Ihr denkt, ich werde weinen?

Nein, weinen will ich nicht.

Wohl hab' ich Fug zu weinen; doch dies Herz

Soll eh' in hunderttausend Scherben splittern,

Bevor ich weine. – O Narr, ich werde rasend! –

 

Lear, Glosler, Kent und der Narr gehn ab.

 

CORNWALL.

Gehn wir hinein, es kommt ein Sturm.

 

Sturm und Gewitter von weitem.

 

REGAN.

Das Haus ist klein, es faßt den Alten nicht

Und sein Gefolg'.

GONERIL.

's ist seine Schuld, er nahm sich selbst die Ruh';

Nun büßt er seine Torheit.

REGAN.

Was ihn betrifft, ihn nehm' ich gerne auf;

Doch keinen seines Zugs.

GONERIL.

So denk' ich auch. –

Wo ist Mylord von Gloster?

CORNWALL.

Er ging dem Alten nach; – dort kommt er wieder.

 

Gloster kommt zurück.

 

GLOSTER.

Der König ist in Wut.

CORNWALL.

Wo geht er hin?

GLOSTER.

Er will zu Pferd', doch weiß ich nicht, wohin.

CORNWALL.

Man lasse den, der selbst sich führen will.

GONERIL.

Mylord, ersucht ihn ja nicht, hier zu bleiben!

GLOSTER.

O Gott, die Nacht bricht ein, der scharfe Wind

Weht schneidend; viele Meilen rings umher

Ist kaum ein Busch.

REGAN.

O Herr, dem Eigensinn

Wird Ungemach, das er sich selber schafft,

Der beste Lehrer. Schließt des Hauses Tor:

Er hat verwegne Diener im Gefolg';

Wozu ihn die anhetzen, da so leicht

Sein Ohr betört wird, das muß Vorsicht scheun.

CORNWALL.

Schließt Eure Pforte, Herr; die Nacht ist schlimm,

Und Regan rät uns gut. Kommt aus dem Sturm!

Sie gehn ab.

 

 

Dritter Aufzug.

 

Erste Szene.

Heide. Sturm, Donner und Blitz.

Kent und ein Ritter von verschiedenen Seiten treten auf.

 

KENT.

Wer ist da, außer schlechtem Wetter?

RITTER.

Ein Mann, gleich diesem Wetter, höchst bewegt.

KENT.

Ich kenn' Euch; wo ist der König?

RITTER.

Im Kampf mit dem erzürnten Element.

Er heißt dem Sturm die Erde wehn ins Meer,

Oder die krause Flut das Land ertränken,

Daß alles wandle oder untergeh';

Rauft aus sein weißes Haar, das wüt'ge Windsbraut

Mit blindem Grimm erfaßt und macht zu nichts.

Er will in seiner kleinen Menschenwelt

Des Sturms und Regens Wettkampf übertrotzen.

In dieser Nacht, wo bei den Jungen gern

Die ausgesogne Bärin bleibt, der Löwe

Und hungergrimm'ge Wolf gern trocken halten

Ihr Fell, rennt er mit unbedecktem Haupt

Und heißt, was immer will, hinnehmen alles.

KENT.

Doch wer ist mit ihm?

RITTER.

Der Narr allein, der wegzuscherzen strebt

Sein herzerschütternd Leid.

KENT.

Ich kenn' Euch, Herr,

Und wag' es, auf die Bürgschaft meiner Kunde,

Euch Wicht'ges zu vertraun. Es trennt ein Zwiespalt –

Wiewohl sie noch den Schein davon verhüllen

In gleicher List – Albanien und Cornwall.

