Ein solcher Übergang macht aber eine Vergleichung des älteren mit dem neuern Gebrauche notwendig, um das neue Gleis von dem vorigen wohl zu unterscheiden und zugleich den Zusammenhang derselben bemerken zu lassen. Man wird also Betrachtungen dieser Art, unter andern diejenige, welche nochmals auf den Begriff der Freiheit, aber im praktischen Gebrauche der reinen Vernunft, gerichtet worden, nicht wie Einschiebsel betrachten, die etwa nur dazu dienen sollen, um Lücken des kritischen Systems der spekulativen Vernunft auszufüllen (denn dieses ist in seiner Absicht vollständig), und, wie es bei einem übereilten Baue herzugehen pflegt, hintennach noch Stützen und Strebepfeiler anzubringen, sondern als wahre Glieder, die den Zusammenhang des Systems bemerklich machen, um Begriffe, die dort nur problematisch vorgestellt werden konnten, jetzt in ihrer realen Darstellung einsehen zu lassen. Diese Erinnerung geht vornehmlich den Begriff der Freiheit an, von dem man mit Befremdung bemerken muß, daß noch so viele ihn ganz wohl einzusehen und die Möglichkeit derselben erklären zu können sich rühmen, indem sie ihn bloß in psychologischer Beziehung betrachten, indessen daß, wenn sie ihn vorher in transzendentaler genau erwogen hätten, sie so wohl seine Unentbehrlichkeit, als problematischen Begriffs, in vollständigem Gebrauche der spekulativen Vernunft, als auch die völlige Unbegreiflichkeit desselben hätten erkennen, und, wenn sie nachher mit ihm zum praktischen Gebrauche gingen, gerade auf die nämliche Bestimmung des letzteren in Ansehung seiner Grundsätze von selbst hätten kommen müssen, zu welcher sie sich sonst so ungern verstehen wollen. Der Begriff der Freiheit ist der Stein des Anstoßes für alle Empiristen, aber auch der Schlüssel zu den erhabensten praktischen Grundsätzen für kritische Moralisten, die dadurch einsehen, daß sie notwendig rational verfahren müssen. Um deswillen ersuche ich den Leser, das, was zum Schlusse der Analytik über diesen Begriff gesagt wird, nicht mit flüchtigem Auge zu übersehen.
Ob ein solches System, als hier von der reinen praktischen Vernunft aus der Kritik der letzteren entwickelt wird, viel oder wenig Mühe gemacht habe, um vornehmlich den rechten Gesichtspunkt, aus dem das Ganze derselben richtig vorgezeichnet werden kann, nicht zu verfehlen, muß ich den Kennern einer dergleichen Arbeit zu beurteilen überlassen. Es setzt zwar die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten voraus, aber nur in so fern, als diese mit dem Prinzip der Pflicht vorläufige Bekanntschaft macht und eine bestimmte Formel derselben angibt und rechtfertigt3; sonst besteht es durch sich selbst. Daß die Einteilung aller praktischen Wissenschaften zur Vollständigkeit nicht mit beigefügt worden, wie es die Kritik der spekulativen Vernunft leistete, dazu ist auch gültiger Grund in der Beschaffenheit dieses praktischen Vernunftvermögens anzutreffen. Denn die besondere Bestimmung der Pflichten, als Menschenpflichten, um sie einzuteilen, ist nur möglich, wenn vorher das Subjekt dieser Bestimmung (der Mensch), nach der Beschaffenheit, mit der er wirklich ist, obzwar nur so viel als in Beziehung auf Pflicht überhaupt nötig ist, erkannt worden; diese aber gehört nicht in eine Kritik der praktischen Vernunft überhaupt, die nur die Prinzipien ihrer Möglichkeit, ihres Umfanges und Grenzen vollständig ohne besondere Beziehung auf die menschliche Natur angeben soll. Die Einteilung gehört also hier zum System der Wissenschaft, nicht zum System der Kritik.
