Macht einer ihn böse, so zertritt er ihn, gelüstet ihn was, so greift er zu; wer ihn ruhig läßt und nichts hat, welches ihm wohlgefällt, den läßt er auch ruhig, und wer ihm es treffen kann oder gar Hülfe ihm leistet, der hat bei ihm das beste Leben und sonst, was er will. Barthli von Luthernau, du hast schon von ihm gehört, ist landab landauf gefürchteter als der Teufel, an ihn wagt sich niemand, und wo er erscheint, da werden alle Herzen steif vor Angst: die Welt hat es ihm schlecht gemacht, jetzt treibt er ihr es ein. Er war nicht reich, doch seine starke Burg und reiche Vettern, welche keine Kinder hatten, berechtigten ihn, lustig zu leben, als wäre er schon reich und sollte es nicht erst werden. Er borgte von den Vettern, dachte begreiflich nicht ans Wiedergeben, das wäre ja dumm gewesen und eine unnötige Mühe, da ja einmal alles sein war; er suchte im Gegenteil die Schuld täglich größer zu machen. Die Vettern wurden zäher, wollten Vetter Barthli nicht immer begreifen, ihre Hände nicht mehr öffnen nach seinem Belieben. Aber Barthli achtete sich wenig, dachte auch, mit solch alten Knaben mache man nicht viel Federlesens, ritt bei ihnen ein mit vielen Leuten, siedelte sich da an, als wärs für die Ewigkeit, bis sie froh waren, ihre Truhen zu öffnen und ihm zu geben, was er begehrte. Die Vettern waren griesgrämliche Leute, konnten keinen Spaß verstehen, fingen an, den Vetter zu hassen, sich immer schlechter gegen ihn zu benehmen, gegen den leiblicher Vetter. Dieser züchtigte sie, wie recht und billig, immer schärfer ihrer schlechten Gesinnung wegen; da kam, statt daß sie sich gebessert und den Vetter zu versöhnen gesucht, der Teufel vollends über sie, sie vergabeten all ihre Habe, Land, Leute, Gülten, zu Bau und Aufschwung des Klosters St. Urban. Das war schlecht, daher begreiflich Ritter Barthli gar nicht recht; er bot Himmel und Hölle auf gegen diese Vergabung, aber niemand wollte ihm zu seinem Recht verhelfen: geschrieben sei geschrieben, hieß es überall. Da hob er seine Faust auf, drohte, von Luzern bis St. Urban das Land zu verheeren, aber man spottete ihn aus und forderte zu allem noch die alten Schulden ein. Darüber ist er wütend mit Recht, will nun selbst Schulden eintreiben und nehmen, was ihm gehört, wie billig, und fehdet nun das Kloster, welches von niederträchtigen Herren, die den Barthli hassen wegen seiner Mannheit, begünstigt wird, ohne Unterlaß. In den nächsten Tagen versucht er wieder was, wozu er tüchtige Leute braucht; du wirst ihm willkommen sein, sage nur, Jost im Tobel habe dich gesandt.«

