Alle Minister wußten davon und freuten sich sogar ein
bißchen, denn sie mochten den Ministerpräsidenten nicht, weil er schon gar zu
überheblich geworden war.
Niemand wollte ihm einen Rat
geben, aber jeder dachte darüber nach, was zu tun war, damit der königliche Zorn
über die Verheimlichung einer so wichtigen Nachricht auf die anderen falle.
„Wir haben nur noch eine
Minute“, sagte der Kriegsminister, schloß den letzten Knopf, brachte seine
Orden in die richtige Lage, zwirbelte seinen Schnurrbart, nahm den Revolver vom
Tisch und stand eine Minute später in strammer Haltung vor dem König.
„Also Krieg?“ fragte Hänschen
leise.
„Jawohl, Majestät.“
Hänschen fiel ein Stein vom
Herzen; ich muß hinzufügen, daß auch Hänschen diese zehn Minuten in großer
Unruhe verbracht hatte.
Vielleicht hatte Fritz das nur
so hingeschrieben? Vielleicht stimmte es gar nicht? Vielleicht hatte er nur
einen schlechten Witz gemacht?
Das kurze „Jawohl“ zerstreute
alle Zweifel. Es war Krieg, und zwar ein großer Krieg. Sie hatten das ohne ihn erledigen
wollen, aber Hänschen hatte — wie, wußte nur er allein — das Geheimnis
aufgedeckt.
Eine Stunde später riefen die
Zeitungsjungen aus vollem Halse: „ Extraausgabe! Regierungskrise!“
Das hieß, daß sich die Minister
gezankt hatten.
Mit der Regierungskrise war es
so: Der Ministerpräsident spielte den Beleidigten und wollte nicht mehr
oberster Minister sein. Der Eisenbahnminister sagte, er könne die Truppen nicht
befördern, weil er nicht soviel Lokomotiven habe, wie er brauche. Der
Bildungsminister sagte, die Lehrer gingen nun gewiß in den Krieg, also würden
in den Schulen noch mehr Scheiben zerschlagen und noch mehr Bänke
entzweigemacht werden, daher trete auch er zurück.
Für vier Uhr wurde eine
Sondersitzung einberufen.
König Hänschen nutzte die Verwirrung
aus, schlich in den Schloßpark und pfiff grell ein-, zweimal, aber Fritz zeigte
sich nicht.
Mit wem soll ich mich nun in
einem so wichtigen Augenblick beraten? Hänschen fühlte die große Verantwortung,
die auf ihm lastete, und er sah keinen Ausweg. Was soll ich nur tun? König
Hänschen fing an zu weinen. Plötzlich fiel ihm wieder ein, daß man jede
wichtige Frage mit einem Gebet beginnen soll. Das hatte ihm seine gute Mutter
einmal gesagt.
Er ging also weiter in den
Garten hinein, bis ihn niemand mehr sah, und betete inbrünstig zu Gott:
„Lieber Gott“, betete Hänschen,
„ich bin noch ein kleiner Junge, und ohne deine Hilfe kann ich gar nichts tun.
Durch deinen Willen habe ich die Königskrone erhalten, hilf mir nun auch, denn
ich bin in einer sehr schwierigen Lage.“
Lange bat Hänschen Gott um
Hilfe, und heiße Tränen rannen ihm über die Wangen. Aber vor Gott braucht sich
selbst ein König seiner Tränen nicht zu schämen.
Hänschen betete, dann weinte er
wieder. Schließlich schlief er ein, den Rücken an den Stumpf einer gefällten
Birke gelehnt. Und er träumte, sein Vater sitze auf dem Thron, und alle
Minister ständen vor ihm stramm. Plötzlich fing die große Uhr im Thronsaal, die
vor vierhundert Jahren zum letzten Mal aufgezogen worden war, an zu läuten wie
eine Kirchenglocke. Der Zeremonienmeister betrat den Saal, und ihm folgten
zwanzig Lakaien, die trugen einen goldenen Sarg. Da stieg der Vater vom Thron
herab und legte sich in den Sarg, der Zeremonienmeister nahm ihm die Krone ab
und setzte sie Hänschen auf. Hänschen wollte sich auf den Thron setzen, aber er
schaute hin — sein Vater saß wieder dort, allerdings nun ohne Krone und ganz
anders, wie ein Schatten. Und der König sagte: „Hänschen, der Zeremonienmeister
hat dir meine Krone gegeben, ich aber gebe dir — meinen Verstand.“
Dann nahm der Schatten des
Königs den Kopf in die Hand — und Hänschen begann das Herz zu schlagen: Was
würde geschehen?
Da rüttelte ihn jemand — und
Hänschen wachte auf.
„Majestät, es ist gleich vier
Uhr.“
Hänschen erhob sich vom Rasen,
auf dem er eben noch geschlafen hatte — und das war viel schöner, als wenn er
aus seinem Bett aufstand. Hänschen wußte nicht, daß er noch so manche Nacht
unter freiem Himmel auf dem Rasen verbringen sollte, daß er würde für lange
Zeit von seinem königlichen Bett Abschied nehmen müssen.
