Doch ach!
  Mein eigen Schicksal macht mir bang und bänger.
  O soll ich nicht die stille Hoffnung retten,
  Die in der Einsamkeit ich schön genährt?
  Soll dieser Fluch denn ewig walten? Soll
  Nie dieß Geschlecht mit einem neuen Segen
  Sich wieder heben?—Nimmt doch alles ab!
  Das beste Glück, des Lebens schönste Kraft
  Ermattet endlich, warum nicht der Fluch?
  So hofft' ich denn vergebens, hier verwahrt,
  Von meines Hauses Schicksal abgeschieden,
  Dereinst mit reiner Hand und reinem Herzen
  Die schwer befleckte Wohnung zu entsühnen!
  Kaum wird in meinen Armen mir ein Bruder
  Vom grimm'gen Übel wundervoll und schnell
  Geheilt, kaum naht ein lang erflehtes Schiff,
  Mich in den Port der Vaterwelt zu leiten,
  So legt die taube Noth ein doppelt Laster
  Mit ehrner Hand mir auf: das heilige
  Mir anvertraute, viel verehrte Bild
  Zu rauben und den Mann zu hintergehn,
  Dem ich mein Leben und mein Schicksal danke.
  O daß in meinem Busen nicht zuletzt
  Ein Widerwille keime! der Titanen
  Der alten Götter tiefer Haß auf euch,
  Olympier, nicht auch die zarte Brust
  Mit Geierklauen fasse! Rettet mich
  Und rettet euer Bild in meiner Seele!

  Vor meinen Ohren tönt das alte Lied—
  Vergessen hatt' ich's und vergaß es gern—
  Das Lied der Parzen, das sie grausend sangen,
  Als Tantalus vom goldnen Stuhle fiel:
  Sie litten mit dem edeln Freunde; grimmig
  War ihre Brust, und furchtbar ihr Gesang.
  In unsrer Jugend sang's die Amme mir
  Und den Geschwistern vor, ich merkt es wohl.

    Es fürchte die Götter
    Das Menschengeschlecht!
    Sie halten die Herrschaft
    In ewigen Händen,
    Und können sie brauchen
    Wie's ihnen gefällt.

    Der fürchte sie doppelt,
    Den je sie erheben!
    Auf Klippen und Wolken
    Sind Stühle bereitet
    Um goldene Tische.

    Erhebet ein Zwist sich:
    So stürzen die Gäste
    Geschmäht und geschändet
    In nächtliche Tiefen,
    Und harren vergebens,
    Im Finstern gebunden,
    Gerechten Gerichtes.

    Sie aber, sie bleiben
    In ewigen Festen
    An goldenen Tischen.
    Sie schreiten vom Berge
    Zu Bergen hinüber:
    Aus Schlünden der Tiefe
    Dampft ihnen der Athem
    Erstickter Titanen,
    Gleich Opfergerüchen,
    Ein leichtes Gewölke.

    Es wenden die Herrscher
    Ihr segnendes Auge
    Von ganzen Geschlechtern,
    Und meiden, im Enkel
    Die ehmals geliebten
    Still redenden Züge
    Des Ahnherrn zu sehn.

    So sangen die Parzen;
    Es horcht der Verbannte
    In nächtlichen Höhlen
    Der Alte die Lieder,
    Denkt Kinder und Enkel
    Und schüttelt das Haupt.

Fünfter Aufzug.

Erster Auftritt.

Thoas. Arkas.

  Arkas.
  Verwirrt muß ich gestehn, daß ich nicht weiß,
  Wohin ich meinen Argwohn richten soll.
  Sind's die Gefangnen, die auf ihre Flucht
  Verstohlen sinnen? Ist's die Priesterin,
  Die ihnen hilft? Es mehrt sich das Gerücht:
  Das Schiff, das diese beiden hergebracht,
  Sei irgend noch in einer Bucht versteckt.
  Und jenes Mannes Wahnsinn, diese Weihe,
  Der heil'ge Vorwand dieser Zögrung, rufen
  Den Argwohn lauter und die Vorsicht auf.

