Nun
  Eil' ich mit meinen Jungfraun, an dem Meere
  Der Göttin Bild mit frischer Welle netzend,
  Geheimnißvolle Weihe zu begehn.
  Es störe niemand unsern stillen Zug!

  Arkas.
  Ich melde dieses neue Hinderniß
  Dem Könige geschwind; beginne du
  Das heil'ge Werk nicht eh' bis er's erlaubt.

  Iphigenie.
  Dieß ist allein der Priestrin überlassen.

  Arkas.
  Solch seltnen Fall soll auch der König wissen.

  Iphigenie.
  Sein Rath wie sein Befehl verändert nichts.

  Arkas.
  Oft wird der Mächtige zum Schein gefragt.

  Iphigenie.
  Erdringe nicht, was ich versagen sollte.

  Arkas.
  Versage nicht, was gut und nützlich ist.

  Iphigenie.
  Ich gebe nach, wenn du nicht säumen willst.

  Arkas.
  Schnell bin ich mit der Nachricht in dem Lager,
  Und schnell mit seinen Worten hier zurück.
  O könnt' ich ihm noch eine Botschaft bringen,
  Die alles lös'te, was uns jetzt verwirrt:
  Denn du hast nicht des Treuen Rath geachtet.

  Iphigenie.
  Was ich vermochte, hab' ich gern gethan.

  Arkas.
  Noch änderst du den Sinn zur rechten Zeit.

  Iphigenie.
  Das steht nun einmal nicht in unsrer Macht.

  Arkas.
  Du hältst unmöglich, was dir Mühe kostet.

  Iphigenie.
  Dir scheint es möglich, weil der Wunsch dich trügt.

  Arkas.
  Willst du denn alles so gelassen wagen?

  Iphigenie.
  Ich hab' es in der Götter Hand gelegt.

  Arkas.
  Sie pflegen Menschen menschlich zu erretten.

  Iphigenie.
  Auf ihren Fingerzeig kömmt alles an.

  Arkas.
  Ich sage dir, es liegt in deiner Hand.
  Des Königs aufgebrachter Sinn allein
  Bereitet diesen Fremden bittern Tod.
  Das Heer entwöhnte längst vom harten Opfer
  Und von dem blut'gen Dienste sein Gemüth.
  Ja, mancher, den ein widriges Geschick
  An fremdes Ufer trug, empfand es selbst,
  Wie göttergleich dem armen Irrenden,
  Umhergetrieben an der fremden Gränze,
  Ein freundlich Menschenangesicht begegnet.
  O wende nicht von uns was du vermagst!
  Du endest leicht was du begonnen hast:
  Denn nirgends baut die Milde, die herab
  In menschlicher Gestalt vom Himmel kommt,
  Ein Reich sich schneller, als wo trüb und wild
  Ein neues Volk, voll Leben, Muth und Kraft,
  Sich selbst und banger Ahnung überlassen,
  Des Menschenlebens schwere Bürden trägt.

  Iphigenie.
  Erschüttre meine Seele nicht, die du
  Nach deinem Willen nicht bewegen kannst.

  Arkas.
  So lang es Zeit ist, schont man weder Mühe
  Noch eines guten Wortes Wiederholung.

  Iphigenie.
  Du machst dir Müh und mir erregst du Schmerzen:
  Vergebens beides: darum laß mich nun.

  Arkas.
  Die Schmerzen sind's, die ich zu Hülfe rufe:
  Denn es sind Freunde, Gutes rathen sie.

  Iphigenie.
  Sie fassen meine Seele mit Gewalt,
  Doch tilgen sie den Widerwillen nicht.

  Arkas.
  Fühlt eine schöne Seele Widerwillen
  Für eine Wohlthat, die der Edle reicht?

  Iphigenie.
  Ja, wenn der Edle, was sich nicht geziemt,
  Statt meines Dankes mich erwerben will.

  Arkas.
  Wer keine Neigung fühlt, dem mangelt es
  An einem Worte der Entschuld'gung nie.
  Dem Fürsten sag' ich an, was hier geschehn.
  O wiederholtest du in deiner Seele,
  Wie edel er sich gegen dich betrug
  Von deiner Ankunft an bis diesen Tag.

Dritter Auftritt.

Iphigenie (allein).

