Ebenso ist es im Leben mit der Zeit. Und um ihren Flug spürbar zu machen, kommen die Romanautoren nicht umhin, den Puls des Uhrzeigers irrwitzig beschleunigen und den Leser zehn, zwanzig, dreißig Jahre in zwei Minuten überspringen zu lassen. Oben auf der Seite hat man einen hoffnungsvollen Liebhaber verlassen, am Fuße der nächsten trifft man einen Achtzigjährigen wieder, der mühselig auf dem Rasen eines Pflegeheims seinen täglichen Spaziergang absolviert, kaum auf die Worte reagiert, die man an ihn richtet, der die Vergangenheit vergessen hat. Indem mein Vater von mir sagte: »Das ist kein Kind mehr, seine Neigungen werden sich nicht mehr ändern«, usw., hatte er mich plötzlich mir selbst in der Zeit sichtbar werden lassen und mich in die gleiche Art von Traurigkeit gestürzt, als wäre ich nun zwar nicht direkt der verkalkte Heiminsasse, aber einer jener Helden, von [79] denen der Autor uns in einem gleichgültigen Ton, der ja besonders grausam ist, zum Ende eines Buches sagt: »Immer seltener verlässt er das flache Land; er hat sich dort schließlich endgültig eingerichtet«, usw.*

Indessen sagte mein Vater zu Maman, um den kritischen Bemerkungen zuvorzukommen, die wir über unseren Gast machen könnten: »Ich gebe zu, dass der gute alte Norpois ein wenig ›steifleinen‹ war, wie ihr euch ausdrückt. Als er sagte, dass es ›wenig schicklich‹ gewesen wäre, dem Grafen von Paris eine Frage zu stellen, hatte ich schon Angst, dass ihr anfangen würdet zu lachen.« – »Aber nicht doch«, antwortete meine Mutter, »es gefällt mir sehr gut, wenn sich ein Mann in einer solchen Stellung und von seinem Alter diese Art von Naivität bewahrt hat, die ja nur beweist, dass er von Grund auf anständig und gut erzogen ist.« – »Allerdings! Das hindert ihn aber nicht, schlau und geschickt zu sein, wie ich bezeugen kann, der ihn in der Kommission ganz anders erlebt als hier«, rief mein Vater aus, der froh war zu sehen, dass Maman Monsieur de Norpois zu würdigen wusste, und sie gern überzeugt hätte, dass dieser noch großartiger war, als sie glaubte, denn Zuneigung findet ebenso viel Gefallen an der Überschätzung wie Spottlust an der Herabsetzung. »Wie hat er doch gleich gesagt … ›bei Fürstlichkeiten weiß man nie …‹« – »Ja, genau das. Es war mir auch aufgefallen, das ist sehr feinsinnig. Man merkt, dass er über gründliche Lebenserfahrung verfügt.« – »Unglaublich, dass er bei den Swanns zum Essen war und dort im wesentlichen ganz normale Leute, Beamte, angetroffen hat. Wo kann Madame Swann die nur alle aufgetrieben haben?« – »Ist dir aufgefallen, mit welcher Boshaftigkeit er diese Bemerkung eingeflochten hat, ›das ist ein Haus, in dem vor allem Männer verkehren‹?«

Und beide versuchten, die Art und Weise nachzuahmen, in der Monsieur de Norpois diesen Satz gesagt hatte, so wie sie es mit [80] dem einen oder anderen Tonfall von Bressant oder von Thiron in der Abenteurerin oder im Schwiegersohn des Herrn Poirier getan hätten*. Aber von allen seinen Worten wurde eines ganz besonders von Françoise genossen, die sich noch nach Jahren »nicht halten konnte«, wenn man sie daran erinnerte, dass sie von dem Botschafter als »Küchenchef erster Güte« gewürdigt worden war, was meine Mutter ihr überbrachte wie ein Kriegsminister die Glückwünsche eines durchreisenden Herrschers nach der »Besichtigung« der Truppe. Übrigens war ich ihr in die Küche vorausgeeilt. Denn ich hatte Françoise, der friedliebenden, aber grausamen, das Versprechen abgenommen, dass sie das Kaninchen, das sie zu schlachten hatte, nicht zu sehr leiden lassen würde, und ich hatte noch keinen Bericht über diesen Tod erhalten; Françoise versicherte mir, dass er der beste von der Welt gewesen sei und ganz schnell: »Ich habe noch nie ein Viech wie das gesehen; es ist gestorben, ohne auch nur einen Mucks zu sagen, man hätte fast geglaubt, dass es stumm ist.« Da ich mit der Sprache der Tiere wenig vertraut war, wendete ich ein, dass das Kaninchen vielleicht nicht schreie, wie etwa der Hahn. »Da warten Sie mal ab«, sagte Françoise empört über meine Unwissenheit, »ob die Kaninchen nicht ebenso schreien wie die Hühner. Die haben sogar eine noch kräftigere Stimme.