Wer sie auch immer sei,
  So hat sie selbst den König wohl gekannt
  Und ist, zu unserm Glück, aus hohem Hause
  Hierher verkauft. Nur stille, liebes Herz,
  Und laß dem Stern der Hoffnung, der uns blinkt,
  Mit frohem Muth uns klug entgegen steuern.

Dritter Aufzug.

Erster Auftritt.

Iphigenie. Orest.

  Iphigenie.
  Unglücklicher, ich löse deine Bande
  Zum Zeichen eines schmerzlichern Geschicks.
  Die Freiheit, die das Heiligthum gewährt,
  Ist, wie der letzte lichte Lebensblick
  Des schwer Erkrankten, Todesbote. Noch
  Kann ich es mir und darf es mir nicht sagen,
  Daß ihr verloren seid! Wie könnt' ich euch
  Mit mörderischer Hand dem Tode weihen?
  Und niemand, wer es sei, darf euer Haupt,
  So lang ich Priesterin Dianens bin,
  Berühren. Doch verweigr' ich jene Pflicht,
  Wie sie der aufgebrachte König fordert;
  So wählt er eine meiner Jungfraun mir
  Zur Folgerin, und ich vermag alsdann
  Mit heißem Wunsch allein euch beizustehn.
  O werther Landsmann! Selbst der letzte Knecht,
  Der an den Herd der Vatergötter streifte,
  Ist uns in fremdem Lande hoch willkommen:
  Wie soll ich euch genug mit Freud' und Segen
  Empfangen, die ihr mir das Bild der Helden,
  Die ich von Eltern her verehren lernte,
  Entgegen bringet und das innre Herz
  Mit neuer schöner Hoffnung schmeichelnd labet!

  Orest.
  Verbirgst du deinen Namen, deine Herkunft
  Mit klugem Vorsatz? oder darf ich wissen,
  Wer mir, gleich einer Himmlischen, begegnet?

  Iphigenie.
  Du sollst mich kennen. Jetzo sag' mir an,
  Was ich nur halb von deinem Bruder hörte,
  Das Ende derer, die von Troja kehrend
  Ein hartes unerwartetes Geschick
  Auf ihrer Wohnung Schwelle stumm empfing.
  Zwar ward ich jung an diesen Strand geführt;
  Doch wohl erinnr' ich mich des scheuen Blicks,
  Den ich mit Staunen und mit Bangigkeit
  Auf jene Helden warf. Sie zogen aus,
  Als hätte der Olymp sich aufgethan
  Und die Gestalten der erlauchten Vorwelt
  Zum Schrecken Ilions herabgesendet,
  Und Agamemnon war vor allen herrlich!
  O sage mir! Er fiel, sein Haus betretend,
  Durch seiner Frauen und Ägisthens Tücke?

  Orest.
  Du sagst's!

  Iphigenie.
                Weh dir, unseliges Mycen!
  So haben Tantals Enkel Fluch auf Fluch
  Mit vollen wilden Händen ausgesät!
  Und gleich dem Unkraut, wüste Häupter schüttelnd
  Und tausendfält'gen Samen um sich streuend,
  Den Kindeskindern nahverwandte Mörder
  Zur ew'gen Wechselwuth erzeugt! Enthülle,
  Was von der Rede deines Bruders schnell
  Die Finsterniß des Schreckens mir verdeckte.
  Wie ist des großen Stammes letzter Sohn,
  Das holde Kind, bestimmt des Vaters Rächer
  Dereinst zu sein, wie ist Orest dem Tage
  Des Bluts entgangen? Hat ein gleich Geschick
  Mit des Avernus Netzen ihn umschlungen?
  Ist er gerettet? Lebt er? Lebt Elektra?

  Orest.
  Sie leben.

  Iphigenie.
               Goldne Sonne, leihe mir
  Die schönsten Strahlen, lege sie zum Dank
  Vor Jovis Thron! denn ich bin arm und stumm.

  Orest.
  Bist du gastfreundlich diesem Königs-Hause,
  Bist du mit nähern Banden ihm verbunden,
  Wie deine schöne Freude mir verräth:
  So bändige dein Herz und halt' es fest!
  Denn unerträglich muß dem Fröhlichen
  Ein jäher Rückfall in die Schmerzen sein.
  Du weißt nur, merk' ich, Agamemnons Tod.

  Iphigenie.
  Hab' ich an dieser Nachricht nicht genug?

