Sie schickten alle königlichen Autos in die Stadt, sie selbst
aber baten inzwischen den Hofkoch um das Abendbrot, denn sie hatten großen
Hunger; weil sie nämlich nicht gewußt hatten, daß die Beratung so lange dauern
würde, hatten sie nicht einmal daheim zu Mittag gegessen.
Der Koch stellte silberne
Teller auf den Tisch, goß vom besten Wein in die Gläser, denn er wollte auch
nach dem Tod des alten Königs am Hofe bleiben.
Da saßen nun also die Minister
und aßen und tranken, sie wurden sogar schon wieder fröhlich, und inzwischen
versammelten sich im Saal die Doktoren.
„Ich glaube“, sagte ein alter
Doktor mit einem Bart, „wir müssen den König operieren.“
„Und ich denke“, sagte der
zweite Doktor, „man muß dem König einen heißen Umschlag machen, und gurgeln
soll er.“
„Und Pulver muß er einnehmen“,
sagte ein hervorragender Professor.
„Tropfen sind bestimmt besser“,
sagt wieder ein anderer.
Jeder Doktor hatte ein dickes
Buch mitgebracht und zeigte nun, daß in seinem Buch etwas anderes geschrieben
stand, wie man diese Krankheit heilt. Es war schon spät, und die Minister
wollten gerne Schlafengehen, aber sie mußten warten, was die Doktoren sagen
würden. Und im ganzen Palast war ein solcher Lärm, daß der kleine Thronfolger
Hänschen schon zweimal aufgewacht war.
Ich muß doch einmal nachsehen,
was da los ist, dachte Hänschen. Er stand auf, zog sich schnell an und ging auf
den Korridor. Vor der Eßzimmertür blieb er stehen, nicht um zu horchen, aber
die Türklinken im Königspalast waren so hoch angebracht, daß Hänschen die Tür
nicht allein aufmachen konnte.
„Guten Wein hat der König!“
rief der Finanzminister. „Trinken wir noch ein bißchen, meine Herren. Wenn
Hänschen König wird, braucht er sowieso keinen Wein, denn Kinder dürfen keinen
trinken.“
„Zigarren dürfen Kinder auch
nicht rauchen. Also kann man ein paar Zigarren mit nach Hause nehmen!“ sagte
der Handelsminister.
„Und wenn es Krieg gibt, meine
Lieben, bleibt von diesem Palast sowieso kein Stein auf dem anderen, darauf
könnt ihr Gift nehmen, denn Hänschen wird uns doch nicht verteidigen.“
Alle fingen an zu lachen und
riefen:
„Trinken wir auf das Wohl
unseres Verteidigers, des großen Königs Hänschen I.!“
Hänschen verstand nicht so
ganz, was sie da sagten, er wußte nur, daß sein Vater krank war und daß die
Minister oft zusammenkamen, um sich zu beraten. Aber warum sie über ihn,
Hänschen, lachten, warum sie ihn König nannten und was das für ein Krieg sein
sollte, das begriff er überhaupt nicht.
Ein wenig verschlafen und ein
bißchen furchtsam ging er weiter über den Korridor und hörte durch die Tür zum
Beratungssaal ein anderes Gespräch: „Und ich sage euch, der König wird sterben.
Ihr könnt ihm Pülverchen und Tropfen geben, das hilft ihm alles nichts mehr.“
„Dafür lege ich meine Hand ins
Feuer, daß der König keine Woche mehr am Leben bleibt.“
Hänschen hörte nicht mehr zu.
Er rannte über den Korridor, durch zwei große königliche Zimmer und stürzte
atemlos ins Schlafgemach des Königs. Der König lag sehr bleich im Bett und
atmete schwer. Und beim König saß derselbe gute alte Doktor, der auch Hänschen
gesund machte, wenn er krank war.
„Vati, Vati“, rief Hänschen
unter Tränen, „ich will nicht, daß du stirbst!“
Der König machte die Augen auf
und blickte seinen kleinen Sohn traurig an.
„Ich will ja auch nicht
sterben“, sagte der König leise. „Ich möchte dich, mein Kleiner, nicht allein
zurücklassen.“
Der Doktor nahm Hänschen auf
den Schoß, und dann sagten sie gar nichts mehr.
