Er war ein träger, mürrischer Bonvivant; der Anblick einer Dame erschreckte ihn außerordentlich, und so geschah es, daß er sich nur selten im väterlichen Kreise am Russell Square blicken ließ, wo es überaus lustig zuging und wo die Späße seines gutmütigen alten Vaters seine Eigenliebe verletzten.

Sein Leibesumfang verursachte Joseph viele besorgte Gedanken und Unruhe. Dann und wann machte er auch einen verzweifelten Versuch, sich seines überflüssigen Fettes zu entledigen; aber seine Trägheit sowie seine Vorliebe fürs Wohlleben wurden dieser Reformbestrebungen bald wieder Herr, und er kehrte wieder zu seinen drei Mahlzeiten täglich zurück.

Er war niemals gut gekleidet, obwohl er sich ungeheure Mühe gab, seine dicke Person zu putzen, und stundenlang mit dieser Beschäftigung verbrachte. Sein Diener verschaffte sich ein Vermögen mit seiner alten Garderobe; auf seinem Toilettentisch standen ebenso viele Pomaden und Essenzen wie bei einer welkenden Schönheit; um eine Taille zu bekommen, hatte er alle damals erfundenen Leibgurte, alle Korsette und Leibbinden ausprobiert. Wie die meisten dicken Menschen ließ er sich die Kleider sehr eng machen und wählte stets die glänzendsten Farben und den jugendlichsten Schnitt. Hatte er nachmittags endlich seine Toilette beendet, so fuhr er mit niemand in den Park und kam dann zurück, um sich abermals anzukleiden und mit niemand im Piazza-Kaffeehaus zu speisen. Er war eitel wie ein Mädchen, und vielleicht war seine außerordentliche Schüchternheit eine Folge seiner außerordentlichen Eitelkeit. Gelingt es Miss Rebekka bei ihrem Eintritt ins Leben, ihn zu besiegen, so ist sie ein Mädchen von ungewöhnlicher Gewitztheit.

Ihr erster Schachzug bewies beträchtliche Gewandtheit. Als sie Sedley einen gutaussehenden Mann nannte, wußte sie, daß Amelia es ihrer Mutter erzählen würde, die es wahrscheinlich Joseph wiedersagen oder sich doch jedenfalls über das Kompliment für ihren Sohn freuen würde. Allen Müttern tut das wohl. Hätte man der Sycorax gesagt, ihr Sohn Caliban8 sei schön wie Apollo, so hätte es die Hexe gefreut. Vielleicht hörte Joseph Sedley das Kompliment auch selbst – Rebekka sprach ja laut genug –, und tatsächlich hatte er es auch gehört. Da er sich insgeheim für einen schönen Mann hielt, durchzuckte das Lob jede Fiber seines dicken Körpers und ließ ihn vor Wonne erbeben. Dann kam aber ein Rückschlag. Macht das Mädchen sich über mich lustig? dachte er, und darauf stürzte er, wie wir gesehen haben, geradewegs zur Klingel und wollte fort, bis die Scherze seines Vaters und die Bitten seiner Mutter ihn einhalten ließen und zum Bleiben bewogen.

Zweifelnd und erregt führte er die junge Dame zum Essen. Hält sie mich wirklich für schön, dachte er, oder nimmt sie mich nur auf den Arm? Wir haben davon gesprochen, Joseph Sedley sei eitel wie ein Mädchen. Der Himmel beschütze uns! Die Mädchen brauchen nur den Spieß umzudrehen und von ihresgleichen zu behaupten: »Sie ist so eitel wie ein Mann«, und sie haben vollkommen recht. Das bärtige Geschlecht ist ebenso erpicht auf Lob, ebenso wählerisch in bezug auf die Kleidung, ebenso stolz auf persönliche Vorzüge, sich ebenso seiner Unwiderstehlichkeit bewußt wie je eine Kokette auf der Welt.

So gingen sie also die Treppe hinab, Joseph über und über rot, Rebekka sehr sittsam, die grünen Augen zu Boden geschlagen. Sie war weiß gekleidet, die bloßen Schultern weiß wie Schnee – ein Bild von Jugend, schutzloser Unschuld und bescheidener, jungfräulicher Naivität.

Ich muß sehr sanft sein, dachte Rebekka, und recht viel Interesse für Indien an den Tag legen.

Nun haben wir gehört, daß Mrs. Sedley einen schönen Curry9 zubereitet hatte, gerade wie ihr Sohn ihn mochte, und im Laufe des Essens wurde Rebekka eine Portion davon angeboten. »Was ist das?« wollte sie wissen und richtete einen fragenden Blick auf Mr. Joseph.

»Köstlich«, erwiderte er, mit vollem Munde kauend. Sein Gesicht war rot von der heiligen Handlung des Hinunterschlingens. »Mutter, er ist so gut wie meine eigenen Currys in Indien.«

»Ach, wenn es ein indisches Gericht ist«, sagte Miss Rebekka, »muß ich es versuchen. Ich bin sicher, alles, was von dort kommt, muß gut sein.«

»Gib doch Miss Sharp etwas Curry, meine Liebe«, sagte Mr. Sedley lachend.

Rebekka hatte das Gericht noch nie zuvor gekostet.

»Finden Sie ihn auch so gut wie alles andere, was aus Indien kommt?« fragte Mr. Sedley.

»Oh, vortrefflich!« antwortete Rebekka, der der Cayennepfeffer Höllenqualen bereitete.

»Essen Sie ein Chili10 dazu, Miss Sharp«, sagte Joseph, voll ehrlicher Anteilnahme.

»Ein Chili«, keuchte Rebekka, nach Luft schnappend. »Ja, ja!« Sie glaubte, ein Chili sei, dem Namen nach zu urteilen, etwas Kühlendes, und ließ sich daher eins geben.

»Wie frisch und grün sie aussehen«, meinte sie und steckte eins in den Mund. Es brannte aber noch mehr als der Curry; Fleisch und Blut konnten es nicht länger ertragen. Sie legte die Gabel weg. »Wasser, um Himmels willen, Wasser!« rief sie.