  Orest.
  Du hast des Gräuels Hälfte nur erfahren.

  Iphigenie.
  Was fürcht' ich noch? Orest, Elektra leben.

  Orest.
  Und fürchtest du für Klytämnestren nichts?

  Iphigenie.
  Sie rettet weder Hoffnung, weder Furcht.

  Orest.
  Auch schied sie aus dem Land der Hoffnung ab.

  Iphigenie.
  Vergoß sie reuig wüthend selbst ihr Blut?

  Orest.
  Nein, doch ihr eigen Blut gab ihr den Tod.

  Iphigenie.
  Sprich deutlicher, daß ich nicht länger sinne.
  Die Ungewißheit schlägt mir tausendfältig
  Die dunkeln Schwingen um das bange Haupt.

  Orest.
  So haben mich die Götter ausersehn
  Zum Boten einer That, die ich so gern
  In's klanglos-dumpfe Höhlenreich der Nacht
  Verbergen möchte? Wider meinen Willen
  Zwingt mich dein holder Mund; allein er darf
  Auch etwas Schmerzlichs fordern und erhält's.
  Am Tage, da der Vater fiel, verbarg
  Elektra rettend ihren Bruder: Strophius,
  Des Vaters Schwäher, nahm ihn willig auf,
  Erzog ihn neben seinem eignen Sohne,
  Der, Pylades genannt, die schönsten Bande
  Der Freundschaft um den Angekommnen knüpfte.
  Und wie sie wuchsen, wuchs in ihrer Seele
  Die brennende Begier des Königs Tod
  Zu rächen. Unversehen, fremd gekleidet,
  Erreichen sie Mycen, als brächten sie
  Die Trauernachricht von Orestens Tode
  Mit seiner Asche. Wohl empfänget sie
  Die Königin; sie treten in das Haus.
  Elektren gibt Orest sich zu erkennen;
  Sie bläs't der Rache Feuer in ihm auf,
  Das vor der Mutter heil'ger Gegenwart
  In sich zurückgebrannt war. Stille führt
  Sie ihn zum Orte, wo sein Vater fiel,
  Wo eine alte leichte Spur des frech
  Vergoss'nen Blutes oftgewaschnen Boden
  Mit blassen ahndungsvollen Streifen färbte.
  Mit ihrer Feuerzunge schilderte
  Sie jeden Umstand der verruchten That,
  Ihr knechtisch elend durchgebrachtes Leben,
  Den Übermuth der glücklichen Verräther,
  Und die Gefahren, die nun der Geschwister
  Von einer stiefgewordnen Mutter warteten.—
  Hier drang sie jenen alten Dolch ihm auf,
  Der schon in Tantals Hause grimmig wüthete,
  Und Klytämnestra fiel durch Sohnes Hand.

  Iphigenie.
  Unsterbliche, die ihr den reinen Tag
  Auf immer neuen Wolken selig lebet,
  Habt ihr nur darum mich so manches Jahr
  Von Menschen abgesondert, mich so nah
  Bei euch gehalten, mir die kindliche
  Beschäftigung, des heil'gen Feuers Gluth
  Zu nähren aufgetragen, meine Seele
  Der Flamme gleich in ew'ger frommer Klarheit
  Zu euern Wohnungen hinaufgezogen,
  Daß ich nur meines Hauses Gräuel später
  Und tiefer fühlen sollte? Sage mir
  Vom Unglücksel'gen! sprich mir von Orest!—

  Orest.
  O, könnte man von seinem Tode sprechen!
  Wie gährend stieg aus der Erschlagnen Blut
  Der Mutter Geist
  Und ruft der Nacht uralten Töchtern zu:
  "Laßt nicht den Muttermörder entfliehn!
  Verfolgt den Verbrecher! Euch ist er geweiht!"
  Sie horchen auf, es schaut ihr hohler Blick
  Mit der Begier des Adlers um sich her.
  Sie rühren sich in ihren schwarzen Höhlen,
  Und aus den Winkeln schleichen ihre Gefährten,
  Der Zweifel und die Reue, leis herbei.
  Vor ihnen steigt ein Dampf vom Acheron;
  In seinen Wolkenkreisen wälzet sich
  Die ewige Betrachtung des Geschehnen
  Verwirrend um des Schuld'gen Haupt umher
  Und sie, berechtigt zum Verderben, treten
  Der gottbesäten Erde schönen Boden,
  Von dem ein alter Fluch sie längst verbannte.
  Den Flüchtigen verfolgt ihr schneller Fuß;
  Sie geben nur um neu zu schrecken Rast.

