Papa wird dir nichts tun.«
Fußnoten
1 (franz.) Es lebe Frankreich! Es lebe der Kaiser! Es lebe Bonaparte!
2 ehemalige Provinz in Südfrankreich.
3 Badeort in der englischen Grafschaft Kent.
4 (franz.) Naive.
5 Straßen in Soho, dem Künstlerviertel Londons.
6 Sir Thomas Lawrence (1769-1830), englischer Maler.
7 Benjamin West (1738-1820), amerikanisch-englischer Maler; war Präsident der Royal Academy von 1792 bis 1820.
3. Kapitel
Rebekka vor dem Feind
Ein sehr gedrungener, kurzatmiger Mann in wildledernen Hosen und Reitstiefeln, mit mehreren, ungeheuren Halstüchern, die ihm beinahe bis an die Nase reichten, in einer rotgestreiften Weste und einem apfelgrünen Rock mit fast talergroßen Stahlknöpfen (das war das Morgenkostüm eines Stutzers jener Tage) las am Kaminfeuer Zeitung, als die beiden Mädchen hereintraten; er sprang von seinem Lehnsessel auf, errötete heftig und verbarg bei ihrem Erscheinen das Gesicht fast völlig in seinen Halstüchern.
»Es ist nur deine Schwester, Joseph«, sagte Amelia lachend und schüttelte die ihr entgegengestreckten beiden Finger. »Du weißt, ich bin jetzt für immer nach Hause gekommen; und dies ist meine Freundin, Miss Sharp, von der ich dir bereits erzählt habe.«
»Nein, niemals, auf mein Wort«, sagte der Kopf hinter dem Halstuch unter heftigem Schütteln, »das heißt, ja; welch abscheulich kaltes Wetter, Miss«; und damit fing er an, aus Leibeskräften das Feuer zu schüren, obwohl es Mitte Juni war.
»Er sieht sehr gut aus«, flüsterte Rebekka Amelia vernehmlich zu.
»Meinst du?« sagte die letztere, »ich werde es ihm sagen.«
»Nicht um alles in der Welt, Teuerste«, sagte Miss Sharp und wich so schüchtern wie ein Reh zurück. Sie hatte vorher vor dem Herrn einen ehrerbietigen, jungfräulichen Knicks gemacht, und ihre sittsamen Augen schauten so beharrlich auf den Teppich, daß es ein Wunder war, wie sie Gelegenheit gefunden hatte, ihn zu sehen.
»Ich danke dir für die schönen Schals, Bruder«, sagte Amelia zu dem Feuerschürer. »Sind sie nicht schön, Rebekka?«
»Oh, himmlisch!« bestätigte Miss Sharp, und ihre Augen wanderten vom Teppich geradewegs zum Kronleuchter.
Joseph machte immer noch mit dem Schüreisen und der Feuerzange ein ungeheures Getöse; dabei keuchte und schnaufte er und lief so rot an, wie sein gelbes Gesicht nur erlaubte.
»Ich kann dir keine so schönen Geschenke machen, Joseph«, fuhr seine Schwester fort, »aber ich habe dir in der Schule ein Paar sehr schöne Hosenträger gestickt.«
»Guter Gott! Amelia«, rief der Bruder, ernstlich beunruhigt, »was meinst du nur?« Und er riß mit aller Macht an der Klingelschnur, bis er sie in der Hand hielt, was den braven Burschen noch mehr verwirrte. »Um Himmels willen, sieh nach, ob mein Buggy1 vor der Tür steht. Ich kann nicht warten, ich muß fort. Dieser verd ... Stallknecht! Ich muß fort.«
In diesem Augenblick trat der Vater der Familie herein, wie ein echter britischer Kaufmann mit den Petschaften klimpernd. »Was gibt es, Emmy?« fragte er.
»Joseph sagt, ich soll nachsehen, ob sein – sein Buggy vor der Tür steht. Was ist ein Buggy, Papa?«
»Das ist eine einspännige Sänfte«, sagte der alte Herr, der in seiner Art ein Schalk war.