  Thoas.
  Es komme schnell die Priesterin herbei!
  Dann geht, durchsucht das Ufer scharf und schnell
  Vom Vorgebirge bis zum Hain der Göttin.
  Verschonet seine heil'gen Tiefen, legt
  Bedächt'gen Hinterhalt und greift sie an;
  Wo ihr sie findet, faßt sie wie ihr pflegt.

Zweiter Auftritt.

Thoas (allein).

  Entsetzlich wechselt mir der Grimm im Busen;
  Erst gegen sie, die ich so heilig hielt;
  Dann gegen mich, der ich sie zum Verrath
  Durch Nachsicht und durch Güte bildete.
  Zur Sklaverei gewöhnt der Mensch sich gut
  Und lernet leicht gehorchen, wenn man ihn
  Der Freiheit ganz beraubt. Ja, wäre sie
  In meiner Ahnherrn rohe Hand gefallen,
  Und hätte sie der heil'ge Grimm verschont:
  Sie wäre froh gewesen, sich allein
  Zu retten, hätte dankbar ihr Geschick
  Erkannt und fremdes Blut vor dem Altar
  Vergossen, hätte Pflicht genannt
  Was Noth war. Nun lockt meine Güte
  In ihrer Brust verwegnen Wunsch herauf.
  Vergebens hofft' ich, sie mir zu verbinden;
  Sie sinnt sich nun ein eigen Schicksal aus.
  Durch Schmeichelei gewann sie mir das Herz:
  Nun widersteh' ich der; so sucht sie sich
  Den Weg durch List und Trug, und meine Güte
  Scheint ihr ein alt verjährtes Eigenthum.

Dritter Auftritt.

Iphigenie. Thoas.

  Iphigenie.
  Du forderst mich! was bringt dich zu uns her?

  Thoas.
  Du schiebst das Opfer auf; sag' an, warum?

  Iphigenie.
  Ich hab' an Arkas alles klar erzählt.

  Thoas.
  Von dir möcht' ich es weiter noch vernehmen.

  Iphigenie.
  Die Göttin gibt dir Frist zur Überlegung.

  Thoas.
  Sie scheint dir selbst gelegen, diese Frist.

  Iphigenie.
  Wenn dir das Herz zum grausamen Entschluß
  Verhärtet ist: so solltest du nicht kommen!
  Ein König, der Unmenschliches verlangt,
  Find't Diener g'nug, die gegen Gnad' und Lohn
  Den halben Fluch der That begierig fassen;
  Doch seine Gegenwart bleibt unbefleckt.
  Er sinnt den Tod in einer schweren Wolke,
  Und seine Boten bringen flammendes
  Verderben auf des Armen Haupt hinab;
  Er aber schwebt durch seine Höhen ruhig,
  Ein unerreichter Gott, im Sturme fort.

  Thoas.
  Die heil'ge Lippe tönt ein wildes Lied.

  Iphigenie.
  Nicht Priesterin! nur Agamemnons Tochter.
  Der Unbekannten Wort verehrtest du;
  Der Fürstin willst du rasch gebieten? Nein!
  Von Jugend auf hab' ich gelernt gehorchen,
  Erst meinen Eltern und dann einer Gottheit,
  Und folgsam fühlt' ich immer meine Seele
  Am schönsten frei; allein dem harten Worte,
  Dem rauhen Ausspruch eines Mannes mich
  Zu fügen, lernt' ich weder dort noch hier.

  Thoas.
  Ein alt Gesetz, nicht ich, gebietet dir.

  Iphigenie.
  Wir fassen ein Gesetz begierig an,
  Das unsrer Leidenschaft zur Waffe dient.
  Ein andres spricht zu mir, ein älteres,
  Mich dir zu widersetzen, das Gebot,
  Dem jeder Fremde heilig ist.

  Thoas.
  Es scheinen die Gefangnen dir sehr nah
  Am Herzen: denn vor Antheil und Bewegung
  Vergissest du der Klugheit erstes Wort,
  Daß man den Mächtigen nicht reizen soll.

