Er hielt ihre Sätze für analytisch, und, wenn das seine Richtigkeit hätte, würden sie in der Tat auch apodiktisch sein, gleichwohl aber daraus kein Schluß auf ein Vermögen der Vernunft, auch in der Philosophie apodiktische Urteile, nämlich solche, die synthetisch wären, (wie der Satz der Kausalität,) zu fällen, gezogen werden können. Nähme man aber den Empirismus der Prinzipien allgemein an, so wäre auch Mathematik damit eingeflochten.

Wenn nun diese mit der Vernunft, die bloß empirische Grundsätze zuläßt, in Widerstreit gerät, wie dieses in der Antinomie, da Mathematik die unendliche Teilbarkeit des Raumes unwidersprechlich beweiset, der Empirismus aber sie nicht verstatten kann, unvermeidlich ist: so ist die größte mögliche Evidenz der Demonstration, mit den vorgeblichen Schlüssen aus Erfahrungsprinzipien, in offenbarem Widerspruch, und nun muß man, wie der Blinde des Cheselden fragen: was betrügt mich, das Gesicht oder Gefühl? (denn der Empirismus gründet sich auf einer gefühlten, der Rationalismus aber auf einer eingesehenen Notwendigkeit.) Und so offenbaret sich der allgemeine Empirismus als der echte Skeptizismus, den man dem Hume fälschlich in so unbeschränkter Bedeutung beilegte6, da er wenigstens einen sicheren Probierstein der Erfahrung an der Mathematik übrig ließ, statt daß jener schlechterdings keinen Probierstein derselben (der immer nur in Prinzipien a priori angetroffen werden kann) verstattet, obzwar diese doch nicht aus bloßen Gefühlen, sondern auch aus Urteilen besteht.

Doch, da es in diesem philosophischen und kritischen Zeitalter schwerlich mit jenem Empirismus Ernst sein kann, und er vermutlich nur zur Übung der Urteilskraft, und um durch den Kontrast die Notwendigkeit rationaler Prinzipien a priori in ein helleres Licht zu setzen, aufgestellet wird: so kann man es denen doch Dank wissen, die sich mit dieser sonst eben nicht belehrenden Arbeit bemühen wollen.

Einleitung. Von der Idee einer Kritik der praktischen Vernunft

Der theoretische Gebrauch der Vernunft beschäftigte sich mit Gegenständen des bloßen Erkenntnisvermögens, und eine Kritik derselben, in Absicht auf diesen Gebrauch, betraf eigentlich nur das reine Erkenntnisvermögen, weil dieses Verdacht erregte, der sich auch hernach bestätigte, daß es sich leichtlich über seine Grenzen, unter unerreichbare Gegenstände, oder gar einander widerstreitende Begriffe, verlöre. Mit dem praktischen Gebrauche der Vernunft verhält es sich schon anders. In diesem beschäftigt sich die Vernunft mit Bestimmungsgründen des Willens, welcher ein Vermögen ist, den Vorstellungen entsprechende Gegenstände entweder hervorzubringen, oder doch sich selbst zur Bewirkung derselben (das physische Vermögen mag nun hinreichend sein, oder nicht) d.i. seine Kausalität zu bestimmen. Denn da kann wenigstens die Vernunft zur Willensbestimmung zulangen, und hat so fern immer objektive Realität, als es nur auf das Wollen ankommt. Hier ist also die erste Frage: ob reine Vernunft zur Bestimmung des Willens für sich allein zulange, oder ob sie nur als empirisch-bedingte ein Bestimmungsgrund derselben sein könne. Nun tritt hier ein durch die Kritik der reinen Vernunft gerechtfertigter, obzwar keiner empirischen Darstellung fähiger Begriff der Kausalität, nämlich der der Freiheit, ein, und wenn wir anjetzt Gründe ausfindig machen können, zu beweisen, daß diese Eigenschaft dem menschlichen Willen (und so auch dem Willen aller vernünftigen Wesen) in der Tat zukomme, so wird dadurch nicht allein dargetan, daß reine Vernunft praktisch sein könne, sondern daß sie allein, und nicht die empirisch-beschränkte, unbedingterweise praktisch sei. Folglich werden wir nicht eine Kritik der reinen praktischen, sondern nur der praktischen Vernunft überhaupt, zu bearbeiten haben. Denn reine Vernunft, wenn allererst dargetan worden, daß es eine solche gebe, bedarf keiner Kritik. Sie ist es, welche selbst die Richtschnur zur Kritik alles ihres Gebrauchs enthält. Die Kritik der praktischen Vernunft überhaupt hat also die Obliegenheit, die empirisch bedingte Vernunft von der Anmaßung abzuhalten, ausschließungsweise den Bestimmungsgrund des Willens allein abgeben zu wollen. Der Gebrauch der reinen Vernunft, wenn, daß es eine solche gebe, ausgemacht ist, ist allein immanent; der empirisch-bedingte, der sich die Alleinherrschaft anmaßt, ist dagegen transzendent, und äußert sich in Zumutungen und Geboten, die ganz über ihr Gebiet hinausgehen, welches gerade das umgekehrte Verhältnis von dem ist, was von der reinen Vernunft im spekulativen Gebrauche gesagt werden konnte.

