Deshalb mußte vor allem Zeit gewonnen, die Folter abgewendet werden. Dies gelang durch jenen Eid. Unterdessen freilich bluteten Boëthius und Symmachus: sie waren nicht zu retten: doch ihres Schweigens, auch unter der Folter, waren wir sicher. Albinus aber ward durch ein Wunder aus seinem Kerker befreit wie Sankt Paulus zu Philippi. Es hieß, er sei nach Athen entflohen und der Tyrann begnügte sich, ihm die Rückkehr zu verbieten. Allein der dreieinige Gott hat ihm hier in seinem Tempel eine Zufluchtsstätte bereitet, bis daß die Stunde der Freiheit naht. In der Einsamkeit seines heiligen Asyles nun hat der Herr das Herz des Mannes wunderbar gerührt und, ungeschreckt von der Todesgefahr, die schon einmal seine Locke gestreift hat, tritt er wieder in unsern Kreis und bietet dem Dienste Gottes und des Vaterlands sein ganzes unermeßliches Vermögen. Vernehmt: er hat all sein Gut der Kirche Sanktä Mariä Majoris zu Bundeszwecken vermacht. Wollt ihr ihn und seine Millionen verschmähen?«

Eine Pause des Staunens trat ein: endlich rief Licinius: »Priester, du bist klug wie – wie ein Priester. Aber mir gefällt solche Klugheit nicht.« – »Silverius,« sprach der Jurist, »du magst die Millionen nehmen. Das steht dir an. Aber ich war der Freund des Boëthius: mir steht nicht an, mit jenem Feigen Gemeinschaft zu halten. Ich kann ihm nicht vergeben. Hinweg mit ihm!« – »Hinweg mit ihm!« scholl es von allen Seiten. Scävola hatte der Empfindung aller das Wort geliehen. Albinus erblaßte, selbst Silverius zuckte unter dieser allgemeinen Entrüstung. »Cethegus!« flüsterte er leise, Beistand heischend.

Da trat der Mann in die Mitte, der bisher immer geschwiegen und nur mit kühler Überlegenheit die Sprechenden gemustert hatte. Er war groß und hager, aber kräftig, von breiter Brust und seine Muskeln von eitel Stahl. Ein Purpursaum an der Toga und zierliche Sandalen verrieten Reichtum, Rang, und Geschmack, aber sonst verhüllte ein langer, brauner Soldatenmantel die ganze Unterkleidung der Gestalt. Sein Kopf war von denen, die man, einmal gesehen, nie mehr vergißt.

Das dichte, noch glänzend schwarze Haar war nach Römerart kurz und rund um die gewölbte, etwas zu große Stirn und die edel geformten Schläfe geschoren, tief unter den fein geschweiften Brauen waren die schmalen Augen geborgen, in deren unbestimmtem Dunkelgrau ein ganzes Meer versunkener Leidenschaften, aber noch bestimmter der Ausdruck kältester Selbstbeherrschung lag. Um die scharf geschnittenen bartlosen Lippen spielte ein Zug stolzer Verachtung gegen Gott und seine ganze Welt. Wie er vortrat und mit ruhiger Vornehmheit den Blick über die Erregten streifen ließ, wie seine nicht einschmeichelnde, aber beherrschende Redeweise anhob, empfand jeder in der Versammlung den Eindruck bewußter Überlegenheit und wenige Menschen mochten diese Nähe ohne das Gefühl der Unterordnung tragen.

»Was hadert ihr,« sagte er kalt, »über Dinge, die geschehen müssen? Wer den Zweck will, muß das Mittel wollen. Ihr wollt nicht vergeben? Immerhin! Daran liegt nichts. Aber vergessen müßt ihr. Und das könnt ihr. Auch ich war ein Freund der Verstorbenen, vielleicht ihr nächster. Und doch – ich will vergessen. Ich tu es, eben weil ich ihr Freund war. Der liebt sie, Scävola, der allein, der sie rächt. Um der Rache willen – Albinus, deine Hand.« – Alle schwiegen, bewältigt mehr von der Persönlichkeit als von den Gründen des Redners.