  Von dieses Mannes Rede fühl' ich mir
  Zur ungelegnen Zeit das Herz im Busen
  Auf einmal umgewendet. Ich erschrecke!—
  Denn wie die Fluth mit schnellen Strömen wachsend
  Die Felsen überspült, die in dem Sand
  Am Ufer liegen: so bedeckte ganz
  Ein Freudenstrom mein Innerstes. Ich hielt
  In meinen Armen das Unmögliche.
  Es schien sich eine Wolke wieder sanft
  Um mich zu legen, von der Erde mich
  Empor zu heben und in jenen Schlummer
  Mich einzuwiegen, den die gute Göttin
  Um meine Schläfe legte, da ihr Arm
  Mich rettend faßte.—Meinen Bruder
  Ergriff das Herz mit einziger Gewalt:
  Ich horchte nur auf seines Freundes Rath;
  Nur sie zu retten drang die Seele vorwärts.
  Und wie den Klippen einer wüsten Insel
  Der Schiffer gern den Rücken wendet: so
  Lag Tauris hinter mir. Nun hat die Stimme
  Des treuen Manns mich wieder aufgeweckt,
  Daß ich auch Menschen hier verlasse, mich
  Erinnert. Doppelt wird mir der Betrug
  Verhaßt. O bleibe ruhig, meine Seele!
  Beginnst du nun zu schwanken und zu zweifeln?
  Den festen Boden deiner Einsamkeit
  Mußt du verlassen! Wieder eingeschifft
  Ergreifen dich die Wellen schaukelnd, trüb
  Und bang verkennest du die Welt und dich.

Vierter Auftritt.

Iphigenie. Pylades.

  Pylades.
  Wo ist sie? daß ich ihr mit schnellen Worten
  Die frohe Botschaft unsrer Rettung bringe!

  Iphigenie.
  Du siehst mich hier voll Sorgen und Erwartung
  Des sichern Trostes, den du mir versprichst.

  Pylades.
  Dein Bruder ist geheilt! Den Felsenboden
  Des ungeweihten Ufers und den Sand
  Betraten wir mit fröhlichen Gesprächen;
  Der Hain blieb hinter uns, wir merkten's nicht.
  Und herrlicher und immer herrlicher
  Umloderte der Jugend schöne Flamme
  Sein lockig Haupt; sein volles Auge glühte
  Von Muth und Hoffnung, und sein freies Herz
  Ergab sich ganz der Freude, ganz der Lust,
  Dich, seine Retterin, und mich zu retten.

  Iphigenie.
  Gesegnet seist du, und es möge nie
  Von deiner Lippe, die so Gutes sprach,
  Der Ton des Leidens und der Klage tönen!

  Pylades.
  Ich bringe mehr als das; denn schön begleitet,
  Gleich einem Fürsten, pflegt das Glück zu nahn.
  Auch die Gefährten haben wir gefunden.
  In einer Felsenbucht verbargen sie
  Das Schiff und saßen traurig und erwartend.
  Sie sahen deinen Bruder, und es regten
  Sich alle jauchzend, und sie baten dringend
  Der Abfahrt Stunde zu beschleunigen.
  Es sehnet jede Faust sich nach dem Ruder,
  Und selbst ein Wind erhob vom Lande lispelnd,
  Von allen gleich bemerkt, die holden Schwingen.
  Drum laß uns eilen, führe mich zum Tempel,
  Laß mich das Heiligthum betreten, laß
  Mich unsrer Wünsche Ziel verehrend fassen.
  Ich bin allein genug, der Göttin Bild
  Auf wohl geübten Schultern wegzutragen;
  Wie sehn' ich mich nach der erwünschten Last!

  (Er geht gegen den Tempel unter den letzten Worten,
  ohne zu bemerken, daß Iphigenie nicht folgt; endlich
  kehrt er sich um.)

  Du stehst und zauderst—Sage mir—Du schweigst!
  Du scheinst verworren! Widersetzet sich
  Ein neues Unheil unserm Glück? Sag' an!
  Hast du dem Könige das kluge Wort
  Vermelden lassen, das wir abgeredet?

  Iphigenie.
  Ich habe, theurer Mann; doch wirst du schelten.
  Ein schweigender Verweis war mir dein Anblick.
  Des Königs Bote kam, und wie du es
  Mir in den Mund gelegt, so sagt' ich's ihm.
  Er schien zu staunen, und verlangte dringend
  Die seltne Feier erst dem Könige
  Zu melden, seinen Willen zu vernehmen;
  Und nun erwart' ich seine Wiederkehr.

  Pylades.
  Weh uns! Erneuert schwebt nun die Gefahr
  Um unsre Schläfe! Warum hast du nicht
  In's Priesterrecht dich weislich eingehüllt?