Bei diesen Worten brach Joseph in ein wildes Gelächter aus, von dem er jedoch, wie von einem Schuß getroffen, jäh abließ, als er dem Blick von Miss Sharp begegnete.
»Diese junge Dame ist deine Freundin? Miss Sharp, es freut mich, Sie zu sehen. Haben Sie und Emmy mit Joseph bereits Streit gehabt, daß er durchaus fortwill?«
»Ich versprach meinem Kameraden Bonamy, mit ihm zu speisen«, erklärte Joseph.
»Ei, ei! Sagtest du nicht deiner Mutter, du wolltest zu Hause speisen?«
»Aber so wie ich angezogen bin, ist es unmöglich.«
»Sehen Sie ihn doch an, Miss Sharp; ist er nicht schön genug, um überall zu speisen?«
Hierauf blickte Miss Sharp natürlich ihre Freundin an, und beide brachen in ein Gelächter aus, das dem alten Herrn sehr angenehm war.
»Haben Sie je bei Miss Pinkerton solch ein Paar wildlederne Hosen gesehen?« fuhr er fort, seinen Vorteil ausnutzend.
»Um Himmels willen! Vater!« rief Joseph.
»Da haben wir's! Nun habe ich seine Gefühle verletzt. Mrs. Sedley, meine Liebe, ich habe die Gefühle deines Sohnes verletzt. Ich habe auf seine ledernen Hosen angespielt. Frag doch Miss Sharp, ob es stimmt! Komm, Joseph, versöhn dich mit Miss Sharp, und laßt uns essen gehen.«
»Es gibt einen Pilau2, Joseph, ganz so, wie du ihn liebst, und Papa hat den besten Steinbutt von Billingsgate3 mitgebracht.«
»Komm, komm, mein Junge, geh mit Miss Sharp hinunter, und ich werde mit diesen zwei jungen Damen folgen«, sagte der Vater, reichte Frau und Tochter den Arm und ging munter davon.
Wenn Miss Rebekka Sharp im Innern beschlossen hatte, diesen dicken Beau zu erobern, so glaube ich nicht, meine Damen, daß wir ein Recht haben, sie zu tadeln; denn obgleich die jungen Mädchen das Geschäft der Jagd nach dem Ehemann im allgemeinen mit geziemender Sittsamkeit ihren Mamas überlassen, so müssen wir uns doch erinnern, daß Miss Sharp keine liebevolle Mutter besaß, die diese heikle Angelegenheit für sie in Ordnung bringen könnte, und daß, wenn sie sich nicht selbst einen Mann verschaffte, niemand in der weiten Welt ihr diese Mühe abnehmen würde. Weshalb lassen sich junge Mädchen sonst in der Gesellschaft einführen, wenn nicht aus dem edlen Streben, einen Mann zu finden? Was führt sie zu Hunderten in die Bäder? Was bewegt sie, eine entsetzlich lange Saison hindurch bis fünf Uhr morgens zu tanzen? Was treibt sie, sich mit Klaviersonaten abzumühen, bei dem gerade modernen Gesangmeister für eine Guinee pro Stunde vier Lieder zu lernen, Harfe zu spielen, falls sie wohlgeformte Arme und hübsche Ellbogen haben, grüne Jägerhütchen mit Federn zu tragen, wenn nicht der Wunsch, mit diesen tödlichen Waffen einen »begehrenswerten« jungen Mann zur Strecke zu bringen? Was veranlaßt respektable Eltern, ihre Teppiche zusammenzurollen, im Hause das Unterste zuoberst zu kehren und ein Fünftel ihres Jahreseinkommens für Bälle und eisgekühlten Champagner auszugeben? Ist es bloß die Liebe zu ihresgleichen oder der echte Wunsch, junge Leute beim Tanzen glücklich zu sehen? Pah! Sie wollen ihre Töchter verheiraten; und wie die ehrliche Mrs. Sedley in der Tiefe ihres wohlwollenden Herzens bereits ein Dutzend kleiner Pläne zur Verheiratung ihrer Amelia ausgedacht hatte, so hatte auch unsere geliebte, aber schutzlose Rebekka beschlossen, ihr möglichstes zu tun, sich einen Mann zu sichern, den sie sogar noch notwendiger brauchte als ihre Freundin. Sie besaß eine lebhafte Phantasie; außerdem hatte sie »Tausendundeine Nacht« sowie »Guthrie's Geographie« gelesen, und tatsächlich hatte sie sich beim Ankleiden zum Essen, nachdem sie Amelia gefragt hatte, ob ihr Bruder sehr reich sei, ein prachtvolles Luftschloß gebaut, dessen Herrin sie war, mit einem Ehemann irgendwo im Hintergrund (sie hatte ihn noch nicht gesehen, und seine Gestalt war daher noch etwas verschwommen); sie war geputzt mit einer unendlichen Menge von Schals, Turbanen und Diamanthalsbändern, unter den Klängen des Marsches aus »Blaubart«4 auf einen Elefanten gestiegen, um dem Großmogul einen Höflichkeitsbesuch abzustatten. Bezaubernde Märchenträume! Es ist das glückliche Vorrecht der Jugend, euch zu ersinnen, und manches phantasiereiche junge Geschöpf hat schon wie Rebekka Sharp solchen Tagträumen nachgehangen.
