Aber wie ergriff ihn die neue Verkörperung! Sein Lichtauge wurde im Strudel des neuen Nervengeistes untergetaucht – seine sonst fliegenden Gedanken wateten jetzt träge durch den Dunstkreis des Gehirns – an allen Gegenständen vertrocknete der feuchte, weiche Farbenduft, der bisher herbstlich über ihnen wogend gehangen, und sie stachen auf ihn aus der heißen Luft mit einbrennenden, schmerzlichen Farbenflecken – alle Empfindungen traten dunkler, aber stürmischer und näher an sein Ich und dünkten ihm Instinkt zu sein, wie uns die der Tiere – der Hunger riß an ihm, der Durst brannte an ihm, der Schmerz schnitt an ihm. – – O seine zertrennte Brust hob sich blutend auf, und sein erster Atemzug war sein erster Seufzer nach dem verlassenen Himmel! – »Ist dieses das Sterben der Menschen?« dacht' er; aber da er das versprochene Zeichen des Todes nicht sah, keinen Engel und keinen umflammenden Himmel: so merkt' er wohl, daß dieses nur das Leben derselben sei.
Abends vergingen dem Engel die irdischen Kräfte, und ein quetschender Erdball schien sich über sein Haupt zu wälzen; denn der Schlaf schickte seine Boten. Die innern Bilder rückten aus ihrem Sonnenschein in ein dampfendes Feuer, die ins Gehirn geworfnen Schatten des Tages fuhren verwirrt und kolossalisch durcheinander, und eine sich aufbäumende unbändige Sinnenwelt stürzte sich über ihn; – denn der Traum schickte seine Boten. Endlich faltete sich der Leichenschleier des Schlafes doppelt um ihn, und in die Gruft der Nacht eingesunken, lag er einsam und starr, wie wir armen Menschen, dort. Aber dann flogest du, himmlischer Traum, mit deinen tausend Spiegeln vor seine Seele und zeigtest ihm in allen Spiegeln einen Engelskreis und einen Strahlenhimmel; und der erdige Leib schien mit allen Stacheln von ihm loszufallen. »Ach,« sagt' er in vergeblicher Entzückung, »mein Entschlafen war also mein Verscheiden!« – Aber da er wieder mit dem eingeklemmten Herzen voll schwerem Menschenblut aufwachte und die Erde und die Nacht erblickte, so sagt' er: »Das war nicht der Tod, sondern bloß das Bild desselben, ob ich gleich den Sternhimmel und die Engel gesehen.«
Die Braut des emporgetragenen Helden merkte nicht, daß in der Brust ihres Geliebten nur ein Engel wohne: sie liebte noch die aufgerichtete Bildsäule der verschwundnen Seele und hielt noch fröhlich die Hand dessen, der so weit von ihr gezogen war. Aber der Engel liebte ihr getäuschtes Herz mit einem Menschenherzen wieder, eifersüchtig auf seine eigne Gestalt – er wünschte, nicht früher als sie zu sterben, um sie so lange zu lieben, bis sie ihm es einmal im Himmel vergäbe, daß sie an einer Brust zugleich einen Engel und einen Geliebten umfangen. Aber sie starb früher: der vorige Kummer hatte das Haupt dieser Blume zu tief niedergebogen, und es blieb gebrochen auf dem Grabe liegen. O sie ging unter vor dem weinenden Engel, nicht wie die Sonne, die sich prächtig vor der zuschauenden Natur ins Meer wirft, daß seine roten Wellen am Himmel hinaufschlagen, sondern wie der stille Mond, der um Mitternacht einen Duft versilbert und mit dem bleichen Dufte ungesehen niedersinkt – Der Tod schickte seine sanftere Schwester, die Ohnmacht, voraus – sie berührte das Herz der Braut, und das warme Angesicht gefror – die Wangenblumen krochen ein – der bleiche Schnee des Winters, unter dem der Frühling der Ewigkeit grünet, deckte ihre Stirn und Hände zu – – Da zerriß das schwellende Auge des Engels in eine brennende Träne; und als er dachte, sein Herz mache sich in Gestalt einer Träne wie eine Perle aus der mürben Muschel los: so bewegte die Braut, die zum letzten Wahnsinn erwachte, noch einmal die Augen und zog ihn an ihr Herz und starb, als sie ihn küßte und sagte: »Nun bin ich bei dir, mein Bruder«- – Da wähnte der Engel, sein Himmelsbruder hab' ihm das Zeichen des Kusses und Todes gegeben; aber ihn umzog kein Strahlenhimmel, sondern ein Trauerdunkel, und er seufzete, daß das nicht sein Tod, sondern nur die Menschenqual über einen fremden sei.
