Es war so, wie Halef gesagt hatte: Er hatte den Mangal umgerissen und lag mit dem Kopf in der Holzkohlenasche. Sein überlautes Schnarchen klang wie das Sägewerk einer im Gang befindlichen Schneidemühle.

Draußen im Hof sah es fürchterlich aus. Gut, daß wir schon getrunken hatten. Dem Europäer, der nur einen kurzen Blick auf diesen Schmutz warf, war es gewiß unmöglich, drin im Kahwe auch nur einen einzigen Schluck zu genießen! Die Leiter lag an; ich stieg, von Halef gefolgt, hinauf und mußte in ein enges Loch kriechen, an dessen Rand der Wirt lag. Er hatte den Mund weit offen; sein Atem war unhörbar. Sein Zustand schien mehr Betäubung als Schlaf zu sein. Punsch und Grog sind eben nur für kalte Länder, nicht für den heißen Orient.

Ein forschender Blick durch den niedrigen, von Unrat starrenden Raum sagte mir, daß hier kein Platz zu einem wichtigen Versteck sei. Ich steckte den goldenen Ring der Sillan als Erkennungszeichen an den Finger und rüttelte dann den Mann. Er wollte die Augen öffnen, brachte sie aber bei diesem ersten Versuche nicht auf. Ich rüttelte ihn stärker.

„Laß mich in Ruh!“ knurrte er und wälzte sich auf die andere Seite, so daß er durch das Loch hinabgefallen wäre, wenn ich ihn nicht weggeschoben hätte. Da nahm ich ihn bei den Schultern, setzte ihn auf und schüttelte ihn so lange, bis er die Augen vollständig offen hatte. Er starrte mich an, sagte aber nichts.

„Bist du wach? Kannst du sprechen?“ fragte ich ihn.

„Spre – – – chen“, wiederholte er mein letztes Wort mechanisch.

„Kennst du mich?“

„Du – – – bist – – –?“

Da hielt ich ihm den Ring vor die Augen und forderte ihn im strengsten Ton auf:

„Schau diesen Ring an! Er sagt dir, wer und was ich bin.“

Er richtete sein Auge zunächst gleichgültig auf meine Hand. Sobald er aber den Ring erblickte, wurde er aufmerksamer. Er faßte die Hand und zog sie näher an sich, um Gestalt und Schrift des Ringes zu betrachten. Dann ging es wie Schreck über sein Gesicht. Er versuchte, sich aufzurichten, brachte es aber nicht fertig.

„Hazreti (Ew. Hochgeboren) – Hazreti – Hazreti –!“ stammelte er. Weiter brachte er kein Wort hervor.

„Wach doch vollends auf, Mensch! Ermahne dich, und nimm dich zusammen! Du bist betrunken!“

„Be – trun – ken –!“

Die Bedeutung dieses Wortes schien ihm nicht gleich gegenwärtig zu sein; er sann darüber nach.

„Ja, betrunken bist du, vollständig betrunken!“ wiederholte ich.

Da kam es wie eine Spur von Erkenntnis in sein Auge. Er schüttelte den Kopf und antwortete:

„Nicht – betrunken – nicht! Ich kann – kann – ‚Die Ungläubigen‘ sagen, kann – – – sie sagen. Soll – – – soll ich?“

„Ja, sprich sie mir einmal vor, aber ohne Fehler!“ forderte ich ihn auf.

‚Die Ungläubigen‘, das ist nämlich die Überschrift der hundertneunten Sure des Korans.

Sie lautet:

„Sprich: O ihr Ungläubigen, ich verehre nicht das, was ihr verehret, und ihr werdet nie verehren das, was ich verehre. Ihr habt eure Religion, und ich habe die meinige.“

In der deutschen Übersetzung bietet dieser Text ja gar keine Schwierigkeiten; aber um so mehr muß derjenige aufpassen, der das arabische Original rezitieren will. Ein Betrunkener bringt das gar nicht fertig; darum wird dieses Korankapitel als Sura el Imtihan (Sure der Prüfung) bezeichnet und auch sehr oft angewendet. Man fordert den Betrunkenen, welcher leugnet, betrunken zu sein, auf, diese Sure herzusagen. Bringt er das fehlerlos fertig, so hat er bewiesen, daß er nüchtern ist; verspricht er sich aber dabei, so ist sein Zustand zweifellos die Folge übermäßigen Trinkens. Jeder Mohammedaner kennt diese Eigenschaft und diese Anwendung der hundertneunten Sure, und auch dem Kawedschi war sie bekannt. Kaum hatte ich das Wort betrunken ausgesprochen, so bot er mir an, durch diese Sure zu beweisen, daß er es nicht sei. Nachdem ich meine Zustimmung dazu erteilt hatte, nahm er sich zusammen und begann:

„Sprich, o – – – o ihr Un – Ungläubigen, ich verehre, verehre – nicht euch, und ihr was mich, was euch, was ihr verehret mich und ich euch, und ihr – – – ihr habt – – – habt meine Religion – – – Religion – ich habe eure – – – und ich – – – ich verehre – – – verehre mich nicht!“

„Dazu hast du auch ganz und gar keine Veranlassung!“ lachte ich, denn im Arabischen war die von ihm angerichtete heillose Verwirrung noch viel lächerlicher als in der deutschen Übersetzung, welche ich hier gebe. „Du kannst die Sure nicht richtig sagen und bist also betrunken!“

„Be – be – be –“, stammelte er. „O Hazreti – – – der Raki – Raki – und hei – heißes Zucker – – – Zuckerwasser – – – wasser!“

„Und nun du betrunken bist, weißt du nicht, was ich bin!“ warf ich ihm vor.

„Was – was – oh, ich weiß – – – weiß sehr gut! Hazreti bist – – – bist Sill – – – Sill – – – hoher Sill – – – sehr, sehr hoher Sill!“

„Das ist dein Glück, daß du wenigstens das noch siehst. Weißt du aber auch, daß du hier diesem Sill“ – ich deutete bei diesen Worten auf Halef – „den Brief gegeben hast, welchen Ghulam bekommen soll?“

„Brief –? Nein – nein – – – nicht gegeben; habe noch!“

„Weißt du, von wem er ist, dieser Brief?“

„Von – von Esara el – – – el Awar (Esara, der Einäugige), der ihn geschrieben und – – – und mir – – – mir gegeben hat.“

„Wo ist Esara jetzt?“

„Nach Kor – – – Korna, wo – – – wo er wohnt.“

„Und weißt du wirklich ganz gewiß, für wen der Brief bestimmt ist?“

„Für Ghulam el – – – el Multasim (Staatspächter).“

„Und wo Ghulam sich jetzt befindet?“

„In – in – Straße nach – ah – ah!“

Da war es mit seiner Beherrschung zu Ende.