Aber langsam, so langsam wie möglich. Es wird jedenfalls am Tracé auszubessern geben.“ –

In kurzer Zeit lag tiefe Stille über der Gegend, und nicht das leiseste Geräusch verriet, daß der auf der weiten Ebene ruhende scheinbare Frieden die Vorbereitung einer blutigen Katastrophe in sich berge.

Zunächst hatten wir eine ansehnliche Strecke in aufrechter Stellung zurückgelegt; jetzt aber, nachdem wir die Nähe des mutmaßlichen Kampfplatzes erreicht hatten, legten wir uns nieder und krochen, einer hinter dem anderen, auf Händen und Füßen die Böschung entlang.

Der Mond war mittlerweile aufgegangen und warf ein ruhiges, klares Licht über die Gegend, so daß es möglich war, in sehr geraume Entfernung zu blicken. Diese Helligkeit erschwerte zwar das Anschleichen, war uns aber in anderer Beziehung wieder von Vorteil. Bei der Gleichheit der Hebungen und Senkungen des Bodens wäre es uns im Dunkel nicht leicht geworden, den Ort genau zu bestimmen, an welchem wir die Ogellallahs gesehen hatten, und möglicherweise konnten wir also ganz unversehens auf sie stoßen; das war aber jetzt nicht zu befürchten.

Von Zeit zu Zeit im Vorwärtsdringen einen Augenblick innehaltend und mich vorsichtig erhebend, warf ich einen forschenden Blick über den Damm hinaus und gewahrte jetzt auf der seitwärts liegenden Erhöhung eine Gestalt, welche sich leicht kenntlich am Horizont abzeichnete. Man hatte also jetzt eine Wache ausgestellt, und wenn der Mann sein Augenmerk nicht bloß in die Ferne auf den von ihm erwarteten Bahnzug, sondern auch auf die nähere Umgebung richtete, so mußte er unbedingt die Abteilung von uns, welche sich auf der anderen Seite des Schienenstrangs fortbewegte, bemerken. Doch vertraute ich der Klugheit des Apachenhäuptlings, welcher mir schon öfters eine geradezu staunenswerte Meisterschaft im Beschleichen gezeigt hatte.

Nach wenigen Minuten konnten wir die übrigen sehen, welche bewegungslos am Boden lagen. Eine kurze Strecke hinter ihnen hielten die angekoppelten Pferde, ein Umstand, der einen plötzlichen Überfall sehr erschwerte, da die Tiere leicht zu Verrätern werden konnten. Zu gleicher Zeit erblickte ich die Vorrichtung, welche die Indianer getroffen hatten, um den Zug aufzuhalten. Es waren mehrere Schienen ausgebrochen und mit den ausgehobenen Schwellen quer über das Gleis gelegt worden, und mit Schaudern dachte ich an das Schicksal, welches die Insassen der Wagen hätte treffen müssen, wenn das Vorhaben der Wilden nicht von uns bemerkt worden wäre.

Wir setzten unsere Bewegung so lange fort, bis wir uns der Truppe grad gegenüber befanden, und blieben nun, die Waffen zum sofortigen Gebrauch bereit haltend, erwartungsvoll liegen.

Besser wäre es gewesen, den Angriff von unserer Seite aus zu übernehmen; aber die Disposition war nun einmal getroffen, und so mußten wir uns gedulden. Die Hauptaufgabe unserer Verbündeten war, zunächst den Posten unschädlich zu machen, ein Unternehmen, welches ich kaum einem anderen als Winnetou zutraute. Der Mann konnte im hellen Mondenschein die geringste Kleinigkeit seiner Umgebung genau erkennen und mußte bei der ringsum herrschenden Ruhe das leiseste Geräusch bemerken. Und selbst wenn es gelang, ihn zu überraschen, so war es doch, um ihn durch einen gutgeführten Messerstich unschädlich zu machen, notwendig, aufzuspringen, und dann mußte man ja sofort von den anderen gesehen werden.

Mit mir zu Rate gehend, wie diesem Übelstand abzuhelfen sei, sah ich ihn plötzlich wie in den Boden hinein verschwinden, im nächsten Augenblicke aber schon wieder in seiner früheren geraden Haltung aufrecht stehen. Nur einen einzigen, blitzschnellen Moment hatte diese Bewegung in Anspruch genommen; aber ich wußte sogleich, was sie zu bedeuten hatte. Der jetzt scheinbar Wache haltende war nicht mehr der Ogellallah, sondern Winnetou. Er mußte sich mit noch einem bis unmittelbar an den Posten geschlichen haben und war in demselben Augenblicke, an welchem letzterer von dem anderen bei den Füßen niedergerissen und sofort eines Lautes unfähig gemacht wurde, kerzengrad in die Höhe gefahren.

Das war wieder eins seiner bewundernswerten Indianerstücke, bei welchem ihm sicher nur Old Firehand geholfen haben konnte. Niemand weiter von uns hatte den Vorgang bemerkt, und da die Feinde in ihrer Unbeweglichkeit verharrten, so mußte er auch ihnen entgangen sein. Das Schwerste war somit glücklich vollbracht, und nun konnten wir in kürzester Zeit den Angriff erwarten.

Wirklich gewahrte ich auch nur kurze Zeit später eine Reihe dunkler Punkte, welche sich in einiger Entfernung hinter den Pferden immer weiter vorschob und das Bestreben zeigte, sich zu einem Halbkreis zu verengen. Ungesehen von den Indianern rückte sie näher und immer näher, und schon schien mir die vollständige Überrumpelung des Feindes sicher, da zuckte ein flüchtiges Leuchten drüben auf, welchem ein lauter Knall folgte – es war irgendeinem das Gewehr losgegangen.

