Kampf um Rom

Dahn, Felix

Kampf um Rom

 

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Felix Dahn

Ein Kampf um Rom

Historischer Roman

Meinem lieben Freund und Kollegen

Ludwig Friedländer zu eigen

 

 

 

Motto:

»Wenn etwas ist, gewalt'ger als das Schicksal

So ist's der Mut, der's unerschüttert trägt.«

Geibel.

 

Vorwort.

Die wissenschaftlichen Grundlagen dieser in Gestalt eines Romans gekleideten Bilder aus dem sechsten Jahrhundert enthalten meine in folgenden Werken niedergelegten Forschungen:

Die Könige der Germanen. II. III. IV. Band. München und Würzburg 1862–1866.

Prokopius von Cäsarea. Ein Beitrag zur Historiographie der Völkerwanderung und des sinkenden Römertums. Berlin 1865.

Aus diesen Darstellungen mag der Leser die Ergänzungen und Veränderungen, die der Roman an der Wirklichkeit vorgenommen, erkennen.

Das Werk ist 1859 in München begonnen, in Italien, zumal Ravenna, weitergeführt, und 1876 in Königsberg abgeschlossen worden.

 

Königsberg, Januar 1876.

Felix Dahn.

 

Erstes Buch.

 

Theoderich.

»Dietericus de Berne, de quo cantant rustici usque hodie.«

 

Erstes Kapitel.

Es war eine schwüle Sommernacht des Jahres fünfhundertsechsundzwanzig nach Christus.

Schwer lagerte dichtes Gewölk über der dunkeln Fläche der Adria, deren Küsten und Gewässer zusammenflossen in unterscheidungslosem Dunkel: nur ferne Blitze warfen hier und da ein zuckendes Licht über das schweigende Ravenna. In ungleichen Pausen fegte der Wind durch die Steineichen und Pinien auf dem Höhenzug, welcher sich eine gute Strecke westlich von der Stadt erhebt, einst gekrönt von einem Tempel des Neptun, der, schon damals halb zerfallen, heute bis auf dürftige Spuren verschwunden ist.

Es war still auf dieser Waldhöhe: nur ein vom Sturm losgerissenes Felsstück polterte manchmal die steinigen Hänge hinunter, und schlug zuletzt platschend in das sumpfige Wasser der Kanäle und Gräben, die den ganzen Kreis der Seefestung umgürteten.

Oder in dem alten Tempel löste sich eine verwitterte Platte von dem getäfelten Dach der Decke und fiel zerspringend auf die Marmorstufen, – Vorboten von dem drohenden Einsturz des ganzen Gebäudes.

Aber dies unheimliche Geräusch schien nicht beachtet zu werden von einem Mann, der unbeweglich auf der zweithöchsten Stufe der Tempeltreppe saß, den Rücken an die höchste Stufe gelehnt, und schweigend und unverwandt in Einer Richtung über die Höhe hinab nach der Stadt zu blickte.

Lange saß er so: regungslos, aber sehnsüchtig wartend: er achtete es nicht, daß ihm der Wind die schweren Regentropfen, die einzeln zu fallen begannen, ins Gesicht schlug, und ungestüm in dem mächtigen, bis an den ehernen Gurt wallenden Bart wühlte, der fast die ganze breite Brust des alten Mannes mit glänzendem Silberweiß bedeckte.

Endlich stand er auf und schritt einige der Marmorstufen nieder: »Sie kommen,« sagte er.

Es wurde das Licht einer Fackel sichtbar, die sich rasch von der Stadt her dem Tempel näherte: man hörte schnelle, kräftige Schritte, und bald danach stiegen drei Männer die Stufen der Treppe herauf.

»Heil, Meister Hildebrand, Hildungs Sohn!« rief der voranschreitende Fackelträger, der jüngste von ihnen, in gotischer Sprache mit auffallend melodischer Stimme, als er die lückenhafte Säulenreihe des Pronaos, der Vorhalle, erreicht.

Er hob das Windlicht hoch empor – schöne, korinthische Erzarbeit am Stiel, durchsichtiges Elfenbein bildete den vierseitigen Schirm, und den gewölbten durchbrochenen Deckel – und steckte es in den Erzring, der die geborstne Mittelsäule zusammenhielt.