»O ihr gedrückten Menschen,« rief er, »wie überlebt ihr Müden es, o wie könnt ihr denn alt werden, wenn der Kreis der Jugendgestalten zerbricht und endlich ganz umliegt, wenn die Gräber eurer Freunde wie Stufen zu euerem eignen hinuntergehen, und wenn das Alter die stumme leere Abendstunde eines erkalteten Schlachtfeldes ist, o ihr armen Menschen, wie kann es euer Herz ertragen?«
Der Körper der aufgeflogenen Heldenseele stellte den sanften Engel unter die harten Menschen – unter ihre Ungerechtigkeiten – unter die Verzerrungen des Lasters und der Leidenschaften auch seiner Gestalt wurde der Stachelgürtel von verbundnen Zeptern angelegt, der Weltteile mit Stichen zusammendrückt und den die Großen immer enger schnüren – er sah die Krallen gekrönter Wappentiere am entfiederten Raube hacken und hörte diesen mit matten Flügelschlägen zucken – er erblickte den ganzen Erdball von der Riesenschlange des Lasters in durchkreuzenden, schwarzbunten Ringen umwickelt, die ihren giftigen Kopf tief in die menschliche Brust hineinschiebt und versteckt – – Ach, da mußte durch sein weiches Herz, das eine Ewigkeit lang nur an liebevollen warmen Engeln gelegen war, der heiße Stich der Feindschaft schießen, und die heilige Seele voll Liebe mußte über eine innere Zertrennung erschrecken: »Ach,« sagt' er »der menschliche Tod tut wehe.« – Aber es war keiner: denn kein Engel erschien.
Nun wurd' er eines Lebens, das wir ein halbes Jahrhundert tragen, in wenig Tagen müde und sehnte sich zurück. Die Abendsonne zog seine verwandte Seele. Die Splitter seiner verletzten Brust matteten ihn durch Schmerzen ab. Er ging, mit der Abendglut auf den blassen Wangen, hinaus auf den Gottesacker, den grünen Hintergrund des Lebens, wo die Hüllen aller schönen Seelen, die er sonst ausgekleidet hatte, auseinandergenommen wurden. Er stellte sich mit wehmütiger Sehnsucht auf das nackte Grab der unaussprechlich geliebten, eingesunkenen Braut und sah in die verblühende Abendsonne. Auf diesem geliebten Hügel schauete er seinen schmerzenden Körper an und dachte: »Du würdest auch schon hier dich auseinanderlegen, lockere Brust, und keine Schmerzen mehr geben, wenn ich dich nicht aufrecht erhielte.« – Da überdachte er sanft das schwere Menschenleben, und die Zuckungen der Brustwunde zeigten ihm die Schmerzen, mit denen die Menschen ihre Tugend und ihren Tod erkaufen und die er freudig der edeln entflohnen Seele dieses Körpers ersparte – – Tief rührte ihn die menschliche Tugend, und er weinte aus unendlicher Liebe gegen die Menschen, die unter dem Anbellen ihrer eignen Bedürfnisse, unter herabgesunknen Wolken, hinter langen Nebeln auf der einschneidenden Lebensstraße dennoch vom hohen Sonnenstern der Pflicht nicht wegblicken, sondern die liebenden Arme in ihrer Finsternis aufbreiten für jeden gequälten Busen, der ihnen begegnet, und um die nichts schimmert als die Hoffnung, gleich der Sonne in der alten Welt unterzugehen, um in der neuen aufzugehen – – Da öffnete die Entzückung seine Wunde, und das Blut, die Träne der Seele, floß aus dem Herzen auf den geliebten Hügel – der zergehende Körper sank süßverblutend der Geliebten nach – Wonne-Tränen brachen die fallende Sonne in ein rosenrotes schwimmendes Meer – fernes Echo-Getöne, als wenn die Erde von weitem im klingenden Äther vorüberzöge, spielte durch den nassen Glanz – Dann schoß eine dunkle Wolke oder eine kleine Nacht vor dem Engel vorbei und war voll Schlaf Und nun war ein Strahlenhimmel aufgetan und überwallete ihn, und tausend Engel flammten; »bist du schon wieder da, du spielender Traum?« sagte er. – Aber der Engel der ersten Stunde trat durch die Strahlen zu ihm und gab ihm das Zeichen des Kusses und sagte: »Das war der Tod, du ewiger Bruder und Himmelsfreund!« – Und der Jüngling und seine Geliebte sagten es leise nach.
