Was gibt's hier? Was habt ihr vor? Auseinander!

KENT. Nur her, Milchbart, wenn Ihr Lust habt; kommt, ich will Euch kuranzen; nur her, Junker!

GLOSTER. Waffen? Degen? Was geht hier vor? –

CORNWALL.

Friede, bei euerm Leben!

Der stirbt, wer sich noch rührt; was habt ihr vor?

REGAN.

Die Boten unsrer Schwester und des Königs.

CORNWALL.

Was ist eu'r Streit? Sagt an!

HAUSHOFMEISTER.

Kaum schöpf' ich Atem, Herr!

KENT.

Ich glaub's, Ihr habt den Mut so angestrengt.

Du feiger Schurk', Natur verleugnet dich,

Ein Schneider machte dich!

CORNWALL.

Seltsamer Kauz!

Ein Schneider einen Menschen machen?

KENT. Ja, ein Schneider, Herr; ein Steinmetz oder ein Maler hätte ihn nicht so schlecht geliefert, und wären sie nur zwei Stunden in der Lehre gewesen.

CORNWALL. Doch sprich! Wie kam der Zwist?

HAUSHOFMEISTER.

Der alte Raufbold, Herr, des Blut ich schonte,

Um seinen grauen Bart, –

KENT. Ei du verzwicktes X, unnützer Buchstab! Mylord, wenn Ihr's vergönnt, stampf' ich den ungesichteten Schuft zu Mörtel, und bestreiche eines Abtritts Wand mit ihm. – Meinen grauen Bart geschont, du Bachstelze! –

CORNWALL.

Schweig', Kerl!

Du grober Knecht, weißt du von Ehrfurcht nichts?

KENT.

Ja, Herr! Doch hat der Ingrimm einen Freibrief.

CORNWALL.

Worüber bist du grimmig?

KENT.

Daß solch ein Lump, wie der, ein Schwert soll tragen,

Der keine Ehre trägt. Solch Gleisnervolk

Nagt oft, gleich Ratten, heil'ge Band' entzwei,

Zu fest verknüpft zum Lösen; schmeichelt jeder Laune,

Die auflebt in dem Busen seines Herrn,

Trägt Öl ins Feu'r, zum Kaltsinn Schnee; verneint,

Bejaht und dreht den Hals wie Wetterhähne

Nach jedem Wind und Luftzug seiner Obern,

Nichts wissend, Hunden gleich, als nachzulaufen.

 

Zum Haushofmeister.

 

Die Pest auf deine epilept'sche Fratze! –

Belächelst du mein Wort, wie eines Narren?

Gans, hätt' ich dich auf Sarums ebner Flur,

Ich trieb' dich gackernd heim nach Camelot.

CORNWALL.

Wie, Alter? Bist du toll?

GLOSTER.

Wie kam der Zank? Das sag!

KENT.

Die Antipoden sind sich ferner nicht,

Als ich und solch ein Schuft.

CORNWALL.

Weshalb nennst du ihn Schuft, was tat er dir?

KENT.

Sein Ansehn ist mir unerträglich.

CORNWALL.

Vielleicht auch meins wohl oder seins und ihrs?

KENT.

Herr! Grad' heraus und offen ist mein Brauch:

Ich sah mitunter bessere Gesichter,

Als hier auf irgendeiner Schulter jetzt

Vor meinen Augen stehn.

CORNWALL.

Das ist ein Bursch,

Der, einst gelobt um Derbheit, sich befleißt

Vorwitz'ger Roheit, und sein Wesen zwängt

Zu fremdem Schein: der kann nicht schmeicheln, der! –

Ein ehrlich, grad Gemüt – spricht nur die Wahrheit! –

Geht's durch, nun gut; wenn nicht, – so ist er grade.

Ich kenne Schurken, die in solcher Gradheit

Mehr Arglist hüllen, mehr verruchten Plan,

Als zwanzig fügsam untertän'ge Schranzen,

Die schmeichelnd ihre Pflicht noch überbieten.

KENT.

Gewiß, Herr, und wahrhaftig, – ganz im Ernst, –

Unter Vergünst'gung Eures hocherhabnen

Aspekts, des Einfluß wie der Strahlenkranz

Um Phöbus' Flammenstirn, –

CORNWALL.

Was soll das heißen?

