Brigitte, im Wahn, der Vater habe sie nicht recht verstanden, malte ihm noch einmal die Greueltat vor mit gerungenen Händen und zehnmal ärger als vorher, und der Alte trank Schluck um Schluck den zweiten Becher leer und zehnmal behaglicher als den ersten. Der alte Herr besaß eine gutmütige Natur, solche sind schwer zu hetzen, sie haben für das meiste nicht bloß einen, sondern zwei Entschuldigungsgründe. Sein Lebtag hatte er nie gemeint, daß man jungen Leuten das Lieben verbieten oder, wenn es einmal angegangen, es ausblasen könne wie eine Lampe, jetzt im Alter war er nicht dümmer geworden; aber er fühlte sein Alter, kannte seine wilde Zeit, wußte, wie notwendig tüchtige Männer seinen Mädchen seien, wenn sie bei ihrer Sache bleiben sollten. Kurt war ihm gar nicht der Unrechte, sein Geschlecht war gut, sein Arm stark, und wenn er auch arm war, so hatte dies nicht viel zu bedeuten, da er stark und tapfer war, schwach und feig war damals, was jetzt Armsein bedeutet. Es freute also den alten Herrn, daß Hoffnung sich zeigte zur Erfüllung seines Wunsches. Er dachte, wenn einmal eine seiner Töchter an Mann gebracht sei, werde es den andern auch nicht fehlen. Schwestern bilden eine Art von Zauberring, das Brechen des Ringes ist das schwerste, ist einmal das erste Stück heraus, bricht sich der Rest leicht in gesonderte Stücke; das überschlug der Junker von Önz behaglich in seinem Gemüte, und wie man frisch gepflanzte Pflanzen begießt und einschlemmt, damit sie gehörig wurzeln und anwachsen, so goß auch er über die neuen, jungen Gedanken Becher um Becher.

Brigitte redete sich heiser, brannte wie ein Schmelzofen und schloß endlich statt des Amens: »Und jetzt, Vater, willst du ihn in den Turm werfen oder aus dem Tore jagen wie einen räudigen Hund?« »Einstweilen keins von beiden«, sagte der alte Herr kaltblütig, »oder hättest du ihn etwa gerne selbst?« setzte er mit väterlicher Schalkhaftigkeit hinzu. Aber potz Blitz, das wäre dem alten Herrn fast übel bekommen, Brigitte fuhr zweg wie eine angezündete Rakete, fuhr in die Kreuz und die Quere, und wenig fehlte, sie wäre dem alten Papa ins Gesicht gefahren; himmelschreiend jammerte sie: »Wenn die Mutter im Grabe wüßte, wie er gegen seine Kinder wäre, sie kehrte sich nicht bloß um im Grabe, sondern sie käme aus dem Grabe und drehte ihm den Hals um!« »Brigge«, sagte der Alte, »tue nicht so! Daß Kurt dich nicht mag, bin ich nicht schuld. Weißt du einen andern, der dich mag, so bring mir ihn, ihr sollt meinen Segen haben, lieber heute schon als morgen.«

Aber jetzt wars, als ob die Brigitte selbst ein Pulverturm sei, in welchen der Blitz geschlagen, sie fuhr auf, zur Tür hinaus, schrie und drohte, sie wolle auch zur Welt hinaus, wolle nicht mehr in einer Welt sein, wo solche Väter lebten, wie sie einen hätte. Indessen, ob das Wasser zu naß war, die Bäume zu hoch, der Turm zu schwindlicht, oder ihre Füße ihr den Dienst versagten, ist unbekannt geblieben, aber kurz, Brigitte lief nicht zur Welt hinaus, lief bloß dem Kurt nach, wollte sehen, wie weit oder nahe Agnes bei ihm saß. Der alte Herr lief ihr nicht nach, blieb gemütlich sitzen und dachte über das Ding des weiteren. Es schien überhaupt eine Zeit gewesen zu sein, welche dem Denken günstig war, so wie es wiederum Zeiten gibt, wo niemand, selbst die nicht, welche sich am weisesten dünken, zu denken scheinen der Nase lang.