Sie haben – so wie jeder, den sein Stern

Erhob und krönte – Diener, treu zum Schein,

Die heimlich Frankreichs Spione sind und Wächter;

Belehrt von unserm Zustand, allen Händeln

Und Zänkerei'n der Fürsten; von

Dem schweren Joch, das beide auferlegt

Dem alten König; von noch tiefern Dingen,

Wozu vielleicht dies nur ein Vorspiel war: –

Doch ist's gewiß, von Frankreich kommt ein Heer

In dies zerrißne Reich, das schon, mit Klugheit

Benutzend unsre Säumnis, heimlich fußt

In unsern besten Häfen und alsbald

Sein Banner frei entfaltet. Nun für Euch:

Wagt Ihr's, so fest zu bauen auf mein Wort,

Daß Ihr nach Dover gleich enteilt, so findet

Ihr jemand, der's Euch dankt, erzählt Ihr treu,

Welch unnatürlich sinnverwirrend Leid

Des Königs Klage weckt.

Ich bin ein Edelmann von altem Blut,

Und weil ich Euch als zuverlässig kenne,

Vertrau' ich Euch dies Amt.

RITTER.

Ich werd' Euch weiter sprechen.

KENT.

Nein, das nicht –

Und zur Bestät'gung, ich sei Größres als

Mein äußrer Schein, empfangt die Börs' und nehmt,

Was sie enthält. Wenn Ihr Cordelien seht –

Und daran zweifelt nicht –, zeigt ihr den Ring,

Und nennen wird sie Euch den Freund, des Namen

Euch jetzt noch unbekannt. Hu, welch ein Sturm! –

Ich will den König suchen.

RITTER.

Gebt mir die Hand: Habt Ihr nicht mehr zu sagen?

KENT.

Nicht viel, doch, in der Tat, das Wichtigste:

Dies, wenn den König wir gefunden – Ihr

Geht diesen Weg, ich jenen –, wer zuerst

Ihn antrifft, ruf's dem andern zu.

Sie gehn nach verschiedenen Seiten ab.

 

 

Zweite Szene.

Eine andere Gegend auf der Heide.

Fortdauernd Ungewitter. Es treten auf Lear und der Narr.

 

LEAR.

Blast, Wind', und sprengt die Backen! Wütet, Blast! –

Ihr Katarakt' und Wolkenbrüche, speit,

Bis ihr die Türm' ersäuft, die Hähn' ertränkt!

Ihr schweflichten, gedankenschnellen Blitze,

Vortrab dem Donnerkeil, der Eichen spaltet,

Versengt mein weißes Haupt! Du Donner schmetternd,

Schlag' flach das mächt'ge Rund der Welt; zerbrich

Die Formen der Natur, vernicht' auf eins

Den Schöpfungskeim des undankbaren Menschen!

NARR. Ach, Gevatter, Hofweihwasser in einem trocknen Hause ist besser, als dies Regenwasser draußen. Lieber Gevatter, hinein und bitt' um deiner Töchter Segen: das ist 'ne Nacht, die sich weder des Weisen noch des Toren erbarmt.

LEAR.

Rassle nach Herzenslust! Spei', Feuer! Flute, Regen!

Nicht Regen, Wind, Blitz, Donner sind meine Töchter:

Euch schelt' ich grausam nicht, ihr Elemente:

Euch gab ich Kronen nicht, nannt' euch nicht Kinder,

Euch bindet kein Gehorsam; darum büßt

Die grause Lust: Hier steh' ich, euer Sklav',

Ein alter Mann, arm, elend, siech, verachtet:

Und dennoch knecht'sche Helfer nenn' ich euch,

Die ihr im Bund mit zwei verruchten Töchtern

Türmt eure hohen Schlachtreih'n auf ein Haupt

So alt und weiß als dies. Oh, oh, 's ist schändlich! –

NARR. Wer ein Haus hat, seinen Kopf hineinzustecken, der hat einen guten Kopflatz.

Wenn Hosenlatz will hausen,

Eh' Kopf ein Dach geschafft,

Wird Kopf und Latz verlausen,

Solch Frein ist bettelhaft.

Und willst du deinen Zeh',

Du Tropf, zum Herzen machen,

Schreist übern Leichdorn weh,

Statt schlafen wirst du wachen.

– denn noch nie gab's ein hübsches Kind, das nicht Gesichter vorm Spiegel schnitt.