  Iphigenie.
  Als eine Hülle hab' ich's nie gebraucht.

  Pylades.
  So wirst du, reine Seele, dich und uns
  Zu Grunde richten. Warum dacht' ich nicht
  Auf diesen Fall voraus, und lehrte dich
  Auch dieser Fordrung auszuweichen!

  Iphigenie.
                                      Schilt
  Nur mich, die Schuld ist mein, ich fühl' es wohl;
  Doch konnt' ich anders nicht dem Mann begegnen,
  Der mit Vernunft und Ernst von mir verlangte,
  Was ihm mein Herz als Recht gestehen mußte.

  Pylades.
  Gefährlicher zieht sich's zusammen; doch auch so
  Laß uns nicht zagen, oder unbesonnen
  Und übereilt uns selbst verrathen. Ruhig
  Erwarte du die Wiederkunft des Boten,
  Und dann steh fest, er bringe was er will:
  Denn solcher Weihung Feier anzuordnen
  Gehört der Priesterin und nicht dem König.
  Und fordert er den fremden Mann zu sehn,
  Der von dem Wahnsinn schwer belastet ist;
  So lehn' es ab, als hieltest du uns beide
  Im Tempel wohl verwahrt. So schaff' uns Luft,
  Daß wir auf's eiligste, den heil'gen Schatz
  Dem rauh unwürd'gen Volk entwendend, fliehn.
  Die besten Zeichen sendet uns Apoll,
  Und, eh' wir die Bedingung fromm erfüllen,
  Erfüllt er göttlich sein Versprechen schon.
  Orest ist frei, geheilt!—Mit dem Befreiten
  O führet uns hinüber, günst'ge Winde,
  Zur Felsen-Insel die der Gott bewohnt;
  Dann nach Mycen, daß es lebendig werde,
  Daß von der Asche des verloschnen Herdes
  Die Vatergötter fröhlich sich erheben,
  Und schönes Feuer ihre Wohnungen
  Umleuchte! Deine Hand soll ihnen Weihrauch
  Zuerst aus goldnen Schalen streuen. Du
  Bringst über jene Schwelle Heil und Leben wieder,
  Entsühnst den Fluch und schmückest neu die Deinen
  Mit frischen Lebensblüthen herrlich aus.

  Iphigenie.
  Vernehm' ich dich, so wendet sich, o Theurer,
  Wie sich die Blume nach der Sonne wendet,
  Die Seele, von dem Strahle deiner Worte
  Getroffen, sich dem süßen Troste nach.
  Wie köstlich ist des gegenwärt'gen Freundes
  Gewisse Rede, deren Himmelskraft
  Ein Einsamer entbehrt und still versinkt.
  Denn langsam reift, verschlossen in dem Busen,
  Gedank' ihm und Entschluß; die Gegenwart
  Des Liebenden entwickelte sie leicht.

  Pylades.
  Leb' wohl! Die Freunde will ich nun geschwind
  Beruhigen, die sehnlich wartend harren.
  Dann komm' ich schnell zurück und lausche hier
  Im Felsenbusch versteckt auf deinen Wink—
  Was sinnest du? Auf einmal überschwebt
  Ein stiller Trauerzug die freie Stirne.

  Iphigenie.
  Verzeih! Wie leichte Wolken vor der Sonne,
  So zieht mir vor der Seele leichte Sorge
  Und Bangigkeit vorüber.

  Pylades.
                           Fürchte nicht!
  Betrüglich schloß die Furcht mit der Gefahr
  Ein enges Bündniß; beide sind Gesellen.

  Iphigenie.
  Die Sorge nenn' ich edel, die mich warnt,
  Den König, der mein zweiter Vater ward,
  Nicht tückisch zu betrügen, zu berauben.

  Pylades.
  Der deinen Bruder schlachtet, dem entfliehst du.

  Iphigenie.
  Es ist derselbe, der mir Gutes that.

  Pylades.
  Das ist nicht Undank, was die Noth gebeut.

  Iphigenie.
  Es bleibt wohl Undank; nur die Noth entschuldigt.

  Pylades.
  Vor Göttern und vor Menschen dich gewiß.

  Iphigenie.
  Allein mein eigen Herz ist nicht befriedigt.

  Pylades.
  Zu strenge Fordrung ist verborgner Stolz.

  Iphigenie.
  Ich untersuche nicht, ich fühle nur.

  Pylades.
  Fühlst du dich recht, so mußt du dich verehren.