Indessen, da es immer noch reine Vernunft ist, deren Erkenntnis hier dem praktischen Gebrauche zum Grunde liegt, so wird doch die Einteilung einer Kritik der praktischen Vernunft, dem allgemeinen Abrisse nach, der der spekulativen gemäß angeordnet werden müssen. Wir werden also eine Elementarlehre und Methodenlehre derselben, in jener, als dem ersten Teile, eine Analytik, als Regel der Wahrheit, und eine Dialektik, als Darstellung und Auflösung des Scheins in Urteilen der praktischen Vernunft haben müssen. Allein die Ordnung in der Unterabteilung der Analytik wird wiederum das Umgewandte von der in der Kritik der reinen spekulativen Vernunft sein. Denn in der gegenwärtigen werden wir von Grundsätzen anfangend zu Begriffen und von diesen allererst, wo möglich, zu den Sinnen gehen; da wir hingegen bei der spekulativen Vernunft von den Sinnen anfingen, und bei den Grundsätzen endigen mußten. Hiervon liegt der Grund nun wiederum darin: daß wir es jetzt mit einem Willen zu tun haben, und die Vernunft nicht im Verhältnis auf Gegenstände, sondern auf diesen Willen und dessen Kausalität zu erwägen haben, da denn die Grundsätze der empirisch unbedingten Kausalität den Anfang machen müssen, nach welchem der Versuch gemacht werden kann, unsere Begriffe von dem Bestimmungsgrunde eines solchen Willens, ihrer Anwendung auf Gegenstände, zuletzt auf das Subjekt und dessen Sinnlichkeit, allererst festzusetzen. Das Gesetz der Kausalität aus Freiheit, d.i. irgend ein reiner praktischer Grundsatz, macht hier unvermeidlich den Anfang, und bestimmt die Gegenstände, worauf er allein bezogen werden kann.

Erster Teil. Elementarlehre der reinen praktischen Vernunft

Erstes Buch. Die Analytik der reinen praktischen Vernunft

Erstes Hauptstück. Von den Grundsätzen der reinen praktischen Vernunft

§1
Erklärung

Praktische Grundsätze sind Sätze, welche eine allgemeine Bestimmung des Willens enthalten, die mehrere praktische Regeln unter sich hat. Sie sind subjektiv, oder Maximen, wenn die Bedingung nur als für den Willen des Subjekts gültig von ihm angesehen wird; objektiv aber, oder praktische Gesetze, wenn jene als objektiv d.i. für den Willen jedes vernünftigen Wesens gültig erkannt wird.

Anmerkung

Wenn man annimmt, daß reine Vernunft einen praktisch d.i. zur Willensbestimmung hinreichenden Grund in sich enthalten könne, so gibt es praktische Gesetze; wo aber nicht, so werden alle praktischen Grundsätze bloße Maximen sein. In einem pathologisch-affizierten Willen eines vernünftigen Wesens kann ein Widerstreit der Maximen, wider die von ihm selbst erkannten praktischen Gesetze, angetroffen werden. Z.B. es kann sich jemand zur Maxime machen, keine Beleidigung ungerächet zu erdulden, und doch zugleich einsehen, daß dieses kein praktisches Gesetz, sondern nur seine Maxime sei, dagegen, als Regel für den Willen eines jeden vernünftigen Wesens, in einer und derselben Maxime, mit sich selbst nicht zusammen stimmen könne. In der Naturerkenntnis sind die Prinzipien dessen, was geschieht, (z.B.