  Iphigenie.
  Red' oder schweig' ich, immer kannst du wissen,
  Was mir im Herzen ist und immer bleibt.
  Lös't die Erinnerung des gleichen Schicksals
  Nicht ein verschloss'nes Herz zum Mitleid auf?
  Wie mehr denn meins! In ihnen seh' ich mich.
  Ich habe vor'm Altare selbst gezittert,
  Und feierlich umgab der frühe Tod
  Die Knieende; das Messer zuckte schon,
  Den lebenvollen Busen zu durchbohren;
  Mein Innerstes entsetzte wirbelnd sich,
  Mein Auge brach, und—ich fand mich gerettet.
  Sind wir, was Götter gnädig uns gewährt,
  Unglücklichen nicht zu erstatten schuldig?
  Du weißt es, kennst mich, und du willst mich zwingen!

  Thoas.
  Gehorche deinem Dienste, nicht dem Herrn.

  Iphigenie.
  Laß ab! Beschönige nicht die Gewalt,
  Die sich der Schwachheit eines Weibes freut.
  Ich bin so frei geboren als ein Mann.
  Stünd' Agamemnons Sohn dir gegenüber,
  Und du verlangtest was sich nicht gebührt:
  So hat auch Er ein Schwert und einen Arm,
  Die Rechte seines Busens zu verteid'gen.
  Ich habe nichts als Worte, und es ziemt
  Dem edeln Mann, der Frauen Wort zu achten.

  Thoas.
  Ich acht' es mehr als eines Bruders Schwert.

  Iphigenie.
  Das Loos der Waffen wechselt hin und her:
  Kein kluger Streiter hält den Feind gering.
  Auch ohne Hülfe gegen Trutz und Härte
  Hat die Natur den Schwachen nicht gelassen.
  Sie gab zur List ihm Freude, lehrt' ihn Künste;
  Bald weicht er aus, verspätet und umgeht.
  Ja, der Gewaltige verdient, daß man sie übt.

  Thoas.
  Die Vorsicht stellt der List sich klug entgegen.

  Iphigenie.
  Und eine reine Seele braucht sie nicht.

  Thoas.
  Sprich unbehutsam nicht dein eigen Urtheil.

  Iphigenie.
  O sähest du wie meine Seele kämpft,
  Ein bös Geschick, das sie ergreifen will,
  Im ersten Anfall muthig abzutreiben!
  So steh' ich denn hier wehrlos gegen dich?
  Die schöne Bitte, den anmuth'gen Zweig,
  In einer Frauen Hand gewaltiger
  Als Schwert und Waffe, stößest du zurück:
  Was bleibt mir nun, mein Innres zu verteid'gen?
  Ruf' ich die Göttin um ein Wunder an?
  Ist keine Kraft in meiner Seele Tiefen?

  Thoas.
  Es scheint, der beiden Fremden Schicksal macht
  Unmäßig dich besorgt. Wer sind sie? sprich,
  Für die dein Geist gewaltig sich erhebt?

  Iphigenie.
  Sie sind—sie scheinen—für Griechen halt' ich sie.

  Thoas.
  Landsleute sind es? und sie haben wohl
  Der Rückkehr schönes Bild in dir erneut?

