O mein Sohn! mein Edgar,
Den des betrognen Vaters Zorn vernichtet! –
Erlebt' ich noch, umarmend dich zu sehn,
Dann spräch' ich, wieder hab' ich Augen! –
ALTER MANN.
Wer da?
EDGAR beiseit.
Gott, wer darf sagen: Schlimmer kann's nicht werden?
's ist schlimmer nun als je.
ALTER MANN.
Der tolle Thoms! –
EDGAR beiseit.
Und kann noch schlimmer gehn; 's ist nicht das Schlimmste,
Solang' man sagen kann: »Dies ist das Schlimmste.«
ALTER MANN.
Wo willst du hin, Gesell?
GLOSTER.
Ist er ein Bettler?
ALTER MANN.
Ein Toller und ein Bettler.
GLOSTER.
Er hat Vernunft noch, sonst könnt' er nicht betteln,
Im letzten Nachtsturm sah ich solchen Wicht,
Und für 'nen Wurm mußt' ich den Menschen halten;
Da kam mein Sohn mir ins Gemüt, und doch
War mein Gemüt ihm damals kaum befreundet.
Seitdem erfuhr ich mehr; was Fliegen sind
Den müß'gen Knaben, das sind wir den Göttern;
Sie töten uns zum Spaß.
EDGAR beiseit.
Ist mir's denn möglich?
Ein schlecht Gewerb', beim Gram den Narren spielen;
Man ärgert sich und andre.
Laut.
Grüß' Euch Gott! –
GLOSTER.
Ist das der nackte Bursch'?
ALTER MANN.
Ja, gnäd'ger Herr.
GLOSTER.
Dann geh, mein Freund! Willst du uns wieder treffen,
Ein, zwei, drei Meilen weiter auf der Straße
Nach Dover zu, so tu's aus alter Liebe,
Und bring' 'ne Hülle für die nackte Seele:
Er soll mich führen.
ALTER MANN.
Ach! er ist ja toll! –
GLOSTER.
's ist Fluch der Zeit, daß Tolle Blinde führen! –
Tu', was ich bat, oder auch, was du willst;
Vor allem geh!
ALTER MANN.
Den besten Anzug hol' ich, den ich habe,
Entstehe draus, was mag!
Er geht ab.
GLOSTER.
Hör', nackter Bursch!
EDGAR.
Der arme Thoms friert.
Beiseit.
Ich halte mich nicht länger!
GLOSTER.
Komm her, Gesell!
EDGAR beiseit.
Und doch, ich muß.
Laut.
Gott schütz' die lieben Augen dir, sie bluten. –
GLOSTER.
Weißt du den Weg nach Dover?
EDGAR. Steg' und Hecken, Fahrweg und Fußpfad. Der arme Thoms ist um seine gesunden Sinne gekommen. Gott schütze dich, du gutes Menschenkind, vorm bösen Feind! Fünf Teufel waren zugleich im armen Thoms: der Geist der Lust, Obidicut; Hoptanz, der Fürst der Stummheit; Mahu, des Stehlens; Modo, des Mords; und Flibbertigibbet, der Grimassenteufel, der seitdem in die Zofen und Stubenmädchen gefahren ist. Gott helfe dir, Herr! –
GLOSTER.
Hier nimm die Börse, du, den Zorn des Himmels
Zu jedem Fluch gebeugt; daß ich im Elend,
Macht dich beglückter. – So ist's recht, ihr Götter! –
Laßt stets den üpp'gen, wollusttrunknen Mann,
Der eurer Satzung trotzt, der nicht will sehen,
Weil er nicht fühlt, schnell eure Macht empfinden:
Verteilung tilgte dann das Übermaß,
Und jeder hätte g'nug. Sag, weißt du Dover?
EDGAR.
Ja, Herr!
GLOSTER.
Dort ist ein Fels, des hohe, steile Klippe
Furchtbar hinabschaut in die jähe Tiefe:
Bring' mich nur hin an seinen letzten Rand;
Und lindern will ich deines Elends Bürde
Mit einem Kleinod – von dem Ort bedarf
Ich keines Führers mehr.
EDGAR.
Gib mir den Arm:
Thoms will dich führen.
Sie gehn ab.
Zweite Szene.
Schloß des Herzogs von Albanien.
Es treten auf Goneril und Edmund, von der andern Seite der Haushofmeister.
GONERIL.
Willkomm'n, Mylord! mich wundert, daß mein sanfter Mann
Uns nicht entgegen kam. – Wo ist dein Herr?
HAUSHOFMEISTER.
Drin, gnäd'ge Frau; doch ganz und gar verändert
Ich sagt' ihm von dem Heer, das jüngst gelandet,
Da lächelt' er; ich sagt' ihm, daß Ihr kämt;
Er rief: »So schlimmer!« Als ich drauf berichtet
Von Glosters Hochverrat und seines Sohnes
Getreuem Dienst, da schalt er mich 'nen Dummkopf,
Und sprach, daß ich verkehrt die Sache nähme,
Was ihm mißfallen sollte, scheint ihm lieb,
Was ihm gefallen, leid.
GONERIL zu Edmund.
