten Vorräte so groß, daß sie für sehr geraume Zeit zureichen.“

„Du kennst den Bedarf nicht und hast also auch kein Urteil, wie ihr Frauen ja überhaupt gar nicht denken solltet. Denn so oft ihr's tut, geratet ihr auf Irrwege.“

„Das müßte denn doch sehr bewiesen werden, und ich glaube grad –“

„Der Beweis liegt nahe“, unterbrach er sie. „Hast du nicht vorhin erst gestanden, daß du dich in dem Woodsman, oder was der Mensch eigentlich war, getäuscht hast? Hätte mir nie gedacht, daß es dir in solcher Gesellschaft gefallen könne!“

Ich sah sie tief erröten; aber sie antwortete schnell:

„Von einer Täuschung ist keine Rede, denn ich sagte nur, daß er mir erst anders geschienen habe, und zwischen Schein und bewiesener Wirklichkeit pflege ich einen Unterschied zu machen.“

Forster wollte etwas erwidern, kam aber nicht dazu, denn in demselben Augenblick geschah ein Donnerschlag, als sei die Erde unter uns mitten auseinandergeborsten. Der Boden erzitterte, und als ich das Auge erschrocken seitwärts wandte, sah ich im obern Teil des Tals, da, wo der Bohrer tätig gewesen sein mußte, einen glühenden Feuerstrom fast fünfzig Fuß in die Höhe steigen, welcher flackernd oben breit auseinanderfloß und, wieder zur Erde niedersinkend, mit reißender Schnelligkeit das abfallende Terrain überschwemmte. Zugleich drang ein scharfer, stechender, gasartiger Geruch in die Atmungswerkzeuge, und die Luft schien von leichtflüssigem, ätherischem Feuer erfüllt zu sein.

Ich kannte dieses furchtbare Phänomen; denn ich hatte es im Kanawhatal in seiner ganzen Schrecklichkeit gesehen und stand mit einem einzigen Sprunge mitten unter der vor Schreck fast todesstarren Gesellschaft.

„Lichter aus, Lichter aus. Der Bohrer ist auf Öl getroffen, und ihr habt beim Aussteigen des Strahles Feuer in der Nähe gehabt. Lichter aus, sonst brennt in zwei Minuten das ganze Tal!“

Ich sprang von einem der brennenden Armleuchter zum anderen; aber da oben im Zimmer brannten die Lampen auch, und drüben vom Store her sah ich ebenfalls Lichtschimmer. Dazu hatte die Flut des hochaufsprühenden Öls, welches sich mit unglaublicher Raschheit über das ganze obere Tal ausbreitete, jetzt den Fluß erreicht, und nun galt es alles einzusetzen für das nackte, bloße Leben.

„Rettet euch! Lauft, lauft, um Gottes willen! Sucht die Höhen zu gewinnen!“

Mich um weiter niemand kümmernd, riß ich Ellen empor in meine Arme und saß im nächsten Augenblick mit ihr im Sattel. Das Mädchen, die Größe der Gefahr nicht erkennend, sträubte sich mit Aufbietung aller Kräfte gegen die Umschlingung; aber wie man in solchen Augenblicken stets Riesenkraft besitzt, so verschwand auch diese Anstrengung fast unter der Stärke, mit welcher ich sie festhielt, und in rasendem Lauf trug Swallow, dessen Instinkt die Führung des Zügels und den Gebrauch der Sporen überflüssig machte, uns stromabwärts.

Der Bergpfad, welcher mich nach New Venango geführt hatte, war uns verschlossen, denn der Glutstrom war schon an ihm vorübergeflutet. Nur abwärts konnten wir Rettung finden; aber ich hatte am Tag nichts einer Straße ähnliches bemerkt und im Gegenteil gesehen, daß die Felswände so eng zusammentraten, daß sich der Fluß nur schäumend den Ausweg erzwingen konnte.

„Sagt, Miß“, rief ich in ängstlicher Hast, „gibt es einen Weg, welcher hier unten aus dem Tal führt?“

„Nein, nein!“ stöhnte sie unter der krampfhaften Anstrengung, von mir loszukommen. „Laßt mich fahren, sage ich Euch, laßt mich fahren.“

Ich konnte natürlich auf ihre Worte nicht hören und musterte mit Aufmerksamkeit den nahe zusammentretenden Horizont, welchen die beiden schroff aufstrebenden Höhenzüge bildeten. Da fühlte ich einen Druck in der Gürtelgegend, und zugleich rief das Mädchen:

„Laßt mich los! Gebt mich frei, oder ich stoße Euch Euer eigenes Messer in den Leib!“

Sie hatte das Bowiemesser an sich gerissen. Aber ich hatte keine Zeit zu einer langen Auseinandersetzung, sondern vereinte mit einem raschen Griffe ihre beiden Handgelenke in meiner Rechten, während ich mit dem linken Arm sie immer fester umschloß.

Die Gefahr wuchs mit jeder Sekunde. Der glühende Strom hatte Lagerräume erreicht, und nun sprangen die Fässer mit einem dem Kanonenschuß ähnlichen Knall und ergossen ihren sofort in heller Lohe brennenden Inhalt in das auf diese Weise immer mehr anwachsende und immer rascher vorwärtsschreitende Feuermeer.