So lag es an ihr, ob sie ihren Liebhaber belasten und durch ein Geständnis dem Tode überliefern wollte oder nicht. Sie leugnete. Man drang in sie. Aber sie beharrte auf ihrer Aussage. Da hatte der königliche Prokurator einen guten Einfall. Er konstruierte eine Untreue des Mannes und verstand es, Bruchstücke aus Briefen von ihm so geschickt zusammenzustellen, daß die Unglückliche glauben mußte, sie habe eine Nebenbuhlerin und würde von jenem Manne betrogen. In der Tat ließ sie sich von ihrer Eifersucht verführen, ihren Liebhaber zu verraten, alles zu gestehen und sogar Beweise zu liefern. Der Mann war verloren. Er sollte demnächst zusammen mit seiner Mitschuldigen in Aix abgeurteilt werden. Man unterhielt sich darüber, und alle rühmten die Geschicklichkeit des Beamten. Indem er die Eifersucht erregt hatte, war es ihm gelungen, den Zorn zu seinem Verbündeten zu machen und die Wahrheit zu erfahren. Er hatte die Rachsucht in den Dienst der Justiz gestellt. Schweigend hörte der Bischof dies alles an. Endlich fragte er:
»Welches Gericht urteilt über diesen Mann und diese Frau?«
»Die Assisen.«
»Und welches über den Herrn Prokurator?«
Ein tragischer Fall ereignete sich in Digne. Ein Mann wurde wegen Mordes zum Tode verurteilt. Es war ein Unglücklicher, der nicht wirklich gebildet, aber auch nicht ganz unwissend war; auf Jahrmärkten hatte er sich als Clown zur Schau gestellt, war aber auch als öffentlicher Schreiber tätig gewesen. Der Prozeß erregte in der Stadt großes Aufsehen. Am Vorabend der Hinrichtung erkrankte der Gefängnisgeistliche. Da aber ein Priester den Delinquenten auf seinem letzten Gange begleiten mußte, sandte man nach dem Pfarrer. Es wurde berichtet, er habe sich mit der Begründung geweigert, die Sache gehe ihn nichts an. »Mit Possenreißern habe ich nichts zu tun«, hatte er gesagt, »übrigens bin ich auch krank, und dies ist nicht meines Amtes.«
Diese Antwort wurde dem Bischof hinterbracht, und dieser sagte:
»Der Herr Pfarrer hat recht. Dies ist nicht sein Amt, sondern meines.«
Unverzüglich begab er sich in das Gefängnis, stieg in die Zelle des Possenreißers hinab, redete ihn mit Namen an und bot ihm die Hand. Den ganzen Tag blieb er bei ihm, vergaß zu essen und zu schlafen, betete für die Seele des Verurteilten und ermahnte ihn, an sein Heil zu denken. Er sagte ihm die besten Wahrheiten – nämlich die einfachsten. Er war Vater, Bruder, Freund; Bischof nur, um zu segnen. Er belehrte ihn, gab ihm die Sicherheit wieder und tröstete ihn. Dieser Mensch war im Begriff, verzweifelt zu sterben. Für ihn war der Tod ein Abgrund, ein gähnender Schlund, vor dem er entsetzt zurückbebte. Er war nicht so roh, daß er stumpf geblieben wäre. Seine Verurteilung hatte ihn schwer erschüttert und ihn einen Blick tun lassen in jene geheimnisvolle Tiefe, die wir das Leben nennen und die sich zumeist unserer Erkenntnis entzieht.
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