  Iphigenie (nach einigem Stillschweigen).
  Hat denn zur unerhörten That der Mann
  Allein das Recht? Drückt denn Unmögliches
  Nur Er an die gewalt'ge Heldenbrust?
  Was nennt man groß? Was hebt die Seele schaudernd
  Dem immer wiederholenden Erzähler?
  Als was mit unwahrscheinlichem Erfolg
  Der Muthigste begann. Der in der Nacht
  Allein das Heer des Feindes überschleicht,
  Wie unversehen eine Flamme wüthend
  Die Schlafenden, Erwachenden ergreift,
  Zuletzt gedrängt von den Ermunterten
  Auf Feindes Pferden, doch mit Beute kehrt,
  Wird der allein gepriesen? der allein,
  Der, einen sichern Weg verachtend, kühn
  Gebirg' und Wälder durchzustreifen geht,
  Daß er von Räubern eine Gegend säubre?
  Ist uns nichts übrig? Muß ein zartes Weib
  Sich ihres angebornen Rechts entäußern,
  Wild gegen Wilde sein, wie Amazonen
  Das Recht des Schwerts euch rauben und mit Blute
  Die Unterdrückung rächen? Auf und ab
  Steigt in der Brust ein kühnes Unternehmen:
  Ich werde großem Vorwurf nicht entgehn,
  Noch schwerem Übel wenn es mir mißlingt;
  Allein Euch leg' ich's auf die Kniee! Wenn
  Ihr wahrhaft seid, wie ihr gepriesen werdet;
  So zeigt's durch euern Beistand und verherrlicht
  Durch mich die Wahrheit!—Ja, vernimm, o König,
  Es wird ein heimlicher Betrug geschmiedet;
  Vergebens fragst du den Gefangnen nach;
  Sie sind hinweg und suchen ihre Freunde,
  Die mit dem Schiff am Ufer warten, auf.
  Der ält'ste, den das Übel hier ergriffen
  Und nun verlassen hat—es ist Orest,
  Mein Bruder, und der andre sein Vertrauter,
  Sein Jugendfreund, mit Namen Pylades.
  Apoll schickt sie von Delphi diesem Ufer
  Mit göttlichen Befehlen zu, das Bild
  Dianens wegzurauben und zu ihm
  Die Schwester hinzubringen, und dafür
  Verspricht er dem von Furien Verfolgten,
  Des Mutterblutes Schuldigen, Befreiung.
  Uns beide hab' ich nun, die Überbliebnen
  Von Tantals Haus, in deine Hand gelegt:
  Verdirb uns—wenn du darfst.

  Thoas.
                                Du glaubst, es höre
  Der rohe Scythe, der Barbar, die Stimme
  Der Wahrheit und der Menschlichkeit, die Atreus,
  Der Grieche, nicht vernahm?

  Iphigenie.
                               Es hört sie jeder,
  Geboren unter jedem Himmel, dem
  Des Lebens Quelle durch den Busen rein
  Und ungehindert fließt.—Was sinnst du mir,
  O König, schweigend in der tiefen Seele?
  Ist es Verderben? so tödte mich zuerst!
  Denn nun empfind' ich, da uns keine Rettung
  Mehr übrig bleibt, die gräßliche Gefahr,
  Worein ich die Geliebten übereilt
  Vorsetzlich stürzte. Weh! ich werde sie
  Gebunden vor mir sehn! Mit welchen Blicken
  Kann ich von meinem Bruder Abschied nehmen,
  Den ich ermorde? Nimmer kann ich ihm
  Mehr in die vielgeliebten Augen schaun!

  Thoas.
  So haben die Betrüger künstlich-dichtend
  Der lang Verschloss'nen, ihre Wünsche leicht
  Und willig Glaubenden, ein solch Gespinnst
  Um's Haupt geworfen!

  Iphigenie.
                        Nein! o König, nein!
  Ich könnte hintergangen werden; diese
  Sind treu und wahr. Wirst du sie anders finden,
  So laß sie fallen und verstoße mich,
  Verbanne mich zur Strafe meiner Thorheit
  An einer Klippen-Insel traurig Ufer.
  Ist aber dieser Mann der lang erflehte,
  Geliebte Bruder: so entlaß uns, sei
  Auch den Geschwistern wie der Schwester freundlich!
  Mein Vater fiel durch seiner Frauen Schuld,
  Und sie durch ihren Sohn. Die letzte Hoffnung
  Von Atreus Stamme ruht auf ihm allein.
  Laß mich mit reinem Herzen, reiner Hand,
  Hinübergehn und unser Haus entsühnen.
  Du hältst mir Wort!—Wenn zu den Meinen je
  Mir Rückkehr zubereitet wäre, schwurst
  Du mich zu lassen; und sie ist es nun.
  Ein König sagt nicht, wie gemeine Menschen,
  Verlegen zu, daß er den Bittenden
  Auf einen Augenblick entferne; noch
  Verspricht er auf den Fall, den er nicht hofft:
  Dann fühlt er erst die Höhe seiner Würde,
  Wenn er den Harrenden beglücken kann.