Das weiße Licht fiel auf ein apollinisch schönes Antlitz mit lachenden, hellblauen Augen; mitten auf seiner Stirn teilte sich das lichtblonde Haar in zwei lang fließende Lockenwellen, die rechts und links bis auf seine Schultern wallten; Mund und Nase, fein, fast weich geschnitten, waren von vollendeter Form, ein leichter Anflug goldhellen Bartes deckte die freundlichen Lippen und das leicht gespaltene Kinn; er trug nur weiße Kleider: einen Kriegsmantel von feiner Wolle, durch eine goldne Spange in Greifengestalt auf der rechten Schulter festgehalten, und eine römische Tunika von weicher Seide, beide mit einem Goldstreif durchwirkt; weiße Lederriemen befestigten die Sandalen an den Füßen und reichten, kreuzweis geflochten, bis an die Kniee; die nackten, glänzendweißen Arme umzirkten zwei breite Goldreife: und wie er, die Rechte um eine hohe Lanze geschlungen, die ihm zugleich als Stab und als Waffe diente, die Linke in die Hüfte gestemmt, ausruhend von dem Gang, zu seinen langsameren Weggenossen hinunterblickte, schien in den grauen Tempel eine jugendliche Göttergestalt aus seinen schönsten Tagen wieder eingekehrt.

Der zweite der Ankömmlinge hatte, trotz einer allgemeinen Familienähnlichkeit, doch einen von dem Fackelträger völlig verschiednen Ausdruck.

Er war einige Jahre älter, sein Wuchs war derber und breiter, – tief in den mächtigen Stiernacken hinab reichte das dicht und kurz gelockte braune Haar – und von fast riesenhafter Höhe und Stärke: in seinem Gesicht fehlte jener sonnige Schimmer, jene vertrauende Freude und Lebenshoffnung, welche die Züge des jüngern Bruders verklärten: statt dessen lag in seiner ganzen Erscheinung der Ausdruck von bärenhafter Kraft und bärenhaftem Mut: er trug eine zottige Wolfsschur, deren Rachen, wie eine Kapuze, sein Haupt umhüllte, ein schlichtes Wollenwams darunter, und auf der rechten Schulter eine kurze, wuchtige Keule aus dem harten Holz einer Eichenwurzel.

Bedächtigen Schrittes folgte der dritte, ein mittelgroßer Mann von gemessen verständigem Ausdruck. Er trug den Stahlhelm, das Schwert und den braunen Kriegsmantel des gotischen Fußvolks. Sein schlichtes, hellbraunes Haar war über der Stirn geradlinig abgeschnitten: eine uralte germanische Haartracht, die schon auf römischen Siegessäulen erscheint und sich bei dem deutschen Bauer bis heut' erhalten hat. Aus den regelmäßigen Zügen des offnen Gesichts, aus dem grauen, sichern Auge sprach besonnene Männlichkeit und nüchterne Ruhe.

Als auch er die Cella des Tempels erreicht und den Alten begrüßt hatte, rief der Fackelträger mit lebhafter Stimme:

»Nun, Meister Hildebrand, ein schönes Abenteuer muß es sein, zu dem du uns in solch unwirtlicher Nacht in diese Wildnis von Natur und Kunst geladen hast! Sprich – was soll's geben?«

Statt der Antwort fragte der Alte, sich zu dem Letztgekommnen wendend: »Wo bleibt der Vierte, den ich lud?«

– »Er wollte allein gehen. Er wies uns alle ab. Du kennst ja seine Weise.«

»Da kömmt er!« rief der schöne Jüngling, nach einer andern Seite des Hügels deutend.

Wirklich nahte dorther ein Mann von höchst eigenartiger Erscheinung.

Das volle Licht der Fackel beleuchtete ein geisterhaft bleiches Antlitz, das fast blutleer schien; lange, glänzend schwarze Locken hingen von dem unbedeckten Haupt wie dunkle Schlangen wirr bis auf die Schultern. Hochgeschweifte, schwarze Brauen und lange Wimpern beschatteten die großen, melancholischen dunkeln Augen voll verhaltner Glut, eine Adlernase senkte sich sehr scharfgeschnitten gegen den feinen, glattgeschornen Mund, den ein Zug resignierten Grams umfurchte.

Gestalt und Haltung waren so jugendlich: aber die Seele schien vor der Zeit vom Schmerz gereift.

Er trug Ringpanzer und Beinschienen von schwarzem Erz, und in seiner Rechten blitzte ein Schlachtbeil an langem, lanzengleichem Schaft. Nur mit dem Haupte nickend begrüßte er die andern und stellte sich hinter den Alten, der sie nun alle vier dicht an die Säule, welche die Fackel trug, treten hieß und mit gedämpfter Stimme begann:

»Ich habe euch hierher beschieden, weil ernste Worte müssen gesprochen werden, unbelauscht und zu treuen Männern, die da helfen mögen.