Dann geht nicht weiter;
's ist die verzagte Feigheit seines Geists,
Die nichts zu unternehmen wagt: kein Unrecht rührt ihn,
Soll er die Spitze bieten. Unser Wunsch
Von unterwegs kann in Erfüllung gehn;
Eilt denn zurück zu meinem Bruder, Edmund,
Beschleunigt seine Rüstung, führt sein Heer:
Ich muß die Waffen wechseln und die Kunkel
Dem Manne geben. Dieser treue Diener
Soll unser Bote sein; bald hört Ihr wohl,
Wenn Ihr zu Eurem Vorteil wagen wollt,
Was Eure Dame wünscht. Tragt dies; kein Wort! –
Neigt Euer Haupt: der Kuß, dürft' er nur reden,
Erhöbe dir den Mut in alle Lüfte: –
Versteh' mich und leb wohl!
EDMUND.
Dein in den Reih'n des Tods!
Er geht ab.
GONERIL.
Mein teurer Gloster! –
O welch ein Abstand zwischen Mann und Mann! –
Ja, dir gebührt des Weibes Gunst; mein Narr
Besitzt mich wider Recht.
HAUSHOFMEISTER.
Der Herzog, gnäd'ge Frau!
Haushofmeister geht ab.
Albanien tritt auf.
GONERIL.
Sonst war ich doch des Pfeifens wert! –
ALBANIEN.
O Goneril,
Du bist des Staubs nicht wert, den dir der Wind
Ins Antlitz weht. Ich fürchte dein Gemüt: –
Ein Wesen, das verachtet seinen Stamm,
Kann nimmer fest begrenzt sein in sich selbst.
Sie, die vom mütterlichen Baum sich löst
Und selber abzweigt, muß durchaus verwelken
Und Todeswerkzeug sein.
GONERIL.
Nicht mehr: der Text ist albern.
ALBANIEN.
Weisheit und Tugend scheint dem Schlechten schlecht;
Schmutz riecht sich selber nur. Was tatet ihr?
Tiger, nicht Töchter, was habt ihr verübt! –
Ein Vater und ein gnadenreicher Greis,
Den wohl der zott'ge Bär in Ehrfurcht leckte –
O Schmach! O Schandtat! fiel durch euch in Wahnsinn!
Und litt mein edler Bruder solche Tat,
Ein Mann, ein Fürst, der ihm so viel verdankt? –
Schickt nicht der Himmel sichtbar seine Geister
Alsbald herab, zu zügeln diese Greu'l,
Muß Menschheit an sich selbst zum Raubtier werden,
Wie Ungeheu'r der Tiefe.
GONERIL.
Milchherz'ger Mann!
Der Wangen hat für Schläg', ein Haupt für Schimpf,
Dem nicht ein Auge ward, zu unterscheiden,
Was Ehre sei, was Kränkung; der nicht weiß,
Daß Toren nur den Schuft bedauern, der
Bestraft ward, eh' er fehlt'! – Was schweigt die Trommel?
Frankreichs Panier weht hier im stillen Land;
Mit stolzem Helmbusch droht dein Mörder schon,
Und du, ein Tugendnarr, bleibst still und stöhnst:
»Ach, warum tut er das?«
ALBANIEN.
Schau' auf dich, Teufel;
Die eigne Häßlichkeit ist nicht am Satan
So grau'nvoll, als am Weibe.
GONERIL.
Blöder Tor!
ALBANIEN.
Schmach dir, entstellt, verwandelt Wesen, mach'
Dein Antlitz nicht zum Scheusal! Ziemte mir's,
Daß diese Hand gehorchte meinem Blut,
Sie möchte leicht zerreißen dir und trennen
Fleisch und Gebein! Wie sehr du Teufel bist,
Die Weibsgestalt beschützt dich.
GONERIL.
Ei, welche Mannheit nun! –
Ein Bote tritt auf.
ALBANIEN.
Was bringst du Neues?
BOTE.
O gnäd'ger Herr, tot ist der Herzog Cornwall;
Ihn schlug sein Knecht, als er ausreißen wollte
Graf Glosters zweites Auge.
ALBANIEN.
Glosters Augen?
BOTE.
Ein Knecht, den er erzog, gereizt von Mitleid,
Die Tat zu hindern, zückte seinen Degen
Auf seinen großen Herrn – der, drob ergrimmt,
Ihn rasch mit andrer Hülfe niederstieß –
Doch traf ihn schon der Todesstreich, der jetzt
Ihn nachgeholt.
ALBANIEN.
Das zeigt, ihr waltet droben,
Ihr Richter, die so schnell der Erde Freveln
Die Rache senden. Doch, o armer Gloster,
Verlor er beide Augen?
BOTE.
Beide, Herr!
Der Brief, Mylady, fordert schnelle Antwort,
Er kommt von Eurer Schwester.
GONERIL beiseit.
Halb gefällt's mir;
Doch, da sie Witwe, und bei ihr mein Gloster,
Könnt' all der luft'ge Bau zusammenstürzen
Auf mein verhaßtes Leben. Andrerseits
Mundet die Nachricht wenig. Ich will lesen,
Und Antwort senden.
Sie geht ab.
ALBANIEN.
Wo war sein Sohn, als sie ihn blendeten?
BOTE.
Er kam mit Eurer Gattin.
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