Kurt von Koppigen

Jeremias Gotthelf

Kurt von Koppigen





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81675 München

Titel

Jeremias Gotthelf

 

Kurt von Koppigen

Erzählung

(Zweite Fassung von 1850)

 

 

 

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Kurt von Koppigen

Die Gestalt der Erde geht vorüber, gleich bleibt sich das Menschenherz für und für. Es wechseln über dem Schoße der Erde die Jahreszeiten, aber es wandelt sich nicht der Schoß der Erde. Lieblich ists im weichen, warmen Frühlingswehen, aber wer des Eises gewohnt ist, sehnt nach des Nordpols eisigen Winden sich. Wer gewohnt ist an milde Sitten, an ein weichlich Leben, den schaudert vor der Rauheit vergangener Zeiten; wer in jenen Zeiten gelebt, den würde, in unsere Zeit versetzt, der Ekel töten, gleich dem Fische des Meeres das süße Wasser. So hat Gott es geordnet, der Mensch wird es nicht ändern. Aber Gott will auch, daß der Mensch betrachte die vergangenen Zeiten; nicht als Eintagsfliege ohne Zukunft hat Gott den Menschen geschaffen, und wer die ihm geordnete Zukunft genießen will, muß sich dazu stärken an der Vergangenheit. Wie jede Jahreszeit ihre Vorzüge hat und ihre Einflüsse, so jede Zeit im Weltenlauf. Aus den vergangenen Zeiten soll der Mensch das Gute nehmen und damit bessern sich und seine Zeit, mit dem Schlimmen jener Zeiten soll er Frieden und Genügen bringen ins alte Herz, welches von Natur weder Frieden noch Genügen hat, welches alle Tage geführt werden muß an den Born der Zufriedenheit, aus welchem die Freude an Gottes Ordnung quillt und der Dank für jede gute Gabe, die kommt aus der gesegneten Hand, welche sich öffnet zur geeigneten Zeit und speiset und tränket alles, was da lebt, auf geeignete Weise.

Vor sechshundert Jahren war es anders als jetzt im Schweizerlande. Da war es wild nicht bloß in den Bergen, sondern auch im ebenen Lande; gering war der Anbau, gering dessen Ertrag, desto größer war der Wald, desto zahlreicher die Gewässer, von denen man oft nicht wußte, sollte man See oder Sumpf, Bach oder Fluß sie heißen. Viel Wild war in den Wäldern, mächtige Fische in den Gewässern; wer Herr sei im Lande, der Mensch oder das Tier, schien nicht entschieden, denn ebensooft, als der Mensch des Tieres Lager zerstörte, zerstörte das Wild des Menschen Anbau. Düstere Türme waren zerstreut durchs Land, sie ragten aus den schwarzen Tannen heraus und über sie empor wie greise Helden aus niederm Volke. Breit, wie eine Henne über ihren Küchlein, lag hie und da ein Kloster im Tale ruhig und gutmütig, höher schienen die Bäume, grüner das Gras in seiner Nähe. Heitere Gehöfte, wie sie jetzt blitzen mit ihren hellen Fenstern stundenweit über das Land herein, sah man wenige oder keine in niedrigerm Lande. Mehr in Wald und Sumpf als im Hause lebte damals der Mensch; darum wandte man auch wenig Sorgfalt auf des Hauses Ausstattung oder gar Verzierung. Bäuerinnen wohnten schlechter als heute Bettlerinnen; wenn Edelfrauen es gehabt hätten in ihren kahlen, kalten Schlößchen wie heutzutage Bäuerinnen auf ihren reichen Gehöften, sie wären von Königinnen beneidet worden. Damals ging es einfach zu: Gold und Silber war wenig im Schweizerlande; die Dienstmägde von jetzt haben vielleicht mehr Seide am Leibe, als damals zu finden gewesen wäre im ganzen Lande.

Im schönen, weiten Aartale, nicht weit davon, wo es von der wilden Emme fast rechtwinklig durchschnitten wird, da, wo jetzt das reiche Dorf Koppigen steht im Bernbiet, stand damals, wo jetzt noch auf dem Hügel, der Bühl genannt, Spuren zu sehen sind, ein kleines Schlößchen. Von Koppigen hießen die Edeln, welchen es gehörte. Die Gegend war nicht im Glanze wie jetzt; gar mancher Kraft war noch keine Schranke gezogen, zerstörend konnte sie walten nach Belieben. Keine Dämme faßten die Emme ein und hinderten sie, ihr Bett zu verlassen, rechts und links lustwandelnd durch die Fluren. Ihr beliebtester Spaziergang war rechts bei Kirchberg vorbei, über die weiten Felder gegen Koppigen hin, den großen Sümpfen und kleinen Seen zu, welche noch jetzt zwischen Koppigen und der Aare liegen. Spärlich bewohnt war diese Gegend, und sehr arm waren die Bewohner, arm wie die Edeln im Schlößchen.

Dieses arme Schlößchen war nebst der Emme auch eine Ursache von der Armut der Gegend. Es glich einem alten, offenen Schaden, welcher die gesunden Säfte eines Körpers verzehrt, dem Wirbel im Strome, der alles an sich reißt, was in seinen Bereich kommt. Wir sind gar weit von der Ungerechtigkeit entfernt, dieses Schlößchen einem Krebsschaden zu vergleichen, eben weil es ein Schlößchen war. Wir wissen zu wohl, daß in jenen Zeiten viele Schlösser der süßen Quelle glichen, welche die Umgegend befruchtet, den müden Wanderer erquickt, der Magnet ist, welcher die Anwohner zieht, nicht um sie zu verzehren, sondern um sie zu laben. Klöster und Schlösser waren sehr oft in jener Zeit, was jetzt noch die Oasen sind in den afrikanischen Wüsten.

Aber in Koppigen war es anders: die Herren von Koppigen waren ein angesehenes Geschlecht, aber seit Jahren waren sie um so ärmer geworden, je vornehmer sie sich dünkten. Schöne, stattliche Männer waren die Herren von Koppigen. Schon damals fiel es den Menschen bei, sich durch Heiraten zu heben und ihre persönlichen Vorzüge so gleichsam als Einsatz in dem verwegenen Spiel geltend zu machen. So heirateten die stattlichen Männer in vornehme Familien, erhielten zur Mitgift hohen Stolz, vornehme Angewöhnungen und Verwandte, welche sie gebrauchten, wenn es ihnen kommod war, hintenher dann taten, als hätten sie sie nicht gebraucht. Es gibt keine gefährlichere Stellung auf Gottes Erde, als den Kopf gen Himmel zu strecken, während man nichts unter den Füßen hat.