Und die Butter ist auch nicht mehr zu bezahlen. Das Schrecklichste ist, daß wir in einem Zimmer essen, in dem ein Bett steht. Das vergällt mir das ganze Leben.«

Und jetzt wandte sie sich an Tholomyès und fragte energisch:

»Wo bleibt die versprochene Überraschung?«

»Ach ja, jetzt wäre es wohl an der Zeit. Meine Herren, die Stunde hat geschlagen, die Damen sollen ihre Überraschung haben. Meine Damen, warten Sie einen Augenblick auf uns.«

»Vorher noch einen Kuß«, verlangte Blachevelle.

»Auf die Stirn«, mahnte Tholomyès.

Jeder küßte feierlich seine Geliebte auf die Stirn, dann marschierten die vier Männer der Reihe nach zur Türe hinaus, wobei sie die Zeigefinger vielsagend auf die Lippen legten.

Favourite klatschte in die Hände.

»Das fängt ja lustig an«, sagte sie.

»Bleibt nicht zu lange weg«, murmelte Fantine, »wir erwarten euch!«

Lustiges Ende eines Scherzes

Als die jungen Mädchen allein geblieben waren, legten sie sich zu zweien in die Fenster, beugten sich hinaus und begannen zu plaudern.

Sie sahen die jungen Leute aus dem Restaurant Bombarda Arm in Arm hinausmarschieren; die vier wandten sich um, winkten, lachten und verschwanden in der staubbedeckten Menge der sonntäglichen Spaziergänger auf den Champs-Elysées.

»Bleibt nicht zu lange!« rief ihnen Fantine noch einmal nach.

»Was sie uns wohl bringen wollen?« fragte Zéphine.

»Gewiß etwas Hübsches«, meinte Dahlia.

»Ich wollte, es wäre von Gold«, sagte Favourite.

Bald waren sie von dem Treiben am Ufer ganz in Anspruch genommen. Um diese Zeit gehen dort die Postkutschen und Diligencen ab. Die Champs-Elysées waren damals Ausgangspunkt aller Postrouten nach Süden und Westen; die meisten Diligencen folgten den Seinequais und fuhren durch das Tor von Passy hinaus. Der Reihe nach rasselten diese schwarz-gelb lackierten mächtigen, schwerfälligen, mit Gepäck überladenen und mit Menschen vollgestopften Gefährte in wildem Galopp funkensprühend und staubaufwirbelnd dahin. Der Lärm belustigte die jungen Mädchen. Favourite rief:

»Welch ein Getöse! Als ob ein Bündel Ketten zerrissen würde!«

Einmal hielt eine der Postkutschen, hinter den Ulmen schwer erkennbar, plötzlich an und setzte sich dann rasch wieder in Bewegung. Fantine wunderte sich.

»Sonderbar«, sagte sie, »ich dachte, die Postkutschen halten niemals auf der Strecke.«

Favourite zuckte die Achseln.

»Diese Fantine ist wirklich vom Mond gefallen. Ich bin immer neugierig, wenn ich sie besuche, man lernt nie aus. Die einfachsten Dinge sind ihr rätselhaft. Wenn ich ein Reisender bin und zur Post sage: ich geh ein wenig voraus, nehmen Sie mich drüben am Quai auf, nun, dann hält die Kutsche, wo sie mich gerade trifft, und läßt mich einsteigen. Das kommt doch alle Tage vor. Du kennst wirklich das Leben nicht, Liebling.«

So verging einige Zeit. Plötzlich schien Favourite aus ihrer Nachdenklichkeit erwacht.

»Nun, und unsere Überraschung?«

»Ja, wo bleibt die berühmte Überraschung?!« rief Dahlia.

»Sie sind schon so lange fort«, sagte Fantine.

Während sie aufseufzte, trat der Kellner, der serviert hatte, ein. Er hielt etwas in der Hand, eine Sache, die einem Brief ähnlich sah.

»Was ist das?« fragte Favourite.

»Ein Brief, den die Herren für die Damen zurückgelassen haben.«

»Und warum haben Sie ihn nicht gleich gebracht?«

»Weil die Herren befohlen hatten, ihn erst nach einer Stunde zu bestellen.«

Favourite riß dem Kellner den Brief aus der Hand.

»Keine Adresse!« rief sie, »aber ja, da steht etwas: Dies ist die Überraschung!«

Sie erbrach den Brief, und da nur sie lesen konnte, las sie ihn vor.

»Teure Freundinnen! Wisset, daß wir Eltern haben. Was Eltern sind, davon habt Ihr wohl keine rechte Vorstellung. Im bürgerlichen Recht und im Ehrenkodex wird so etwas Vater und Mutter genannt. Nun, diese Eltern jammern, die alten Leutchen verlangen nach uns, diese braven Männer und Frauen nennen uns verlorene Söhne, wollen, daß wir heimkehren, und machen sich anheischig, zu unseren Ehren ein Kälblein zu schlachten. Da wir tugendhaft sind, folgen wir dem Befehl. Zur Zeit, da Ihr dies leset, bringen uns fünf wackere Rosse zu Papa und Mama. Wir hauen ab, wie der Dichter sagt. Wir verduften – wir sind schon verduftet! Die Toulouser Post reißt uns aus dem Abgrund – und dieser Abgrund seid Ihr, Ihr lieben Kleinen! Wir kehren zurück in die menschliche Gesellschaft, zur Pflicht und Ordnung, und wir haben es sehr eilig, machen drei Meilen in der Stunde. Das Vaterland will, daß wir, wie jeder andere anständige Mensch, irgend etwas werden, Präfekten, Familienväter, Flurhüter oder Staatsräte. Blicket auf zu uns in Verehrung, denn wir sind Männer, die sich zu opfern wissen. Beweinet uns ohne Verzug, dann sorgt für Ersatz. Wenn dieser Brief Eure Herzen zerreißt, so rächt Euch und zerreißt ihn. Lebt wohl!

Zwei Jahre lang haben wir Euch beglückt.