König Hänschen I

Janusz Korczak • König Hänschen I.


Titel der polnischen Originalausgabe ›Krol Macius Pierwszy‹

Erschienen im Verlag Nasza Ksiegarnia, Warschau

Deutsch von Katja Weintraub

Mit einem Nachwort von Elisabeth Heimpel

 

Von Janusz Korczak ist außerdem bei dtv junior erschienen:

König Hänschen auf der einsamen Insel, Band 7192

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ungekürzte Ausgabe

1. Auflage April 1974

6. Auflage Dezember 1979: 49. bis 58.Tausend

Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München

© für die deutsche Übersetzung: Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen

Umschlaggestaltung: Celestino Piatti

unter Verwendung eines Bildes von Jerzy Srokowski

Gesamtherstellung: Kösel, Kempten

Printed in Germany • ISBN 3-423-07128-1

 

[email protected] v1.0 FR11 07.05.2014




 

 

 

 

Als ich noch so aussah wie auf dieser Fotografie, da wollte ich selbst all das tun, was hier geschrieben steht. Aber dann habe ich es vergessen, und heute bin ich alt. Und ich habe weder die Zeit noch die Kraft mehr, um Krieg zu führen oder zu den Menschenfressern zu fahren. Und dieses Bild habe ich hier hingesetzt, weil es darauf ankommt, wann ich einmal König sein wollte, und nicht, wann ich über den König Hänschen schreibe. Ich halte es überhaupt für besser, Bilder von Königen, Reisenden und Schriftstellern zu bringen, auf denen man sie sieht, als sie noch nicht erwachsen und alt waren, denn sonst könnte man ja auf den Gedanken kommen, sie wären schon immer so klug und niemals klein gewesen. Die Kinder denken dann, sie selbst könnten niemals Minister, Reisende oder Schriftsteller werden, und dabei stimmt das gar nicht.

Erwachsene sollten mein Buch überhaupt nicht lesen, denn manche Kapitel darin sind nicht für sie bestimmt, sie werden es nicht verstehen und nur darüber lachen. Na, aber wenn sie durchaus wollen, dann können sie es ja einmal versuchen. Den Erwachsenen kann man ja doch nichts verbieten, weil sie nicht gehorchen — und wer soll sie daran hindern?


 

 

 

 

Und das war so...

Der Doktor hatte gesagt, wenn der König nicht in drei Tagen gesund würde, dann wäre es sehr schlimm.

So hatte der Doktor gesagt: „Der König ist schwerkrank, und wenn er in drei Tagen nicht gesund wird, dann wird es schlimm.“

Alle waren in großer Sorge, und der älteste Minister setzte seine Brille auf und fragte: „Was passiert also, wenn der König nicht gesund wird?“

Das wollte der Doktor nicht klar und deutlich sagen, aber alle hatten verstanden, daß der König dann sterben mußte.

Der Ministerpräsident machte sich große Sorgen und rief die Minister zu einer Beratung zusammen.

Die Minister trafen sich in einem großen Saal und nahmen in bequemen Sesseln um einen langen Tisch herum Platz. Auf dem Tisch lag vor jedem Minister ein Blatt Papier und zwei Bleistifte, ein gewöhnlicher und einer, der war an einem Ende rot und am anderen blau. Und vor dem Ministerpräsidenten stand noch eine Klingel.

Die Minister schlossen die Tür ab, damit niemand sie stören sollte, knipsten das Licht an — und sagten nichts.

Dann klingelte der Ministerpräsident und sagte: „Wir wollen jetzt beraten, was wir tun sollen. Denn der König ist krank und kann nicht regieren.“

„Meiner Meinung nach“, sagte der Kriegsminister, „sollten wir den Doktor rufen. Er muß uns klar und deutlich sagen, ob der König geheilt werden kann oder nicht.“

Vor dem Kriegsminister hatten alle Minister große Angst, weil er immer Säbel und Revolver trug, also hörten sie auf ihn. „Gut, rufen wir den Doktor“, sagten die Minister.

Sie schickten auch gleich zum Doktor, aber der konnte nicht kommen, weil er den König gerade zur Ader ließ.