KENT. Daß ich aus meiner Redeweise fallen will, die Euch so wenig behagt. Ich weiß, Herr, ich bin kein Schmeichler; wer Euch mit graden Worten betrog, war gradehin ein Schurke, und das will ich meines Teils nicht sein, sollt' ich auch Eu'r Mißfallen so weit besiegen können, daß Ihr mich dazu auffordertet.

CORNWALL.

Was tatst du ihm zu Leid?

HAUSHOFMEISTER.

Herr! Nicht das Mind'ste:

Dem König, seinem Herrn, gefiel's vor kurzem,

Aus einem Mißverständnis, mich zu schlagen,

Worauf er gleich zur Hand, dem Zorne scmeichelnd,

Rücklings mich hinwarf; als ich lag, mich schimpfte,

Und nahm so große Heldenmiene an,

Daß diese Mannestat der König pries,

Weil er zu Leibe ging dem Unbewehrten: –

Und, noch verzückt von seinem Ritterwerk,

Zog er aufs neue hier.

KENT. Memmen und Schurken! – Tun sie nicht, als wär' Ajax ihr Narr!

CORNWALL.

Holt mir die Blöcke, he!

Du alter Starrkopf, du weißbärt'ger Prahler,

Dich lehr' ich –

KENT.

Herr, ich bin zu alt zum Lernen,

Holt nicht den Block für mich: Dem König dien' ich;

In seinem Auftrag ward ich abgesandt;

Zu wenig Ehrfurcht zeigt Ihr, zu viel Trotz

Gegen die Gnad' und Würde meines Herrn,

Tut Ihr das seinem Boten.

CORNWALL.

Holt die Blöcke!

Auf Ehr' und Wort, bis Mittag soll er sitzen.

REGAN.

Bis Mittag? Bis zur Nacht; die Nacht dazu! –

KENT.

Nun, Lady, wär' ich Eures Vaters Hund,

Ihr solltet so mich nicht behandeln.

REGAN.

Da Ihr sein Schurke seid, so will ich's.

CORNWALL.

Der ist ein Kerl so recht von jener Farbe,

Wie unsre Schwester schreibt. Kommt, bringt die Blöcke!

 

Die Fußblöcke werden gebracht.

 

GLOSTER.

Laßt mich Euch bitten, Herr, dies nicht zu tun:

Er ging zu weit; sein Herr, der gute König,

Ahndet's gewiß: doch diese niedre Zücht'gung

Ist solcher Art, wie man verworfnen Troß

Für Mauserei'n und ganz gemeinen Unfug

Bestraft; der König muß es schwer empfinden,

Wird er so schlecht geehrt in seinem Boten,

Daß man ihn also einzwängt.

CORNWALL.

Das vertret' ich.

REGAN.

Viel übler muß es meine Schwester deuten,

Daß einer ihren Dienstmann schmäht und anfällt,

Weil er ihr Wort befolgt. Schließt ihm die Beine!

 

Kent wird in den Block gelegt.

 

Kommt, werter Lord!

 

Regan und Cornwall ab.

 

GLOSTER.

Du tust mir leid, mein Freund; der Herzog will's,

Des heft'ger Sinn bekanntlich keinen Einspruch

Noch Hemmung duldet. Ich will für dich bitten.

KENT.

Nein, tut's nicht, Herr: ich wacht' und reiste scharf.

Fürs erste schlaf' ich was, dann kann ich pfeifen.

Das Glück 'nes braven Kerls kommt wohl einmal

Ins Stocken! Guten Morgen!

GLOSTER.

Der Fürst tut Unrecht; übel wird man's deuten.

 

Geht ab.

 

KENT.

Du, guter König, machst das Sprichwort wahr:

Du kommst jetzt aus dem Regen in die Traufe.

Komm näher, leuchte dieser niedern Welt,

Daß ich bei deinem heitern Strahl den Brief

Durchlesen möge! – Wahrlich, nur das Elend

Erfährt noch Wunder! Ich weiß, Cordelia schickt ihn,

Die schon zum Glück von meinem dunkeln Leben

Nachricht erhielt, und sich die Zeit ersieht,

Für diesen Greuelzustand Heilung suchend

Den Übeln. Ganz erschöpft und überwacht,

Genießt den Vorteil, müde Augen, nicht,

Zu schaun dies schnöde Lager! Nun, Fortuna,

Gut' Nacht! Noch einmal lächl' und dreh' dein Rad!

Er schläft ein.

 

 

Dritte Szene.

Heide.

Edgar tritt auf.

 

EDGAR.