  Thoas.
  Unwillig, wie sich Feuer gegen Wasser
  Im Kampfe wehrt und gischend seinen Feind
  Zu Tilgen sucht, so wehret sich der Zorn
  In meinem Busen gegen deine Worte.

  Iphigenie.
  O laß die Gnade, wie das heil'ge Licht
  Der stillen Opferflamme, mir, umkränzt
  Von Lobgesang und Dank und Freude, lodern.

  Thoas.
  Wie oft besänftigte mich diese Stimme!

  Iphigenie.
  O reiche mir die Hand zum Friedenszeichen.

  Thoas.
  Du forderst viel in einer kurzen Zeit.

  Iphigenie.
  Um Gut's zu thun braucht's keiner Überlegung.

  Thoas.
  Sehr viel! denn auch dem Guten folgt das Übel.

  Iphigenie.
  Der Zweifel ist's, der Gutes böse macht.
  Bedenke nicht; gewähre, wie du's fühlst.

Vierter Auftritt.

Orest (gewaffnet). Die Vorigen.

  Orest (nach der Scene gekehrt).
  Verdoppelt eure Kräfte! Haltet sie
  Zurück! nur wenig Augenblicke! Weicht
  Der Menge nicht, und deckt den Weg zum Schiffe
  Mir und der Schwester.
    (Zu Iphigenien ohne den König zu sehen.)
                          Komm, wir sind verrathen.
  Geringer Raum bleibt uns zur Flucht. Geschwind!
    (Er erblickt den König.)

  Thoas (nach dem Schwerte greifend).
  In meiner Gegenwart führt ungestraft
  Kein Mann das nackte Schwert.

  Iphigenie.
                                 Entheiliget
  Der Göttin Wohnung nicht durch Wuth und Mord.
  Gebietet euerm Volke Stillstand, höret
  Die Priesterin, die Schwester.

  Orest.
                                  Sage mir!
  Wer ist es, der uns droht?

  Iphigenie.
                              Verehr' in ihm
  Den König, der mein zweiter Vater ward!
  Verzeih mir, Bruder! doch mein kindlich Herz
  Hat unser ganz Geschick in seine Hand
  Gelegt. Gestanden hab' ich euern Anschlag
  Und meine Seele vom Verrath gerettet.

  Orest.
  Will er die Rückkehr friedlich uns gewähren?

  Iphigenie.
  Dein blinkend Schwert verbietet mir die Antwort.

  Orest (der das Schwert einsteckt).
  So sprich! Du siehst, ich horche deinen Worten.

Fünfter Auftritt.

Die Vorigen. Pylades. (Bald nach ihm) Arkas.

(Beide mit bloßen Schwertern.)

  Pylades.
  Verweilet nicht! Die letzte Kräfte raffen
  Die Unsrigen zusammen; weichend werden
  Sie nach der See langsam zurückgedrängt.
  Welch ein Gespräch der Fürsten find' ich hier!
  Dieß ist des Königes verehrtes Haupt!

  Arkas.
  Gelassen, wie es dir, o König, ziemt,
  Stehst du den Feinden gegenüber. Gleich
  Ist die Verwegenheit bestraft; es weicht
  Und fällt ihr Anhang, und ihr Schiff ist unser.
  Ein Wort von dir, so steht's in Flammen.

  Thoas.
                                            Geh!
  Gebiete Stillstand meinem Volke! keiner
  Beschädige den Feind, so lang wir reden.
    (Arkas ab.)

  Orest.
  Ich nehm' es an. Geh, sammle, treuer Freund,
  Den Rest des Volkes; harret still, welch Ende
  Die Götter unsern Thaten zubereiten.
    (Pylades ab.)

Sechster Auftritt.

Iphigenie. Thoas. Orest.

  Iphigenie.
  Befreit von Sorge mich, eh' ihr zu sprechen
  Beginnet. Ich befürchte bösen Zwist,
  Wenn du, o König, nicht der Billigkeit
  Gelinde Stimme hörest; du, mein Bruder,
  Der raschen Jugend nicht gebieten willst.