  Iphigenie.
  Unseliger, du bist in gleichem Fall,
  Und fühlst was er, der arme Flüchtling, leidet!

  Orest.
  Was sagst du mir? was wähnst du gleichen Fall?

  Iphigenie.
  Dich drückt ein Brudermord wie jenen; mir
  Vertraute dieß dein jüngster Bruder schon.

  Orest.
  Ich kann nicht leiden, daß du große Seele
  Mit einem falschen Wort betrogen werdest.
  Ein lügenhaft Gewebe knüpf' ein Fremder
  Dem Fremden, sinnreich und der List gewohnt,
  Zur Falle vor die Füße; zwischen uns
  Sei Wahrheit!
  Ich bin Orest! und dieses schuld'ge Haupt
  Senkt nach der Grube sich und sucht den Tod;
  In jeglicher Gestalt sei er willkommen!
  Wer du auch seist, so wünsch' ich Rettung dir
  Und meinem Freunde; mir wünsch' ich sie nicht.
  Du scheinst hier wider Willen zu verweilen;
  Erfindet Rath zur Flucht und laßt mich hier.
  Es stürze mein entseelter Leib vom Fels,
  Es rauche bis zum Meer hinab mein Blut,
  Und bringe Fluch dem Ufer der Barbaren!
  Geht ihr, daheim im schönen Griechenland
  Ein neues Leben freundlich anzufangen.
               (Er entfernt sich.)

  Iphigenie.
  So steigst du denn, Erfüllung, schönste Tochter
  Des größten Vaters, endlich zu mir nieder!
  Wie ungeheuer steht dein Bild vor mir!
  Kaum reicht mein Blick dir an die Hände, die
  Mit Furcht und Segenskränzen angefüllt
  Die Schätze des Olympus niederbringen.
  Wie man den König an dem Übermaß
  Der Gaben kennt: denn ihm muß wenig scheinen
  Was Tausenden schon Reichthum ist; so kennt
  Man euch, ihr Götter, an gesparten, lang
  Und weise zubereiteten Geschenken.
  Denn ihr allein wißt was uns frommen kann,
  Und schaut der Zukunft ausgedehntes Reich,
  Wenn jedes Abends Stern- und Nebelhülle
  Die Aussicht uns verdeckt. Gelassen hört
  Ihr unser Flehn, das um Beschleunigung
  Euch kindisch bittet; aber eure Hand
  Bricht unreif nie die goldnen Himmelsfrüchte;
  Und wehe dem, der ungeduldig sie
  Ertrotzend saure Speise sich zum Tod
  Genießt. O laßt das lang erwartete,
  Noch kaum gedachte Glück nicht, wie den Schatten
  Des abgeschiednen Freundes, eitel mir
  Und dreifach schmerzlicher vorübergehn!

  Orest (tritt wieder zu ihr).
  Rufst du die Götter an für dich und Pylades,
  So nenne meinen Namen nicht mit eurem.
  Du rettest den Verbrecher nicht, zu dem
  Du dich gesellst, und theilest Fluch und Noth.

  Iphigenie.
  Mein Schicksal ist an deines fest gebunden.

  Orest.
  Mit nichten! Laß allein und unbegleitet
  Mich zu den Todten gehn. Verhülltest du
  In deinen Schleier selbst den Schuldigen;
  Du birgst ihn nicht vor'm Blick der Immerwachen,
  Und deine Gegenwart, du Himmlische,
  Drängt sie nur seitwärts und verscheucht sie nicht.
  Sie dürfen mit den ehrnen frechen Füßen
  Des heil'gen Waldes Boden nicht betreten;
  Doch hör' ich aus der Ferne hier und da
  Ihr gräßliches Gelächter. Wölfe harren
  So um den Baum, auf den ein Reisender
  Sich rettete. Da draußen ruhen sie
  Gelagert; und verlass' ich diesen Hain,
  Dann steigen sie, die Schlangenhäupter schüttelnd,
  Von allen Seiten Staub erregend auf
  Und treiben ihre Beute vor sich her.

  Iphigenie.
  Kannst du, Orest, ein freundlich Wort vernehmen?

  Orest.
  Spar' es für einen Freund der Götter auf.

  Iphigenie.
  Sie geben dir zu neuer Hoffnung Licht.