  Iphigenie.
  Ganz unbefleckt genießt sich nur das Herz.

  Pylades.
  So hast du dich im Tempel wohl bewahrt;
  Das Leben lehrt uns, weniger mit uns
  Und andern strenge sein; du lernst es auch.
  So wunderbar ist dieß Geschlecht gebildet,
  So vielfach ist's verschlungen und verknüpft,
  Daß keiner in sich selbst, noch mit den andern
  Sich rein und unverworren halten kann.
  Auch sind wir nicht bestellt uns selbst zu richten;
  Zu wandeln und auf seinen Weg zu sehen
  Ist eines Menschen erste, nächste Pflicht:
  Denn selten schätzt er recht was er gethan,
  Und was er thut weiß er fast nie zu schätzen.

  Iphigenie.
  Fast überred'st du mich zu deiner Meinung.

  Pylades.
  Braucht's Überredung, wo die Wahl versagt ist?
  Den Bruder, dich, und einen Freund zu retten
  Ist nur Ein Weg; fragt sich's ob wir ihn gehen?

  Iphigenie.
  O laß mich zaudern! denn du thätest selbst
  Ein solches Unrecht keinem Mann gelassen,
  Dem du für Wohlthat dich verpflichtet hieltest.

  Pylades.
  Wenn wir zu Grunde gehen, wartet dein
  Ein härtrer Vorwurf, der Verzweiflung trägt.
  Man sieht, du bist nicht an Verlust gewohnt,
  Da du dem großen Übel zu entgehen
  Ein falsches Wort nicht einmal opfern willst.

  Iphigenie.
  O trüg' ich doch ein männlich Herz in mir!
  Das, wenn es einen kühnen Vorsatz hegt,
  Vor jeder andern Stimme sich verschließt.

  Pylades.
  Du weigerst dich umsonst; die ehrne Hand
  Der Noth gebietet, und ihr ernster Wink
  Ist oberstes Gesetz, dem Götter selbst
  Sich unterwerfen müssen. Schweigend herrscht
  Des ew'gen Schicksals unberathne Schwester.
  Was sie dir auferlegt, das trage: thu'
  Was sie gebeut. Das Andre weißt du. Bald
  Komm' ich zurück, aus deiner heil'gen Hand
  Der Rettung schönes Siegel zu empfangen.

Fünfter Auftritt.

  Iphigenie (allein).
  Ich muß ihm folgen: denn die Meinigen
  Seh' ich in dringender Gefahr. Doch ach!
  Mein eigen Schicksal macht mir bang und bänger.
  O soll ich nicht die stille Hoffnung retten,
  Die in der Einsamkeit ich schön genährt?
  Soll dieser Fluch denn ewig walten? Soll
  Nie dieß Geschlecht mit einem neuen Segen
  Sich wieder heben?—Nimmt doch alles ab!
  Das beste Glück, des Lebens schönste Kraft
  Ermattet endlich, warum nicht der Fluch?
  So hofft' ich denn vergebens, hier verwahrt,
  Von meines Hauses Schicksal abgeschieden,
  Dereinst mit reiner Hand und reinem Herzen
  Die schwer befleckte Wohnung zu entsühnen!
  Kaum wird in meinen Armen mir ein Bruder
  Vom grimm'gen Übel wundervoll und schnell
  Geheilt, kaum naht ein lang erflehtes Schiff,
  Mich in den Port der Vaterwelt zu leiten,
  So legt die taube Noth ein doppelt Laster
  Mit ehrner Hand mir auf: das heilige
  Mir anvertraute, viel verehrte Bild
  Zu rauben und den Mann zu hintergehn,
  Dem ich mein Leben und mein Schicksal danke.
  O daß in meinem Busen nicht zuletzt
  Ein Widerwille keime! der Titanen
  Der alten Götter tiefer Haß auf euch,
  Olympier, nicht auch die zarte Brust
  Mit Geierklauen fasse! Rettet mich
  Und rettet euer Bild in meiner Seele!

  Vor meinen Ohren tönt das alte Lied—
  Vergessen hatt' ich's und vergaß es gern—
  Das Lied der Parzen, das sie grausend sangen,
  Als Tantalus vom goldnen Stuhle fiel:
  Sie litten mit dem edeln Freunde; grimmig
  War ihre Brust, und furchtbar ihr Gesang.
  In unsrer Jugend sang's die Amme mir
  Und den Geschwistern vor, ich merkt es wohl.