Ich sah umher im ganzen Volk, mondenlang: – euch hab' ich gewählt, ihr seid die Rechten. Wenn ihr mich angehört habt, so fühlt ihr von selbst, daß ihr schweigen müßt von dieser Nacht.«

Der dritte, der mit dem Stahlhelm, sah den Alten mit ernsten Augen an: »Rede,« sagte er ruhig, »wir hören und schweigen. Wovon willst du zu uns sprechen?«

»Von unsrem Volk, von diesem Reich der Goten, das hart am Abgrund steht.«

»Am Abgrund?« rief lebhaft der blonde Jüngling. Sein riesiger Bruder lächelte und erhob aufhorchend das Haupt.

»Ja, am Abgrund,« rief der Alte, »und ihr allein, ihr könnt es halten und retten.«

»Verzeih' dir der Himmel deine Worte!« – fiel der Blonde lebhaft ein – »haben wir nicht unsern König Theoderich, den seine Feinde selbst den Großen nennen, den herrlichsten Helden, den weisesten Fürsten der Welt? Haben wir nicht dies lachende Land Italia mit all seinen Schätzen? Was gleicht auf Erden dem Reich der Goten?«

Der Alte fuhr fort: »Hört mich an. König Theoderich, mein teurer Herre und mein lieber Sohn, was der wert ist, wie groß er ist, – das weiß am besten Hildebrand, Hildungs Sohn. Ich hab' ihn vor mehr als fünfzig Jahren auf diesen Armen seinem Vater als ein zappelnd Knäblein gebracht und gesagt: ›Das ist starke Zucht: – Du wirst Freude dran haben.‹

Und wie er heranwuchs – ich habe ihm den ersten Bolz geschnitzt und ihm die erste Wunde gewaschen! Ich habe ihn begleitet nach der goldnen Stadt Byzanz und ihn dort gehütet, Leib und Seele. Und als er dieses schöne Land erkämpfte, bin ich vor ihm hergeschritten, Fuß für Fuß, und habe den Schild über ihn gehalten in dreißig Schlachten. Wohl hat er seither gelehrtere Räte und Freunde gefunden als seinen alten Waffenmeister, aber klügere schwerlich und treuere gewiß nicht. Wie stark sein Arm gewesen, wie scharf sein Auge, wie klar sein Kopf, wie schrecklich er war unterm Helm, wie freundlich beim Becher, wie überlegen selbst den Griechlein an Klugheit, das hatte ich hundertmal erfahren, lange ehe dich, du junger Nestfalk, die Sonne beschienen.

Aber der alte Adler ist flügellahm geworden!

Seine Kriegsjahre lasten auf ihm – denn er und ihr und euer Geschlecht, ihr könnt die Jahre nicht mehr tragen wie ich und meine Spielgenossen –: er liegt krank, rätselhaft krank an Seele und Leib in seinem goldnen Saal dort unten in der Rabenstadt. Die Ärzte sagen, wie stark sein Arm noch sei, jeder Schlag seines Herzens mag ihn töten wie der Blitz und auf jeder sinkenden Sonne mag er hinunterfahren zu den Toten. Und wer ist dann sein Erbe, wer stützt dann dieses Reich? Amalaswintha, seine Tochter, und Athalarich, sein Enkel: – ein Weib und ein Kind.«

»Die Fürstin ist weise,« sprach der dritte mit dem Helm und dem Schwert.

»Ja, sie schreibt griechisch an den Kaiser und redet römisch mit dem frommen Cassiodor. Ich zweifle, ob sie gotisch denkt. Weh' uns, wenn sie im Sturm das Steuer halten soll.«

»Ich sehe aber nirgends Sturm, Alter,« lachte der Fackelträger und schüttelte die Locken. »Woher soll er blasen? Der Kaiser ist wieder versöhnt, der Bischof von Rom ist vom König selbst eingesetzt, die Frankenfürsten sind seine Neffen, die Italier haben es unter unsrem Schild besser als je zuvor. Ich sehe keine Gefahr, nirgends.«

»Kaiser Justinus ist nur ein schwacher Greis,« sprach beistimmend der mit dem Schwert, »ich kenne ihn.«

»Aber sein Neffe, bald sein Nachfolger, und jetzt schon sein rechter Arm – – kennst du auch den? Unergründlich wie die Nacht und falsch wie das Meer ist Justinian: – ich kenne ihn und fürchte was er sinnt.