  Orest.
  Durch Rauch und Qualm seh' ich den matten Schein
  Des Todtenflusses mir zur Hölle leuchten.

  Iphigenie.
  Hast du Elektren, Eine Schwester nur?

  Orest.
  Die Eine kannt' ich; doch die ält'ste nahm
  Ihr gut Geschick, das uns so schrecklich schien,
  Bei Zeiten aus dem Elend unsers Hauses.
  O laß dein Fragen, und geselle dich
  Nicht auch zu den Erinnyen; sie blasen
  Mir schadenfroh die Asche von der Seele,
  Und leiden nicht, daß sich die letzten Kohlen
  Von unsers Hauses Schreckensbrande still
  In mir verglimmen. Soll die Gluth denn ewig,
  Vorsätzlich angefacht, mit Höllenschwefel
  Genährt, mir auf der Seele marternd brennen?

  Iphigenie.
  Ich bringe süßes Rauchwerk in die Flamme.
  O laß den reinen Hauch der Liebe dir
  Die Gluth des Busens leise wehend kühlen.
  Orest, mein Theurer, kannst du nicht vernehmen?
  Hat das Geleit der Schreckensgötter so
  Das Blut in deinen Adern aufgetrocknet?
  Schleicht, wie vom Haupt der gräßlichen Gorgone,
  Versteinernd dir ein Zauber durch die Glieder?
  O wenn vergoss'nen Mutterblutes Stimme
  Zur Höll' hinab mit dumpfen Tönen ruft;
  Soll nicht der reinen Schwester Segenswort
  Hülfreiche Götter von Olympus rufen?

  Orest.
  Es ruft! es ruft! So willst du mein Verderben!
  Verbirgt in dir sich eine Rachegöttin?
  Wer bist du, deren Stimme mir entsetzlich
  Das Innerste in seinen Tiefen wendet?

  Iphigenie.
  Es zeigt sich dir im tiefsten Herzen an:
  Orest, ich bin's! Sieh Iphigenien!
  Ich lebe!

  Orest.
              Du!

  Iphigenie.
                   Mein Bruder!

  Orest.
                                 Laß! Hinweg!
  Ich rathe dir, berühre nicht die Locken!
  Wie von Kreusa's Brautkleid zündet sich
  Ein unauslöschlich Feuer von mir fort.
  Laß mich! Wie Hercules will ich Unwürd'ger
  Den Tod voll Schmach, in mich verschlossen, sterben.

  Iphigenie.
  Du wirst nicht untergehn! O daß ich nur
  Ein ruhig Wort von dir vernehmen könnte!
  O löse meine Zweifel, laß des Glückes,
  Des lang erflehten, mich auch sicher werden.
  Es wälzet sich ein Rad von Freud' und Schmerz
  Durch meine Seele. Von dem fremden Manne
  Entfernet mich ein Schauer; doch es reißt
  Mein Innerstes gewaltig mich zum Bruder.

  Orest.
  Ist hier Lyäens Tempel? und ergreift
  Unbändig-heil'ge Wuth die Priesterin?

  Iphigenie.
  O höre mich! O sieh mich an, wie mir
  Nach einer langen Zeit das Herz sich öffnet,
  Der Seligkeit, dem Liebsten, was die Welt
  Noch für mich tragen kann, das Haupt zu küssen,
  Mit meinen Armen, die den leeren Winden
  Nur ausgebreitet waren, dich zu fassen!
  O laß mich! Laß mich! Denn es quillet heller
  Nicht vom Parnaß die ew'ge Quelle sprudelnd
  Von Fels zu Fels in's goldne Thal hinab,
  Wie Freude mir vom Herzen wallend fließt,
  Und wie ein selig Meer mich rings umfängt.
  Orest! Orest! Mein Bruder!

  Orest.
                                Schöne Nymphe,
  Ich traue dir und deinem Schmeicheln nicht.
  Diana fordert strenge Dienerinnen
  Und rächet das entweihte Heiligthum.
  Entferne deinen Arm von meiner Brust!
  Und wenn du einen Jüngling rettend lieben,
  Das schöne Glück ihm zärtlich bieten willst,
  So wende meinem Freunde dein Gemüth,
  Dem würd'gern Manne zu. Er irrt umher
  Auf jenem Felsenpfade; such' ihn auf,
  Weis' ihn zurecht und schone meiner.