    Es fürchte die Götter
    Das Menschengeschlecht!
    Sie halten die Herrschaft
    In ewigen Händen,
    Und können sie brauchen
    Wie's ihnen gefällt.

    Der fürchte sie doppelt,
    Den je sie erheben!
    Auf Klippen und Wolken
    Sind Stühle bereitet
    Um goldene Tische.

    Erhebet ein Zwist sich:
    So stürzen die Gäste
    Geschmäht und geschändet
    In nächtliche Tiefen,
    Und harren vergebens,
    Im Finstern gebunden,
    Gerechten Gerichtes.

    Sie aber, sie bleiben
    In ewigen Festen
    An goldenen Tischen.
    Sie schreiten vom Berge
    Zu Bergen hinüber:
    Aus Schlünden der Tiefe
    Dampft ihnen der Athem
    Erstickter Titanen,
    Gleich Opfergerüchen,
    Ein leichtes Gewölke.

    Es wenden die Herrscher
    Ihr segnendes Auge
    Von ganzen Geschlechtern,
    Und meiden, im Enkel
    Die ehmals geliebten
    Still redenden Züge
    Des Ahnherrn zu sehn.

    So sangen die Parzen;
    Es horcht der Verbannte
    In nächtlichen Höhlen
    Der Alte die Lieder,
    Denkt Kinder und Enkel
    Und schüttelt das Haupt.

Fünfter Aufzug.

Erster Auftritt.

Thoas. Arkas.

  Arkas.
  Verwirrt muß ich gestehn, daß ich nicht weiß,
  Wohin ich meinen Argwohn richten soll.
  Sind's die Gefangnen, die auf ihre Flucht
  Verstohlen sinnen? Ist's die Priesterin,
  Die ihnen hilft? Es mehrt sich das Gerücht:
  Das Schiff, das diese beiden hergebracht,
  Sei irgend noch in einer Bucht versteckt.
  Und jenes Mannes Wahnsinn, diese Weihe,
  Der heil'ge Vorwand dieser Zögrung, rufen
  Den Argwohn lauter und die Vorsicht auf.

  Thoas.
  Es komme schnell die Priesterin herbei!
  Dann geht, durchsucht das Ufer scharf und schnell
  Vom Vorgebirge bis zum Hain der Göttin.
  Verschonet seine heil'gen Tiefen, legt
  Bedächt'gen Hinterhalt und greift sie an;
  Wo ihr sie findet, faßt sie wie ihr pflegt.

Zweiter Auftritt.

Thoas (allein).

  Entsetzlich wechselt mir der Grimm im Busen;
  Erst gegen sie, die ich so heilig hielt;
  Dann gegen mich, der ich sie zum Verrath
  Durch Nachsicht und durch Güte bildete.
  Zur Sklaverei gewöhnt der Mensch sich gut
  Und lernet leicht gehorchen, wenn man ihn
  Der Freiheit ganz beraubt. Ja, wäre sie
  In meiner Ahnherrn rohe Hand gefallen,
  Und hätte sie der heil'ge Grimm verschont:
  Sie wäre froh gewesen, sich allein
  Zu retten, hätte dankbar ihr Geschick
  Erkannt und fremdes Blut vor dem Altar
  Vergossen, hätte Pflicht genannt
  Was Noth war. Nun lockt meine Güte
  In ihrer Brust verwegnen Wunsch herauf.
  Vergebens hofft' ich, sie mir zu verbinden;
  Sie sinnt sich nun ein eigen Schicksal aus.
  Durch Schmeichelei gewann sie mir das Herz:
  Nun widersteh' ich der; so sucht sie sich
  Den Weg durch List und Trug, und meine Güte
  Scheint ihr ein alt verjährtes Eigenthum.

Dritter Auftritt.

Iphigenie. Thoas.

  Iphigenie.
  Du forderst mich! was bringt dich zu uns her?

  Thoas.
  Du schiebst das Opfer auf; sag' an, warum?

  Iphigenie.
  Ich hab' an Arkas alles klar erzählt.

  Thoas.
  Von dir möcht' ich es weiter noch vernehmen.

  Iphigenie.
  Die Göttin gibt dir Frist zur Überlegung.

  Thoas.
  Sie scheint dir selbst gelegen, diese Frist.