Plötzlich mußte Hänschen daran
denken, wie er schon einmal so an einem Bett gesessen hatte. Damals hatte ihn
der Vater auf dem Schoß gehalten, und im Bett hatte die Mutter gelegen, auch so
bleich, und hatte ebenso schwer geatmet.
Vati wird sterben, wie die
Mutti gestorben ist, dachte Hänschen.
Und ihm wurde furchtbar traurig
zumute, aber dann erfaßte ihn Wut und Ärger auf die Minister, die über ihn,
Hänschen, und den Tod seines lieben Vaters lachten.
Wartet nur, bis ich König bin,
dachte Hänschen, dann zahle ich euch das alles heim.
Das Begräbnis des Königs wurde
mit großem Prunk abgehalten. Die Laternen waren mit schwarzem Krepp umwickelt.
Alle Glocken läuteten. Das Orchester spielte einen Trauermarsch. Kanonen fuhren
vorbei, die Truppen marschierten. Extrazüge mußten aus den wärmsten Ländern
Blumen bringen. Alle waren sehr traurig. Und die Zeitungen schrieben, das ganze
Volk weine über den Verlust des gebebten Königs.
Hänschen saß niedergedrückt in
seinem Zimmer, denn wenn er nun auch König werden sollte, so hatte er doch
seinen Vater verloren, und nun hatte er niemanden mehr auf der ganzen Welt.
Hänschen erinnerte sich noch
gut an seine Mutter; sie hatte ihm eben den Namen Hänschen gegeben. Und wenn
die Mutter auch Königin war, so war sie doch gar nicht stolz gewesen, sie hatte
mit ihm gespielt, mit ihm aus Klötzchen Häuser gebaut, ihm Märchen erzählt und
Bilderbücher mit ihm angesehen. Mit dem Vater war Hänschen nicht soviel
zusammengewesen, denn der König war oft zu seinen Truppen gefahren oder hatte
andere Könige zu Besuch. Ein andermal wieder hatte er Beratungen und Sitzungen
gehabt.
Aber es war auch vorgekommen,
daß der König ein wenig Zeit für Hänschen fand, er spielte dann mit ihm Kegel,
oder sie ritten, der König auf dem Pferd und Hänschen auf seinem Pony, durch
die langen Alleen des Schloßparks. Und was sollte nun werden? Immer nur dieser
langweilige ausländische Erzieher, der ein Gesicht machte, als hätte er gerade
ein Glas Essig getrunken? Wenn wenigstens noch Krieg gewesen wäre, dann hätte
man sich ordentlich herumraufen können. Aber was hat ein König im Frieden zu
tun?
Traurig war Hänschen, wenn er
da so ganz allein in seinem Zimmer saß, und traurig war er, wenn er durch das
Gitter des Schloßparks den fröhlichen Spielen der Kinder auf dem Schloßhof
zusah.
Sieben Jungen waren es, die da
meistens Soldaten spielten. Und einer leitete immer den Angriff, exerzierte mit
ihnen und war überhaupt der Anführer. Das war so ein kleiner, furchtbar
lustiger Junge, der hieß Fritz. Wie oft wollte Hänschen ihn rufen und sich
wenigstens durch das Gitter ein bißchen mit ihm unterhalten, aber er wußte
nicht, ob man das darf und ob sich das gehört, und dann wußte er auch nicht,
was er sagen sollte und wie man überhaupt so ein Gespräch beginnt.
Inzwischen waren an allen
Litfaßsäulen große Plakate angeklebt worden, auf denen stand, daß Hänschen
König geworden sei, daß er seine Untertanen grüße, daß die gleichen Minister
geblieben seien wie vorher und daß sie ihm bei der Arbeit helfen würden.
Alle Geschäfte waren voller
Fotos von Hänschen. Hänschen auf seinem Pony, Hänschen im Matrosenanzug,
Hänschen in Uniform, Hänschen bei der Truppenparade. Auch im Kino war Hänschen
zu sehen. Alle Illustrierten im In- und Ausland zeigten Hänschen.
Und man muß die Wahrheit sagen:
Alle hatten Hänschen gern.
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