  Iphigenie.
                                        Fasse
  Dich, Bruder, und erkenne die Gefundne!
  Schilt einer Schwester reine Himmelsfreude
  Nicht unbesonnene, strafbare Lust.
  O nehmt den Wahn ihm von dem starren Auge,
  Daß uns der Augenblick der höchsten Freude
  Nicht dreifach elend mache! Sie ist hier,
  Die längst verlorne Schwester. Vom Altar
  Riß mich die Göttin weg und rettete
  Hierher mich in ihr eigen Heiligthum.
  Gefangen bist du, dargestellt zum Opfer,
  Und findest in der Priesterin die Schwester.

  Orest.
  Unselige! So mag die Sonne denn
  Die letzten Gräuel unsers Hauses sehn!
  Ist nicht Elektra hier? damit auch sie
  Mit uns zu Grunde gehe, nicht ihr Leben
  Zu schwererem Geschick und Leiden friste.
  Gut, Priesterin! Ich folge zum Altar:
  Der Brudermord ist hergebrachte Sitte
  Des alten Stammes; und ich danke, Götter,
  Daß ihr mich ohne Kinder auszurotten
  Beschlossen habt. Und laß dir rathen, habe
  Die Sonne nicht zu lieb und nicht die Sterne;
  Komm, folge mir in's dunkle Reich hinab!
  Wie sich vom Schwefelpfuhl erzeugte Drachen
  Bekämpfend die verwandte Brut verschlingen,
  Zerstört sich selbst das wüthende Geschlect;
  Komm kinderlos und schuldlos mit hinab!
  Du siehst mich mit Erbarmen an? Laß ab!
  Mit solchen Blicken suchte Klytämnestra
  Sich einen Weg nach ihres Sohnes Herzen;
  Doch sein geschwungner Arm traf ihre Brust.
  Die Mutter fiel!—Tritt auf, unwill'ger Geist!
  Im Kreis geschlossen tretet an, ihr Furien,
  Und wohnet dem willkommnen Schauspiel bei,
  Dem letzten, gräßlichsten, das ihr bereitet!
  Nicht Haß und Rache schärfen ihren Dolch;
  Die liebevolle Schwester wird zur That
  Gezwungen. Weine nicht! Du hast nicht Schuld.
  Seit meinen ersten Jahren hab' ich nichts
  Geliebt, wie ich dich lieben könnte, Schwester.
  Ja, schwinge deinen Stahl, verschone nicht,
  Zerreiße diesen Busen, und eröffne
  Den Strömen die hier sieden einen Weg!
       (Er sinkt in Ermattung.)

  Iphigenie.
  Allein zu tragen dieses Glück und Elend
  Vermag ich nicht.—Wo bist du, Pylades?
  Wo find' ich deine Hülfe, theurer Mann?
       (Sie entfernt sich suchend.)

Zweiter Auftritt.

  Orest
  (aus seiner Betäubung erwachend und sich aufrichtend).

  Noch Einen! reiche mir aus Lethe's Fluthen
  Den letzten kühlen Becher der Erquickung!
  Bald ist der Krampf des Lebens aus dem Busen
  Hinweggespült; bald fließet still mein Geist,
  Der Quelle des Vergessens hingegeben,
  Zu euch, ihr Schatten, in die ew'gen Nebel.
  Gefällig laßt in eurer Ruhe sich
  Den umgetriebnen Sohn der Erde laben!—
  Welch ein Gelispel hör' ich in den Zweigen,
  Welch ein Geräusch aus jener Dämmrung säuseln?—
  Sie kommen schon, den neuen Gast zu sehn!
  Wer ist die Schaar, die herrlich mit einander
  Wie ein versammelt Fürstenhaus sich freut?
  Sie gehen friedlich, Alt' und Junge, Männer
  Mit Weibern; göttergleich und ähnlich scheinen
  Die wandelnden Gestalten. Ja, sie sind's,
  Die Ahnherrn meines Hauses!—Mit Thyesten
  Geht Atreus in vertraulichen Gesprächen;
  Die Knaben schlüpfen scherzend um sie her.
  Ist keine Feindschaft hier mehr unter euch?
  Verlosch die Rache wie das Licht der Sonne?
  So bin auch ich willkommen, und ich darf
  In euern feierlichen Zug mich mischen.
  Willkommen, Väter! euch grüßt Orest,
  Von euerm Stamme der letzte Mann;
  Was ihr gesät, hat er geerntet:
  Mit Fluch beladen stieg er herab,
  Doch leichter träget sich hier jede Bürde:
  Nehmt ihn, o nehmt ihn in euern Kreis!—
  Dich, Atreus, ehr' ich, auch dich Thyesten:
  Wir sind hier alle der Feindschaft los.—
  Zeigt mir den Vater, den ich nur einmal
  Im Leben sah!—Bist du's, mein Vater?
  Und führst die Mutter vertraut mit dir?
  Darf Klytämnestra die hand dir reichen;
  So darf Orest auch zu ihr treten
  Und darf ihr sagen: sieh deinen Sohn!—
  Seht euern Sohn! Heißt ihn willkommen.
  Auf Erden war in unserm Hause
  Der Gruß des Mordes gewisse Losung,
  Und das Geschlect des alten Tantalus
  Hat seine Freuden jenseits der Nacht.
  Ihr ruft: Willkommen! und nehmt mich auf!
  O führt zum Alten, zum Ahnherrn mich!
  Wo ist der Alte? daß ich ihn sehe,
  Das theure Haupt, das vielverehrte,
  Das mit den Göttern zu Rathe saß.
  Ihr scheint zu zaudern, euch wegzuwenden?
  Was ist es? Leidet der Göttergleiche?
  Weh mir! es haben die Übermächt'gen
  Der Heldenbrust grausame Qualen
  Mit ehrnen Ketten fest aufgeschmiedet.

