Nur der Jurist bemerkte noch:

»Rusticiana, des Boëthius Witwe und des Symmachus Tochter, die einflußreiche Frau, ist unsrem Bunde hold. Wird sie das bleiben, wenn dieser eintritt? Kann sie je vergeben und vergessen? Niemals!«

»Sie kann es. Glaubt nicht mir, glaubt euren Augen.« Mit diesen Worten wandte sich rasch Cethegus und schritt in einen der Seitengänge, dessen Mündung bisher sein Rücken verdeckt hatte. – Hart am Eingang stand lauschend eine verschleierte Gestalt: er ergriff ihre Hand: »komm',« flüsterte er, »jetzt komm'.« – »Ich kann nicht! ich will nicht!« war die leise Antwort der Widerstrebenden. »Ich verfluche ihn. Ich kann ihn nicht sehen, den Elenden!« – »Es muß sein. Komm, du kannst und du willst es: – denn ich will es.« Er schlug ihren Schleier zurück: noch ein Blick, und sie folgte wie willenlos.

Sie bogen um die Ecke des Eingangs: »Rusticiana!« riefen alle. – »Ein Weib in unserer Versammlung!« sprach der Jurist. »Das ist gegen die Satzungen, die Gesetze.«

»Ja, Scävola, aber die Gesetze sind um des Bundes willen, nicht der Bund um der Gesetze willen. Und geglaubt hättet ihr mir nie, was ihr hier sehet mit Augen.«

Er legte die Hand der Witwe in die zitternde Rechte des Albinus.

»Seht, Rusticiana verzeiht: wer will jetzt noch widerstreben?« – Überwunden und überwältigt verstummten alle. Für Cethegus schien das weitere jedes Interesse verloren zu haben. Er trat mit der Frau an die Wand im Hintergrund zurück. Der Priester aber sprach: »Albinus ist Glied des Bundes.« – »Und sein Eid, den er dem Tyrannen geschworen?« fragte schüchtern Scävola. – »War erzwungen und ist ihm gelöst von der heiligen Kirche. Aber nun ist es Zeit, zu scheiden. Nur noch die eilendsten Geschäfte, die neuesten Botschaften. Hier, Licinius, der Festungsplan von Neapolis: du mußt ihn bis morgen nachgezeichnet haben, er geht an Belisar. Hier, Scävola, Briefe aus Byzanz, von Theodora, der frommen Gattin Justinians: du mußt sie beantworten. Da, Calpurnius, eine Anweisung auf eine halbe Million Solidi von Albinus: du sendest sie an den fränkischen Majordomus, er wirkt bei seinem König gegen die Goten. Hier, Pomponius, eine Liste der Patrioten in Dalmatien: du kennst die Dinge dort und die Menschen: sieh zu, ob bedeutende Namen fehlen. Euch allen aber sei gesagt, daß, nach heute erhaltenen Briefen von Ravenna, die Hand des Herrn schwer auf dem Tyrannen liegt: tiefe Schwermut, zu späte Reue über all seine Sünden soll seine Seele niederdrücken und der Trost der wahren Kirche bleibt ihm fern. Harret aus noch eine kleine Weile: bald wird ihn die zornige Stimme des Richters abrufen: dann kömmt der Tag der Freiheit. An den nächsten Iden, zur selben Stunde, treffen wir uns wieder. Der Segen des Herrn sei mit euch.« Eine Handbewegung des Diakons verabschiedete die Versammelten: die jungen Priester traten mit den Fackeln aus den Seitengängen und geleiteten die Einzelnen in verschiedenen Richtungen nach den nur ihnen bekannten Ausgängen der Katakomben.

 

Viertes Kapitel.

 

Silverius, Cethegus und Rusticiana stiegen miteinander die Stufen hinauf, welche in die Krypta der Basilika des heiligen Sebastian führten. Von da gingen sie durch die Kirche in das unmittelbar darangebaute Haus des Diakonus. Dort angelangt überzeugte sich dieser, daß alle Hausgenossen schliefen bis auf einen alten Sklaven, der im Atrium bei einer halb herabgebrannten Ampel wachte. Auf den Wink seines Herrn zündete er die neben ihm stehende silberfüßige Lampe an und drückte auf eine Fuge im Marmorgetäfel. Die Marmorplatten drehten sich um ihre Achse und ließen den Priester, der die Leuchte ergriffen, mit den beiden andern in ein kleines, niedres Gemach treten, dessen Öffnung sich hinter ihnen rasch und geräuschlos wieder schloß. Keine Ritze verriet nun wieder, daß hier eine Tür.

Der kleine Raum, jetzt mit einem hohen Kreuz aus Holz, einem Betschemel und einigen christlichen Symbolen auf Goldgrund einfach ausgestattet, hatte in heidnischen Tagen offenbar, wie die an den Wänden hinlaufenden Polstersimse bezeugten, dem Zweck jener kleinen Gelage von zwei oder drei Gästen gedient, deren zwanglose Gemütlichkeit Horatius feiert. Zurzeit war hier das Asyl für die geheimsten geistlichen – – oder weltlichen – Gedanken des Diakonus.