Auch war sie nicht gezwungen, selbst zu fischen und zu jagen, das tat Jürg, der Knecht, der einzige dienstbare Geist, welcher ihr übriggeblieben war. Früher war er Geselle des Ritters gewesen, seither alles in allem geworden: Burgvogt, Jägermeister, Fischverwalter, Erzieher, Waffenmeister, und wenn sie eine Kuh hatten, so war er es, der sie fütterte und molk.
In Kurt, dem Junker, wuchs ihm ein immer tüchtigerer Gehülfe zu. Kurt war ein Kind der freien Luft, gutmütig von Natur, aber nichts als Jäger und Fischer fast von der Mutter Brust weg; was er mit List und Gewalt erbeuten konnte, war sein, Beute zu machen, soviel möglich, ward ihm zur Religion, eine andere hatte er nicht. Von Schreiben und Rechnen wußte er nichts, es waren damals noch keine Schulmeister in Koppigen. Kurt war Jürgens Freude, dagegen der Gegenstand von der Mutter Schelten; zerfallen mit der ganzen Welt, goß sie die Galle darüber über die nächste Umgebung aus, wie üblich. Wie einem armen Weibe Erdäpfelsuppe lästig wird, wenn es dreimal am Tage Erdäpfelsuppe essen soll, so hatte es Frau Grimhilde mit Fischen und Wildbret. Der arme Junker Kurt mochte seiner Mutter bringen, was er wollte, den fettesten Rehbock, den schönsten Salm, die Mutter schalt ihn aus. Der leibeigene Junge konnte seiner Mutter das gleiche bringen, trotz allen adeligen Rechten, denn wo keine Gewalt mehr ist, da hören auch alle Rechte auf. Kurt hätte Lust gehabt, gegen seine Mutter sich zu empören, aber das war eine gewaltige Frau; erst beugte er sich ihrem Arm, später ihrem Geiste, sie regierte ihn wie ein Bärenführer seinen Bären: sie knurren wohl und tanzen doch. Dagegen ward Jürg sein Freund. Derselbe liebte ihn als den Sohn seines Herrn, behandelte ihn mit dem Respekt eines Knechtes und unterrichtete Kurt in allem, was er liebte, und stärkte ihn täglich im Glauben, daß erlaubt sei alles, wozu man gelangen könne mit List oder Gewalt. Dieser Unterricht bewährte sich als sehr naturgemäß; Kurt faßte ihn mit der größten Leichtigkeit und übte sich darin mit der größten Freudigkeit. Es entwickelte sich in ihm ein gewaltiger Körperbau, er wagte sich täglich an gefährlichere Tiere, dem Wildschwein ward sein Spieß gefährlich, dem Bären ging er nicht mehr aus dem Wege, aber freundliche Worte erbeutete er deswegen von seiner Mutter nicht.
Eines Tages hatte man in Koppigen eine seltene Erscheinung; ein Hausierer stand unterm Tore und bot seine Ware feil, Schmucksachen für hohe und niedere Weiber. Frau Grimhilde besah sich die Herrlichkeiten mit funkelnden Augen, und als sie sich endlich von ihnen losreißen mußte, weil sie kein Geld hatte, schossen ihre Augen tödliche Blitze. Als der Hausierer die leeren Hände und die glühenden Augen sah, machte er, daß er fortkam, dachte, da sei er zum letzten Male gewesen. Er hatte recht, doch nicht so, wie er es meinte, denn nicht lange gings, kam Kurt mit dem ganzen Kram des Hausierers wieder zum Tore herein. Er hatte der Mutter Gier gesehen und gedacht, wenn je, so sei jetzt die Gelegenheit, ihr Freude zu machen und gute Worte abzugewinnen, und im nächsten Busche erschoß er mit der Armbrust den Hausierer. Er hatte recht gehabt, die Mutter hatte Freude, lobte ihn, es war ihr, als breche ein junger Tag für sie an, an welchem sich verwirklichen würden ihre bereits verbliebenen Träume von Glanz und Reichtum. Für sie waren die Tage des geselligen Verkehrs, wo man sich gerne schmückt, gerne prangt mit seiner Leibesgestalt, vorüber, und die Tage waren Frau Grimhilde gekommen, wo der Mensch gerne das Sammeln beginnt, in immer ängstlicherer Hast, als ob er Leib und Seele vom Tode freikaufen könnte. Sie verschloß daher die neuen Schätze in alte Truhen, welche seit undenklichen Zeiten leer gestanden, ermunterte zum entschiedenen Fortschritt auf der begonnenen Laufbahn. Jürg war damit vollkommen einverstanden; auch ihm war durch Kurts unerwartete Heldentat ein Licht aufgegangen; ein neues Leben mit seinen alten Knochen zu beginnen, hoffte auch er. Die allergrößte Freude hatte jedoch Kurt selbst, hatte er es doch einmal der Mutter recht gemacht, hatte er doch jetzt den Anfang gemacht, mächtig und reich zu werden! Von Gewissensbissen war begreiflich keine Rede, List und Gewalt üben war ja sein Gottesdienst!
Die Ausführung hatte jedoch ihre Schwierigkeit: die Gegend um Koppigen war arm und öde, doch liefen zwei Straßen nicht ferne dabei vorbei. Die eine, etwa eine Stunde entfernt, führte von Burgdorf ins Aargau, die andere, viel näher noch bei Koppigen, von Burgdorf auf Solothurn. Diese Straßen waren nicht unbesucht, manch reicher Fang ließ sich darauf tun, aber das Ding war gefährlich. Den Grafen im Lande war an der Sicherheit der Straßen viel gelegen, sie hatten den Nutzen davon, und wenn auf denselben geraubt werden mußte, wollten sie es selbst tun; nun ists kitzelig, Mächtigen ins Handwerk zu greifen. Wäre es bekannt geworden, der junge Koppigen mache die Straßen unsicher, sein Leben wäre verfallen gewesen, sein Schlößlein geschleift worden, und seine Mutter hätte zusehen können, wo sie einen ruhigen Platz zum Sterben finde. Kurt hatte auch kein schnelles Roß, um zu erscheinen und zu verschwinden wie ein Blitz; er mußte wie ein gemeiner Räuber zu Fuß sich versuchen. Das tat denn auch der wilde Junge mit Lust und Geschick; anfangs begleitete ihn wohl der alte Jürg, half ihm aus oder führte die Verfolger auf falsche Fährte, aber allmählich ward ihm dieses Leben zu Fuße beschwerlich, Frau Grimhilde entbehrte ihn nicht gerne, dem raschen Kurt war der Alte oft zu langsam, daß er je länger je lieber allein ging. Er wäre ein schöner Jägerjunge gewesen, an welchem selbst Diana, die heidnische Göttin der Jagd, Freude gehabt, wenn sie noch gelebt hätte, wenn er manierlich geschoren und gewaschen gewesen wäre, aber absichtlich geschwärzt und von Natur behaart, glich er eher einem Waldteufel als einem Menschen. So strich er mehr als halbwild Tage, Wochen herum, bis er Beute fand zum Heimbringen.
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