Dritter Auftritt.

Orest. Iphigenie. Pylades.

  Orest.
  Seid ihr auch schon herabgekommen?
  Wohl Schwester dir! Noch fehlt Elektra:
  Ein güt'ger Gott send' uns die Eine
  Mit sanften Pfeilen auch schnell herab.
  Dich, armer Freund, muß ich bedauern!
  Komm mit! komm mit! zu Pluto's Thron,
  Als neue Gäste den Wirth zu grüßen.

  Iphigenie.
  Geschwister, die ihr an dem weiten Himmel
  Das schöne Licht bei Tag und Nacht herauf
  Den Menschen bringet, und den Abgeschiednen
  Nicht leuchten dürfet, rettet uns Geschwister!
  Du liebst, Diane, deinen holden Bruder
  Vor allem, was dir Erd' und Himmel bietet,
  Und wendest dein jungfräulich Angesicht
  Nach seinem ew'gen Lichte sehnend still.
  O laß den einz'gen Spätgefundnen mir
  Nicht in der Finsterniß des Wahnsinns rasen!
  Und ist dein Wille, da du hier mich bargst,
  Nunmehr vollendet, willst du mir durch ihn
  Und ihm durch mich die sel'ge Hülfe geben;
  So lös' ihn von den Banden jenes Fluchs,
  Daß nicht die theure Zeit der Rettung schwinde.

  Pylades.
  Erkennst du uns und diesen heil'gen Hain
  Und dieses Licht, das nicht den Todten leuchtet?
  Fühlst du den Arm des Freundes und der Schwester,
  Die dich noch fest, noch lebend halten? Faß
  Uns kräftig an; wir sind nicht leere Schatten.
  Merk' auf mein Wort! Vernimm es! Raffe dich
  Zusammen! Jeder Augenblick ist theuer,
  Und unsre Rückkehr hängt an zarten Fäden,
  Die, scheint es, eine günst'ge Parze spinnt.

  Orest (zu Iphigenien).
  Laß mich zum Erstenmal mit freiem Herzen
  In deinen Armen reine Freude haben!
  Ihr Götter, die mit flammender Gewalt
  Ihr schwere Wolken aufzuzehren wandelt,
  Und gnädig-ernst den lang erflehten Regen
  Mit Donnerstimmen und mit Windesbrausen
  In wilden Strömen auf die Erde schüttet,
  Doch bald der Menschen grausendes Erwarten
  In Segen auflös't und das bange Staunen
  In Freudeblick und lauten Dank verwandelt,
  Wenn in den Tropfen frischerquickter Blätter
  Die neue Sonne tausendfach sich spiegelt,
  Und Iris freundlich bunt mit leichter Hand
  Den grauen Flor der letzten Wolken trennt;
  O laßt mich auch in meiner Schwester Armen,
  An meines Freundes Brust, was ihr mir gönnt
  Mit vollem Dank genießen und behalten.
  Es löset sich der Fluch, mir sagt's das Herz.
  Die Eumeniden ziehn, ich höre sie,
  Zum Tartarus und schlagen hinter sich
  Die ehrnen Thore fernabdonnernd zu.
  Die Erde dampft erquickenden Geruch
  Und ladet mich auf ihren Flächen ein,
  Nach Lebensfreud' und großer That zu jagen.

