Hochmut zieht die Hoffart nach, hintenher kommt die Armut; wo diese drei in einem Menschen oder einem Geschlechte hausen, da ist ein gefährlich Dabeisein, ehedem wie jetzt. Hoffart und Hochmut schämen sich begreiflich der Armut, greifen zu allen Mitteln, um, wenn auch nicht reich zu werden, so doch die Armut zu verdecken. Je nach Stand und Zeit wird List und Gewalt versucht, doch zumeist umsonst; während man andere arm macht, wird man selbst alle Tage ärmer, hochmütiger und verachteter. Die Schwierigkeit, reich zu werden, wird zur Unmöglichkeit, in Schmach und Not geht der Mensch oder die Familie unter. Dies ist die Geschichte von tausend und abermal tausend Familien oder Menschen. Auf diesen Wegen wandelten eben auch die Herren von Koppigen.
Im wilden Leben war die Familie zusammengeschmolzen; zur Zeit, in welcher unsere Geschichte beginnt, lebten im Schlößchen nur noch Mutter und Sohn, jung war der Vater erschlagen worden, als er eine Herde Kühe rauben wollte. Grimhilde hieß die Frau von Koppigen, und nie paßten Name und Person besser zusammen als bei ihr. Sie war eine Gräfin gewesen aus vornehmem Hause und hatte den Herrn von Koppigen geheiratet, weil sie nicht fromm genug war für ein Kloster und den Grundsatz hatte: wenn sie keinen reichen Mann kriegen könne, so nehme sie einen armen, denn einer sei jedenfalls besser als gar keiner. Als sie diesen Grundsatz ins Werk setzte, war sie zu sehr vernünftigen Jahren gekommen. Der wilde Koppiger auf seinem magern Rosse, der sich an ihr Haus zu klammern suchte wie ein in den Strom Gefallener an einen Weidenzweig, fand erst Gnade in ihren Augen, als alle Hoffnung auf was Besseres durchaus verschwunden war. Von je böser als schön, hatte sie jetzt borstige, geradeherausstehende Haare um den Mund wie sie bei den Katzen üblich sind. Sie war lang und hager, hatte schwarze, stechende Augen, eine krumme Nase, hatte eine Stimme, welche tönte wie Peitschenhiebe, und wenn sie ging, machte sie Schritte, als wolle sie über den Schloßgraben springen. Sie besaß von ihrer alten Herrlichkeit nichts mehr als den Hochmut, desto greller trug sie ihn zur Schau; ihren Zorn, daß sie nichts anderes hatte, ließ sie an allem aus, was in den Bereich ihrer langen Arme kam, sie war fürchterlich unbarmherzig. Zu ihrem Schlößlein gehörte ein kleines Gebiet, auf welchem eigene Leute wohnten, aber spärlich, wie auf magerm Ackerlein dünn die Halme stehen. Es hatte eine eigentümliche Bewandtnis mit Land und Leuten: beide wollen weich gepflegt, freigebig genährt sein, dann gedeihen sie üppig, dann ist ihr Ertrag ein reicher; unter einer harten Hand verkümmern sie, je mehr man von ihnen begehrt, desto weniger geben sie: der ausgezogene Acker gibt keine Ernte, ausgezogene Leute zahlen keine Steuern, und wenn der Acker keine Ernte gibt, geht der Zehnten von selbsten ein. Der Ertrag steht also im umgekehrten Verhältnis mit dem Bedarf; je nötiger einer wird, desto weniger wird ihm, der ärmste Bauer, welcher das Geld am nötigsten hätte, hat zumeist den magersten Hof, der nichts abträgt. Es liegt hierin eine große staatswirtschaftliche Lehre, welche beachtet werden sollte, aber es ist noch immer so, daß den Unmündigen offenbar wird, was den Weisen der Welt verborgen bleibt. Je nötiger die Herren von Koppigen wurden, desto mehr sogen sie ihre Leute aus; wenn sie selbst nichts mehr hatten, nahmen sie das erste beste, was sie fanden. So geschah es, daß Pferde und Kühe Raritäten wurden im Koppiger Gebiete. Wenn nun aber der Bauer kein Vieh mehr hat, was helfen ihm da Acker, und wenn der Bauer seine Acker nicht mehr baut, was helfen dann dem Junker Zehnten und Bodenzinse?
So hatten die Herren von Koppigen gewirtschaftet, unter Frau Grimhilde ward es nicht besser. Wie gesagt, hatte Frau Grimhilde nichts mitgebracht als großen Hochmut und etwas weniges an Schmuck und Kleidern. Sie rechnete viel auf ihre Familie, trieb einstweilen Hoffart, soviel und solange sie konnte, schonte nichts, hätte gerne den großen Grafen von Buchegg, Burgdorf und andern es gleichgetan. Als ihr Mann vom wilden Küher erschlagen worden, erfuhr sie, wieviel Rechnungen einer vornehmen Tochter, welche arm geheiratet, welche sie auf ihre Familie macht, wert sind. Man ist glücklich, sie vergessen zu können, braucht alle Mittel, ihr die Erinnerung an ihre Familie zu vertreiben. So ward Koppigen durch Frau Grimhilde ärmer, als es je gewesen war, ihre Kostbarkeiten waren dahin, Zufluß von außen kam ihr nicht. Hunger litt sie freilich nicht: Wald und Wasser waren bevölkerter als jetzt. Schon damals belebte die Forelle die klaren Bäche, und größer und mächtiger als jetzt. Der Lachs stieg zur Laichzeit die Bäche herauf, hellen Kies suchend für seine Nachkommenschaft; der schwerfällige Karpfe, der glatte Aal und manche andere gemeinere Fischart lebten in dem Gewässer. Das Wildschwein fand sich häufiger als jetzt der Hase; in Rudeln strich das Reh durch den Wald, weidete auf den Fluren; stolze Hirsche brachen durch die Büsche, schwammen durch die Flüsse, verschwanden, wenn Hunde an sie setzten, in des Juras dunklen Klüften. An Wild und Fischen hatte also Frau Grimhilde nicht Mangel, auch das Holz, sie zu kochen, brauchte sie nicht zu sparen.
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