Den Knechten, welche ihn heimgeleiten sollten, war dies nicht genehm. Es ist allweg etwas ganz anderes, einen Verwundeten geleiten als lustig zechen in einem Kloster. Knechte eines schlechten Herrn hätten in der ersten halben Stunde ihn lebendig in einen der tiefen Teiche geworfen, welche an der Straße lagen, und hätten hintendrein dem Herrn etwas vorgelogen, entweder er sei ihnen gestohlen worden oder davongelaufen; sie taten das nicht, aber wenn er gestorben, wäre es ihnen sicher sehr recht gewesen, sie behandelten ihn nicht eben zart, sparten Stöße nicht, und wenn die Pferde traben wollten, so konnten sie. Sie wählten den längeren Weg über Herzogenbuchsee, um dort im Kloster Einkehr zu halten, ein tüchtig Frühstück einzunehmen, damit sie die Reise bis Önz, welches keine halbe Stunde von Herzogenbuchsee entfernt war, auszuhalten vermöchten. So ward es Mittag, ehe sie nach Önz kamen, und Kurt war noch immer bewußtlos.

Nach sicheren Nachrichten sollen schon damals Fräuleins zuweilen der Langeweile unterworfen gewesen sein; sie verstanden freilich damals das Spinnen und Weben, vielleicht sogar das Nähen, sahen zu Milch und Eiern, zu Küche und Keller, was heutzutage nicht mehr Mode ist, zerlegten die Leute, welche ihnen vor die Augen kamen, welches dagegen in der Mode geblieben (es würde ein sehr kurios Werk geben, wenn jemand zusammenstellen wollte, was aus der Mode gekommen, was Mode geblieben, und was neue Mode scheint, aber eigentlich eine uralte ist, nur mit einem neuen Mäntelchen); trotzdem hatten schon damals Fräuleins Langeweile und sahen nach etwas Neuem aus, besonders wenn der Vater nicht zu Hause war. Freilich, das muß man sagen, sie hatten damals den Eugen Sue nicht, die Sand nicht, den Storch nicht, und wenn sie dieselben schon gehabt, hätte es mancher wenig geholfen, weil sie im Lesen keine Hexe war. Indessen Mädchen sind eben wunderlich, sie tun, als fehle ihnen etwas, und fragt man sie darnach, so wollen oder können sie es einem nicht sagen. Die Fräulein von Önz machten von der Regel keine Ausnahme, es waren gute Kinder mit schönen Wangen und weiten Herzen, in welchen viel leerer Platz war, daher wahrscheinlich es ihnen so oft öde war ums Herz. So saßen sie auf ihrem Söller, sahen nach etwas Neuem aus, als die zwei Knechte mit Kurt langsam ihrem Schlößlein zuritten; sie schrien laut auf im Wahne, die Knechte brächten den Vater, liefen ihm entgegen, voran Agnes, die Jüngste, ein Mädchen wie Milch und Blut, aber scheu wie ein Reh; sie stürzte auf den vermeintlichen Vater zu, umschlang ihn, wollte drücken ihr Haupt auf sein Haupt, aber ach, oh, da war das Haupt nicht ein altes, graues, sondern ein ganz junges; daß Agnes einen Gix ausließ, wird man begreiflich finden, daß Knechte und Schwestern lachten, ebenfalls. Nun hatte glücklicherweise das junge Haupt die Augen zu, wußte nicht, was mit ihm geschah, vor ihm brauchte sich also Agnes nicht zu schämen, vor den andern fürchtete sie sich nicht, sie war wohl scheu wie ein Reh, konnte aber auch trotzig sein einer jungen Katze gleich; sie floh daher nicht, sondern als der erste Schreck vorüber war, nahm sie sich Kurts mit besonderer Sorgfalt an.

Für drei Mädchen, welche das ganze Jahr kaum jemand anders sahen als ihren alten Vater, einige säbelbeinige Knechte, dicke Mönche von Herzogenbuchsee, den Junker von Seeberg und seine rauhen Töchter, tote Hirsche und Wildschweine, war das Bringen eines ohnmächtigen Junkers ein Ereignis. Geschniegelt und geschleckt war Kurt nicht, aber die Mädchen wußten auch nicht, was das war. Kurt war zum mächtigen Burschen herangereift, den man fast für einen Mann nehmen konnte; er hatte im Gesicht das Wilde und Trotzige, welches Jünglingen wohl ansteht, und welches Mädchen mehr anzieht als der Magnet das Eisen, welches sie dagegen am Manne so schlecht leiden mögen, und welches sich bei demselben allerdings verlieren und in ruhiges Selbstbewußtsein übergehen muß, wenn es dem Manne fürder wohlstehen soll. Das Wilde und Trotzige steht nämlich dem gereiften Manne grundschlecht, weil es von einer Gemütsbeschaffenheit zeugt, welche schlechte Früchte tragen, irgendwie ausarten wird.