2. Der Mond
Phantasierende Geschichte
Dedikation an meine Pflegeschwester Philippine
Ich habe mich noch in keinem Buche darüber aufgehalten, gute Pflegeschwester, daß ihr Mädchen aus dem Monde so viel macht, daß er der Joujou eueres Herzens ist und das Nestei, um das ihr die andern Sterne herumlegt, wenn ihr Phantasien aus ihnen aussitzt. Er soll auch ferner das Zifferblattsrad der Ideen bleiben, auf die euer Gesicht als eine Monduhr zeigt (denn unseres ist eine Sonnenuhr), da er wie ein blinkendes Stahlschild im schwarzen Atlasgürtel des Himmels steht – da er nichts schwärzt – da er vielmehr ein Licht wirft, gegen das man keinen Schleier überhängen muß, weil es selber wie einer auf dem Gesichte liegt – da er überhaupt die Sanftmut und Liebe selber ist. Aber über etwas anders könnte man zanken – darüber, daß ihr den guten Mond und seinen da ansässigen Mann mehr lieben und sehen als kennen lernen wollt, wie ihrs auch bei Männern unter dem Monde tut. Es ist leider kein Geheimnis, beste Schwester, daß schon tausend Mädchen kopulieret und beerdigt worden, die jene silberne Welt droben wirklich für nichts anders gehalten haben als für einen recht hübschen Suppenteller von himmlischen Zinn, das mit dem Monds-Mann, wie das englische mit einem Engel, gestempelt ist. Beste, es ist sogar die Frage, ob du es selber noch weißt, daß der Mond um wenige Meilen kleiner ist als Asien. Wie oft mußt' ich dirs am Fensterstocke vorsingen, ehe du es behieltest, daß nicht nur sein Tag einen halben Monat währt, sondern auch – was sich noch eher hören lässet – seine Nacht, so daß also da ein lustiges Mädchen, das von der Mutter schon um Mitternacht vom Balle nach Haus gezerret wurde, doch wenigstens seine guten anderthalbhundert Stunden gewalzt und geschliffen hätte! – Sage mir einmal, Philippine, ob du es noch im Kopfe hast, daß der Mond oder vielmehr seine Leute in einer so langen Nacht so gut wie wir sehen und promenieren wollen und daß sie also einen größern Mond bedürfen als wir, wenigstens keinen schmalern, als ein mäßiges Kutschenrad ist! Ich hab' es von guter Hand, daß du es nicht mehr weißt, was der Mond für einen Mond über sich sehe Unsere Erde ist seiner, Flatterhafte, und kommt ihnen droben nicht größer vor als ein Brautkuchen. Ich setze hier wegen meiner folgenden Erzählung noch das hinzu, daß wir ihnen kein Licht (Mond- oder Erdschein) hinaufwerfen können, wenn wir hier unten selber keines haben, welches der Fall bei der Sonnenfinsternis ist; daher können die Mondsöhne bei unserer Sonnenfinsternis nicht anders sagen als: »Wir haben heute eine Erdfinsternis.«
Ich bitte dich recht sehr, Philippine, lies diese Personalien des Mondes, auf die die ganze phantasierende Erzählung fußet, deinen Zuhörerinnen einige zwanzig Male vor: sonst ist euch alles entfallen, eh' ich nur angefangen.
Überhaupt verdenk' ichs euern Eltern ungemein, daß sie euch statt des Französischen, das euch wie ein Bund Titularkammerherrn-Schlüssel nur zum Klingeln des seelenverderbenden Parlierens und nie zum Aufsperren eines einzigen französischen Buches nützt, weil euch Ritterromane lieber sind, daß sie euch, sag' ich, nicht lieber haben Sternkunde lernen lassen, sie, die dem Menschen ein erhabenes Herz gibt und ein Auge, das über die Erde hinausreicht, und Flügel, die in die Unermeßlichkeit heben, und einen Gott, der nicht endlich, sondern unendlich ist.