  Iphigenie.
  Wenn dir das Herz zum grausamen Entschluß
  Verhärtet ist: so solltest du nicht kommen!
  Ein König, der Unmenschliches verlangt,
  Find't Diener g'nug, die gegen Gnad' und Lohn
  Den halben Fluch der That begierig fassen;
  Doch seine Gegenwart bleibt unbefleckt.
  Er sinnt den Tod in einer schweren Wolke,
  Und seine Boten bringen flammendes
  Verderben auf des Armen Haupt hinab;
  Er aber schwebt durch seine Höhen ruhig,
  Ein unerreichter Gott, im Sturme fort.

  Thoas.
  Die heil'ge Lippe tönt ein wildes Lied.

  Iphigenie.
  Nicht Priesterin! nur Agamemnons Tochter.
  Der Unbekannten Wort verehrtest du;
  Der Fürstin willst du rasch gebieten? Nein!
  Von Jugend auf hab' ich gelernt gehorchen,
  Erst meinen Eltern und dann einer Gottheit,
  Und folgsam fühlt' ich immer meine Seele
  Am schönsten frei; allein dem harten Worte,
  Dem rauhen Ausspruch eines Mannes mich
  Zu fügen, lernt' ich weder dort noch hier.

  Thoas.
  Ein alt Gesetz, nicht ich, gebietet dir.

  Iphigenie.
  Wir fassen ein Gesetz begierig an,
  Das unsrer Leidenschaft zur Waffe dient.
  Ein andres spricht zu mir, ein älteres,
  Mich dir zu widersetzen, das Gebot,
  Dem jeder Fremde heilig ist.

  Thoas.
  Es scheinen die Gefangnen dir sehr nah
  Am Herzen: denn vor Antheil und Bewegung
  Vergissest du der Klugheit erstes Wort,
  Daß man den Mächtigen nicht reizen soll.

  Iphigenie.
  Red' oder schweig' ich, immer kannst du wissen,
  Was mir im Herzen ist und immer bleibt.
  Lös't die Erinnerung des gleichen Schicksals
  Nicht ein verschloss'nes Herz zum Mitleid auf?
  Wie mehr denn meins! In ihnen seh' ich mich.
  Ich habe vor'm Altare selbst gezittert,
  Und feierlich umgab der frühe Tod
  Die Knieende; das Messer zuckte schon,
  Den lebenvollen Busen zu durchbohren;
  Mein Innerstes entsetzte wirbelnd sich,
  Mein Auge brach, und—ich fand mich gerettet.
  Sind wir, was Götter gnädig uns gewährt,
  Unglücklichen nicht zu erstatten schuldig?
  Du weißt es, kennst mich, und du willst mich zwingen!

  Thoas.
  Gehorche deinem Dienste, nicht dem Herrn.

  Iphigenie.
  Laß ab! Beschönige nicht die Gewalt,
  Die sich der Schwachheit eines Weibes freut.
  Ich bin so frei geboren als ein Mann.
  Stünd' Agamemnons Sohn dir gegenüber,
  Und du verlangtest was sich nicht gebührt:
  So hat auch Er ein Schwert und einen Arm,
  Die Rechte seines Busens zu verteid'gen.
  Ich habe nichts als Worte, und es ziemt
  Dem edeln Mann, der Frauen Wort zu achten.

  Thoas.
  Ich acht' es mehr als eines Bruders Schwert.

  Iphigenie.
  Das Loos der Waffen wechselt hin und her:
  Kein kluger Streiter hält den Feind gering.
  Auch ohne Hülfe gegen Trutz und Härte
  Hat die Natur den Schwachen nicht gelassen.
  Sie gab zur List ihm Freude, lehrt' ihn Künste;
  Bald weicht er aus, verspätet und umgeht.
  Ja, der Gewaltige verdient, daß man sie übt.

  Thoas.
  Die Vorsicht stellt der List sich klug entgegen.

  Iphigenie.
  Und eine reine Seele braucht sie nicht.

  Thoas.
  Sprich unbehutsam nicht dein eigen Urtheil.

  Iphigenie.
  O sähest du wie meine Seele kämpft,
  Ein bös Geschick, das sie ergreifen will,
  Im ersten Anfall muthig abzutreiben!
  So steh' ich denn hier wehrlos gegen dich?
  Die schöne Bitte, den anmuth'gen Zweig,
  In einer Frauen Hand gewaltiger
  Als Schwert und Waffe, stößest du zurück:
  Was bleibt mir nun, mein Innres zu verteid'gen?
  Ruf' ich die Göttin um ein Wunder an?
  Ist keine Kraft in meiner Seele Tiefen?