Kurt war durch sein Handwerk mißtrauisch, es fiel ihm auf, daß Jost im Tobel, der erst noch so bitter über die Herren gesprochen, ihn jetzt zu einem Herrn senden wollte; er sagte: »Warum soll ich das Tal aufreiten, um zu einem der Herren zu kommen? Ich erspare mir Mühe, wenn ich sie hier erwarte.« »Du jagst auf falscher Fährte«, sagte der Waldbruder; »es ist nicht ein Herr wie der andere Herr und nicht ein Pfaff wie der andere Pfaff; wie in allen Regeln Ausnahmen sind, so sind auch in allen Ständen solche, welche nicht auf der gleichen Saite geigen, nicht zu den andern zu gehören scheinen und um deswillen bitterlich angefeindet werden von den andern. So ist der von Luthern rundum von allen Edeln gehaßt, wie alle Pfaffen rundum mich hassen, von wegen wir leben beide auf eigene Faust, und, was die Hauptsache ist, wir leben beide wohl dabei, besser als die andern, welche nach dem allgemeinen Brauch leben einer wie der andere, wie eine Gans der andern nachwatschelt, wie die erste vorwatschelt. Sieh, darum sind ich und der von Luthern Freunde, weil wir auf der gleichen Fährte jagen; jeder macht, was er kann, lebt so gut als möglich nach dieser Regel und fragt den andern nichts nach, begreifst?« Kurt begriff, hatte aber doch gegen den neuen Herrendienst viel einzuwenden. Er sei ihm nicht entlaufen, um ihn von vornen wieder anzufangen, sagte er. Jost setzte ihm auseinander, wie zwischen allen Dingen ein Unterschied sei; so sei ein Unterschied zwischen Kurt, welcher zum Freiherrn von Regensperg gekommen, und dem Kurt, welcher zu Barthli von Luthernau komme; der erste Kurt sei ein blöder Junge gewesen, der zweite Kurt ein derber Kerl mit Haar ums Maul. Der Freiherr sei halt ein Herr gewesen mit Dienern und einem vornehmen Haushalt, Barthli sei ein Mann, habe Gesellen und einen Haushalt, wo es sich ein jeder so bequem mache, als er könne, und zwischen Kamerad und Knecht sei eben ein großer Unterschied. Als der Waldbruder glaubte, Kurt habe seine Vorlesung hinlänglich begriffen, trieb er Kurt fort; es sei hohe Zeit, sagte er, rasch müsse er machen, daß er fortkomme, sei er einmal über dem Berg, könne er langsam weiter. Dort treffe er ein Haus; richte er seinen Gruß aus, kriege er, was er begehre.

Kurt zögerte, bis es ihn selbst dünkte, er wittere in der Weite Roß und Reiter. Sobald derselbe fort war, kreuzte sich der Waldbruder, räumte alles Verdächtige weg, zog Weiden zweg zum Flechten und sang ein geistlich Lied, das heißt eins mit geistlicher Weise, aber sehr ungeistlichen Worten. Nicht lange saß er so, hörte man schon einzelne Hörnerstöße, hörte zerstreute Reiter zusammensprengen, dann geradenwegs die Schlucht herauf dem Waldbruder zustürmen. Der saß da wie der heilige Feierabend, als ob ihn die ganze Welt nichts anginge, sang und flocht, daß es herzbrechend war, und als ob er sein Lebtag nichts anderes getan hätte. Die Reiter hatten offenbar nicht großen Respekt vor ihm, der Waldbruder indessen den sichern Takt, daß er sein Verzücktsein und Redestehen so gut zu mischen wußte, daß er nichts verriet, weder sich noch Kurt, und doch jeder Gewalttätigkeit entging. Es blieb bei Drohungen und unehrerbietigen Titeln, beides störte den Waldbruder nicht am Korben; Drohungen taten nicht weh, und auf Titel hielt er nichts, er war gar nicht ehrsüchtig. Sie suchten und fanden nichts, sie taten wie Hunde, welche einen Hasen im Versatz verloren, welche ein Jäger immer aufs neue den Ring schlagen läßt; sie kriegten Langeweile, setzten endlich ab einer nach dem andern, und wenn einer anfängt, geht es nicht lange, bis der letzte abzieht.

Unbelästigt ritt Kurt über den Berg bis zu dem Hause, welches ihm Jost empfohlen hatte, oder dem er so gleichsam empfohlen worden war. Es war vor mehr als sechshundert Jahren, als dieses Kurt begegnete, aber kurios ist es, er gebärdete sich damals schon akkurat wie dato ein sogenannt gebildeter, vielleicht vornehmer, selbst fürstlicher Europäer, der vom Vizekönig von Ägypten oder irgend etwelchem Machthaber oder sonst irgendwelchen potenzierten Person Empfehlungen hat in Ägypten oder Italien. Man kann lesen in ihren Reiseberichten, wie sie den Leuten in die Häuser fallen wie Heuschrecken übers Land, die Leute aus dem Schlafe pochen und poltern wie Janitscharen mit einem Firman des Sultans, sich es bequem im Hause machen, daß die Besitzer kaum mehr Platz darin haben, Speisen und Getränk auf die unanständigste Weise beschnüffeln, ehe sie solche genießen, wie verwöhnte Hunde ein Stück Brot, und dann hinterher dem erstaunten Europa erzählen, nach was der Wein gerochen, und ob das Fleisch zäh gewesen oder nicht zäh. Daß es Kurt so machte, soll uns nicht wundern, er machte nicht Anspruch, ein Gentleman zu sein, und war nicht im Welschland gewesen, sondern umgekehrt im Züribiet.