Genauso wie er es geträumt
hatte, reichte der Zeremonienmeister Hänschen die Krone. Punkt vier Uhr läutete
König Hänschen im Sitzungssaal und sagte: „Meine Herren, wir beginnen mit den
Beratungen.“
„Ich bitte um das Wort“, sprach
der Ministerpräsident.
Und er fing eine lange Rede an,
er könne nicht länger arbeiten, es tue ihm leid, den König in einem so schweren
Augenblick zu verlassen, er müsse jedoch gehen, er sei krank.
Das gleiche sagten die anderen
Minister.
Hänschen ließ sich nicht
erschrecken, er antwortete: „Das ist ja alles schön und gut, aber jetzt ist
Krieg — und wir haben keine Zeit für Krankheiten und Müdigkeit. Sie, Herr
Ministerpräsident, kennen alle Angelegenheiten, also müssen Sie bleiben. Wenn
ich den Krieg gewinne, können wir weiter darüber sprechen.“
„Aber es hat in den Zeitungen
gestanden, daß ich zurücktrete.“
„Dann werden sie jetzt eben
schreiben, daß Sie bleiben, weil ich Sie — darum bitte.“
König Hänschen hatte eigentlich
sagen wollen: Weil ich es Ihnen befehle, aber wahrscheinlich hatte ihm der
Schatten seines Vaters geraten, das Wort „befehlen“ in einem so wichtigen
Augenblick durch „bitten“ zu ersetzen.
„Meine Herren, wir müssen das
Vaterland verteidigen, wir müssen unsere Ehre retten.“
„Also wollen Majestät gegen
drei Staaten losschlagen?“ fragte der Kriegsminister.
„Ja, wollen Sie denn
vielleicht, Herr Minister, daß ich um Frieden bitte? Ich bin doch der Urenkel
von Paul dem Siegreichen. Gott wird uns helfen.“
Diese Rede gefiel den
Ministern, und der Ministerpräsident war sehr froh, daß ihn der König gebeten
hatte. Er tat noch ein Weilchen so, als ob er an seinem Entschluß festhalten
wollte, aber schließlich blieb er doch.
Die Beratung dauerte lange, und
als sie zu Ende war, da schrien die Jungen auf den Straßen: „Extraausgabe!
Regierungskrise beigelegt!“
Das bedeutete, daß sich die
Minister wieder vertragen hatten. Hänschen war ein wenig verwundert, daß auf
der Beratung nicht davon die Rede gewesen war, er, Hänschen, solle zum Volk
sprechen und auf einem Schimmel seinen mutigen Truppen voranreiten. Sie hatten
von Eisenbahnen, von Geld, von Zwieback und Schuhen für die Truppen gesprochen,
von Heu, Hafer, Rindern und Schweinen, als handelte es sich gar nicht um den
Krieg, sondern um etwas ganz anderes.
Hänschen hatte sehr viel von
früheren Kriegen gehört, aber den modernen Krieg kannte er überhaupt nicht. Er
sollte ihn erst kennenlernen, bald schon sollte er verstehen, wozu Zwieback und
Schuhe nötig waren und was sie mit dem Krieg zu tun hatten.
Hänschens Unruhe wuchs, als am
nächsten Tage zu gewohnter Stunde sein ausländischer Erzieher zum Unterricht
erschien. Kaum war jedoch die Hälfte der Stunde vergangen, da wurde Hänschen in
den Thronsaal gerufen.
„Die Gesandten der Staaten, die
uns den Krieg erklärt haben, reisen ab.“
„Und wohin fahren sie?“
„Nach Hause.“
Das schien Hänschen merkwürdig,
daß man sie einfach so ruhig wegfahren ließ, aber es war ihm doch lieber, als
hätte man sie auf einen Pfahl gespießt oder sonst irgendwie gefoltert.
„Und wozu sind sie
hierhergekommen?“
„Um sich von Eurer Majestät zu
verabschieden.“
„Muß ich beleidigt sein?“
fragte er leise, damit es die Lakaien nicht hören sollten, denn dann hätten sie
vor ihm den Respekt verloren.
„Nein, Majestät sollen sich
höflich von ihnen verabschieden. Im übrigen werden sie das schon allein
machen.“
Die Gesandten trugen keine
Handschellen und keine Ketten an Händen und Füßen.
„Wir sind gekommen, um uns von
Eurer Majestät zu verabschieden. Es tut uns außerordentlich leid, daß es Krieg
geben muß. Wir haben alles getan, um den Krieg zu verhindern, leider ist uns
das nicht gelungen. Wir sind gezwungen, Eurer Majestät die Orden zurückzugeben,
die wir erhalten haben, denn es ziemt sich für uns nicht, die Orden eines
Staates zu tragen, mit dem unsere Regierungen Krieg führen.“
Der Zeremonienmeister nahm
ihnen die Orden ab.
„Wir danken Eurer Majestät für
die Gastfreundschaft in Eurer Majestät schöner Hauptstadt, aus der wir die
liebsten Erinnerungen mitnehmen werden.
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