  Thoas.
  Es scheint, der beiden Fremden Schicksal macht
  Unmäßig dich besorgt. Wer sind sie? sprich,
  Für die dein Geist gewaltig sich erhebt?

  Iphigenie.
  Sie sind—sie scheinen—für Griechen halt' ich sie.

  Thoas.
  Landsleute sind es? und sie haben wohl
  Der Rückkehr schönes Bild in dir erneut?

  Iphigenie (nach einigem Stillschweigen).
  Hat denn zur unerhörten That der Mann
  Allein das Recht? Drückt denn Unmögliches
  Nur Er an die gewalt'ge Heldenbrust?
  Was nennt man groß? Was hebt die Seele schaudernd
  Dem immer wiederholenden Erzähler?
  Als was mit unwahrscheinlichem Erfolg
  Der Muthigste begann. Der in der Nacht
  Allein das Heer des Feindes überschleicht,
  Wie unversehen eine Flamme wüthend
  Die Schlafenden, Erwachenden ergreift,
  Zuletzt gedrängt von den Ermunterten
  Auf Feindes Pferden, doch mit Beute kehrt,
  Wird der allein gepriesen? der allein,
  Der, einen sichern Weg verachtend, kühn
  Gebirg' und Wälder durchzustreifen geht,
  Daß er von Räubern eine Gegend säubre?
  Ist uns nichts übrig? Muß ein zartes Weib
  Sich ihres angebornen Rechts entäußern,
  Wild gegen Wilde sein, wie Amazonen
  Das Recht des Schwerts euch rauben und mit Blute
  Die Unterdrückung rächen? Auf und ab
  Steigt in der Brust ein kühnes Unternehmen:
  Ich werde großem Vorwurf nicht entgehn,
  Noch schwerem Übel wenn es mir mißlingt;
  Allein Euch leg' ich's auf die Kniee! Wenn
  Ihr wahrhaft seid, wie ihr gepriesen werdet;
  So zeigt's durch euern Beistand und verherrlicht
  Durch mich die Wahrheit!—Ja, vernimm, o König,
  Es wird ein heimlicher Betrug geschmiedet;
  Vergebens fragst du den Gefangnen nach;
  Sie sind hinweg und suchen ihre Freunde,
  Die mit dem Schiff am Ufer warten, auf.
  Der ält'ste, den das Übel hier ergriffen
  Und nun verlassen hat—es ist Orest,
  Mein Bruder, und der andre sein Vertrauter,
  Sein Jugendfreund, mit Namen Pylades.
  Apoll schickt sie von Delphi diesem Ufer
  Mit göttlichen Befehlen zu, das Bild
  Dianens wegzurauben und zu ihm
  Die Schwester hinzubringen, und dafür
  Verspricht er dem von Furien Verfolgten,
  Des Mutterblutes Schuldigen, Befreiung.
  Uns beide hab' ich nun, die Überbliebnen
  Von Tantals Haus, in deine Hand gelegt:
  Verdirb uns—wenn du darfst.

  Thoas.
                                Du glaubst, es höre
  Der rohe Scythe, der Barbar, die Stimme
  Der Wahrheit und der Menschlichkeit, die Atreus,
  Der Grieche, nicht vernahm?

  Iphigenie.
                               Es hört sie jeder,
  Geboren unter jedem Himmel, dem
  Des Lebens Quelle durch den Busen rein
  Und ungehindert fließt.—Was sinnst du mir,
  O König, schweigend in der tiefen Seele?
  Ist es Verderben? so tödte mich zuerst!
  Denn nun empfind' ich, da uns keine Rettung
  Mehr übrig bleibt, die gräßliche Gefahr,
  Worein ich die Geliebten übereilt
  Vorsetzlich stürzte. Weh! ich werde sie
  Gebunden vor mir sehn! Mit welchen Blicken
  Kann ich von meinem Bruder Abschied nehmen,
  Den ich ermorde? Nimmer kann ich ihm
  Mehr in die vielgeliebten Augen schaun!

  Thoas.
  So haben die Betrüger künstlich-dichtend
  Der lang Verschloss'nen, ihre Wünsche leicht
  Und willig Glaubenden, ein solch Gespinnst
  Um's Haupt geworfen!