  Thoas.
  Ich halte meinen Zorn, wie es dem Ältern
  Geziemt, zurück. Antworte mir! Womit
  Bezeugst du, daß du Agamemnons Sohn
  Und Dieser Bruder bist?

  Orest.
                          Hier ist das Schwert,
  Mit dem er Troja's tapfre Männer schlug.
  Dies nahm ich seinem Mörder ab und bat
  Die Himmlischen, den Mut und Arm, das Glück
  Des großen Königes mir zu verleihn,
  Und einen schönern Tod mir zu gewähren.
  Wähl' einen aus den Edeln deines Heers
  Und stelle mir den Besten gegenüber.
  So weit die Erde Heldensöhne nährt,
  Ist keinem Fremdling dies Gesuch verweigert.

  Thoas.
  Dies Vorrecht hat die alte Sitte nie
  Dem Fremden hier gestattet.

  Orest.
                               So beginne
  Die neue Sitte denn von dir und mir!
  Nachahmend heiliget ein ganzes Volk
  Die edle That der Herrscher zum Gesetz.
  Und laß mich nicht allein für unsre Freiheit,
  Laß mich, den Fremden, für die Fremden kämpfen.
  Fall ich, so ist ihr Urtheil mit dem meinen
  Gesprochen; aber gönnet mir das Glück,
  Zu überwinden, so betrete nie
  Ein Mann dies Ufer, dem der schnelle Blick
  Hülfreicher Liebe nicht begegnet, und
  Getröstet scheide jeglicher hinweg!

  Thoas.
  Nicht unwerth scheinest du, o Jüngling, mir
  Der Ahnherrn, deren du dich rühmst, zu sein.
  Groß ist die Zahl der edeln, tapfern Männer,
  Die mich begleiten; doch ich stehe selbst
  In meinen Jahren noch dem Feinde, bin
  Bereit, mit dir der Waffen Loos zu wagen.

  Iphigenie.
  Mit nichten! Dieses blutigen Beweises
  Bedarf es nicht, o König! Laßt die Hand
  Vom Schwerte! Denkt an mich und mein Geschick.
  Der rasche Kampf verewigt einen Mann:
  Er falle gleich, so preiset ihn das Lied.
  Allein die Thränen, die unendlichen
  Der überbliebnen, der verlass'nen Frau
  Zählt keine Nachwelt, und der Dichter schweigt
  Von tausend durchgeweinten Tag- und Nächten,
  Wo eine stille Seele den verlornen,
  Rasch abgeschiednen Freund vergebens sich
  Zurückzurufen bangt und sich verzehrt.
  Mich selbst hat eine Sorge gleich gewarnt,
  Daß der Betrug nicht eines Räubers mich
  Vom sichern Schutzort reiße, mich der Knechtschaft
  Verrathe. Fleißig hab ich sie befragt,
  Nach jedem Umstand mich erkundigt, Zeichen
  Gefordert, und gewiß ist nun mein Herz.
  Sieh hier an seiner rechten Hand das Mahl
  Wie von drei Sternen, das am Tage schon,
  Da er geboren ward, sich zeigte, das
  Auf schwere That, mit dieser Faust zu üben,
  Der Priester deutete. Dann überzeugt
  Mich doppelt diese Schramme, die ihm hier
  Die Augenbraune spaltet. Als ein Kind
  Ließ ihn Elektra, rasch und unvorsichtig
  Nach ihrer Art, aus ihren Armen stürzen.
  Er schlug auf einen Dreifuß auf—Er ist's—
  Soll ich dir noch die Ähnlichkeit des Vaters,
  Soll ich das innre Jauchzen meines Herzens
  Dir auch als Zeugen der Versichrung nennen?

  Thoas.
  Und hübe deine Rede jeden Zweifel
  Und bändigt' ich den Zorn in meiner Brust:
  So würden doch die Waffen zwischen uns
  Entscheiden müssen; Frieden seh' ich nicht.
  Sie sind gekommen, du bekennest selbst,
  Das heil'ge Bild der Göttin mir zu rauben.
  Glaubt ihr, ich sehe dies gelassen an?
  Der Grieche wendet oft sein lüstern Auge
  Den fernen Schätzen der Barbaren zu,
  Dem goldnen Felle, Pferden, schönen Töchtern;
  Doch führte sie Gewalt und List nicht immer
  Mit den erlangten Gütern glücklich heim.