Joseph Sedley war zwölf Jahre älter als seine Schwester Amelia. Er stand im Zivildienst der Ostindischen Kompanie5, und sein Name war zu der Zeit, von der wir schreiben, in der bengalischen Abteilung des »Ostindischen Registers« als Steuereinnehmer von Boggley Wollah aufgeführt – ein ehrenvoller und einträglicher Posten, wie man allgemein weiß. Will der Leser erfahren, zu welchen höheren Stellungen Joseph im Dienste aufstieg, so verweisen wir ihn auf die bereits erwähnte Zeitschrift.
Boggley Wollah liegt in einem schönen, einsamen, sumpfigen Dschungelgebiet, berühmt wegen seiner Schnepfenjagden, wo man nicht selten auch einen Tiger antreffen kann. Ramgunge, wo sich eine Behörde befindet, ist nur vierzig Meilen entfernt, und etwa dreißig Meilen weiter liegt ein Kavallerieposten; das alles berichtete Joseph seinen Eltern nach Hause, als er seine Steuereinnehmerstelle antrat. Er hatte ungefähr acht Jahre seines Lebens ganz allein an diesem bezaubernden Ort zugebracht, wobei er kaum häufiger als zweimal jährlich, wenn nämlich ein Truppenkommando eintraf, um die von ihm erhobenen Steuern nach Kalkutta zu bringen, je einen Christenmenschen zu Gesicht bekam.
Glücklicherweise zog er sich um diese Zeit ein Leberleiden zu, und um das zu heilen, kehrte er nach Europa zurück. Diese Krankheit wurde ihm zu einer Quelle von Freude und Unterhaltung in der Heimat. Er lebte in London nicht bei seiner Familie, sondern hatte als lebenslustiger Junggeselle eine eigene Wohnung. Ehe er nach Indien ging, war er zu jung gewesen, um an den herrlichen Vergnügungen der Lebemänner teilzuhaben; nun, bei seiner Rückkehr, stürzte er sich um so eifriger hinein. Er lenkte seine Pferde durch den Park, speiste in vornehmen Restaurants (der Orientklub6 bestand noch nicht), besuchte häufig die Theater, wie es in jenen Tagen Mode war, oder zeigte sich in der Oper, mühsam in enge Beinkleider gezwängt und mit Dreispitz.
Bei seiner Rückkehr nach Indien, wie auch später, pflegte er stets mit großer Begeisterung von den Freuden dieses Lebensabschnittes zu sprechen und gab zu verstehen, daß er und Brummel7 die tonangebenden Salonlöwen jener Zeit gewesen seien. Aber er war hier ebenso einsam wie in seinem Dschungel in Boggley Wollah. Er kannte kaum eine Seele in der Hauptstadt; und hätte er nicht seinen Doktor gehabt und seine Quecksilberpillen und das Leberleiden, so wäre er vor Langweile gestorben.
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