Ich habe einem gewissen, wahrheitliebenden und scharfen, dabei also doch immer achtungswürdigen Rezensenten jener Grundlegung zur Metaphysik der Sitten auf seinen Einwurf, daß der Begriff des Guten dort nicht (wie es seiner Meinung nach nötig gewesen wäre) vor dem moralischen Prinzip festgesetzt worden4, in dem zweiten Hauptstücke der Analytik, wie ich hoffe, Genüge getan; eben so auch auf manche andere Einwürfe Rücksicht genommen, die mir von Männern zu Händen gekommen sind, die den Willen blicken lassen, daß die Wahrheit auszumitteln ihnen am Herzen liegt, (denn die, so nur ihr altes System vor Augen haben, und bei denen schon vorher beschlossen ist, was gebilligt oder mißbilligt werden soll, verlangen doch keine Erörterung, die ihrer Privatabsicht im Wege sein könnte;) und so werde ich es auch fernerhin halten.
Wenn es um die Bestimmung eines besonderen Vermögens der menschlichen Seele, nach seinen Quellen, Inhalte und Grenzen zu tun ist, so kann man zwar, nach der Natur des menschlichen Erkenntnisses, nicht anders als von den Teilen derselben, ihrer genauen und (so viel als nach der jetzigen Lage unserer schon erworbenen Elemente derselben möglich ist) vollständigen Darstellung anfangen. Aber es ist noch eine zweite Aufmerksamkeit, die mehr philosophisch und architektonisch ist; nämlich, die Idee des Ganzen richtig zu fassen, und aus derselben alle jene Teile in ihrer wechselseitigen Beziehung auf einander, vermittelst der Ableitung derselben von dem Begriffe jenes Ganzen, in einem reinen Vernunftvermögen ins Auge zu fassen. Diese Prüfung und Gewährleistung ist nur durch die innigste Bekanntschaft mit dem System möglich, und die, welche in Ansehung der ersteren Nachforschung verdrossen gewesen, also diese Bekanntschaft zu erwerben nicht der Mühe wert geachtet haben, gelangen nicht zur zweiten Stufe, nämlich der Übersicht, welche eine synthetische Wiederkehr zu demjenigen ist, was vorher analytisch gegeben worden, und es ist kein Wunder, wenn sie allerwärts Inkonsequenzen finden, obgleich die Lücken, die diese vermuten lassen, nicht im System selbst, sondern bloß in ihrem eigenen unzusammenhängenden Gedankengange anzutreffen sind.
Ich besorge in Ansehung dieser Abhandlung nichts von dem Vorwurfe, eine neue Sprache einführen zu wollen, weil die Erkenntnisart sich hier von selbst der Popularität nähert. Dieser Vorwurf konnte auch niemandem in Ansehung der ersteren Kritik beifallen, der sie nicht bloß durchgeblättert, sondern durchgedacht hatte. Neue Worte zu künsteln, wo die Sprache schon so an Ausdrücken für gegebene Begriffe keinen Mangel hat, ist eine kindische Bemühung, sich unter der Menge, wenn nicht durch neue und wahre Gedanken, doch durch einen neuen Lappen auf dem alten Kleide auszuzeichnen. Wenn daher die Leser jener Schrift populärere Ausdrücke wissen, die doch dem Gedanken eben so angemessen sind, als mir jene zu sein scheinen, oder etwa die Nichtigkeit dieser Gedanken selbst, mithin zugleich jedes Ausdrucks, der ihn bezeichnet, darzutun sich getrauen; so würden sie mich durch das erstere sehr verbinden, denn ich will nur verstanden sein; in Ansehung des zweiten aber sich ein Verdienst um die Philosophie erwerben. So lange aber jene Gedanken noch stehen, zweifele ich sehr, daß ihnen angemessene und doch gangbarere Ausdrücke dazu aufgefunden werden dürften.5
Auf diese Weise wären denn nunmehr die Prinzipien a priori zweier Vermögen des Gemüts, des Erkenntnis- und Begehrungsvermögens ausgemittelt, und, nach den Bedingungen, dem Umfange und Grenzen ihres Gebrauchs, bestimmt, hierdurch aber zu einer systematischen, theoretischen so wohl als praktischen Philosophie, als Wissenschaft, sicherer Grund gelegt.