  Pylades.
  Versäumt die Zeit nicht, die gemessen ist!
  Der Wind der unsre Segel schwellt, er bringe
  Erst unsre volle Freude zum Olymp.
  Kommt! Es bedarf hier schnellen Rath und Schluß.

Vierter Aufzug.

Erster Auftritt.

  Iphigenie.
  Denken die Himmlischen
  Einem der Erdgebornen
  Viele Verwirrungen zu,
  Und bereiten sie ihm
  Von der Freude zu Schmerzen
  Und von Schmerzen zur Freude
  Tief-erschütternden Übergang;
  Dann erziehen sie ihm
  In der Nähe der Stadt,
  Oder am fernen Gestade,
  Daß in Stunden der Noth
  Auch die Hülfe bereit sei,
  Einen ruhigen Freund.
  O segnet, Götter, unsern Pylades
  Und was er immer unternehmen mag!
  Er ist der Arm des Jünglings in der Schlacht,
  Des Greises leuchtend Aug' in der Versammlung:
  Denn seine Seel' ist stille; sie bewahrt
  Der Ruhe heil'ges unerschöpftes Gut,
  Und den Umhergetriebnen reichet er
  Aus ihren Tiefen Rath und Hülfe. Mich
  Riß er vom Bruder los; den staunt' ich an
  Und immer wieder an, und konnte mir
  Das Glück nicht eigen machen, ließ ihn nicht
  Aus meinen Armen los, und fühlte nicht
  Die Nähe der Gefahr die uns umgibt.
  Jetzt gehn sie ihren Anschlag auszuführen
  Der See zu, wo das Schiff mit den Gefährten
  In einer Bucht versteckt auf's Zeichen lauert,
  Und haben kluges Wort mir in den Mund
  Gegeben, mich gelehrt was ich dem König
  Antworte, wenn er sendet und das Opfer
  Mir dringender gebietet. Ach! ich sehe wohl,
  Ich muß mich leiten lassen wie ein Kind.
  Ich habe nicht gelernt zu hinterhalten
  Noch jemand etwas abzulisten. Weh!
  O weh der Lüge! Sie befreiet nicht,
  Wie jedes andre wahrgesprochne Wort,
  Die Brust; sie macht uns nicht getrost, sie ängstet
  Den, der sie heimlich schmiedet, und sie kehrt,
  Ein losgedruckter Pfeil, von einem Gotte
  Gewendet und versagend, sich zurück
  Und trifft den Schützen. Sorg' auf Sorge schwankt
  Mir durch die Brust. Es greift die Furie
  Vielleicht den Bruder auf dem Boden wieder
  Des ungeweihten Ufers grimmig an.
  Entdeckt man sie vielleicht? Mich dünkt, ich höre
  Gewaffnete sich nahen!—Hier!—Der Bote
  Kommt von dem Könige mit schnellem Schritt,
  Es schlägt mein Herz, es trübt sich meine Seele,
  Da ich des Mannes Angesicht erblicke,
  Dem ich mit falschem Wort begegnen soll.

Zweiter Auftritt.

Iphigenie. Arkas.

  Arkas.
  Beschleunige das Opfer, Priesterin!
  Der König wartet und es harrt das Volk.

  Iphigenie.
  Ich folgte meiner Pflicht und deinem Wink,
  Wenn unvermuthet nicht ein Hinderniß
  Sich zwischen mich und die Erfüllung stellte.

  Arkas.
  Was ist's, das den Befehl des Königs hindert?

  Iphigenie.
  Der Zufall, dessen wir nicht Meister sind.

  Arkas.
  So sage mir's, daß ich's ihm schnell vermelde:
  Denn er beschloß bei sich der beiden Tod.

  Iphigenie.
  Die Götter haben ihn noch nicht beschlossen.
  Der ält'ste dieser Männer trägt die Schuld
  Des nahverwandten Bluts, das er vergoß.
  Die Furien verfolgen seinen Pfad,
  Ja in dem innern Tempel faßte selbst
  Das Übel ihn, und seine Gegenwart
  Entheiligte die reine Stätte.