Sofort standen die Ogellallahs auf den Füßen, und kaum hatten sie die rasch heranstürmenden Gegner bemerkt, so saßen sie mit Gedankenschnelle im Sattel, warfen die Pferde herum und stürmten im Galopp auf den Bahndamm zu.

Sie waren eines Überfalles nicht gewärtig gewesen und hatten also auch für den Fall eines solchen keine Verhaltungsmaßregeln besprochen. Deshalb suchten sie, da sie die Überzahl der Weißen erkannten, zunächst aus der Nähe derselben zu kommen, um dann in einer sicheren Stellung einen Entschluß zu fassen. Daß auf der anderen Seite des Damms ein Hinterhalt liege, konnten sie nicht wissen, und es kam nun darauf an, ihre Flucht aufzuhalten.

„Have care (Achtung)!“ rief ich, als sie nur noch einige Pferdelängen von uns entfernt waren. „Zielt auf die Pferde und dann drauf!“

Ich hatte einen Henrystutzen mit fünfundzwanzig Kugeln im Kolben, gegen Reiter eine fürchterliche Waffe, die ich auch nach Kräften gebrauchte. Schon bei unserer ersten Salve bildeten die Indsmen einen Knäuel, auf welchen sich die anderen alle stürzten, während ich einstweilen meinen Standpunkt beibehielt, um Kugel auf Kugel aus dem sicheren Lauf zu entsenden.

Der Kampf wütete mit tödlicher Erbitterung. Zwar war es einer kleinen Anzahl gelungen, unsere Linie zu durchbrechen und das Weite zu gewinnen; aber bei weitem die meisten waren entweder von ihren verwundeten Pferden abgeworfen, oder von unserer Übermacht am Ausbrechen verhindert worden, und wenn sie auch wie die Teufel kämpften, so war es doch augenscheinlich, daß sie dem Untergang geweiht waren.

Die ursprüngliche Verwirrung des Handgemenges löste allmählich sich in einen besser zu übersehenden Einzelkampf auf, welcher einem nicht beteiligten Zuschauer Gelegenheit gegeben hätte, Taten zu beobachten, für welche der zivilisierte Boden kaum einen Platz haben dürfte. Die Schar der Bahnarbeiter bestand begreiflicherweise zwar meist aus Leuten, welche in den Stürmen des Lebens ihre Kräfte geübt hatten; aber der Kampfart der Indianer war wohl keiner von ihnen gewachsen, und wo nicht mehrere von ihnen gegen einen Indsman standen, behielt dieser gewiß die Oberhand, und die Stätte bedeckte sich immer mehr mit den unter dem wuchtigen Hieb des Tomahawk Gefallenen.

Nur drei von uns, Old Firehand, Winnetou und ich waren mit dieser Waffe versehen, und es zeigte sich allerdings, daß bei gleichen Waffen der intelligentere Europäer meist im Vorteile steht. Ich hatte das Gewehr längst aus der Hand gelegt und mich am Handgemenge beteiligt.

Je geringer die Zahl der Feinde wurde, desto mehr glaubten die Arbeiter, ihre Pflicht getan zu haben, und traten zur Seite, um sich zu erholen, um so mehr aber waren wir anderen engagiert und hatten wirklich vollauf zu tun, um den Rest der Feinde zu bemeistern.

Winnetou kannte ich genügsam und ließ ihn also unbeachtet; mit Gewalt dagegen drängte es mich in die Nähe von Old Firehand, dessen Anblick mich an jene alten Recken mahnte, von denen ich als Knabe so oft und mit Begeisterung gelesen. Mit auseinandergespreizten Beinen stand er grad und aufrecht da und ließ sich von den anderen die Indianer in das Schlachtbeil treiben, welches, von seiner riesenstarken Faust geführt, bei jedem Schlag zerschmetternd auf die Köpfe der Feinde sank. Die langen, weißen, mähnenartigen Haare wehten ihm ums entblößte Haupt, und in seinem vom Mond hell beschienenen Angesicht sprach sich ein Gefühl der Wonne aus, welche den Zügen einen geradezu befremdenden Ausdruck gab.

Seitwärts von ihm und mir kämpfte ein Indianer, welcher seinen Gegnern sehr zu schaffen machte, so daß es ihm endlich doch gelang, sich einen Weg zu bahnen, um dem Schicksal der übrigen zu entgehen. Eben stieß er den letzten im Weg Stehenden weit ab von sich und wollte das Weite suchen, als sich ihm ganz unerwartet ein neuer Feind entgegenstellte. Es war Winnetou, der bei dem Anblick des Wilden sofort herbeigesprungen kam, noch ehe ich die gleiche Absicht ausgeführt hatte.

„Parranoh!“ rief er, der sonst nach Indianersitte während des Kampfes den Mund nicht öffnete. „Will der Hund von Athabaska laufen vor Winnetou, dem Häuptling der Apachen? Der Mund der Erde soll sein Blut trinken, und die Kralle des Geiers soll zerreißen den Leib des Verräters; aber sein Skalp wird zieren den Gürtel des Apachen.“

Er warf den Tomahawk weit von sich, riß das Messer aus dem mit Kopfhäuten geschmückten Gürtel und packte den weißen Häuptling bei der Kehle.