  Orest.
  Das Bild, o König, soll uns nicht entzweien!
  Jetzt kennen wir den Irrthum, den ein Gott
  Wie einen Schleier um das Haupt uns legte,
  Da er den Weg hierher uns wandern hieß.
  Um Rath und um Befreiung bat ich ihn
  Von dem Geleit der Furien; er sprach:
  "Bringst du die Schwester, die an Tauris Ufer
  Im Heiligthume wider Willen bleibt,
  Nach Griechenland, so löset sich der Fluch."
  Wir legten's von Apollens Schwester aus,
  Und er gedachte dich! Die strengen Bande
  Sind nun gelös't; du bist den Deinen wieder,
  Du Heilige, geschenkt. Von dir berührt,
  War ich geheilt; in deinen Armen faßte
  Das Übel mich mit allen seinen Klauen
  Zum letztenmal und schüttelte das Mark
  Entsetzlich mir zusammen; dann entfloh's
  Wie eine Schlange zu der Höhle. Neu
  Genieß ich nun durch dich das weite Licht
  Des Tages. Schön und herrlich zeigt sich mir
  Der Göttin Rath. Gleich einem heil'gen Bilde,
  Daran der Stadt unwandelbar Geschick
  Durch ein geheimes Götterwort gebannt ist,
  Nahm sie dich weg, dich Schützerin des Hauses;
  Bewahrte dich in einer heil'gen Stille
  Zum Segen deines Bruders und der Deinen.
  Da alle Rettung auf der weiten Erde
  Verloren schien, gibst du uns alles wieder.
  Laß deine Seele sich zum Frieden wenden,
  O König! Hindre nicht, daß sie die Weihe
  Des väterlichen Hauses nun vollbringe,
  Mich der entsühnten Halle wiedergebe,
  Mir auf das Haupt die alte Krone drücke!
  Vergilt den Segen, den sie dir gebracht,
  Und laß des nähern Rechtes mich genießen!
  Gewalt und List, der Männer höchster Ruhm,
  Wird durch die Wahrheit dieser hohen Seele
  Beschämt, und reines kindliches Vertrauen
  Zu einem edeln Manne wird belohnt.

  Iphigenie.
  Denk' an dein Wort, und laß durch diese Rede
  Aus einem g'raden, treuen Munde dich
  Bewegen! Sieh uns an! Du hast nicht oft
  Zu solcher edeln That Gelegenheit.
  Versagen kannst du's nicht; gewähr' es bald!

  Thoas.
  So geht!

  Iphigenie.
                   Nicht so, mein König! Ohne Segen,
  In Widerwillen scheid' ich nicht von dir.
  Verbann' uns nicht! Ein freundlich Gastrecht walte
  Von dir zu uns: so sind wir nicht auf ewig
  Getrennt und abgeschieden. Werth und theuer,
  Wie mir mein Vater war, so bist du's mir,
  Und dieser Eindruck bleibt in meiner Seele.
  Bringt der Geringste deines Volkes je
  Den Ton der Stimme mir in's Ohr zurück,
  Den ich an euch gewohnt zu hören bin,
  Und seh' ich an dem Ärmsten eure Tracht:
  Empfangen will ich ihn wie einen Gott,
  Ich will ihm selbst ein Lager zubereiten,
  Auf einen Stuhl ihn an das Feuer laden,
  Und nur nach dir und deinem Schicksal fragen.
  O geben dir die Götter deiner Thaten
  Und deiner Milde wohlverdienten Lohn!
  Leb' wohl! O wende dich zu uns und gib
  Ein holdes Wort des Abschieds mir zurück!
  Dann schwellt der Wind die Segel sanfter an,
  Und Thränen fließen lindernder vom Auge
  Des Scheidenden. Leb' wohl! und reiche mir
  Zum Pfand der alten Freundschaft deine Rechte.

  Thoas.
  Lebt wohl!


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