Wenn drei schöne, rasche Mädchen einen Jüngling pflegen, so muß es schlecht mit ihm stehen, wenn er sich nicht erholt und gesünder wird, als er je war, wenn nämlich nicht eine andere Krankheit über ihn kommt. Im ersten Augenblick, als er die Augen aufschlug, da entfuhr allen dreien ein halber Gix, und fast wären sie davongeflohen wie Rehe, wenn ein Jäger das Feld betritt, auf welchem sie weiden. Indessen Rehe und Hasen machen wohl eine rasche Wendung, aber ehe sie wirklich davonlaufen, tun sie noch einen Blick rückwärts, fassen die Gefahr ins Auge, ob es eigentlich eine sei oder keine. Gar oft nun drehen sie sich wieder um und bleiben, weil sie merken, daß das Ding nicht halb so gefährlich sei. Ungefähr so machten es auch die Fräulein von Önz; aber Kurt hatte so gar nichts Gefährliches, lag so matt und hülfsbedürftig da, daß sie sich nicht bloß umwandten, sondern leise näher traten und am Ende ganz zahm wurden, besonders die beiden älteren. Kurt war ein Jäger so rechter Art, der um der Jagd und nicht bloß eines Bratens oder einer Haut willen jagt. So ein rechter Jäger stellt lieber mit Lebensgefahr über Zinken und Zacken einer flüchtigen Gemse nach, als daß er eine fette Sau bequem im Lager abfängt. Nun, mit dem wirklichen Jagen auf den Beinen hatte es einstweilen noch gute Weile, denn der klösterliche Schlag war so gepfeffert und gesalzen gewesen, daß Kurt das Laufen einstweilen bleiben ließ, bloß seine Augen konnte er nachsenden, wem er wollte.

Der alte Herr war nach dem Kloster zurückgeritten, tat wegen Kurt seiner Andacht begreiflich keinen Abbruch; lebte er, so wußte er ihn daheim wohlversogt, lebte er nicht mehr, so wäre es ja dumm gewesen, seinetwegen religiöse Pflichten zu beschränken. Als endlich allem ein Genüge getan war, dem Leib und der Seele, ritt der Junker von Önz mit den andern nach Hause; der letzte, der aus dem Tore ritt, war er nicht, aber fast gar. Man muß sich jedoch nicht täuschen und glauben, wie Ungeweihte es oft tun, als ob solche Zusammenkünfte bloß stattfänden, um zu schlemmen und zu prassen unter religiösem Scheine; zumeist geht dabei noch etwas anderes vor, einem Zwecke wird nachgestrebt, freilich oft so, daß die Mehrzahl weder Zweck noch Streben merkt, aber willfährig die Hand bietet, den Zweck zu erreichen.

Den Herrn von Önz freute es wirklich, als er Kurt lebendig antraf und nicht tot, und zwar mit raschen Beinen auf dem Wege der Besserung; nun hatte er jemand, zu dem er sich setzen, dem er erzählen konnte nach Herzenslust, und der mit ihm trank, solange er wollte. Daß Kurt ihn selten hörte, daß seine Augen immer spazieren gingen und der ganze Kurt mit ihnen, und wohin sie gingen, das merkte der alte Herr nicht, er gehörte zu den schlechten Schulmeistern, welche wohlleben am Reden und sich nicht darum kümmern, höre jemand oder niemand ordentlich zu. Desto besser bemerkten die Sachlage die älteren Schwestern; sie hätten ihn alle gerne gehabt, wie es oft geht, wenn die Gelegenheiten rar sind, und der Wille gut wäre. Kunigunde, die mittlere, war ein gutes Fräulein, sie hätte zwei Männer genommen, wenn es hätte sein müssen; wenn sie aber keinen bekam, hintersinnete sie sich deswegen doch nicht, sie dachte, alles erzwingen könne man nicht, und fütterte die Hunde desto besser. Anders war es mit Brigitte, der ältesten. Dem Porträt, welches Moses von Labans Tochter, der Lea, gemacht, glich sie nicht ganz, war ein handfest Mädchen, noch nicht im Schwabenalter, doch über zwanzig hinaus, verstand das Regieren wohl, nach ihrer Pfeife mußte alles tanzen, so daß sie glauben mußte, es müsse einem Manne wohlgehen und derselbe glücklich werden sonder Maß, wenn er unter ihre Zucht und Regiment käme. Daneben hatte sie aristokratische Grundsätze und meinte wie Laban, daß der erste Mann der Ältesten gebühre von Rechts wegen, so gut als dem ältesten Sohne des Königs der Thron des Königs. Brigitte glaubte sich also zur sicheren Hoffnung berechtigt und sah mit allerhöchstem Zorne, wie Kurts Augen an der Agnes hängenblieben wie Fliegen im Honig, und wie die scheue Agnes das wohl merkte, nach und nach zahmer wurde, wenn sie in Kurts Nähe saß, fast nicht wegzubringen war, und hatte starken Verdacht, daß, wenn Brigitte und Kunigunde nicht zugegen waren, sie noch näher rückte, weit näher, als nötig war; das empörte sie, sie fand Kurts Betragen schändlich, die Familienehre in Gefahr, ihren Ruf auf dem Spiele; zu dulden war das nimmermehr.

Es ist sehr kurios, wie verschieden man eine Sache ansehen kann, je nachdem sie uns oder jemand anders angeht; hätte Kurt seine Augen an ihr hängenlassen und gerne gehabt, wenn sie neben ihm saß, je näher, desto lieber, Brigitte hätte dieses nicht bloß prächtig, sondern sogar edel gefunden, denn war Kurt nicht eigentlich von Gott und Rechts wegen schuldig, die zu lieben, welche ihn geheilt, den Kopf ihm wieder zurechtgesetzt? Jetzt, da es Agnes anging, fand sie gerade das Gegenteil, Kurts Betragen schlecht und schändlich. Sie trat zum Vater, als er einmal allein beim Becher saß, machte ein Gesicht wie ein Hofmarschall, der seinem König eine Verschwörung gegen dessen Leben eröffnen will, tat den Mund auf, sagte dem Vater, Kurt stelle Agnes nach, und Agnes laufe nicht davon, und erwartete nun, der Alte werde auffahren wie ein Pulverturm, in den der Blitz geschlagen, aber sie täuschte sich, der Alte blieb sitzen, schmunzelte, trank mit großem Behagen Schluck um Schluck.