Man darf über alles unter dem Monde und über ihn selber Phantasien haben, wenn man nur nicht die Phantasien für Wahrheiten nimmt – oder das Schattenspiel für ein Bilderkabinett oder das Bilderkabinett für ein Naturalienkabinett. Der Astronom inventiert und taxiert den Himmel und fehlet um wenige Pfunde; der Dichter möblieret und bereichert ihn; jener fasset das Flurbuch von Auen ab, worein dieser Perlenbäche leitet samt einigen Goldfischchen; jener legt Meßschnüre, dieser Girlanden um den Mond – auch um die Erde. Also kannst du recht gut, Liebe, dich mit deinen Näh-Schulkameradinnen auf einen Lindenaltan begeben und ihnen Phantasien wie meine gerührt vorlesen, wenns nur nicht am hellen lichten Tage geschieht und wenn nur nicht der Gottesdienst der Mutterkirche der Erde über das Mondsfilial vergessen wird.
Du aber, du milde, blasse Gestalt, an die ich so oft blicke, um mein Herz zu mildern – die so bescheiden schimmert und so bescheiden macht – die ihren Wert nur dem stillen Himmel zeigt, nicht der lauten Erde – und zu der ich das Auge gern aufhebe, wenn ein paar Tropfen zu viel darin stehen, die in den auf der Erinnerung blühenden Herbstflor der Freuden niederfallen, und vor der ich am liebsten an das über die Wolken gerückte Mutterland unserer verpflanzten Wünsche denke, du gute Gestalt!.... Philippine, es tut dem Herzen deines Bruders wohl, daß es zweifelhaft ist, wen er hier angeredet habe, ob den Mond oder dich. Einen solchen Zweifel zu verdienen, Schwester, ist so schön, daß ich nur noch etwas Schöners kenne: nämlich, ihn gar zu benehmen, indem man sich vom Monde in nichts unterscheidet als in den Flecken und in der Veränderlichkeit.
Ich bin, wiewohl bloß mit dem letzteren Unterschiede,
dein Bruder
*
Die Erzählung
Als ich zum ersten Male, Eugenius und Rosamunde, denen ich den wahren Namen nicht mehr geben darf, eure kleine Geschichte erzählen wollte, gingen meine Freunde und ich in einen englischen Garten. Wir kamen vor einem neubemalten Sarg vorbei, auf dessen Fußbrett stand: »Ich gehe vorüber.« Über den grünenden Garten ragte ein weißer Obelisk hervor, womit zwei verschwisterte Fürstinnen die Stelle ihrer Wiedervereinigung und Umarmung bezeichneten und an dem die Inschrift war: »Hier fanden wir uns wieder.« Die Spitze des Obeliskus blinkte schon im Vollmond; und hier erzählte ich die einfache Geschichte. – Du aber, lieber Leser, ziehe – welches so viel als Sarg und Obeliskus ist – die Unterschrift des Sarges in die Asche der Vergangenheit, und die Buchstaben des Obeliskus zeichne mit warmem edelm Herzensblute in dein Inneres.
Manche Seelen entfallen dem Himmel wie Blüten; aber mit den weißen Knospen werden sie in den Erdenschmutz getreten und liegen oft besudelt und zerdrückt in den Fußstapfen eines Hufs. Auch ihr wurdet zerdrückt, Eugenius und Rosamunde! Zarte Seelen wie euere werden von drei Räubern ihrer Freuden angefallen: vom Volke, dessen rohe Griffe ihrem weichen Herzen nichts als Narben geben – vom Schicksal, das an einer schönen Seele voll Glanz die Träne nicht wegnimmt, weil sonst der Glanz verginge, wie man den feuchten Demant nicht abwischt, damit er nicht erbleiche – vom eignen Herzen, das zu viel bedarf, zu wenig genießet, zu viel hofft, zu wenig erträgt. – Rosamunde war eine vom Schmerz durchbohrte helle Perle – abgetrennt von den Ihrigen, zuckte sie nur noch bei Leiden fort, wie ein abgeschnittener Zweig der Sensitive bei Einbruch der Nacht – ihr Leben war ein stiller warmer Regen, so wie das ihres Gatten ein heller heißer Sonnenschein – sie kehrte vor ihm ihre Augen weg, wenn sie gerade auf ihrem zweijährigen siechen Kinde gewesen waren, das in diesem Leben ein dünngeflügelter wankender Schmetterling unter einem Schlagregen war.
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