Ich hörte mich geächtet,

Und durch die günst'ge Höhlung eines Baums

Entkam ich noch der Jagd. Kein Port ist frei,

Kein Platz, an dem nicht strenge Wacht und Sorgfalt

Mir nachstellt. Retten will ich mich, solang'

Ich noch entfliehn kann: und ich bin bedacht,

Den allertiefsten, ärmsten Schein zu borgen,

In dem die Not den Menschen je zum Vieh

Erniedrigt. Mein Gesicht schwärz' ich mit Schlamm,

Die Lenden schürz' ich, zaus' in Knoten all

Mein Haar, und mit entschloßner Nacktheit trotz' ich

Dem Sturm und den Verfolgungen der Luft.

Die Gegend beut Vorbild und Muster mir

An Tollhausbettlern, die mit hohler Stimme

In ihre nackten, tauben Arme schlagen

Holzpflöcke, Nägel, Splitter, Rosmarin,

Und in so grausem Anblick sich in Mühlen,

Schafhürden, armen Dörfern, Meiereien,

Bald mit mondsücht'gem Fluch, bald mit Gebet,

Mitleid erzwingen. Armer Turlygood! Armer Thoms! –

So bin ich etwas noch, – als Edgar nichts! –

Er geht ab.

 

 

Vierte Szene.

Vor Glosters Schloß.

Es treten auf Lear, der Narr und ein Ritter.

 

LEAR.

Seltsam, vom Haus so weggehn und den Boten

Mir nicht heimsenden!

RITTER.

Wie ich dort erfuhr,

War tags zuvor an diese Reis' hieher

Noch kein Gedanke.

KENT.

Heil dir, edler Herr! –

LEAR.

Wie?

Treibst du die Schmach zur Kurzweil?

KENT.

Nein, Mylord.

NARR. Ha, ha! Der trägt grobe Kniegürtel! Pferde bindet man an den Köpfen, Hunde und Bären am Halse, Affen an den Lenden, und Menschen an den Beinen; wenn ein Mensch zu übermütig mit den Beinen gewesen ist, so muß er hölzerne Strümpfe tragen.

LEAR.

Wer war's, der also dich mißkannt, hieher

Dich so zu werfen?

KENT.

Beide, er und sie,

Eu'r Sohn und Tochter.

LEAR.

Nein.

KENT.

Ja.

LEAR.

Nein, sag' ich.

KENT.

Ich sage ja.

LEAR.

Bei Jupiter schwör' ich, nein.

KENT.

Bei Juno schwör' ich, ja.

LEAR.

Sie durften's nicht;

Sie konnten's, wagten's nicht; 's ist mehr als Mord,

Die Ehrfurcht so gewaltsam zu verletzen: –

Erklär' mir's in bescheidner Eil', wie hast du

Verdient, wie haben sie verhängt die Schmach,

Da du von uns kamst? –

KENT.

Als in ihrem Hause

Ich Eurer Hoheit Briefe übergab,

Da, eh' ich aufstand von dem Platz, wo ich

Gekniet in Demut, kam halb atemlos

Ein Bote, dampfend heiß, und keucht' hervor

Die Grüße seiner Herrin Goneril;

Gab – war ich gleich der erste – seinen Brief,

Der flugs gelesen ward. Auf dessen Inhalt

Beriefen sie die Reis'gen, nahmen Pferde,

Hießen mich folgen und gelegentlich

Der Antwort warten; gaben kalte Blicke;

Und da ich hier den andern Boten traf,

Des Willkomm meinen, wie ich sah, vergiftet

(Derselbe Bube, der so frech sich neulich

Vergangen wider Eure Majestät), –

Mehr Manns als Urteils in mir fühlend, zog ich.

Er weckt' das Haus mit lautem, feigem Schrei;

Eu'r Sohn und Tochter fanden dies Vergehn

Wert, solche Schmach zu dulden.

NARR. Der Winter ist noch nicht vorbei, wenn die wilden Gänse nach der Seite ziehn.

Gehn die Väter nackt,

So werden die Kinder blind;

Kommen sie geldbepackt,

Wie artig scheint das Kind.

Fortuna, die arge Hur',

Tut auf den Reichen nur.

Aber mit alledem werden dir deine lieben Töchter noch so viel aufzählen, daß du fürs ganze Jahr genug haben wirst.

LEAR.

Oh, wie der Krampf mir auf zum Herzen schwillt! –

Hinab, aufsteigend Weh! Dein Element

Ist unten! Wo ist diese Tochter?

KENT.

Beim Grafen, Herr, hier drinnen.