Selbst Kurt dachte damals. Da war er nun wieder nach mehr als zweijährigem Herumtreiben, nicht ganz zwei Stunden weit von seinem verfallenen Neste und ohne Ruhm und ohne Beute. Der alte Hengst war in St. Urban, den jungen hatte der Kuckuck zu Langenthal geholt; der Helm war zerschlagen, der Kopf beinahe mit; sollte er barhaupt und zu Fuß, einem Mönche gleich, heimkehren, sollte er sehen, wie Jürg verächtlich die Achseln zucke, den Kopf schüttele und aushalten der Mutter Hohn und Schelten? Oder sollte er dem alten Hengste nach, Mönch werden zu St. Urban? Gelehrt brauchte er nicht zu sein, eines guten Lebens war er sicher, brauchte fürder weder dem Glücke nachzujagen oder gar ihm nachzudenken. Beides war ihm sehr zuwider, er mochte denken, wie er wollte, so mochte er beides nicht. Ein drittes fiel ihm nicht ein, das Heiraten vollends nicht. Der alte Herr merkte, daß Kurt in großer Verlegenheit war und guten Rat nicht fand; er hatte Kurt gesagt, er sei kein Gefangener, hatte ihn gefragt, ob es ihn nicht wundernähme, was die Mutter mache. Kurt hatte etwas gemunkelt, er wußte kaum, was, und mit der Agnes munkelte er auch nur so, machte gar nicht ab Brett, den Handel nicht richtig.

Da saßen sie einmal an einem schönen Abend, wo die Sonne nur noch so flimmerte durchs grüne Buchenlaub, auf dem Söller, tranken feinen Wein aus dem Markgrafenland, welchen der Herr besonders liebte; gleich und gleich gesellt sich gerne, der Wein hatte zwar nicht viel Geist, aber er war so gutmütig. Sie schauten über das Land an den blauen Berg hinüber, schauten die alte Burg Pipins, deren Reste noch heute Zeugnis geben, wie klug und sinnig die Alten die Bauplätze wählten, wie schön sie bauten, schauten weiter hinab, wo die Aar gegen Basel hin durch die Bechburg bewacht wird, sowie auch den Weg durchs Gau hinab; sie schauten tiefsinnig hinüber und dachten nichts, tranken viel, redeten wenig; geraucht hätten sie wahrscheinlich, wenn man darum gewußt hätte: »Was hast du jetzt im Sinne?« fragte plötzlich der Herr von Önz. Kurt war es, als schlüge ihm jemand mit dem Holzschlägel auf den Kopf und sage: »Was lieber, Geld oder Blut?« »Nichts«, sagte endlich Kurt, dieweil er viel Zeit gebrauchte, um zu sich selbst zu kommen. »Hast kein Verlangen nach der Mutter?« fragte der Herr von Önz; »Vielleicht ist sie gestorben, habe lange nichts von ihr gehört, solltest gehen und sehen. Kannst begreiflich wiederkommen, bist mir nicht erleidet, und vor die Türe stelle ich dich nicht.« »Heimgehen wäre mir ganz recht«, sagte Kurt, »aber was soll ich heimbringen, habe ja nicht mehr, was ich mitgenommen, käme ja heim wie ein geschundener Bär.« »Hättest du also wieder ein ganzes Fell, reiche Beute oder gar eine schöne Frau samt großem Brautschatz, so wäre dir das Heimkehren recht?« fragte der Alte. Da machte Kurt Glotzaugen und sagte endlich dumm: das wäre was, aber eine solche wüßte er nicht zu stehlen, geschweige sonst zu kriegen. »Weißt dann kein Mädchen, welches du möchtest, und welches dich möchte, und welches anfällig zu einer reichen Frau zu machen wäre?« Da machte Kurt noch größere Glotzaugen, sah damit den Alten ganz dumm an, bis ihm plötzlich ein Licht aufging. Es fiel ihm nämlich ein, der Alte könnte Agnes meinen, wenn er die heirate, so sei sie eine Frau, reich könne sie der Alte machen, und Besseres könnte ihm nicht zuteil werden auf der Welt. »Jawohl«, sagte er, »es fiele ihm so was bei, aber er wüßte nicht, was der Junker von Önz dazu sagen würde.« »Wirst die Brigitte meinen, wie ich merke«, schmunzelte der Alte; »die sollst du haben samt vielem Segen und etwas Gut!« Da machte Kurt schreckliche Glotzaugen, sah ganz dumm drein, endlich sagte er: eben die meine er nicht, möge sie nicht, weder reich noch arm. Das sei ihm leid, sagte der alte Herr, er hätte ihm gerne geholfen, und Brigitte wäre eine gewesen für die alte Grimhilde. Einstweilen möchte er eine Frau für sich und nicht für die Mutter, sagte Kurt, da wäre ihm die Agnes die rechte, eine andere möge er nicht.