Was Schlimmeres könnte aber diesen Bemühungen wohl nicht begegnen, als wenn jemand die unerwartete Entdeckung machte, daß es überall gar kein Erkenntnis a priori gebe, noch geben könne. Allein es hat hiermit keine Not. Es wäre eben so viel, als ob jemand durch Vernunft beweisen wollte, daß es keine Vernunft gebe. Denn wir sagen nur, daß wir etwas durch Vernunft erkennen, wenn wir uns bewußt sind, daß wir es auch hätten wissen können, wenn es uns auch nicht so in der Erfahrung vorgekommen wäre; mithin ist Vernunfterkenntnis und Erkenntnis a priori einerlei. Aus einem Erfahrungssatze Notwendigkeit (ex pumice aquam) auspressen wollen, mit dieser auch wahre Allgemeinheit (ohne welche kein Vernunftschluß, mithin auch nicht der Schluß aus der Analogie, welche eine wenigstens präsumierte Allgemeinheit und objektive Notwendigkeit ist, und diese also doch immer voraussetzt,) einem Urteile verschaffen wollen, ist gerader Widerspruch. Subjektive Notwendigkeit, d.i. Gewohnheit, statt der objektiven, die nur in Urteilen a priori stattfindet, unterschieben, heißt der Vernunft das Vermögen absprechen, über den Gegenstand zu urteilen, d.i. ihn, und was ihm zukomme, zu erkennen, und z.B. von dem, was öfters und immer auf einen gewissen vorhergehenden Zustand folgte, nicht sagen, daß man aus diesem auf jenes schließen könne (denn das würde objektive Notwendigkeit und Begriff von einer Verbindung a priori bedeuten), sondern nur ähnliche Fälle (mit den Tieren auf ähnliche Art) erwarten dürfe, d.i. den Begriff der Ursache im Grunde als falsch und bloßen Gedankenbetrug verwerfen. Diesem Mangel der objektiven und daraus folgenden allgemeinen Gültigkeit dadurch abhelfen wollen, daß man doch keinen Grund sähe, andern vernünftigen Wesen eine andere Vorstellungsart beizulegen, wenn das einen gültigen Schluß abgäbe, so würde uns unsere Unwissenheit mehr Dienste zur Erweiterung unserer Erkenntnis leisten, als alles Nachdenken. Denn bloß deswegen, weil wir andere vernünftige Wesen außer dem Menschen nicht kennen, würden wir ein Recht haben, sie als so beschaffen anzunehmen, wie wir uns erkennen, d.i. wir würden sie wirklich kennen. Ich erwähne hier nicht einmal, daß nicht die Allgemeinheit des Fürwahrhaltens die objektive Gültigkeit eines Urteils (d.i. die Gültigkeit desselben als Erkenntnisses) beweise, sondern, wenn jene auch zufälliger Weise zuträfe, dieses doch noch nicht einen Beweis der Übereinstimmung mit dem Objekt abgeben könne; vielmehr die objektive Gültigkeit allein den Grund einer notwendigen allgemeinen Einstimmung ausmache.
Hume würde sich bei diesem System des allgemeinen Empirismus in Grundsätzen auch sehr wohl befinden; denn er verlangte, wie bekannt, nichts mehr, als daß, statt aller objektiven Bedeutung der Notwendigkeit im Begriffe der Ursache, eine bloß subjektive, nämlich Gewohnheit, angenommen werde, um der Vernunft alles Urteil über Gott, Freiheit und Unsterblichkeit abzusprechen; und er verstand sich gewiß sehr gut darauf, um, wenn man ihm nur die Prinzipien zugestand, Schlüsse mit aller logischen Bündigkeit daraus zu folgern. Aber so allgemein hat selbst Hume den Empirismus nicht gemacht, um auch die Mathematik darin einzuschließen.
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