Nichts für ungut!

Tholomyès

Fameuil

Listolier

Blachevelle

PS. Das Diner ist bezahlt. –«

Die vier Mädchen sahen einander an. Favourite war es, die das Schweigen brach.

»Das ist wenigstens einmal ein guter Witz!«

»Sehr spaßhaft«, meinte Zéphine.

»Das hat natürlich Blachevelle ausgeheckt«, vermutete Favourite. »Ich könnte mich in ihn verlieben. Kaum ist er weg, so verliebe ich mich. So geht es.«

»Nein«, meinte Dahlia, »die Idee ist von Tholomyès. Unverkennbar.«

»In diesem Falle – nieder mit Blachevelle! Und hoch Tholomyès!« rief Favourite.

»Hoch Tholomyès!« stimmten Dahlia und Zéphine ein.

Sie lachten laut. Fantine lachte mit ihnen.

Als sie aber eine Stunde später nach Hause kam, weinte sie. Es war, wir sagten es schon, ihre erste Liebe gewesen; sie hatte sich diesem Tholomyès wie einem Gatten gegeben, und das arme Mädchen hatte ein Kind.

Viertes Buch
Anvertraut – ausgeliefert

Eine Mutter begegnet einer anderen

Im ersten Viertel dieses Jahrhunderts gab es in Montfermeil bei Paris eine kleine Gastwirtschaft, die jetzt nicht mehr existiert. Sie wurde von den Eheleuten Thénardier unterhalten und lag in der Ruelle du Boulanger. Über der Tür war ein Brett angebracht, das irgendein Bild zeigte, etwas wie einen Mann, der einen anderen auf dem Rücken trägt, und dieser andere hatte ungeheure Generalsepauletten aus Gold und breite Silbersterne; rote Kleckse stellten das Blut dar, das übrige Gemälde bestand aus Rauch, und das Ganze bedeutete wohl eine Schlacht. Darunter konnte man die Aufschrift sehen:

Zum Sergeanten von Waterloo.

Nichts ist gewöhnlicher als eine Fuhre oder eine Karre vor der Tür einer Herberge. Das Gefährt aber, oder besser gesagt, das Bruchstück von Gefährt, das vor der Kneipe »Zum Sergeanten von Waterloo« an einem Frühlingsabend des Jahres 1818 stand, hätte gewiß allein schon durch seinen Umfang die Aufmerksamkeit eines Malers auf sich gezogen, der da zufällig vorbeigekommen wäre.

Es war das Vordergestell eines Blockwagens, wie sie in bewaldeten Gegenden zum Transport von Baumstämmen benutzt werden. Dieses Gestell bestand aus einer massiven Achse aus Eisen, in die eine mächtige Deichsel gesteckt war und die von zwei riesenhaften Rädern getragen wurde. Das Ganze sah plump und mißförmig aus. Man hätte sagen können, es sei das Fahrgestell einer großen Kanone.

Wozu stand dieses Gefährt dort auf der Straße? Zunächst wohl, um den Verkehr zu hemmen, dann aber auch, um weiter zu rosten. In der alten sozialen Ordnung gibt es eine Unmenge von Dingen, die solchermaßen herumstehen und keine weitere Daseinsberechtigung haben als eben die, daß sie eben behinderlich sind.

Unter der Achse hing eine Kette so tief herab, daß sie fast bis zur Erde reichte, und in der Krümmung dieser Kette, wie auf einer Schaukel, saßen an diesem Abend zwei kleine Mädchen, eines von etwa zweieinhalb Jahren, das andere, jüngere, vielleicht achtzehn Monate; die Kleinere in den Arm der Größeren gelehnt. Ein geschickt verknotetes Tuch verhinderte, daß sie herunterfielen. Eine Mutter hatte diese Kette gesehen und hatte gedacht: halt, das ist ein Spielzeug für meine Kinder!

Die beiden Kleinen waren nett und sogar etwas gewählt angezogen; ihre Augen leuchteten, ihre frischen Wangen lachten; die eine war kastanienbraun, die andere brünett. Ihre naiven Gesichter strahlten Entzücken aus, ein Blumenbeet in der Nähe sandte einen Duft aus, der den Vorübergehenden von den beiden Kindern zu kommen schien. Die Kleine von achtzehn Monaten zeigte mit der keuschen Unbefangenheit des frühesten Kindesalters einen niedlichen kleinen Bauch.

Einige Schritte abseits saß auf der Schwelle der Herberge die Mutter, eine Frau von wenig einnehmendem Äußern, die aber in diesem Augenblick immerhin etwas Rührendes an sich hatte; mittels eines langen Stricks brachte sie die Kette zum Schaukeln und überwachte dabei ängstlich die beiden Kleinen mit jenem halb tierischen, halb himmlischen Ausdruck, der der Mutterschaft eigentümlich ist. Bei jeder Bewegung kreischten die Eisenringe gellend auf, die kleinen Kinder jubelten, und die untergehende Sonne mischte ihr Licht in all die Freude; es war, als ob diese Laune des Zufalls eine Titanenkette in eine Girlande der Cherubim verwandelt hätte.

Während die Mutter die Kleinen wiegte, sang sie eine damals berühmte Romanze:

»So muß es sein, sagt der Soldat …«

Ihr Gesang und die Beobachtung der Kinder hinderte sie zu hören oder zu sehen, was auf der Straße vorging.

Inzwischen war, als sie die erste Strophe jener Romanze anstimmte, jemand näher getreten, und plötzlich hörte sie knapp über ihrem Ohr eine Stimme.

»Zwei hübsche Kinderchen haben Sie, Frau!«

»… Zur schönen, süßen Imogen«, fuhr die Mutter fort, wie es im Text wohl lautete; dann wandte sie sich um.

Eine Frau stand vor ihr. Auch sie hatte ein Kind in den Armen.

Überdies schleppte sie einen recht umfangreichen Reisesack, der ziemlich schwer zu sein schien.

Das Kind dieser Frau war das entzückendste Wesen, das man sich nur vorstellen konnte. Ein Mädchen von zwei oder drei Jahren. Und nicht weniger kokett herausgeputzt wie die beiden andern Kleinen. Es trug ein Häubchen aus feinem Linnen, war mit Bändern und Spitzen geschmückt. Das Kleidchen war zurückgeschoben und ließ die weißen, prallen, wohlgeformten Schenkel sehen. Das Gesicht war rosig und verführerisch. Die Kleine verlockte den Beschauer, sie anzubeißen wie einen Apfel.