Nun aber sind Sie, wenn Sie die Melancholie überfällt, Ihrer nicht Meister; ich habe daher zwei Männer gebeten in Ihrem Zimmer zu schlafen (wachen dachte ich), damit Sie Gesellschaft, und wo es nöthig, Hilfe hätten. Er ließ sich’s gefallen.
Man wundere sich nicht, daß ich so sagte, und mit ihm umgieng; er zeigte immer großen Verstand und ein ausnehmend theilnehmendes Herz; wenn die Anfälle der Schwermuth vorüber waren, schien alles so sicher und er selbst war so liebenswürdig, daß man sich fast ein Gewissen daraus machte ihn zu argwohnen oder zu geniren. Man setze noch das zärtlichste Mitleiden hinzu, das seine unermeßliche Qual, deren Zeuge wir nun so oft gewesen, uns einflößen mußte. Denn fürchterlich und höllisch war es was er ausstund, und es durchbohrte und zerschnitt mir das Herz, wenn ich an seiner Seite die Folge der Prinzipien die so manche heutige Modebücher einflößen, die Folgen seines Ungehorsams gegen seinen Vater, seiner herumschweifenden Lebensart, seiner unzweckmäßigen Beschäftigungen, seines häufigen Umgangs mit Frauenzimmern, durchempfinden mußte. Es war mir schrecklich und ich empfand eigene, nie empfundene Marter, wenn er, auf den Knieen liegend, seine Hand in meiner, seinen Kopf auf meinem Kniee gestützt, sein blasses, mit kaltem Schweiß bedecktes Gesicht in meinem Schlafrock verhüllt, am ganzen Leibe bebend und zitternd, wenn er so, nicht beichtete, aber die Ausflüsse seines gemarteten Gewissens und unbefriedigten Sehnsucht nicht zurück halten konnte. — Er war mir um so bedauerungswürdiger, je schwerer ihm zu seiner Beruhigung beizukommen war, da unsere gegenseitigen Prinzipien einander gewaltig zuwider, wenigstens von einander verschieden schienen.
Nun wieder zur Sache: Ich sagte, er ließ sich’s gefallen zwei Männer auf seinem Zimmer zu haben. Ich begleitete ihn hinein. Der eine seiner Wächter durchschaute ihn mit starren, erschrockenen Augen. Um diesen etwas zu beruhigen sagte ich dem Hr. L. nun vor den zwei Wächtern auf französisch was ich ihm vorhin schon auf meinem Zimmer gesagt hatte, nämlich daß ich ihn liebte, so wie er mich; daß ich seine Erhaltung wünschte und wünschen müßte, da er selbst sähe daß ihm die Anfälle seiner Melancholie fast keine Macht mehr über ihn ließen, ich hätte daher diese zwei Bürger gebeten bei ihm zu schlafen, damit er Gesellschaft, und, im Fall der Noth, Hilfe hätte. Ich beschloß dieß mit einigen Küssen die ich dem unglücklichen Jüngling von ganzem Herzen auf den Mund drückte, und gieng mit zerschlagenen, zitterden Gliedern zur Ruhe.
Da er im Bett war sagte er unter andern zu seinen Wächtern: »Ecoutez, nous ne voulons point faire de bruit, si vous avez un couteau, donnez-le moi tranquillement et sans rien craindre.« Nachdem er oft deswegen in sie gesetzt und nichts zu erhalten war, so fieng er an sich den Kopf an die Wand zu stoßen. Während dem Schlaf hörten wir ein öfteres Poltern das uns bald zu-, bald abzunehmen schien, und wovon wir endlich erwachten. Wir glaubten es wäre auf der Bühne, konnten aber keine Ursache davon errathen. — Es schlug drei, und das Poltern währte fort; wir schellten um ein Licht zu bekommen; unsre Leute waren alle in fürchterlichen Träumen versenkt und hatten Mühe sich zu ermuntern. Endlich erfuhren wir daß das Poltern von Hrn. L. käme und zum Theil von den Wächtern, die, weil sie ihn nicht aus den Händen lassen durften, durch Stampfen auf den Boden Hilfe begehrten. Ich eilte in sein Zimmer. So bald er mich sah, hörte er auf sich den Wächtern aus den Händen ringen zu wollen. Die Wächter ließen dann auch nach ihn festzuhalten. Ich winkte ihnen ihn frei zu lassen, saß auf sein Bette, redete mit ihm, und auf sein Begehren für ihn zu beten, betete ich mit ihm. Er bewegte sich ein wenig, und einsmals schmiß er seinen Kopf mit großer Gewalt an die Wand, die Wächter sprangen zu und hielten ihn wieder.
Ich gieng und ließ einen dritten Wächter rufen. Da Hr. L. den dritten sah, spottete er ihrer, sie würden alle drei nicht stark genug für ihn seyn.
Ich befahl in’s geheime mein Wäglein einzurichten, zu decken, noch zwei Pferde zu suchen zu den Meinigen, beschickte Seb. Scheidecker, Schullehrer von Bellefosse und Johann David Bohy, Schullehrer von Solb, zween verständige, entschlossene Männer und beide von Hrn. L. geliebt. Johann Georg Claude, Kirchenpfleger von Waldersbach, kam auch; es wurde lebendig im Haus, ob es schon noch nicht Tag war.
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