 

Kent tritt auf.

 

LEAR.

Nein! Ich will sein ein Muster aller Langmut,

Ich will nichts sagen.

KENT.

Wer da?

NARR.

Nun, hier ist Gnade und ein Hosenlatz; das heißt: ein

Weiser und ein Narr.

KENT.

Ach, seid Ihr hier, Mylord? Was sonst die Nacht liebt,

Liebt solche Nacht doch nicht: – des Himmels Zorn

Scheucht selbst die Wanderer der Finsternis

In ihre Höhlen. Seit ich ward zum Mann,

Erlebt' ich nimmer solchen Feuerguß,

Solch Krachen grausen Donners, solch Geheul

Des brüll'nden Regensturms: kein menschlich Wesen

Erträgt solch Leid und Grau'n. –

LEAR.

Jetzt, große Götter,

Die ihr so wild ob unsern Häuptern wettert,

Sucht eure Feinde auf: Zittre, du Frevler,

Auf dem verborgne Untat ruht, vom Richter

Noch ungestraft! – Versteck' dich, blut'ge Hand;

Meineid'ger Schalk, und du, o Tugendheuchler,

Der in Blutschande lebt! Zerscheitre, Sünder,

Der unterm Mantel frommer Ehrbarkeit

Mord stiftete! Ihr tief verschloßnen Greu'l,

Sprengt den verhüll'nden Zwinger, fleht um Gnade

Die grausen Mahner! – Ich bin ein Mann, an dem

Man mehr gesündigt, als er sündigte.

KENT.

O Gott, mit bloßem Haupt! –

Mein gnäd'ger Herr, nah bei ist eine Hürde,

Die bietet etwas Schutz doch vor dem Sturm;

Ruht dort, indes ich in dies harte Haus –

Weit härter als der Stein, aus dem's erbaut,

Das eben jetzt, als ich nach Euch gefragt,

Mir schloß die Tür – zurückgeh' und ertrotze

Ihr karges Mitleid.

LEAR.

Mein Geist beginnt zu schwindeln.

Wie geht's, mein Junge? Komm, mein Junge! Friert dich?

Mich selber friert. Wo ist die Streu, Kam'rad?

Die Kunst der Not ist wundersam; sie macht

Selbst Schlechtes köstlich. Nun zu deiner Hürde! –

Du armer Schelm und Narr, mir blieb ein Stückchen

Vom Herzen noch, und das bedauert dich.

NARR.

Wem der Witz nur schwach und gering bestellt,

Hop heisa bei Regen und Wind,

Der füge sich still in den Lauf der Welt,

Denn der Regen, der regnet jeglichen Tag.

LEAR.

Wahr, lieber Junge. – Kommt, zeigt uns die Hürde!

 

Geht ab.

 

NARR. Das ist 'ne hübsche Nacht, um eine Buhlerin abzukühlen. Ich will eine Prophezeiung sprechen, eh' ich gehe:

Wenn Priester Worte, nicht Werke häufen,

Wenn Brauer in Wasser ihr Malz ersäufen,

Wenn der Schneider den Junker Lehrer nennt,

Kein Ketzer mehr, nur der Buhler brennt,

Wenn Richter ohne Falsch und Tadel,

Wenn ohne Schulden Hof und Adel,

Wenn Läst'rung nicht auf Zungen wohnt,

Der Gauner des Nächsten Beutel schont,

Wenn die Wuch'rer ihr Gold im Felde beschaun,

Und Huren und Kuppler Kirchen baun,

Dann kommt das Reich von Albion

In große Verwirrung und Konfusion:

Dann kommt die Zeit, wer's lebt zu sehn,

Daß man mit Füßen pflegt zu gehn.

Diese Prophezeiung wird Merlin machen, denn ich lebe vor seiner Zeit. –

Ab.

 

Dritte Szene.

Glosters Schloß.

Es treten auf Gloster und Edmund.

 

GLOSTER. O Gott! Edmund, diese unnatürliche Begegnung gefällt mir nicht.