« Françoise nahm die Komplimente von Monsieur de Norpois mit der stolzen Einfalt und dem glücklichen und – für den Augenblick jedenfalls – durchgeistigten Blick eines Künstlers entgegen, mit dem man über seine Kunst spricht. Meine Mutter hatte sie früher einmal in einige bessere Restaurants geschickt, damit sie sehen konnte, wie man dort die Küche betrieb. Als ich sie an diesem Abend hörte, wie sie die berühmtesten unter ihnen als Imbissbuden abtat, bereitete mir das das gleiche Vergnügen wie damals, als ich über die Schauspieler erfuhr, dass ihre Rangordnung nach ihrem Verdienst keineswegs die gleiche war wie die nach ihrer Berühmtheit. »Der Botschafter hat [81] versichert«, sagte meine Mutter zu ihr, »dass man nirgendwo solch kaltes Rind und solche Soufflés essen könne wie Ihre.« Françoise stimmte dem mit bescheidener Miene und um der Wahrheit die Ehre zu geben zu, ohne übrigens von dem Titel eines Botschafters sonderlich beeindruckt zu sein; sie sagte mit der Freundlichkeit, die jemandem gebührte, der sie für einen »Chef« gehalten hatte, von Monsieur de Norpois: »Der ist gute alte Schule, so wie ich.« Sie hatte versucht, ihn zu Gesicht zu bekommen, als er eintraf, aber da sie wusste, dass Maman es nicht leiden konnte, wenn man hinter den Türen oder Fenstern lungerte, und dachte, dass diese von den anderen Dienstboten oder den Concierges erfahren würde, dass sie auf der Lauer gelegen habe (denn Françoise sah überall nur »Missgunst« und »Tratsch«, die in ihrer Vorstellung die gleiche beständige und düstere Rolle spielten wie bei manchen anderen Leuten die Machenschaften der Jesuiten oder der Juden), hatte sie sich damit begnügt, durch das Fenster der Küche zu schauen, »um es nicht mit Madame zu tun zu bekommen«, und hinter dem flüchtigen Anblick von Monsieur de Norpois »Monsieur Legrandin vermeint«, wegen seiner Behendigkeit, obwohl zwischen den beiden nicht die geringste Ähnlichkeit bestand. »Aber nun«, fragte meine Mutter, »wie erklären Sie sich, dass niemand den Aspik so gut hinkriegt wie Sie (wenn Sie es wollen)?« – »Ich weiß auch nicht, woher das herkommt«, antwortete Françoise (die keine säuberliche Trennlinie zwischen dem Verb »kommen«, zumindest bei bestimmten Bedeutungen, und dem Verb »herkommen« zog). Im übrigen stimmte, was sie sagte, jedenfalls teilweise, und sie war ebenso wenig fähig – oder geneigt –, das Geheimnis zu lüften, dem ihr Aspik oder ihre Süßspeisen ihre Überlegenheit zu verdanken hatten, wie eine elegante Dame das ihrer Toiletten oder eine große Sängerin das ihres Gesanges. Ihre Erklärungen sagen uns nicht viel; genauso war es auch mit den Rezepten unserer Köchin. »Die kochen alles zu sehr [82] auf die Schnelle«, antwortete sie, wenn sie über die großen Restaurants sprach, »und denn auch nicht zusammen. Das Rind, das muss wie ein Schwamm werden, dann saugt es den Bratensaft bis auf den Boden auf. Bei dem einen Lokal allerdings kam es mir schon so vor, als ob die recht gut was vom Kochen verstehen. Ich will nicht sagen, dass das ganz an meinen Aspik ranreichte, aber es war ganz passabel gemacht, und die Soufflés hatten reichlich Sahne.« – »Ist das Henry?« fragte mein Vater, der dazugekommen war und der das Restaurant an der Place Gaillon sehr schätzte, wo er regelmäßig mit Kollegen aß. »Aber nein!« sagte Françoise mit einer Sanftheit, die ihre tiefe Verachtung vertuschte, »ich meinte ein kleines Restaurant. Dieser Henry, der ist sicher recht gut, aber das ist kein Restaurant, das ist eher … eine Suppenküche.« – »Weber?« – »Ach nein, Monsieur, ich wollte sagen, ein gutes Restaurant! Weber, das ist in der Rue Royale, das ist kein Restaurant, das ist ein Wirtshaus. Ich weiß gar nicht, wie das, was die Ihnen da geben, serviert wird. Ich glaube, die haben nicht mal Tischtücher, die stellen das einfach so auf den Tisch, wie’s kommt.« – »Cirro?«* – Françoise lächelte: »Ha!, ich glaube, was man dort anbietet, sind vor allem Damen von Welt.« (»Welt« bezeichnete für Françoise »Halbwelt«.) »Freilich, auch das muss es für die Jugend geben.« Uns wurde klar, dass Françoise mit ihrer Unschuldsmiene auch für die berühmtesten Köche eine furchterregendere »Kollegin« war, als es auch die eifersüchtigste und eingebildetste Schauspielerin nur hätte sein können. Wir merkten jedoch auch, dass sie ein sicheres Gefühl für ihre Kunst und Achtung vor der Tradition hatte, denn sie fügte hinzu: »Nein, ich meinte ein Restaurant, das den Eindruck machte, als hätte man da eine recht gute, bescheidene bürgerliche Küche. Das ist ein Haus, aber wirklich erheblich*.