„Da ist nichts zu ändern“, sagte der älteste Minister, „wir müssen warten. Bis dahin könnt ihr aber sagen, was wir tun wollen, wenn der König stirbt.“

„Ich weiß“, sagte der Justizminister. „Nach dem Gesetz folgt dem König, wenn er stirbt, der älteste Königssohn auf dem Thron und wird regieren. Darum heißt er auch der Thronfolger. Wenn der König stirbt, kommt sein ältester Sohn auf den Thron.“

„Aber unser König hat doch nur einen Sohn.“

„Mehr sind ja auch nicht nötig.“

„Na ja, aber der Königssohn ist doch das kleine Hänschen — wie kann der denn König sein? Hänschen kann ja noch nicht einmal schreiben.“

„Da läßt sich gar nichts machen“, antwortete der Justizminister. „In unserem Staat hat es noch keinen solchen Fall gegeben, aber in Spanien, in Belgien und in anderen Ländern ist es schon vorgekommen, daß der König gestorben ist und nur einen unmündigen Sohn hinterlassen hat. Und dieses kleine Kind mußte dann König sein.“

„Ja, ja“, sagte der Postminister, „ich habe sogar schon Briefmarken mit dem Bild eines so kleinen Königs gesehen.“

„Aber, meine verehrten Herren“, sagte der Bildungsminister, „es geht doch nicht, daß der König weder schreiben noch rechnen kann, daß er weder Geographie noch die Grammatik kennt.“

„Das meine ich auch“, sagte der Finanzminister, „wie soll der König denn abrechnen, wie soll er befehlen können, wieviel neues Geld gedruckt werden muß, wenn er das Einmaleins nicht kennt?“

„Das Schlimmste, meine Herren, ist“, sagte der Kriegsminister, „daß vor einem so kleinen König niemand Angst haben wird. Wie soll er denn mit den Soldaten und Generälen fertig werden?“

„Ich denke“, sagte der Innenminister, „vor einem so kleinen König werden nicht nur die Soldaten, vor ihm wird überhaupt niemand Angst haben. Wir werden dauernd Streiks und Krawalle haben. Ich kann für nichts bürgen, wenn Hänschen König wird.“

„Ich weiß gar nicht, was werden soll“, sagte zornrot der Justizminister, „ich weiß nur eins: Das Gesetz gebietet, daß dem König nach dem Tode sein Sohn auf dem Throne folgt.“

Und es wäre bestimmt zu einem fürchterlichen Streit gekommen — aber in diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und ein ausländischer Botschafter betrat den Saal.

Vielleicht wird es euch wundem, daß ein ausländischer Botschafter einfach in den Ministerrat hereinplatzte, wo doch die Tür abgeschlossen war. Ich muß euch also sagen, daß die Minister vergessen hatten, die Tür wieder abzuschließen, als sie nach dem Doktor schickten. Später sagten sogar einige, das sei Verrat gewesen, und der Justizminister hätte die Tür mit Absicht offengelassen, weil er wußte, daß der Botschafter kommen würde.

„Guten Abend“, sagte der Botschafter. „Ich komme im Namen meines Königs und fordere, daß Hänschen I. König wird, und wenn ihr nicht wollt, dann gibt es Krieg.“

Der Ministerpräsident bekam einen großen Schreck, aber er tat so, als ginge ihn das nichts an. Er schrieb mit seinem Blaustift auf ein Blatt Papier: Gut, dann gibt es eben Krieg, und gab dem ausländischen Botschafter dieses Papier.

Der nahm das Papier, verbeugte sich und sagte: „Schön, ich werde das meiner Regierang schreiben.“

In diesem Moment kam der Doktor in den Saal, und alle Minister baten ihn, den König doch zu retten, denn es könne Krieg und Unglück geben, wenn der König stürbe.

„Ich habe dem König schon jede Medizin gegeben, die ich kenne. Ich habe ihn zur Ader gelassen, und mehr vermag ich nicht. Aber man kann noch andere Doktoren rufen.“

Die Minister hörten auf diesen Rat und riefen alle berühmten Doktoren, um zu erfahren, wie der König gerettet werden könne.