  Iphigenie.
                        Nein! o König, nein!
  Ich könnte hintergangen werden; diese
  Sind treu und wahr. Wirst du sie anders finden,
  So laß sie fallen und verstoße mich,
  Verbanne mich zur Strafe meiner Thorheit
  An einer Klippen-Insel traurig Ufer.
  Ist aber dieser Mann der lang erflehte,
  Geliebte Bruder: so entlaß uns, sei
  Auch den Geschwistern wie der Schwester freundlich!
  Mein Vater fiel durch seiner Frauen Schuld,
  Und sie durch ihren Sohn. Die letzte Hoffnung
  Von Atreus Stamme ruht auf ihm allein.
  Laß mich mit reinem Herzen, reiner Hand,
  Hinübergehn und unser Haus entsühnen.
  Du hältst mir Wort!—Wenn zu den Meinen je
  Mir Rückkehr zubereitet wäre, schwurst
  Du mich zu lassen; und sie ist es nun.
  Ein König sagt nicht, wie gemeine Menschen,
  Verlegen zu, daß er den Bittenden
  Auf einen Augenblick entferne; noch
  Verspricht er auf den Fall, den er nicht hofft:
  Dann fühlt er erst die Höhe seiner Würde,
  Wenn er den Harrenden beglücken kann.

  Thoas.
  Unwillig, wie sich Feuer gegen Wasser
  Im Kampfe wehrt und gischend seinen Feind
  Zu Tilgen sucht, so wehret sich der Zorn
  In meinem Busen gegen deine Worte.

  Iphigenie.
  O laß die Gnade, wie das heil'ge Licht
  Der stillen Opferflamme, mir, umkränzt
  Von Lobgesang und Dank und Freude, lodern.

  Thoas.
  Wie oft besänftigte mich diese Stimme!

  Iphigenie.
  O reiche mir die Hand zum Friedenszeichen.

  Thoas.
  Du forderst viel in einer kurzen Zeit.

  Iphigenie.
  Um Gut's zu thun braucht's keiner Überlegung.

  Thoas.
  Sehr viel! denn auch dem Guten folgt das Übel.

  Iphigenie.
  Der Zweifel ist's, der Gutes böse macht.
  Bedenke nicht; gewähre, wie du's fühlst.

Vierter Auftritt.

Orest (gewaffnet). Die Vorigen.

  Orest (nach der Scene gekehrt).
  Verdoppelt eure Kräfte! Haltet sie
  Zurück! nur wenig Augenblicke! Weicht
  Der Menge nicht, und deckt den Weg zum Schiffe
  Mir und der Schwester.
    (Zu Iphigenien ohne den König zu sehen.)
                          Komm, wir sind verrathen.
  Geringer Raum bleibt uns zur Flucht. Geschwind!
    (Er erblickt den König.)

  Thoas (nach dem Schwerte greifend).
  In meiner Gegenwart führt ungestraft
  Kein Mann das nackte Schwert.

  Iphigenie.
                                 Entheiliget
  Der Göttin Wohnung nicht durch Wuth und Mord.
  Gebietet euerm Volke Stillstand, höret
  Die Priesterin, die Schwester.

  Orest.
                                  Sage mir!
  Wer ist es, der uns droht?

  Iphigenie.
                              Verehr' in ihm
  Den König, der mein zweiter Vater ward!
  Verzeih mir, Bruder! doch mein kindlich Herz
  Hat unser ganz Geschick in seine Hand
  Gelegt. Gestanden hab' ich euern Anschlag
  Und meine Seele vom Verrath gerettet.

  Orest.
  Will er die Rückkehr friedlich uns gewähren?

  Iphigenie.
  Dein blinkend Schwert verbietet mir die Antwort.

  Orest (der das Schwert einsteckt).
  So sprich! Du siehst, ich horche deinen Worten.

Fünfter Auftritt.

Die Vorigen. Pylades. (Bald nach ihm) Arkas.

(Beide mit bloßen Schwertern.)

  Pylades.
  Verweilet nicht! Die letzte Kräfte raffen
  Die Unsrigen zusammen; weichend werden
  Sie nach der See langsam zurückgedrängt.
  Welch ein Gespräch der Fürsten find' ich hier!
  Dieß ist des Königes verehrtes Haupt!

  Arkas.
  Gelassen, wie es dir, o König, ziemt,
  Stehst du den Feinden gegenüber. Gleich
  Ist die Verwegenheit bestraft; es weicht
  Und fällt ihr Anhang, und ihr Schiff ist unser.
  Ein Wort von dir, so steht's in Flammen.

  Thoas.
                                            Geh!
  Gebiete Stillstand meinem Volke! keiner
  Beschädige den Feind, so lang wir reden.
    (Arkas ab.)

  Orest.
  Ich nehm' es an.